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Seminararbeit / Hausarbeit

Karl Kraus - Der Kampf gegen die ‚Tintens­trolche‘

4.200 / ~17 sternsternsternsternstern_0.25 Manuel T. . 2012
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Seminararbeit
Deutsch

Karl-Franzens-Universität Graz - KFU

2011, Prof. Fuchs

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ID# 12970







Karl Kraus

Der Kampf gegen die ‚Tintenstrolche‛


510.225 PS Literaturwissenschaftliches Forschen (Literaten in der Tagespresse)

Mag. Gerhard Fuchs

Sommersemester 2011

Proseminararbeit

vorgelegt von

Abgabedatum: 27.11.2011

Inhaltsverzeichnis

1.)Einleitung. 2

2.)Das Leben des Karl Kraus. 3

2.1) Literarisches Schaffen (Auswahl). 7

3.)Karl Kraus gegen die ‚Tintenstrolche‛8

3.1)Die Fackel10

3.2)Sittlichkeit und Kriminalität. 11

4.)Zusammenfassung. 14

5.)Literaturverzeichnis. 15

5.1) Primärliteratur. 15

5.2) Sekundärliteratur. 15


1.)            Einleitung

Eine Beschäftigung mit Karl Kraus im Rahmen des Proseminars „Literaten in der Tagespresse“ ist unvermeidbar. Zugegeben, der Name Karl Kraus war zu Beginn dieses Jahres für mich noch ein Unbekannter. Doch je mehr man sich der Materie widmet, desto unausweichlicher wird eine genauere Auseinandersetzung mit jenem polemischen jüdischen Herrn, der das Zeitungs- und Journalismuswesen rund um das Fin de Siècle und danach entscheidend (mit-)geprägt hat.

Karl Kraus erlangte als Herausgeber der ‚Fackel‛ weit über die Grenzen Österreichs hinaus große Berühmtheit, von der zwischen 1899 und 1936 über 900 Ausgaben mit einem Umfang von mehr als 30000 Seiten erschienen sind.

Bei dieser unfassbaren Menge an Material, die uns Karl Kraus hinterlassen hat, kann man als Einzelkämpfer im Rahmen einer Proseminararbeit nur einzelne Facetten seines Schaffens einbeziehen. Nach einer sorgfältigen Beschreibung seines Lebens, wird sich diese Arbeit inhaltlich besonders den frühen Jahren des Lebens von Karl Kraus widmen, die durch den Kampf gegen die Institution ‚Presse‛ geprägt ist.

Sein Weg weg vom Studium zu seinen ersten Anfängen als Journalist, der Bruch (‚Die demolirte Litteratur‛) mit seinen Freunden aus dem Café ‚Griensteidl‛ bis zu den ersten Ausgaben der ‚Fackel‛ werden das Hauptthema dieser Arbeit bilden, die zeitlich gesehen mit der Veröffentlichung des Buches ‚Sittlichkeit und Kriminalität‛, einer Essaysammlung, enden wird.

Die Suche nach passender Literatur über das Schaffen von Karl Kraus gestaltete sich als teilweise schwierig. Über die Jahre wurde viel und ausgiebig über Karl Kraus reflektiert; herauszufiltern, was brauchbar für diese Arbeit sein würde, war mühsam. Biographisches und weiterführendes Material wurden vorwiegend aus den Veröffentlichungen von Caroline Kohn, Alfred Pfagbian und Edward Timms entnommen, mit deren Hilfe nun folgend versucht werden wird, einen Einblick über den Diskurs von Kraus‛ früh entstandenen Journalismus-Pessimismus wiederzugeben.

Des Weiteren werden Aspekte aus Kraus‛ Leben mit Originalzitaten aus der ‚Fackel‛[1], die dankbarer Weise frei im Internet zur Verfügung steht, bekräftigt, um einen möglichst authentischen Blick auf sein Leben und Schaffen zu generieren.


2.)            Das Leben des Karl Kraus

Karl Kraus kam am 28. April 1874 in Jičin, Nordböhmen als neuntes Kind des jüdischen Kaufmanns Jakob Kraus und Ernestine Kraus, geborene Kantor, zur Welt. Auf Grund von geschäftlichen Notwendigkeiten des Vaters zog die Familie Kraus bereits im Jahre 1877 nach Wien; dieser Umstand erschwerte das Leben für Karl in seinen ersten Lebensjahren ungemein, so kamen zu seinen körperlichen Problemen, er hatte seit Beginn seines Lebens mit einer angeborenen Rückgratverkrümmung zu kämpfen, psychische hinzu.

