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Die Reproduktion und Ironisierung

klassischer Geschlechterklischees in

„VIEL GUT ESSEN“ von Sibylle Berg


Gliederung


  1. Einleitung ………………………………………………………………… 3

  2. Theorien zur Geschlechterforschung ……………………………………… 4

    1. Die feministische Perspektive ………………………………………… .4

    2. Der soziale Konstruktivismus ……………………………………………………5

  3. Sibylle Berg und Geschlechtsidentität ………………………………………… .5

  4. Die Reproduktion und Ironisierung von Geschlechterstereotype in Sibylle Bergs Stück „VIEL GUT ESSEN“ ……………………………………………………… 7

    1. Typisch männlich?

- Charakterisierung des Mannes in „VIEL GUT ESSEN“………………… 8

    1. Typisch weiblich?

- Charakterisierung der Frauen in „VIEL GUT ESSEN“ …………………….10

    1. Die Entwicklung/ Darstellung der Frau im Stück …………………………….11

    2. Die Entwicklung des Mannes im Stück ……………………………………….11

  1. Fazit ………………………………………………………………………………… 12

  2. Literaturverzeichnis

  3. Erklärung


1. Einleitung

In der vorliegenden Arbeit wird der Frage nachgegangen, ob Sibylle Berg in ihrem Stück „VIEL GUT ESSEN“ mit den klassischen Geschlechterklischees spielt und inwieweit sie diese in ihrem Text reproduziert. Als Anmerkung ist hinzuzufügen, dass die Begriffe „Geschlechterklischees“ und „Geschlechterstereotype“ von mir in dieser Arbeit gleichbedeutend verwendet werden, da auch in der Literatur überwiegend keine klar abgrenzbare und bedeutungsunterscheidende Definition vorliegt.

Unter Geschlechterklischees bzw. Geschlechterstereotype versteht man nach Athenstaedt und Alfermann

persönliche Überzeugungen und Erwartungen hinsichtlich der typischen Charakteristika von Männern und Frauen. […] Stereotype haben generell zwei Funktionen. Einerseits vereinfachen sie die soziale Wahrnehmung, indem einzelne Individuen in Schubladen gesteckt und auf Basis von Kategorienzugehörigkeit beurteilt werden. Andererseits können über Stereotype gesellschaftlich systemische Praktiken (wie Ablehnung bestimmter Gruppen) und Statusunterschiede zwischen Gruppen legitimiert werden1.

Geschlechterklischees beschreiben demnach ein Verhalten oder Aussehen, dass andere Personen von jemandem erwarten, sodass man denjenigen eindeutig dem männlichen oder weiblichen Geschlecht zuordnen kann.

Den Anstoß für die obige Fragestellung der Arbeit gibt die unklare Zuordnung dazu, was sich als „typisch männlich“ und „typisch weiblich“ im modernen Zeitalter von Emanzipation der Frau und Transgender bezeichnen lässt. Wie Sibylle Berg in einem Interview auf der Frankfurter Buchmesse betont, sollten ihrer Meinung nach Geschlechter generell abgeschafft werden.2 Das bedeutet, es solle keine Unterschiede mehr zwischen den Geschlechtern geben, sodass man einfach nur als Mensch wahrgenommen wird.3

In ihrem Stück „VIEL GUT ESSEN“ dreht sich die Thematik unter anderem auch um die zentrale Identitätsfrage: „Was macht mich eigentlich aus?“ Das Ziel dieser Arbeit ist es, diese Frage bezogen auf die Geschlechterrollen und den damit einhergehenden Erwartungen und Klischees zu erörtern und kritisch zu hinterfragen.

Zunächst befasse ich mich deshalb mit den für die Textanalyse notwendigen Theorien der Geschlechterrollenentwicklung und Geschlechtsidentität, insbesondere der feministischen Perspektive und dem sozialen Konstruktivismus. Danach gehe ich auf Sibylle Berg und die Geschlechterrollenidentität in ihren Texten im Allgemeinen ein, in Abgrenzung zu anderen Autoren, und werde anschließend einen Bezug zu den von Berg verwendeten Geschlechtsstereotype speziell in ihrem Stück „VIEL GUT ESSEN“ herstellen.

