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Seminararbeit / Hausarbeit

Kafka und die Literaturwissenschaft

1.616 / ~7 sternsternsternsternstern_0.2 Sara R. . 2018
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Seminararbeit
Literaturwissenschaft

Karl-Franzens-Universität Graz - KFU

2, Rabelhofer, 2017

Sara R. ©
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Kafka und die Literaturwissenschaft


Seminararbeit


  1. Das Objekt des Begehrens

Um die Frage, ob Theorie den Zugang zum Objekt des Begehrens öffnen vermag, zu klären, sollte zunächst einmal festgelegt werden, worum es sich beim Objekt des Begehrens handelt. Handelt es sich dabei um die Interpretation eines Textes in seinem richtigen Sinn, ist das Objekt des Begehrens das, was der Text dem Rezipienten versucht zu sagen, ist das Objekt des Begehrens die Erkenntnis, die man aus einem literarischen Werk schöpft? Wahrscheinlich ist es von allem etwas.

Das ‚Objekt des Begehrens‘ ist uns nicht automatisch zugänglich. Möglicherweise ist es gerade die Theorie, die dabei hilfreich sein kann.

Bogdal vertritt in dieser Hinsicht die Meinung, dass Theorie sehr wohl seinen Beitrag dazu leistet. Allerdings bedarf es dafür bestimmter Bedingungen, die er wie folgt formuliert:

„Theorie vermag den Zugang zum ‚Objekt des Begehrens‘ öffnen, wenn sie nicht ausschließlich auf ihren wissenschaftlichen Status reflektiert, sondern auch ihren kulturellen Gebrauchswert im Lesealltag im Auge behält und nicht zuletzt in unserer Mediengesellschaft eine differenzierte Lesefähigkeit zu bewahren hilft.“1


Aus dem Zitat Bogdals kann man nun lesen, dass Theorie nicht zu sehr in der Wissenschaft – in unserem Fall in der Literaturwissenschaft – verhaftet sein sollte. Theorie kann zwar wissenschaftlich begründet werden, muss aber, um auf konkrete Objekte umgelegt werden zu können, auch darauf achten, den Rezipienten von literarischen Werken im Hinterkopf zu behalten.

Das bedeutet, dass eine Theorie, die dem Rezipienten unverständlich bleibt, auch nicht helfen kann, zum ‚Objekt des Begehrens‘ zu gelangen. Theorie allein ist auch nicht imstande, unmittelbar auf die Interpretation eines literarischen Textes umgelegt zu werden.


Dies führt nun aber zu der Frage: Wozu dann überhaupt Literaturtheorie? Literaturtheorie ist ein wichtiger Aspekt im Umgang mit literarischen Werken, da sie viel Verschiedenes leisten kann. Sie hilft dabei, sein eigenes Literaturverständnis zu erweitern und es in einem anderen Licht zu sehen.

Stiegler benennt die hervorzuhebenden Leistungen der (Literatur-)Theorien wie folgt:

  • Theorien zeigen bestimmte Phänomene auf
    Durch Theorien ist es möglich, literarische Werke in einem anderem Licht zu sehen. Konkret zeigen sie auf, welche potentiellen Zusammenhänge sich ergeben können, wenn man über den Tellerrand der Literatur hinausblickt und beispielsweise die Psychoanalyse Freuds bzw. Lacans in seine Lektüre miteinbezieht.2

  • Theorien führen zu einem Problembewusstsein
    Dies bedeutet, dass Theorien dazu beitragen, seine eventuell naiven, laienhaften Annahmen zu Literatur zu revidieren, da sie immer wieder neue Wege einschlagen. Aufgabe der Theorien ist es nämlich, bereits getroffene Annahmen anzuzweifeln, vor allem, wenn sie überkommen sind.3

  • Theorien benennen wichtige Begriffe
    Durch den Umstand, dass Theorien dabei helfen, Begrifflichkeiten zu benennen, wird es dem Rezipienten literarischer Werke möglich, eine neue Wirklichkeit zu konstruieren und diese mit den Begrifflichkeiten aus der Literaturtheorie auch an andere weiter zu geben.4


    Der Umstand, dass es zahlreiche verschiedene Ansätze bzw. Schulen von Literaturtheorie gibt, zeigt, dass Literaturtheorie eine wichtige Stütze im Umgang mit literarischen Werken ist. Literaturtheorie gab es schon in der Antike, denkt man beispielsweise an Platon oder Aristoteles.5 Im Laufe der Zeit haben sich viele weitere verschiedene Schulen entwickelt, wie die Hermeneutik nach Schleiermacher und Gadamer, die bereits erwähnte Psychoanalyse von Freud bzw.

    Lacan oder auch die Dekonstruktion Derridas, um nur eine kleine Auswahl zu nennen.6

    Auffällig dabei ist aber, dass sich literaturtheoretische Schulen immer aus anderen Disziplinen speisen.7 Oft nehmen sie sich die Begrifflichkeiten aus der Philosophie, Psychologie oder Soziologie bzw. sind aus diesen Disziplinen heraus als Literaturtheorie adaptiert worden.