Schon früh bildete sich dadurch ein wesentlicher Charakterzug Kraus‛ heraus, denn, sich seiner Schwächen schämend, versuchter er als Mittel zur Kompensation, die Schwächen seiner Mitmenschen herauszufinden und diese lächerlich zu machen. Auch das problematische Verhältnis zu seinem jähzornigen und cholerischen Vater und der frühe Tod seiner Mutter waren wichtige Faktoren für die Charakteristik seines Schreibstils.[2]

Zwar erzählte Kraus in seinen späteren Jahren in Form von Gedichten und Aphorismen immer wieder von glücklichen Kindheitserinnerungen, der Wahrheit entsprach dies wohl nicht. Die Nachwirkungen des Umzugs in die Großstadt Wien, die zu der Zeit um die zwei Millionen Einwohner zählte, waren immanent in Kraus‛ Jugend; Ängste vor dem Straßenverkehr, vor dem Einschlafen und vor der Schule beeinflussten ihn sein Leben lang in seinem literarischen Werk.

Als Ausweg und Ausgleich dafür erschien dem ängstlichen Kraus eine bedingungslose Anpassung in der Schule, welche ihm auch stets zu einem der Klassenbesten machte und ihm den Erfolg und Bestätigung zurückgab, die er in anderen Bereichen nicht erlangen konnte.

Die weitreichendste Angst seiner Jugendzeit war zweifellos seine Sprachangst. Als gebürtigen Böhmen war Deutsch für Kraus nicht die einzige Muttersprache, aus diesem Umstand speisten sich auch frühe Sprachprobleme von Kraus, die vor allem im Verfassen von Aufsätzen zu Tage kamen.[3]„Die Grunderlebnisse der Sprachangst, des Sprachzweifels sowie das quälende Gefühl, dass seine Sprache den eigenen Ansprüchen nicht genüge, werden ihn sein Leben lang nicht verlassen.“[4]


Heinrich Heine, der ebenfalls zweisprachig aufgewachsen ist, löste dies mit der Adaption des Deutschen an seine sprachlichen Kenntnisse und wurde dadurch nicht zufällig zum absoluten Gegenpart zu Kraus, der selbst seine deutschen Sprachdefizite durch Überkompensation hinter sich ließ und sich zu einem Sprachkünstler entwickelte.

Im Jahr 1892 maturierte Kraus, und begann auf Wunsch seines Vaters ein Jurastudium, welches er nie beabsichtige, erfolgreich zu beenden. Sein damaliger Berufswunsch, im völligen Gegensatz zu seinen späteren Ansichten, war es, Journalist zu werden.

Kraus war mittlerweile zum Stammgast im Café ‚Griensteidl‛ geworden, einem Treffpunkt der Wiener Jungliteratenszene. Bis 1898 waren junge Schriftsteller wie Hermann Bahr, Hugo von Hoffmansthal, Felix Salten oder Felix Dörmann dort ebenso wie Kraus Stammgäste; angewidert von Dekadenz, Manieriertheit, Kulturpessimismus und soziale Abstinenz kam im Jahr 1898 zu Kraus erster größerer Arbeit, der ‚Demolirten Literattur‛, in der er mit dem Stammpersonal des ‚Griensteidl‛ abrechnete.[5]

Kraus‛ nächste Arbeit ‚Eine Krone für Zion‛, in der er mit seinem zeitweilige Vorgesetzten bei der ‚Neuen Freien Presse‛, Theodor Herzl, und der zionistischen Bewegung abrechnete, thematisiert das Motiv des Judentums, mit dem er sich als geborener Jude sein Leben lang beschäftigen wird. Seine Kritik am Judentum per se und die Forderung, dass sich die Probleme der Juden in der Gesellschaft nur durch komplette Assimilation lösen lassen würden, brachten ihm immer wieder den Ruf ein, antisemitische Tendenzen zu verfolgen.[6]

