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Interpretation

Inter­pre­ta­tion der Novelle Katz und Maus von Günter Grass

5.158 Wörter / ~20 Seiten sternsternsternsternstern Autor Dominique H. im Jun. 2017
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Interpretation
Deutsch

Universität, Schule

Bergische Universität Wuppertal

Note, Lehrer, Jahr

2, Bellmann, 1998

Autor / Copyright
Dominique H. ©
Metadaten
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Format: pdf
Größe: 0.15 Mb
Ohne Kopierschutz
Bewertung
sternsternsternsternstern
ID# 66561







1


Eine Novelle“

Günter Grass - Katz und Maus. Eine Interpretation


Inhalt



I. Persönliche Worte anstelle einer Einleitung 3II. Die klassischen Merkmale einer Novelle 4

a) Äußerliche Merkmale 4

b) Wendepunkte und Dingsymbole 6

III. Hilfreiche Irrtümer - Kritik einer Rezension 13

a) Der Fall 13

b) Objektivität und Subjektivität 14

c) Der Tabubruch 17

IV. Fazit: Was ist das eigentlich Unerhörte? 18

V. Bibliographie 20


I. Persönliche Worte anstelle einer Einleitung

Es war im Sommer 1995, daß ich zum ersten Mal „Katz und Maus“1 von Günter Grass las. Ich war erstaunt und begeistert. Ich kannte „Die Blechtrommel“ sehr gut, hielt und halte sie bis heute für eines der wichtigsten Bücher der deutschen Nachkriegsliteratur. Ich war von Grass’ ausschweifender Art, in reichen Bildern bis ins kleinste Detail sichtbares und unsichtbares zu schildern und dadurch weit unter die Oberfläche der Dinge vorzudringen, fasziniert.

Ich erlebte die merkwürdige Mischung aus historisch-realistischem und märchenhaft-fantasiertem, die so viel mehr Wahrheit ausdrücken konnte als eine vermeintlich objektive Darstellung, als etwas ungemein Bereicherndes.

In „Katz und Maus“ hatte sich die Sprache verändert. Es war unverkennbar der gleiche Ton, aber alles war knapper, konzentrierter erzählt. Ich erinnere mich genau, daß ich das Buch sehr langsam gelesen habe, daß ich lange für eine Seite brauchte, weil sie so voll war, nicht an Buchstaben, sondern an Inhalt.

Und ich erinnere mich an eine Spannung, die beinahe zur Ungeduld wurde: Was ist der Anlaß für diese Geschichte? Warum muß Pilenz schreiben?

Ich erwartete also am Ende der Erzählung eine Episode, die gewissermaßen den ganzen schriftstellerischen Aufwand rechtfertigte. Die letzten Seiten des Buches brachten mir tatsächlich das gewünschte Aha-Erlebnis. Das Verschwinden Mahlkes, das vermutlich seinen Tod bedeutete und an dem Pilenz auf verschiedene Weise mitschuldig war, machte die bis dahin kuriose aber doch banale Schülergeschichte zu etwas unerhörtem.

Dies erinnerte mich an die in der Schule gelernte Definition einer Novelle, die eine „unerhörte Begebenheit“ schildere. Auch andere Gattungsmerkmale fielen mir ein, ich entdeckte Wendepunkte und Dingsymbole. Für mich war klar, daß „Katz und Maus“ eine richtige Novelle sei, und auf diese Entdeckung war ich etwas stolz.

Erst später fiel mir auf, daß die Erzählung tatsächlich den Untertitel „Eine Novelle“ trägt, denn die mir vorliegende Gesamtausgabe des Luchterhand Verlages verschweigt auf dem Buchdeckel diesen Untertitel, und auf den sogenannten Schmutztitel im Inneren des Buches hatte ich nicht geachtet.

Ich habe also „Katz und Maus“ als typische Novelle eingestuft und von dort aus für mich interpretiert, ohne die Intention des Autors Grass wahrgenommen zu haben, der Leser möge von vornherein diese Erzählung als Novelle lesen. Dies zeigt, daß es Grass gelungen ist, die Erzählung den landläufigen Vorstellungen über die Gattung „Novelle“ entsprechend zu gestalten.

Diese landläufigen Vorstellungen, die Schulbuchdefinitionen, decken sich natürlich nicht unbedingt mit dem, was aktueller Stand der Literaturwissenschaften ist.