    Die Frage „Wozu Literaturtheorie?“ bringt folgendes Zitat von Morgenroth gut auf den Punkt: „Man wird ständig aufgefordert und herausgefordert, die Grenzen der Literatur […] zu prüfen und begrifflich zu reflektieren, um an und mit Literatur die Grundfragen des menschlichen Subjekts, der Gesellschaft und der Geschichte noch einmal aufzunehmen.“8


    1. „Kafka hat nicht nur die wissenschaftliche Methodik ihrer Eindeutigkeit beraubt, er hat auch die Deutbarkeit von Dichtung überhaupt ins Zwielicht der Fragwürdigkeit gerückt.“9

  • Schmidt führt beispielsweise aus, dass Politzer damit erkannt habe, dass Kafkas Texte eine besondere Herausforderung für literaturwissenschaftliche Deutungskonzepte darstellen, da damit eine grundlegende Debatte über literaturwissenschaftliche Deutungstheorie bzw. -praxis, über methodische, angemessene und richtige Vorgehensweise bei der Interpretation, über Ãœberinterpretation und gleichrangig nebeneinanderstehenden Deutungsmöglichkeiten angestiftet wurde, die wahrscheinlich noch länger andauern würde, da gerade Kafkas Texte immer zu neuen Problemen führen, wenn man sich mit ihnen beschäftigt.10 Allerdings führt Schmidt auch weiter aus, dass er die „Undeutbarkeit“ der Texte Kafkas in einem etwas anderen Licht sähe, da gerade Kafka zu einem jener Autoren gehöre, der eine enorme Spanne an Deutungen zugelassen und hervorgebracht habe, die noch dazu aus den unterschiedlichsten Richtungen und Disziplinen stammen.11

    Eine weitere Aussage zu diesem Zitat stammt von Bogdal. Er bezieht das Zitat Politzers auf die hermeneutische Literaturtheorie und zeigt auf, dass mit diesem Zitat die Schwierigkeit benannt wurde, dass die Literaturtheorie, „die über eine historische und systematische Statusbestimmung von Literatur hinaus ‚Deutungen‘ wissenschaftlich legitimieren will“14.


    Dass Kafka „die Deutbarkeit von Dichtung […] ins Zwielicht der Fragwürdigkeit gerückt“15, mag eine zutreffende Aussage sein. Man kann sagen, dass das Werk Kafkas eine außergewöhnliche Stellung in der Literaturwissenschaft einnimmt, in der Hinsicht, dass sich sein Werk, im Gegensatz zu anderen Autoren, oft einer eindeutigen Deutbarkeit entzieht.

    In diesem Sinn wird hier auch das Zitat Politzers gedeutet. Man kann die Texte Kafkas immer wieder lesen und wird immer wieder zu einer anderen Interpretation des Textes kommen. Dies wird auch durch die Legende ‚Vor dem Gesetz‘ deutlich. Kafkas Quelle für diese ist nicht eindeutig belegbar, die Forschungen der Literaturwissenschaft zeigen eine Vielzahl an möglichen Deutungen und Interpretationen.

    Auch bei der eigenen Lektüre zeigt sich, dass man zu vielen unterschiedlichen Deutungen der Parabel kommen kann, legt man verschiedene Ansätze literaturtheoretischer Schulen dem Interpretationszugang zugrunde.


    1. Befindet sich die Literaturwissenschaft ‚vor dem Gesetz der Literatur‘?

    Literatur im Mittelalter bedeutete etwas anderes als im 19. Jahrhundert oder auch heute. Heute können beispielsweise auch Graphic Novels als Literatur gesehen werden, zumal auch viele als Literatur angesehene Texte als Graphic Novel adaptiert wurden, wie beispielsweise einige Texte von Franz Kafka, darunter „Der Prozess“ oder „Die Verwandlung“.

    Was nun Literatur wirklich ist, lässt sich nicht ganz eindeutig bestimmen. Im Allgemeinen kann man aber sagen, dass „Literatur als die Gesamtheit aller Texte von bestimmten Wert“17 gesehen werden kann.

    Der Begriff Literaturwissenschaft lässt sich am besten über seine Tätigkeitsfelder erläutern: Sie beschäftigt sich mit mehr oder weniger fiktionalen Texten, die sowohl schriftlich als auch mündlich gestaltet sein können, sie beschäftigt sich mit dem Prozess der textlichen Ausformung hinsichtlich Verbreitung, Rezeption, Wirkung und Bewertung dieser, sie ist das Bindeglied zwischen Literatur und der Gesellschaft.