Hierbei analysiere ich die Charakteristiken von Mann und Frau und betrachte die Entwicklung der beiden Geschlechter im Laufe des Textes. Ein Resümee rundet die Arbeit ab und bilanziert, wie die eingangs gestellte Frage nach der Reproduktion und Ironisierung gängiger Geschlechterklischees im Hinblick auf entsprechende Textstellen in „VIEL GUT ESSEN“ beantwortet werden kann.


2. Theorien zur Geschlechterforschung

Entscheidend für die Geschlechterforschung waren vor allem zwei Metaperspektiven, nämlich die feministische Perspektive und der soziale Konstruktivismus.4

2.1 Die feministische Perspektive

Im Zentrum der feministischen Perspektive steht „die kritische Reflexion der Gesellschaft, also auch wissenschaftliche Erkenntnisse, aus der Perspektive herrschender Machtverhältnisse“.5 Thematisiert wird unter anderem die problematische Geschlechterordnung, die sich noch immer aus einem Ungleichgewicht zu Ungunsten der Frauen ergibt, beispielsweise in Form einer Unterrepräsentation von Frauen in ranghöheren Berufen und in der Wissenschaft und Forschung.

Die bedeutsamste Begriffsbildung in der feministischen Geschlechterforschung betraf die seit den 1980er Jahren getroffene Unterscheidung zwischen Sex und Gender. Sex entspricht dem anatomischen bzw. biologischen Geschlecht einer Person, wohingegen Gender sich auf die soziale bzw. kulturelle Geschlechtsidentität bezieht.

„Man wird als Mädchen oder Junge geboren und das biologische Geschlecht hat systematische Konsequenzen für die Gestaltung der individuellen Biographie. Mittlerweile wird diese Trennung jedoch als verzerrend kritisiert und vorgeschlagen, verschiedene beeinflussende Faktoren als zusammen auftretend aufzufassen, denn auch die Definition des biologischen Geschlechts wird durch soziale, kulturelle und historische Faktoren determiniert.

Nach dieser kritischen Perspektive bedeutet Gender ein gewandeltes Verständnis von Geschlecht.“6


2.2 Der soziale Konstruktivismus

Der konstruktivistische Ansatz beruht zunächst auf der Prämisse, dass die Geschlechterordnung keine biologische Gegebenheit ist, sondern ein soziales und kulturelles Konstrukt ist. Der soziale Konstruktivismus ist

„eine Metatheorie, die eine kritische Instanz für Naturwissenschaften und anderen Disziplinen geworden ist. Diese „postmoderne“ Denkschule stellt in ihrem radikalen Ansatz die von uns als real empfundene Wirklichkeit in Frage. Sie postuliert, dass bereits unsere Wahrnehmung auf sozialen Konventionen beruht und unentwegten Täuschungen ausgesetzt ist. Durch unseren kulturellen, wirtschaftlichen, historischen, sozialen, gesellschaftlichen und politischen Kontext werden unsere Wahrnehmungen geleitet, so dass wir die Wirklichkeit, wie sie ist, nicht erkennen können.“7

Das soziale Geschlecht beinhaltet „von einer Gesellschaft entwickelte tradierte soziale Konventionen, denen das Individuum während der primären und sekundären Sozialisation ausgesetzt wird, die es internalisiert und befolgt.“8

Sozialer Konstruktivismus geht nicht auf die biologischen Gegebenheiten des Individuums ein, sondern „stellt die sozialen Prozesse in den Vordergrund, die das Erleben und Verhalten des Menschen formen“9.