Darum will ich hier untersuchen, was der Untertitel „Eine Novelle“ für die Interpretation des Werkes „Katz und Maus“ bedeutet. Ist es eine klassische Novelle, denen des 19.Jahrhunderts vergleichbar oder ist es eine Parodie auf diese? Oder ist es eine neue, moderne, weiterentwickelte Form der Novelle? Aber vor allem: Was helfen all diese literaturwissenschaftlichen Erkenntnisse dem Leser, der die Geschichte verstehen und sich an ihr geistig bereichern will?

II. Die klassischen Merkmale einer Novelle

a) Äußerliche Merkmale

Wenn auch in der gegenwärtigen Literaturwissenschaft weitgehend Einigkeit darüber herrscht, daß eine Definition der Gattung „Novelle“ nicht eindeutig und endgültig gefaßt werden kann, besteht doch ein grundsätzlicher Konsens über eine Reihe von Merkmalen, die man bei einer Novelle erwartet. Sie stellen gewissermaßen das obengenannte „Schulwissen“, die landläufige Definit.....[Volltext lesen]

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Diese Wendepunkte sollen also die Geschichte klar strukturieren, ihre Anzahl bestimmt die Anzahl der „Akte“, und so sieht Schlegel die Novelle als dem Drama verwandteste Form der Epik an. Ludwig Tieck hingegen erwartet in jeder Novelle einen einzigen zentralen Wendepunkt, von dem aus sich die Geschichte ins völlig unerwartete umkehrt.5 Dies verlangt somit eine eindeutig zweiteilige Struktur der Novelle.

Ein Gattungsmerkmal, das in fast jeder Theorie der Novelle auftaucht und das im Fall von „Katz und Maus“ in jeder Interpretation großen Raum einnimmt, ist das Dingsymbol oder auch der „Falke“, den Paul Heyse in seiner Novellentheorie in Anlehnung an die Falkennovelle in Giovanni Boccaccios „Decamerone“ in den Mittelpunkt stellt.6 Diese Theorie hat die gegenwärtige Literaturwissenschaft zwar weitgehend verworfen, aber sie hat großen Ruhm erlangt und findet in Rezensionen und Interpretationen nach wie vor ihren Niederschlag.

Mit der Dingsymbolik eng verwandt ist die Entwicklung eines Leitmotivs.

Die letztgenannten Merkmale, Wendepunkte und Dingsymbole, stellen einen wichtigen Schlüssel zum vorliegenden Werk dar und sind eng miteinander verzahnt.

Die Novelle setzt mit einer für Mahlke schicksalhaften Episode ein. Hier von einem Wendepunkt zu sprechen wäre erzähltheoretisch kaum sinnvoll, da vorher ja noch nichts erzählt wurde, für Mahlke und den Ich-Erzähler Pilenz aber ist es einer. Die Erzählung beginnt mit dem „ .und einmal“(S.6), das auch eine Reihe anderer Episoden einleitet, die so lose miteinander verbunden sind, ohne daß die Chronologie eindeutig wäre.

Zwar wird mit dem „als Mahlke schon schwimmen konnte“ eine vage Zeitangabe gemacht, doch es ist durchaus denkbar, daß später erzählte Episoden früher stattgefunden haben.

Entscheidend ist, daß für den Erzähler Pilenz die Geschichte, die er aufschreiben muß, mit diesem Ereignis angefangen hat, er erklärt seinen Zwang zu schreiben damit. „Ich, aber, der ich Deine Maus einer und allen Katzen in den Blick brachte, muß nun schreiben.“ (S.7) Manfred Durzak charakterisiert dies als eine „Szene, die als nie aufgelöster Schuldanteil Pilenz’ an Mahlkes späterem Entwicklungsweg von diesem später erzählerisch abgearbeitet wird.“7 Pilenz nennt später das Freischwimmen Mahlkes als Orientierung für dessen Zeitrechnung. (vgl. S.28), so daß der Beginn der entscheidenden Ereignisse doppelt erscheint.

Und tatsächlich zieht sich eine doppelter Strang durch die Erzählung: einerseits die Geschichte von Mahlkes Erfolgen, die mit dem Freischwimmen einsetzt, andererseits die Geschichte seines Leidens unter dem überdimensionalen Adamsapfel, die mit der Katzenepisode beginnt.

Das Freischwimmen ist der letzte Erfolg Mahlkes, der für sich genommen einen Wert besitzt, denn ab der Katzenepisode sind alle Leistungen nur noch zur Kompensation gut. Die erste Hälfte der Novelle scheint wie ein Wettrennen zwischen Mahlke und seinem Adamsapfel, bei dem der Halsknorpel immer einen Schritt voraus ist.