Finanziell von seinem Vater unterstützt, veröffentlicht Kraus im April 1899 die erste Ausgabe der ‚Fackel‛. Der überwältigende Erfolg der ersten Ausgabe bringt Kraus finanzielle Unabhängigkeit und führt zu über 80 Ausgaben der Zeitschrift bis ins Jahr 1901; zum Leitthema dieser Phase wird die punktuelle Aufdeckung von Korruption in der Gesellschaft und im Pressewesen.[7]

Nach einer ersten längeren Pause im Jahr 1901, der in direkter Verbindung mit dem Tod der von Kraus verehrten und geliebten Schauspielerin Annie Kalmar steht, ändert Kraus die Motive der ‚Fackel‛; es entsteht der Aufsatz ‚Sittlichkeit und Kriminalität‛, in der er „die heuchlerische Stellung der bürgerlichen Gesellschaft zum Liebesleben und zur Prostitution brandmarkte.“[8] Kraus kritisierte heftig die Stellung der Presse, die er als übergeordnete gesellschaftliche Institution entlarvte, von der sich die breite Masse moralisch erziehen ließ.

Diese scharfen Anklagen führten jedoch dazu, dass Kraus mit der Zeit immer mehr von den Wiener Zeitungen ignoriert wurde; seine 1908 in Buchform veröffentlichte Essaysammlung ‚Sittlichkeit und Kriminalität‛ wurde von den Medien vollkommen tot geschwiegen, dadurch sah er sich veranlasst, Kritiken über sein Werk aus Deutschland in der ‚Fackel‛ zu veröffentlichen.

Diese Isoliertheit läutete bei Kraus die Phase seiner Vorlesungen ein, die er zuerst noch in Wien und in späterer Folge auch in Deutschland hielt. Die Beweggründe dieser Lesungen für Kraus waren durchaus noble; die Erlöse der ersten Vorlesungen in Wien gingen an seinen kranken und stets mittellosen Freund Peter Altenberg. Besonders der Vortrag seines kontroversiellen Essays ‚Heine und die Folgen‛ erregte großes Aufsehen und veranlasste ihn, weitere Lesungen in München und Berlin abzuhalten, wo er teilweise vor mehr als tausend Besuchern vorlas.[9]

In den Jahren vor dem 1. Weltkrieg kommen immer wieder Kriegsvorahnungen zum Vorschein; Kraus, der von Geburt an körperlich gehandicapt und kriegsuntauglich war, befürchtete den nahenden Weltkrieg und kritisiert die voranschreitende technischen Entwicklungen. Den Kriegsausbruch kommentiert er im August 1914 mit Schweigen, erst im Dezember desselben Jahres erscheint die ‚Fackel‛ wieder; im Aufsatz ‚In dieser großen Zeit‛

Kraus regte dadurch seine Leser zum kritischen Denken an, bekam aber zunehmend Probleme mit der Militärpolizei; nur der Zusammenbruch der Monarchie konnte eine Strafverfolgung verhindern.[10]

Kraus begann während des Krieges vermehrt Lyrik zu schreiben; so erschien im Jahr 1916 der erste seiner neun Gedichtbände ‚Worte in Versen‛ ; nach dem Krieg war Kraus‛ Schaffenskraft und Ruhm am Höhepunkt seines Lebens. Durch seine zahlreichen erfolgreichen Vorlesungen war er äußerst wohlhabend geworden, spendete diese Summen aber immer für wohltätige Zwecke; besonders die kulturellen und sozialen Einrichtungen in Wien kamen in den Genuss von Kraus‛ Spenden.

Trotz allem war Kraus noch immer ein Geächteter in Wiens Presselandschaft, denn „so großzügig er mit dem Gelde war, so freigiebig war er auch mit Kritik aller Art“[11]. Literarisch veröffentlichte er neben seinen Gedichtbänden speziell kriegskritische Werke, die 1922 ihren Höhepunkt mit der vollständigen Publikation seiner Antikriegstragödie ‚Die letzten Tage der Menschheit‛ fanden, einem 800 Seiten umfassenden Manifest, das „eine vernichtende Kritik der Kriegsdummheit und der Kriegsprofitmacher“[12] ist.