3. Sibylle Berg und die Geschlechtsidentität

Bei Sibylle Berg zeigt sich ein feministisch geprägtes Erkenntnisinteresse bezüglich der Geschlechterrollenzuordnung, wie es abgesehen von ihrem Stück „VIEL GUT ESSEN“ auch aus vielen ihrer Romane10, aber auch anderweitigen Äußerungen, beispielsweise in Kolumnen oder Zeitschriftenartikeln hervorgeht.11 Die französische Schriftstellerin und Feministin Simone de Beauvoir sagte einmal über die Entwicklung des weiblichen Geschlechts: „Man wird nicht als Frau geboren, man wird es.“12 Beauvoir geht also von der Annahme aus, dass das Geschlecht konstruiert wird.

Demnach wird man erst durch soziokulturelle Vorstellungen und Normen der Gesellschaft zur Frau „gemacht“. Auch bei vielen Texten von Sibylle Berg lässt sich erkennen, dass Frauen die von der Gesellschaft als geschlechtstypisch empfundenen Normen erfüllen und damit verbreitete Geschlechterklischees reproduzieren. Beauvoirs und Sibylle Bergs Vorstellungen weisen darum Ähnlichkeiten hinsichtlich der Annahme von soziokultureller Geschlechterkonstruktion auf.

Eine der Hauptvertreterinnen der konstruktivistischen Geschlechtertheorie ist Judith Butler, die in ihrer Geschlechtertheorie die Performativität des Geschlechts betont. Diese „performative Dimension des Geschlechts [besteht] in der «ritualisierenden Produktion» spezifischer Akte, die das Geschlecht sein sollen. Es geht dabei vor allem um die Verkörperung von Normen.“13 Mit der Performativität des Geschlechts ist also gemeint, dass das Geschlecht nicht einfach von sich aus existiert, sondern durch gesellschaftliche Diskurse hergestellt wird.

Das lässt sich unter anderem auch in ihrem Roman „Vielen Dank für das Leben“15 erkennen, in welchem die Hauptperson ein Hermaphrodit ist. Dadurch lässt Sibylle Berg die Grenzen von Geschlechterzuordnung durchlässig erscheinen und hinterfragt die binäre Ordnung von Geschlecht, die neben der Kategorisierung in Mann und Frau ebenfalls ein heterosexuelles Begehren vorschreibt.

Jedoch schließt diese strikte Zweiteilung und Festlegung des gegengeschlechtlichen Begehrens alle anderen Formen, wie Homosexualität, Transsexualität oder Bisexualität, aus.

Oft greift Sibylle Berg in ihren Texten ebenfalls auf das Verhältnis der Geschlechter zurück. Obwohl in der feministischen Perspektive vorherrschende Machtverhältnissen angenommen werden, ist die Unterdrückung der Frau vom Mann bei Sibylle Berg in vielen Texten nicht von Bedeutung. Vielmehr wird bei Berg dem Ehemann oder Partner in der weiblichenLebensplanung eine deutlich geringere Priorität zugeschrieben, was besonders an ihrem Roman „Der Tag, als meine Frau einen Mann fand“16 oder an ihrem Text „VIEL GUT ESSEN“ ersichtlich wird.


4. DieReproduktion und Ironisierung von Geschlechter-

stereotype in Sibylle Bergs Stück „VIEL GUT ESSEN“

Das Stück „VIEL GUT ESSEN“ ist in zwei Teile gegliedert. Im ersten Abschnitt handelt es sich um einen autodiegetischen Erzähler, der den Leser in seine Gedankenwelt blicken lässt. Die Hauptperson ist männlich und verarbeitet in einer Art Monolog sein gescheitertes Leben. Den zweiten Teil stellt ein „Chor des gesunden Menschenverstandes“ dar, den Berg als möglichen Zusatztext für unterschiedliche Theaterinszenierungen integriert hat.