Dieser Wettlauf findet im siebten Kapitel seinen Höhepunkt und auch sein vorläufiges Ende. In diesem Kapitel entwendet Mahlke dem Kapitänsleutnant, der an ihrem Gymnasium, seiner ehemaligen Schule, einen Vortrag hält, das Ritterkreuz. Wie der weitere Verlauf zeigt, ist dies ein weiterer entscheidender Wendepunkt in Mahlkes Leben. Mit dem Ritterkreuz hat sein Adamsapfel „zum erstenmal ein genaues Gegengewicht gefunden.“ (S.82) Von nun an Braucht Mahlke nichts mehr, was von seinem Adamsapfel ablenkt, sein Ziel ist klar.

Er wird das Ritterkreuz wirklich erwerben und damit die Maus endgültig besiegt haben. Dies wird dem Leser natürlic.....

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„Während ich schwamm und während ich schreibe, versuchte und versuche ich an Tulla Pokriefke zu denken, denn ich wollte und will nicht immer an Mahlke denken.( .) Deswegen schwamm ich in Rückenlage, deswegen schreibe ich: Schwamm in Rückenlage.“ (S.79) Dieser Versuch, entgegen seinem ursprünglichen Vorhaben von etwas anderem als Mahlke zu erzählen, Mahlke wenigstens für die Dauer weniger Schwimmbewegungen aus dem Zentrum dieser Erzählung zu drängen, zeigt um so deutlicher, wie sehr Joachim Mahlke im Zentrum des ganzen Lebens dieses vornamenlosen Erzählers Pilenz steht und zwar nicht nur zur Zeit der Handlung sondern bis in die Gegenwart des Erzählers.

Hier formuliert er die zentrale Frage: „Warum Ich?“ (S.80)

Durzak sieht in dem Diebstahl des Ritterkreuzes ebenfalls „die entscheidende erste Wendung“9, den eigentlichen Wendepunkt der Novelle nimmt er aber erst später an, im zwölften Kapitel, in dem Oberstudienrat Klohse Mahlke einen Vortrag in seinem alten Gymnasium verweigert, was letzten Endes Mahlkes Desertion zur Folge hat. Es ist offensichtlich, daß auch diese Episode eine entscheidende Wendung bringt, doch ist die literarische Ausgestaltung der des siebten und achten Kapitels entgegengesetzt.

Dort war die Tendenz zum zeitdeckenden Erzählen bezeichnend, hier liegt eine deutliche Raffung vor, die ebenfalls eine wichtige Bedeutung hat.

Das zwölfte Kapitel erhält durch die Zeitraffung erst seine Einheit. Es entsteht der Eindruck, das Geschilderte ereigne sich an einem Tag, da das Kapitel morgens in der Schule beginnt und nachts bzw. in den frühen Morgenstunden damit endet, daß Mahlke lakonisch seine Desertion erklärt: „Mein Zug fuhr vor viereinhalb Stunden und wird jetzt, wenn nichts dazwischengekommen ist, kurz vor Modlin sein.“ (S.124) Tatsächlich aber umfaßt das Kapitel mehrere Tage, vielleicht eine Woche, in der Pilenz andere Möglichkeiten für Mahlkes Vortrag auftut, die jedoch alle von diesem abgelehnt werden, in der Mahlke von Klohse einen erklärenden Brief erhält, woraufhin Mahlke und Pilenz vier Nächte vor Klohses Haus „durchlauern“ (vgl. S.122), bis sich endlich, passender Weise am letzten Urlaubstag Mahlkes, die Gelegenheit bietet, ihn zu stellen und ihm zwei Ohrfeigen zu verabreichen.

Dies alles will Grass offensichtlich als ein einheitliches Ereignis verstanden wissen, das einen erneuten völligen Wandel Mahlkes zur Folge hat. Es ist also durchaus sinnvoll, von der Annahme eines einzigen zentralen Wendepunktes in dieser Novelle Abstand zu nehmen und statt dessen mindestens zwei anzunehmen. Gerhard Kaiser bringt die beiden dargestellten Wendepunkte überzeugend in einen Zusammenhang, indem er den zweiten als Umkehrung des ersten interpretiert.