Trotz aller Ehrungen und seines fortschreitenden Alters blieb Kraus der unangenehme Zeitgenosse für Politiker, Behörden und Zeitungen, der er sein ganzes Leben lang gewesen war. Er wählte stets die Freiheit und das Recht, auch diejenigen zu kritisieren, mit denen er im Grunde sympathisierte. Dies betrifft im Besonderen bei den Klagen gegen den mit der sozialdemokratischen Partei nahe stehenden Polizeichef Johann Schober zu, dessen brutales Vorgehen bei den Junidemonstrationen 1927 Kraus aufs Schärfste verurteilte.

Und wenn die Welt voll Hakenkreuzler wär‛ – an deren Erschaffung ja der Sozialdemokratie, hüben und drüben, das Hauptverdienst gebührt -: wir müssen uns endlich klar werden, daß es, seitdem sich Menschheit von Politik betrügen läßt, nie ein größeres Mißlingen gegeben hat als das Tun dieser Partei, und daß die Entehrung sämtlicher Ideale, sie sie benützt haben, um mit der Bürgerwelt teilen zu können, vollendet ist. (F 876/84, 1)

Als Hitler 1934 die Macht übernahm, kommentierte Kraus dies, analog zum Ausbruch des 1. Weltkrieges, mit Schweigen. Die Öffentlichkeit reagierte mit Empörung, sodass Kraus sich gezwungen sah, das Pamphlet ‚Warum die Fackel nicht erscheint‛ in der 889. ‚Fackel‛ zu veröffentlichten. Kraus sah die Machtergreifung Hitlers als so großes Unglück an, dass er nichts dazu zu sagen fand.

DieTragik dieser Sache machte alles Reden und Schreiben lächerlich und zwecklos, „jedwede Satire war durch die Wirklichkeit überholt“[14].

Nachdem Kraus im Februar 1936 ein Radfahrer bei einem Unfall niedergestoßen hatte[15] und seinen Gesundheitszustand ihm körperlich sehr zugesetzt hatte, verstarb Karl Kraus starb am 12. Juni 1936 in Wien.[16]


Die Fackel. Hrsg. von Karl Kraus. Jg 1 -37. = Nr 1-922. Wien.

Verlag: Nr.1-81 erschien bei Moritz Frisch; ab Nr. 82 im Verlag „Die Fackel“

Weiters:

·        Die demolirte Litteratur. Wien: A. Bauer 1897.

·        Eine Krone für Zion. Wien: M. Frisch 1898.

·        Sittlichkeit und Kriminalität. Wien: L. Rosner 1908. (= Ausgewählte Schriften. Bd 1.)

·        Sprüche und Widersprüche. München: A. Langen 1909. (= Ausgewählte Schriften. Bd 2.)

·        Die chinesische Mauer. München: A. Langen 1910. (= Ausgewählte Schriften. Bd.3.)

·        Heine und die Folgen. München: A. Langen 1910.

·        Pro domo et mundo. München: A. Langen 1912. (= Ausgewählte Schriften. Bd.4.)

·        Nestroy und die Nachwelt. Zum 50. Todestag. Wien: Jahoda & Siegel 1912.

·        Literatur oder Man wird doch da sehen. Magische Operette in 2 Teilen. Wien: Verlag „Die Fackel“ 1921.

·        Die letzten Tage der Menschheit. Tragödie in 5 Akten mit Vorspiel u. Epilog. Wien: Verlag „Die Fackel“ 1922.

·        Untergang der Welt durch schwarze Magie. Wien: Verlag „Die Fackel“ 1922.

·        Wolkenkuckucksheim. Phantastisches Versspiel in 3 Akten auf Grundlage der ‚Vögel‛ von Aristophanes. Wien: Verlag „Die Fackel“ 1923.


3.)            Karl Kraus gegen die ‚Tintenstrolche‛


Der erbitterte Kampf, den Karl Kraus gegen die Presse führte, war für ihn stets ein Notwendiger.

Zu seinen Lebzeiten diktierte das Pressewesen stärker als jemals zuvor oder danach die öffentliche Meinung und das Leben. Diverse Umstände, wie das merklich zurückgehende Analphabetentum, Verbesserungen im Nachrichtenwesen oder der anhaltende technische Fortschritt, verhalfen Tageszeitungen zu ungeahnter Bedeutung in der Gesellschaft.

