Installiere die Dokumente-Online App

<
>
Upload File
Dokumenttyp

Zusammenfassung
Deutsch

Universität, Schule

Eleonorenschule-Gymnasium Darmstadt

Note, Lehrer, Jahr

13. Punkte, E-Phase Gymnasium

Autor / Copyright
Dominique S. ©
Metadaten
Format: pdf
Größe: 0.09 Mb
Ohne Kopierschutz
Bewertung
sternsternsternstern_0.2stern_0.3
ID# 43818







Interpretationsbeispiel: Nathan der Weise, erster Aufzug, zweiter Auftritt

Inhalt des Gesprächs zwischen Vater und Tochter (I 2) ist die Frage des Wunders. Anlass die Rettung Rechtas. Nun hat das Wunder einen geis- tes- und theologiegeschichtlichen Stellenwert, denn die Wunder Christi und vor allem die im Alten Testament waren Steine des Anstoßes, an denen die aufklärerischen Rationalisten ihre Messer wetzten. Wenn wir aber den Dialog unter dem Aspekt betrachten, was er für die Partner bringt und welche Beziehung er zum Schluss des Stücks hat, zum Harmonietableau, dann gerät die theologische Seite des Wunders in den Hinter- grund.

Nathan hat schon vor dem Gespräch, auf die Schilderung der Dienerin Daja (I 1) hin, den Zu- stand Rechas analysiert: Recha schwärmt, sie verwechselt Herz und Kopf. Rechas Glaube, von einem Engel gerettet zu sein, bezeichnet daher nicht einen Wunderbegriff, der diskussionswür- dig wäre; Nathans Gesprächsziel ist, ihren Wahn zu zerstören. Recha beharrt auf einem wirklichen Engel und beruft sich auf den Vater selbst, der ihr die Möglichkeit von Engeln und Wundern beige- bracht habe. Jetzt erst beginnt Nathan ernsthaft mit der Destruktion der Schwärmerei. Für ihn gibt es einmal die Wunder Gottes „von aller Ewigkeit an“, eben Vorsehungseingriffe; dann gibt es aber die Möglichkeit, dass wir in unserer Wirklichkeit etwas als Wunder ansehen, was eigentlich eine alltägliche Handlung sein sollte. Nathan formuliert es allerdings andersherum: in der jetzigen Situation ist die Rettungstat des Templers an einem Judenmädchen ein echtes Wunder; noch wunderbarer wäre es, wenn in Zu- kunft ein derartiges Wunder etwas Alltägliches würde.

Nun nimmt Nathan das Wunderbare an der Rettungssituation auseinander. Zuerst die Tat- sache, dass ein Tempelherr ein Judenmädchen rettet. Dann, dass ein Tempelherr begnadigt in der Stadt herumläuft. Schließlich die Tatsache, dass der Tempelherr offenbar dem Bruder Saladins ähnlich sieht. Jetzt wird mit dem Kopf argumen- tiert, denn Recha und Daja kommentieren diese Information mit dem Ausruf „unglaublich“. Was

vorher einfach wunderbar war, ist nun nicht- glaubwürdig. Dass aber beide Unglaublichkeiten in dieser Situation zusammenkommen, das ist ein Wunder auch für Nathan, aber eins, das er als Vorsehung identifiziert. Den Vorgang der Rettung und die vielen unglaublichen Voraussetzungen dafür hat Nathan beschrieben. Das Zusammen- fallen von all diesem, das nennt auch er Wunder, göttlichen Plan. Langsam hat Nathans Ausein- anderlegung den schwärmerischen Begriff vom Engel abgebaut. Auf dieser Stufe ist Recha verun- sichert. Ein Ergebnis hat Nathans Gesprächskunst aber noch nicht gezeitigt.

Auf eine solche Konsequenz des Dialogs hebt der letzte Teil der Unterredung ab, den Nathan mit einem „Kommt! hört mir zu“ einleitet. Thema ist der Dank, zu dem sich die Gerettete verpflichtet weiß. Einem Engel kann man keinen Dank abstat- ten, keine Dienste tun, aber einem Menschen! Die nächste logische Stufe ist, Rechas Drängen nach praktischem Dank und ihr schwärmerisches Bild vom Retter zu versöhnen. Dazu dienen die ver- schiedenen Vermutungen Nathans, der Retter könne krank sein, gar im Sterben liegen. Recha identifiziert sich völlig mit diesem Spiel und wird am Ende fast ohnmächtig vor Erschütterung. Wie in einer Tragödie kommt nun nach der gelunge- nen Identifikation die Katharsis, in Lessings Ver- ständnis die Umwandlung der Leidenschaften in tugendhafte Fertigkeiten. Die tote Begrifflichkeit, mit der Recha einen Menschen vermittels ihrer schwärmerischen Fantasie zum Engel stilisiert hatte, musste sie vom Handeln fernhalten. Dieser Trägheit des Denkens hat Nathan gegengesteuert. Das Bild vom hilfebedürftigen Templer setzt Recha in einen neuen, praxisbezogenen Zustand. Nathan hat zugleich dem Zuschauer klar ge- macht, wie die wahren Wunder alltäglich werden können: durch Praxis, die sich dem anderen als Menschen zuwendet. Die Tatsache der Vorse- hung, Rechas Rettung durch einen begnadigten Tempelherrn, können nun mit dem individuellen Handeln von Menschen vermittelt werden. Dazu hat Erkenntnis verholfen. Die wurde durchs Ge- spräch herbeigeführt, durch wörtliche Aufklärung.


Swop your Documents