Dies könnte daraus resultieren, dass auch schon die Hauptperson im vorhergehenden Teil bereits ein Mann ist und das Stück somit nur von männlichen Protagonisten besetzt werden sollte, da „Männer in ihrer Empörung lauter seien“18 und häufiger derartige Bewegungen bzw. Aufmärsche anführen.19 Auf der anderen Seite wirkt das Szenario authentischer, wenn sich ein reiner Männerchor über Mütter und Feminismus ereifern.

Interessanterweise wurde in der Bamberger Inszenierung des Stücks „VIEL GUT ESSEN“, die wir im Rahmen des Seminars besucht hatten, auf die strikte Geschlechterrollenzuweisung verzichtet. Das heißt, dass sowohl die männliche Hauptperson als auch der „Chor des gesunden Menschenverstandes“ von den zwei männlichen Schauspielern Pascal Riedel und Stefan Hartmann und der Schauspielerin Katharina Rehn im Wechsel gespielt wurden.

Dramaturgisch bestärkt das den Effekt, dass eine Geschlechterrollenzuordnung in diesem Stück nicht zwangsweise notwendig ist, denn die Hauptfigur soll einen beliebigen Menschen darstellen, mit dem man sich identifizieren und mit dem der Zuschauer oder Leser fast schon Mitleid empfinden kann.


4.1 Typisch männlich? - Charakterisierung des Mannes in „VIEL GUT

ESSEN“

Der männliche Protagonist hat im Text keinen Namen und wird auch sonst als „Normalo“ dargestellt. Als „Durchschnitts-Mann“ ist er weiß, heterosexuell, Familienvater und entstammt einer soliden Mittelschicht. Sich selbst beschreibt er als zuverlässig: „Meine Familie kann immer auf mich zählen. Wenn einer von ihnen mich um Rat fragt oder Hilfe benötigt, stehe ich da.

Das wissen sie.“20 Gleichzeitig fehlt ihm aber die emotionale Ausdrucksfähigkeit: „Ich will immer etwas sagen, was mit Liebe zu tun hat, aber dann steht mir der Schweiß so auf der Stirn, und mein Herz rast, und ich fühle mich peinlich. Also lasse ich das.“21 Dadurch wird das Klischee, dass Männer insgesamt als weniger gefühlvoll und emotional gelten, im Text erfüllt.

Das Verhalten des Mannes lässt sich mehr auf die sachliche Ebene verorten und er hat ein pragmatisches Weltverständnis: „Statt zu sagen: »Super, du ernährst uns und gibst uns Sicherheit, der Ofen raucht, das Essen ist prächtig«, sagen sie [die Frauen] Sachen wie »Nie bringst du mir Blumen mit«.“22

Im Hinblick auf die traditionelle Rollenaufteilung bezieht sich Sibylle Berg auf das „Doing Gender“ Konzept, dass die „Produktion und Reproduktion von Geschlechtsidentitäten durch alltägliche Handlungen beschreibt.“23 Es zeigt sich, dass „Tätigkeiten wie Hausarbeit und Kinderbetreuung […] den Frauen die Chance geben, ihre Geschlechtsidentität im Spiegel herrschender Geschlechtsrollennormen zu bestätigen.

Umgekehrt bedienen sich Männer zur Bestätigung ihrer Geschlechtsidentität der ihnen gesellschaftlich zuerkannten Ernährerfunktion.“24 Dem Mann in Bergs Text stört es nicht, der Alleinverdiener in der Familie zu sein, denn er ist der Meinung, dass es sinnvoll ist, wenn Menschen von jemandem abhängen, denn „es macht einen stärker, als man vielleicht ist.“25 Im Gegensatz zu seiner Berufsausübung ironisiert er die Arbeit von Frauen und erachtet diese mehr als Zeitvertreib oder als Freizeitgestaltung: „»Mach doch wieder was mit Gestaltung.« habe ich gesagt.

