Deutsch Frau Naghiu
| KS1 | 20. September 2017 |
Interpretation
„Weidmanns Nachtgespräche“
Der Kurzprosatext „Weidmanns Nachtgespräche“ stammt
aus Martin Suters Geschichtensammlung „Beziehungsstress“ aus dem
Jahr 2003 des Diogenes Verlags. Der Text behandelt exemplarisch die
Konflikte einer in die Jahre gekommenen Ehe.
Wie schon der Titel „Weidmanns Nachtgespräche“
verrät, findet die Handlung nachts oder spät abends statt. Regula
Weidmann und ihr Ehegatte Kurt befinden sich in ihrem Ehebett. Sie
liest ein Buch. Er liegt nachdenklich neben ihr. Kurt beginnt einen
Dialog mit der Frage: „Wie findest du mich?“ (Z.11). Regula
antwortet ihrem Mann auf seine Fragen und beendet das Gespräch auch
letztendlich, indem sie weiterliest.
Das Buch, welches Regula Weidmann liest, ist die
„Biographie von Frida Kahlo“ (Z.2), einer lebensfrohen
Künstlerin, die ein leidenschaftliches Leben führte. Die Art der
Lektüre deutet an, dass Regula den Wunsch nach einem solchen
leidenschaftlichen Leben verspürt. Sie selbst hat ein eintöniges
Leben ohne viel Abwechslung. Auch ihre Ehe hat ihre besten Jahre
hinter sich und der Alltagstrott hat sich etabliert. Die Ehefrau
würde gerne wieder Schwung in ihr Leben und in ihre Ehe bringen.
Denn sie sehnt sich nach einer Veränderung, wie ihre Aussage in
Zeile 47 beweist: „Ich wollte [ ] schon lange darüber reden“.
Die Weidmanns im Schlafzimmer: Regula vertieft in Frida Kahlos Biographie während Kurt nachdenklich danebenliegt.
Der wesentliche Konflikt in der Ehe der Weidmanns ist,
dass Kurt „die Karriere wichtiger“ (Z.45) ist als seine eigene
Ehe. Regula hat das Gefühl, dass sie ihm „gleichgültig[ ]“
(Z.46) ist. Viele Ehen gehen an diesem Problem zugrunde. Für viele
Paare wird die Liebe zueinander irgendwann selbstverständlich und
man hört auf, sich gegenseitig zu zeigen, dass man sich immer noch
liebt. Viele Eheleute fokussieren sich dann auf ihre Arbeit und
vernachlässigen ihre Partner. So ist es auch bei Regula und Kurt.
Seit Kurt vor „acht Jahre[n]“ (S.39) den neuen Job angenommen
hat, hat er nicht mehr viel für seine Frau übrig. Das Ehepaar ist
„seit achtzehn Jahren verheiratet“ (Z.20). Nun sind die Eheleute
an einen Punkt gekommen, wo die Frage aufkommt, ob sie sich überhaupt
noch lieben oder sich auseinander gelebt haben.
Genau deshalb ist Regula „froh, dass [Kurt sie fragt]“
(Z.47). Sie möchte mit ihm über diesen Konflikt sprechen. Denn sie
hat immer auf den richtigen Zeitpunkt gewartet, dieses Gespräch zu
führen. Davor hat sie die klärende Unterhaltung immer hinaus
gezögert. Zu Beginn des Textes fragt Kurt sie: „Wie findest du
mich?“ (Z.11). Sie spielt ihm vor, nicht zu wissen, was er meine.
Dabei weiß sie wahrscheinlich sehr genau, was er meint. Regula teilt
ihrem Mann nicht mit, was sie wirklich denkt und fühlt. Sie hat
vermutlich auch Angst davor, ihm ihre ehrliche Sichtweise zu
erläutern.
Die Erzählperspektive in dieser Geschichte ist ein
personaler Er-Erzähler. Denn der Fokus liegt auf der Perspektive von
Regula Weidmann. Der Leser erfährt vieles über die Gefühle und
Sichtweisen Regulas. Aus Kurts Sicht gibt es dagegen gar keine
Informationen. Deshalb ist der Erzähler ein personaler Erzähler.
Die Wirkung dieser Erzählform ist, dass der Leser Regula sehr gut
verstehen kann und ihre Ansichtsweisen verstehen kann. Gleichzeitig
entwickelt sich auch eher eine Sympathie gegenüber Regula als zu
Kurt.
Weiter besteht der Kurzprosatext zu großen Teilen aus
direkter Rede. Dadurch wirkt die Geschichte lebendiger und der Leser
bekommt direkt mit, auf welcher Ebene die Eheleute miteinander
kommunizieren. Sie sprechen zwar miteinander, aber die Partner reden
keinen Klartext. Zumindest Regula sagt nicht offen, was sie wirklich
denkt. Nur mithilfe des Untertons, könnte man die Gefühle und
Stimmung des anderen offenbaren.
In den letzten zwei Sätzen beispielsweise kann der
Leser einen beinahe ironischen Unterton herausfiltern: „Du bist
sehr attraktiv Kurt. Ganz ehrlich“ (Z.54). Das „ganz ehrlich“,
das verdeutlichen soll, dass Regulas Aussage wirklich ernst gemeint
ist, bewirkt eigentlich genau das Gegenteil. So wirkt der Satz eher
unglaubwürdig. Der Grund für diesen ironischen Beisatz, der
gleichzeitig das Gespräch beendet, ist, dass Regula merkt, dass Kurt
gar nicht die Unterhaltung führen möchte, die sie erwartet. Kurt
möchte gar nicht ihre Eheprobleme beseitigen. Ihm geht es wieder nur
um die Karriere: Nämlich erst „seit neue Untersuchungen bewiesen
haben, dass attraktive Männer bessere Karrierechancen besitzen“
(Z.51 ff.) geht ihm die anfängliche Frage nicht mehr aus dem Kopf.
Das zeigt erneut, dass das Paar ganz unterschiedliche Prioritäten
setzt. Das wiederum setzt ihrer Ehe zu. Kurt lebt nur für die Arbeit
und Regula würde für die Familie oder ihre Ehe leben wollen, hätte
sie nicht ihre Eheprobleme. Regulas Priorität würde außerdem
eigentlich auf der Leidenschaft und Lebensfreude liegen. Aber da sie
so unglücklich in ihrer Ehe ist, ist sie weder leidenschaftlich,
noch lebensfroh.
Die Eheprobleme von Kurt und Regula zeigen also
exemplarisch die Konflikte einer langjährigen Beziehung und damit
wird die anfängliche Deutungshypothese bestätigt. Viele Paare leben
sich im Laufe der Jahre auseinander und vergessen sich gegenseitig zu
demonstrieren, was sie für einander empfinden. Die Eheleute sind
nicht mehr ehrlich zueinander und verschweigen ihre inneren Gefühle.
Deshalb stellen viele Ehepartner nach Jahren fest, dass sie aufgehört
haben sich zu lieben.
Um diese Situation zu verhindern sollten Paare immer
Klartext miteinander reden und sich nicht gegenseitig etwas
vorspielen. Außerdem sollten sie sich regelmäßig immer wieder ihre
Liebe auch mit Kleinigkeiten zeigen. Dann funktioniert auch eine
lange Beziehung und man kann so leidenschaftlich wie Frida Kahlo
sein.