Die Bevölkerungszunahme ermöglichte Massenauflagen von einem neuen Zeitungstyp, um den Wissensdurst von semi-gebildeten Lesern zu stillen.

Die Problematik an der Presse lag bei den Eigentumsverhältnissen; so waren Zeitungen normalerweise in der Hand von privaten Geschäftsleuten und nicht von anonymen Finanzgesellschaften, wie es später üblich wurde. Es war das Zeitalter sogenannter ‚Pressebarone‛, von den Mächtigen im System, die sowohl über die finanziellen als auch über die redaktionellen Angelegenheiten einer Zeitung bestimmten.[18] Große Zeitungen übten enormen Einfluss auf die vorherrschenden Meinungen aus; das Zusammenarbeiten mit Regierungen gehörte zum Usus der damaligen Zeit, „die Massenauflagen verliehen ihnen Macht ohne jede Verantwortlichkeit“[19].

Die Überlegung von Kraus, eine eigene Zeitschrift zu gründen, erwägte er schon, als er als Mitarbeiter der vermeintlich unabhängigen Zeitschrift ‚Die Wage‛ tätig war. Später sollte Kraus feststellen, dass er dort nicht die Freiheiten vorfand, die er sich gewünscht hätte:[20]

„Als Chroniqueur der »Wage« hatte ich allwöchentlich länger darüber nachdenken müssen, was ich schreiben dürfe, als alles das zu schreiben Zeit erfordert hätte, was ich nicht schreiben durfte.“(F 5, 10)

Dieser allmähliche Wechsel seiner Perspektive weg vom Tagesgeschäft als Journalist entwickelte sich bei Kraus in den Jahren zwischen 1892 und 1899. Sein Gespür für die anhaltende Schwächung des Liberalismus in Österreich und die Krise der Monarchie brachten ihn von seinen ursprünglichen Berufswünschen ab. Die Entwicklungen rund um die Wahl Karl Luegers zum Wiener Bürgermeister und die gewalttätigen Vorkommnisse im Parlament als Konsequenz der Sprachenverordnung des Ministerpräsidenten Badeni im November 1897 interpretierte Kraus als Anfang des drohenden Unheils, das auf die Monarchie zukam und forderte das Ende des von ihm selbst so genannten ‚Plauderfeuilletonismus.‛[21] Die geschehenen Ereignisse sprengten, laut ihm, den Rahmen des bloßen feuilletonistischen Schreibens.

Kraus‛ Haltung wurde immer sozialkritischer; seine Abrechnung mit dem Wiener Kaffeehausmilieu rund um das Café ‚Griensteidl‛, in dem sich regelmäßig Wiens Jungliteraten und Dichter trafen, fiel heftig aus (‚Die demolirte Litteratur‛), besonders Hermann Bahr dürfte danach einige unruhige Stunden verbracht haben. Auch Theodor Herzl, der Feuilletonredakteur der ‚Neuen Freien Presse‛, wurde in Kraus‛ Broschüre ‚Eine Krone gegen Zion‛ angegriffen und war danach wohl mehr als nur wenig verstimmt.

Trotz der Kritik an Herzl und dem Zionismus, erhielt Kraus Ende 1898 ein Angebot der ‚Neuen Freien Presse‛, welches er aber seinen neuerlangten Überzeugungen gemäß ausschlug.[22] Später reüssierte Kraus über sein journalistisches Schaffen vor der Zeit der ‚Fackel‛ folgender Maßen:

Nun also, — aber ich bitte nicht zu erschrecken: ich hatte im Alter von neunzehn bis dreiundzwanzig
Jahren »Verbindungen«, das bedächtige Warmhalten neugewonnener »Beziehungen« war mein Sturm und Drang und ein feinsittsames Auskommen im liberalen Zeitungskreise der Inhalt meiner Flegeljahre. Ja, ich will es nicht leugnen, dass den literatursüchtigen, politisch völlig ahnungslosen Neuling ein Feuilletonistenplatz in der »Neuen Freien Presse« zuweilen verlocken mochte, dass mich von allen bestehenden Blättern dies eine mit den seither durchschauten Mätzchen der Vornehmheit getäuscht hat. (F 5, 5)