Viele von Claudias Freundinnen, die in einem ähnlichen Zusammenhang leben wie wir, gestalten Schmuck oder Ton oder Mode. Einige haben sogar eine kleine Boutique. Geschäftsfrauen, nicht wahr.“26 Insgesamt hat er allerdings wenig Zeit für die Familie und verpasst wichtige Augenblicke und familiäre Angelegenheiten, z.B. als sein Vater stirbt oder als sein Sohn Torben seine ersten Schritte macht, während er auf Arbeit ist.

Für diesen Mann gibt es nur eine wahre und richtige Form der sexuellen Ausrichtung und das ist die Heterosexualität. Dagegen empfindet er Homosexualität als Abnormität und Defekt und vergleicht es mit einer Behinderung: „Es gab einen der war anders, also homosexuell, das war der Dieter, er war alt und sonderlich, er wurde von uns allen mit besonderer Höflichkeit behandelt. So wie man auch mit Behinderten umgeht."28

Im Zusammenhang damit kann man nun leichter nachvollziehen, dass es für ihn eine Katastrophe bedeutet, dass sein Sohn „anders“ ist und sich nicht geschlechtskonform verhält, indem er etwa zum Ballettunterricht geht.

Darüber hinaus weist auch der „Chor des gesunden Menschenverstandes“ eine Art Zwangsheterosexualität auf. Zwangsheterosexualität meint „die hegemoniale Norm, «normalerweise» heterosexuell zu sein.29 „Grundlage für die Zwangsheterosexualität ist das Ideal der Reproduktion als eigentliches Ziel, als natürliche Funktion von Sexualität.“ Ausgehend davon werden „alle anderen Formen von Begehren und Sexualität […] entweder pathologisiert, zu Anomalien oder uneigentlichen Spielarten erklärt.“ 30


4.2 Typisch weiblich? - Charakterisierung der Frauen in „VIEL GUT ESSEN“

Schon gleich zu Beginn des Stückes „VIEL GUT ESSEN“ macht Sybille Berg eine Anspielung auf die Schönheitsideale von Frauen, welche - wenn man aus feministischer Sicht argumentieren möchte - aus männlichen Zuschreibungen entstehen. Letztere kommen dadurch zustande, dass der Mann festlegt, was er an Frauen schön und feminin findet (volle Lippen, Kurven, etc.) und was nicht, zum Beispiel wenn „[die] Frau graue Haare [bekommt] [und] ihr Hintern hängt“.33

Die Frau des männlichen Protagonisten heißt Claudia und der Leser kann sie nur anhand von Beschreibungen ihres Mannes charakterisieren, da sie als selbstständiger Charakter im Text nicht auftritt. Daraus ergibt sich eine einseitige Perspektive, aber durch die Rückblicke der männlichen Hauptfigur auf konkrete Situationen gewinnt man dennoch Erkenntnisse über das Verhalten und den verschiedenen Äußerungen von Claudia.

So fühlt sich Claudia etwa von ihrem Mann vernachlässigt: „Du nimmst uns nicht wahr“34. Sie benötigt emotionale Anerkennung und Wertschätzung, die sie jedoch von ihrem Mann nicht erfährt. „»Nie zeigst du mir, dass du mich liebst«, hat meine Frau immer gesagt. Wenn sie neben mir und dem Rechner stand, auf den ich schauen musste.“35 Er widmet sich lieber seiner Arbeit am Computer und schenkt seiner Frau weniger Beachtung, was nicht zuletzt wahrscheinlich daran liegen mag, dass er eine andere Art und Weise hat, seine Zuneigung und Gefühle auszudrücken.

Aber nicht nur durch Claudia werden Geschlechterklischees reproduziert, sondern ebenfalls durch die Person der Mutter des männlichen Protagonisten. Im Text erfährt der Leser, dass auch der Mutter des Mannes typische, dem weiblichen Geschlecht zugeordnete Geschlechtseigenschaften, wie die weibliche Anpassungsfähigkeit zugeschrieben werden: „Von meiner Mutter lernte ich, dass es wichtig ist, zu sein, wie alle sind.“37 Wie bereits oben ausgeführt, erlebte der männliche Protagonist selbst die traditionelle Rollenaufteilung, sodass seine Mutter immer zu Hause war, während sein Vater arbeiten ging.