    Literatur kann alles zugleich aber auch nichts sein. Ist es für die Literaturwissenschaft erstrebenswert zur Literatur vorzudringen? Wahrscheinlich ja, aber es sind zahlreiche Hindernisse, zahlreiche Türhüter zu überwinden. Wie der Mann vom Lande, der noch nicht zum Gesetz vortreten darf, ist es auch der Literaturwissenschaft noch nicht gelungen, zur Literatur vorzudringen, zumindest noch nicht eindeutig.

    Wahrscheinlich wird es ihr nie ganz gelingen, da die Literatur immer im Wandel, nichts Statisches ist. Der Literaturbegriff ist veränderlich und meint man zur Literatur vorgedrungen zu sein, kann es bereits der Fall sein, dass sich Literatur wieder verändert hat und nicht greifbar ist.

    Allkemper, Allo; Eke, Norbert Otto: Literaturwissenschaft. 5., aktual. Aufl. Paderborn: Wilhelm Fink 2016. (= UTB. 2590.)


    Andringa, Els: Wandel der Interpretation. Kafkas ‚Vor dem Gesetz‘ im Spiegel der Literaturwissenschaft. Wiesbaden: Springer 1994. (= Konzeption empirische Literaturwissenschaft. 17.)


    Bogdal, Klaus-Michael: Einleitung. Vor dem Gesetz der Literatur. Neue Literaturtheorien in der Praxis. In: Neue Literaturtheorien in der Praxis. Textanalysen von Kafkas ‚Vor dem Gesetz‘. Hrsg. von Klaus-Michael Bogdal. Opladen: Westdt. Verl. 1993. (= WV Studium Literaturwissenschaft. 169.) S.7–10.


    Metzler Lexikon Literatur. Begriffe und Definitionen. 3., völlig neu bearb. Aufl. Hrsg. von Dieter Burdorf, Christoph Fasbender und Burkhard Moennighoff. Stuttgart: Metzler 2007.



    Morgenroth, Claas: Literaturtheorie. Eine Einführung. Paderborn: Wilhelm Fink 2016. (= UTB. 4169.)


    Neue Literaturtheorien in der Praxis. Textanalysen von Kafkas ‚Vor dem Gesetz‘. Hrsg. von Klaus-Michael Bogdal. Opladen: Westdt. Verl. 1993 (= WV Studium Literaturwissenschaft. 169.)


    Politzer, Heinz: Franz Kafka. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1980.


    Schmidt, Friedrich: Text und Interpretation. Zur Deutungsproblematik bei Franz Kafka. Dargestellt in einer kritischen Analyse der Türhüterlegende. Würzburg: König und Neuhausen 2007.


    Stiegler, Bernd: Theorien der Literatur- und Kulturwissenschaften. Eine Einführung. Paderborn: Schöningh 2015. (= UTB. 4315.)

    2  Vgl. Bernd Stiegler: Theorien der Literatur- und Kulturwissenschaften. Eine Einführung. Paderborn: Schöningh 2015 (= UTB. 4315.), S. 14. Im Folgenden zitiert als: Stiegler, Theorien.

    3  Vgl. ebda, S. 14f.

    4  Vgl. ebda, S. 15.

    5  Vgl. Claas Morgenroth: Literaturtheorie. Eine Einführung. Paderborn: Wilhelm Fink 2016 (= UTB. 4169.), S. 5. Im Folgenden zitiert als: Morgenroth, Literaturtheorie.

    6  Vgl. ebda, S. 7.

    7  Vgl. ebda, S. 10.

    8  Morgenroth, Literaturtheorie, S. 11.

    9  Heinz Politzer: Franz Kafka. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1980, S. IX. Im Folgenden zitiert als: Politzer, Kafka.

    10  Vgl. Friedrich Schmidt: Text und Interpretation. Zur Deutungsproblematik bei Franz Kafka. Dargestellt in einer kritischen Analyse der Türhüterlegende. Würzburg: König und Neuhausen 2007, S. 18. Im Folgenden zitiert als: Schmidt, Text und Interpretation.

    12  Els Andringa: Wandel der Interpretation. Kafkas ‚Vor dem Gesetz‘ im Spiegel der Literaturwissenschaft. Wiesbaden: Springer 1994 (= Konzeption empirische Literaturwissenschaft. 17.), S. 187.

    13  Vgl. ebda.

    14  Bogdal, Einleitung, S. 8.

    15  Politzer, Kafka, S. IX.

    16  Allo Allkemper und Norbert Otto Eke: Literaturwissenschaft. 5., aktual. Aufl. Paderborn: Wilhelm Fink 2016 (= UTB. 2590.), S. 25. Im Folgenden zitiert als: Allkemper, Eke, Literaturwissenschaft.

    17  Burkhard Moennighoff: Literatur. In: Metzler Lexikon Literatur. Begriffe und Definitionen. 3., völlig neu bearb. Aufl. Hrsg. von Dieter Burdorf, Christoph Fasbender und Burkhard Moennighoff. Stuttgart: Metzler 2007, S. 445.


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