Inspiriert von Maximilian Harden, selbst Herausgeber der Berliner Zeitschrift ‚Die Zukunft‛, machte sich Kraus ans Werk, seine eigene, unabhängige Zeitschrift herauszugeben. Kraus‛ Vater unterstütze ihm finanziell und bürgte für die Drucklegungskosten der ersten Nummer der ‚Fackel‛; der sofortige Erfolg der Zeitschrift (laut Kraus „nah an dreißigtausend Hefte“ (F 2, 2)) hatte zur Folge, dass er finanziell unabhängig wurde.[23] Im April 1899 erschien die erste Nummer der ‚Fackel‛, der Erfolg war überwältigend; Robert Scheu, ein zeitweiliger Freund Kraus‛ und Mitarbeiter der ‚Fackel‛ schilderte dies eindrucksvoll:

Und es kam — Eines Tages, soweit das Auge reicht, alles — rot. Einen solchen Tag hat
Wien nicht wieder erlebt. War das ein Geraune, ein Geflüster, ein Hautrieseln! Auf den Straßen, auf der Tramway, im Stadtpark, alle Menschen lesend aus einem roten Heft … Es war narrenhaft. Das Bro-
schürchen, ursprünglich bestimmt, in einigen hundert Exemplaren in die Provinz zu flattern, mußte in
wenigen Tagen in Zehntausenden von Exemplaren nachgedruckt werden. (F 277-78, 2)


Von Anfang an legte Kraus sein Augenmerk auf die Suche nach Beweisen von Korruption im Zeitungswesen und der generellen engen Verbindung zwischen Geld und Presse; die ‚Neue Freie Presse‛ unter dem langjährigen Herausgeber Moritz Benedikt wurden zum Feindbild stilisiert.[24]

Kraus wurde nicht müde, diesen Umstand seinen Lesern immer wieder näherzubringen, wie die folgende Stelle aus der ‚Fackel‛ aus dem Jahr 1902 belegt:

Freundlicher Leser! Der du noch immer die Zeitung für ein von geheimnisvoller Macht Erschaffenes,
aus pythischem Munde Weisheit Kündendes, beim Morgenkaffee plötzlich Daliegendes hältst, der du vom Offenbarungsschauer dich angeweht und der Ewigkeit näher fühlst, wenn Löwy oder Müller im Wir-Ton leitartikeln — besinne dich, dass all dein Respect nur der Namenlosigkeit gilt(…)Werde
misstrauisch, und einer von Druckerschwärze fast schon zerfressenen Cultur winkt die Errettung. (…) Nimm das gedruckte Wort nicht ehrfürchtig für baare Münze! (F 98, 4)

Die aggressive und direkte Art Kraus‛, Probleme und Personen anzusprechen, forderte im privaten Bereich auch Unannehmlichkeiten; so bilanzierte er nach dem ersten Quartal der ‚Fackel‛ folgend (F 9, 27):

Drohbriefe . 83

Ueberfälle . 1


3.2)       Sittlichkeit und Kriminalität


Eine besondere Stellung um die Jahrhundertwende nahm Kraus‛ Beziehung zu Annie Kalmar ein, einer deutschen Schauspielerin, in die sich Kraus schon in Jugendjahren verliebt hatte. Kalmar war im Jahr 1900 an Tuberkulose erkrankt und verstarb im Mai 1901. Besonders der geschmacklose Bericht über Kalmars baldiges Ableben, als diese noch auf Besserung hoffte, mit der gleichzeitigen Ankündigung von Enthüllungen über Kalmars Sexualleben, leiteten Kraus in die Periode seiner Sittlichkeit- und Kriminalität- Berichte.[25]

Kraus attackiert die bürgerliche Sexualmoral, die er als scheinheilig titulierte; hauptsächlich verwehrt sich Kraus gegen die Verbindung dieser Moral mit dem Gesetz. Kraus postuliert die strenge Trennung von Sittlichkeit und Kriminalität und fordert, dass die Privatsphäre eines jeden Menschen (und sein sexuelles Verhalten) zu schützen sei; die Staatsgewalt habe sich nicht in die privaten Belange von Menschen einzumischen; die Justiz solle nicht zum Moralapostel der Gesellschaft werden.[26]


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