Auffällig bei den Rückblicken in die Kindheit des Mannes ist es, dass wieder die Mutter diejenige ist, die die Familie verlässt. So kann man feststellen, dass die Vergangenheit den männlichen Protagonisten in ähnlicher Weise einholt, als seine Frau aus der gemeinsamen Wohnung auszieht.


4.3 Die Entwicklung/ Darstellung der Frau im Stück

Bei Sibylle Bergs Darstellung der Frau in ihrem Stück „VIEL GUT ESSEN“ könnte man sich die Frage stellen, ob Claudia tatsächlich eine unemanzipierte Frau ist, wie es zu Beginn den Anschein hat. So steigt sie etwa auch nach längerer Elternzeit nicht wieder in ihren Beruf ein: „Das erste Jahr blieb meine Frau bei dem Jungen, dann wurden fünf Jahre daraus, dann sagte ich: »Ach komm, bleib doch ganz zu Hause«.


4.4 Die Entwicklung des Mannes im Stück

Beim männlichen Protagonisten lässt sich wiederum eine andere Art von Entwicklung innerhalb des Stücks feststellen und zwar in Form des sozialen und wirtschaftlichen Abstieges. Er wandelt sich vom klischeehaften Familienvater in einer gutbürgerlichen Wohnsiedlung mit festen und soliden Einkommen zum einsamen, arbeitslosen und verlassenen Mann.

Im „Chor des gesunden Menschenverstandes“ findet er Gleichgesinnte, die gegen Asylanten, Mütter, Feminismus und Homosexuelle hetzen, also gegen jene Randgruppen, die auch der Mann für seine Lebenssituation mitverantwortlich macht.

Der männliche Protagonist hat ein „Bedürfnis nach Planungssicherheit“40, daher ist der Ausgangspunkt der Katastrophe die Tatsache, dass sein Leben nicht so verläuft, wie er es vorgesehen und geplant hat. Insbesondere Frauen spielen bei seinem Scheitern eine wichtige Rolle, denn von seiner eigenen Mutter ist er enttäuscht, da sie die Familie im Stich gelassen hat, um ihr gewünschtes Leben zu verwirklichen.


5. Fazit

Zielsetzung dieser Arbeit ist es gewesen, anhand ausgewählter Textstellen festzustellen, ob Sybille Berg in ihrem Stück „VIEL GUT ESSEN“ gängige Geschlechterklischees reproduziert und diese ironisiert. Aufgrund der im Stück vorzufindenden traditionellen Rollenteilung in der Familie und der Charakterisierung sowohl des männlichen Protagonisten als auch der im Stück vorkommenden weiblichen Personen, lässt sich sagen, dass Sibylle Berg bewusst mit geläufigen Geschlechterklischees spielt.

Auf diese Weise werden in Sibylle Bergs Text „VIEL GUT ESSEN“ Geschlechterklischees bzw. Geschlechterstereotypen reproduziert, die jedoch im Text, aber auch als Inszenierung auf der Bühne, reflektiert und kritisiert werden.

Es bleibt dennoch die Frage offen, ob es „wirklich genuin weibliche Eigenschaften gibt, die nicht lediglich das Ergebnis geschlechtsspezifischer Sozialisation und Lebensweisen sind.“41 Bezogen auf diese Frage lässt auch Sybille Berg ihre Figuren eine Art Entwicklung durchlaufen, die man besonders am Beispiel der Frau Claudia sehen kann. Wird Claudia noch am Anfang durch ihren Mann als fürsorglich beschrieben, die als Frau keinen Beruf ausübt, um sich besser um ihre Familie kümmern zu können, was den stereotypischen weiblichen Eigenschaften entspricht, so wandelt sich Claudia innerhalb des Stückes.


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