Der Diebstahl des Ritterkreuzes war etwas „Unerhörtes“, wie Grass, vermutlich in Anspielung auf das berühmte Goethewort, Klohse sagen läßt.10 Und nun geschieht ein zweites Unerhörtes: „das Erwerben der höchsten Kriegsauszeichnung genügt nicht, einen doch eher harmlosen Schülerstreich gutzumachen.“11

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„Seit Mahlkes ‘Karfreitag’ wartet er auf dessen ‘Ostersonntag’.“13

Versucht man, anhand der vier hier ausgeführten Stützpunkte der Erzählung die Handlung in aufsteigende und abfallende Linien einzuteilen, zeigt sich erneut, wie vielschichtig die Novelle gebaut ist, denn jeder Aufwärts­entwicklung läßt sich unter einem anderen Gesichtspunkt eine Abwärts­entwicklung entgegenstellen.

So läßt sich Mahlkes Karriere vom Niemand, der darum betteln muß, die Clique begleiten zu dürfen, zum bewunderten Mittelpunkt der Clique, dem der Ehrentitel „der Große Mahlke“ verliehen wird, als erfolgreiche Aufwärtsentwicklung interpretieren. Gleichzeitig ist dies aber eine Entwicklung zunehmender Selbstverleugnung Die Angst, er könne die Aufmerksamkeit und die Achtung der anderen verlieren, läßt ihn immer öfter gegen seine eigene Überzeugung handeln wie zum Beispiel bei seiner Teilnahme an der Onanierolympiade (s.32ff.).14 Der höchsten Anerkennung durch die Gruppe nach dem Diebstahl des Ritterkreuzes steht die gesellschaftliche Ächtung in Form des Schulverweises gegenüber.

Auch der zweite Abschnitt der Novelle kann als Karriere bezeichnet werden, die im tatsächlichen Erwerb des ersehnten Ordens gipfelt. Daß Mahlke aber letztlich vom NS-Regime nur mißbraucht wird15 und dies, sofern es ihm zu diesem Zeitpunkt überhaupt schon bewußt ist, billigend in Kauf nimmt, wird nicht eigentlich thematisiert, ist aber dem Leser als zeitgeschichtlicher Hintergrund stets bewußt.

Gleichzeitig verfällt Mahlke immer mehr seinem religiösen Wahn.

III. Hilfreiche Irrtümer - Kritik einer Rezension

a) Der Fall

Nachdem „Katz und Maus“ 1961 erschienen war, beschäftigten sich eine Reihe von Kritikern mit dem Buch, die Palette der in den Rezensionen geäußerten Meinungen und gefällten Urteile war breit gefächert. Auf die in der Zeitung „Die Welt“ erschienene Rezension von Jost Nolte16 soll hier näher eingegangen werden.

Nolte befaßt sich unter anderem ebenfalls mit der Gattungsfrage. Allerdings basiert seine Meinung offensichtlich auf einer überholten, präskriptiven Literaturtheorie, so daß er zu Aussagen kommt, die nach modernen literaturwissenschaftlichen Gesichtspunkten nicht haltbar sind. Doch gerade aus der Auseinandersetzung mit diesen fragwürdigen Aussagen kann man einige hilfreiche Erkenntnisse gewinnen.

Nolte bescheinigt Grass zwar, daß er in „Katz und Maus“ eine „unerhörte Begebenheit“ schildere, eine Novelle sei aber trotzdem nicht entstanden, „denn dazu gehört noch mehr: ein geschlossener Bau und ein nahezu objektiver Berichtstil, aus dem sich der Erzähler heraus hält.“17 Daß ein geschlossener Bau eines der wenigen allgemein anerkannten Merkmale der Gattung „Novelle“ ist, ist unbestritten, und die vorangehenden Kapitel dieser Arbeit haben den kunstvollen und logischen Bau von „Katz .....

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Es reicht also nicht aus, zu untersuchen inwiefern ein Text den traditionellen Gattungsmerkmalen entspricht (dies wurde im vorangehenden Kapitel für den vorliegenden Fall zu genüge geleistet); es muß auch danach gefragt werden, ob der Text darüber hinausgeht und die Gattung weiterentwickelt, sie womöglich sogar auf eine neue literaturgeschichtliche Stufe hebt.

Wenn Nolte also konstatiert, daß die Ausgestaltung des Ich-Erzählers Pilenz, seine Erzählhaltung etc. nicht dem entspricht, was bisher in Novellen üblich war, darf er daraus nicht einfach schließen, daß Grass mit seinem Anliegen, eine Novelle zu schreiben, gescheitert ist. Bevor man zu diesem Urteil kommt, muß man fragen, was dieser neue Aspekt für den Text bedeutet.

In was für ein Verhältnis zur traditionellen Novelle (von der es allerdings auch keinen Idealtypus gibt) wird der Text gestellt?

Zu der Zeit, als Grass „Katz und Maus“ schrieb, galt die Novelle als über holte, aussterbende Literaturgattung, „weil die strenge Ordnung eines Stoffes in einen knappen, sich sukzessive vorwärts bewegenden Erzählzusammenhang der Bewußtseinslage des 20. Jahrhunderts nicht mehr entspreche.“22 Man kann nun darüber streiten, ob dies Grass bewußt war, und er gezielt eine Novelle zu schreiben versucht hat, die das Ende dieser Gattung widerlegt.

Neben Ingrid Hasselbach23 ist auch Neuhaus der Ansicht das Grass seine Erzählung ganz bewußt in die Tradition der Gattung „Novelle“ stellt und diesen Anspruch „von den verschiedensten Theorien der Novelle her“24 einlöst.

Durzak hingegen geht davon aus, „daß Grass keine detaillierten historischen Gattungsüberlegungen angestellt hat, als er sich entschied, seine wesentlich schmalere zweite Erzählarbeit mit dem Untertitel ‘Eine Novelle’ zu versehen.“25 Er behauptet, „Grass war zweifelsohne nicht bewußt, ( .) daß ja gerade die Novellen-Gattung die Nachkriegszeit als eine lädierte und depravierte Gattung erreicht hatte.“26 Dennoch betont auch er die „historischen Traditionskontexte“27 in die „Katz und Maus“ tritt.

Er verweist besonders auf die Novelle des ausgehenden 19. Jahrhunderts, die den großen Einzelnen als geschichtsmächtiges Individuum zum Helden hat. Mahlke tritt als Parodie auf diesen Helden auf, und somit wird der gesamte ideologische Hintergrund der Gattung kriti.....

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Er will wahrheitsgemäß berichten, um sich von seiner Schuld zu befreien, aber gleichzeitig versucht er immer wieder seine Schuld zu verhehlen, wodurch sie aber um so offensichtlicher wird.

Wenn Pilenz die Ansprache des Luftwaffenleutnants (S.49ff) in wörtlicher Rede wiedergibt, ist dies auf den ersten Blick ein Zeichen von Objektivität und größtmöglicher Enthaltung des Erzählers. Doch der Stil dieses Berichtes ist durch zahlreiche Ellipsen, die sicherlich Pilenz und nicht dem Leutnant zuzuschreiben sind, so übertrieben und entlarvend, daß der Leser dahinter sofort den subjektiven Kommentar des Erzählers und wahrscheinlich auch des Autors erkennt.

Erst aus diesem Wechselspiel zwischen Objektivität und Subjektivität entsteht etwas, was der Wahrheit (im Gegensatz zur Wirklichkeit) viel näher kommt, als dies durch einen rein objektiven Berichtstil erreicht werden könnte.

c) Der Tabubruch

Ein weiteres Argument führt Nolte in seiner Rezension an, warum „Katz und Maus“ keine Novelle sei. Er greift als Kriterium eine Aussage Goethes auf, nach der die Novelle „ohne Zusammenhang Verwunderung erregt und unsere Einbildungskraft einen Augenblick in Bewegung setzt, unser Gemüt nur leicht berührt und unseren Verstand völlig in Ruhe läßt.“29 Diese Definition stellt Nolte nun in einen direkten Zusammenhang zu dem Tabubruch, den Grass begeht, indem er das gemeinsame Onanieren und das Kauen von eingetrocknetem Möwenkot genauso selbstverständlich schildert wie alle anderen, weniger anstößigen Beschäftigungen der Jugendlichen.

Nolte sieht diese Szenen eindeutig nicht als Pornographie an, er bescheinigt Grass, ein kunstvoller Autor zu sein, „ein Erzähler von besonderen Gnaden“30, der der Welt und seinen Lesern mit einer Vitalität begegnet, zu der gewisse Dinge eben dazu gehörten. Aber eben um den Pornographievorwurf abzuwehren hält Nolte es der oben genannten Definition wegen für unmöglich, „Katz und Maus“ als Novelle einzuordnen.

Denn dies würde heißen, „daß Katz und Maus ein Stück zwar mit Geschick verfaßter, im Grund aber unerheblicher Literatur wäre, in dem die Orgien um ihrer selbst Willen gefeiert würden.“31

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