Interpretation
der Kurzgeschichte „Streuselschnecke“
Julia Franck
Die meisten Menschen misstrauen fremden
Männern die auf öffentlichen Plätzen kleine Kinder ansprechen, meist werden sie
als Pädophilie abgestempelt und man lehrt seinen Kindern bereits früh, diesen
kein Vertrauen zu schenken. Anders ist es in der Kurzgeschichte
„Streuselschnecke“ von Julia Franck aus dem Jahr 2000. Dort wird ein 14
jähriges Mädchen, das keinen Vater hat von einem Fremden angerufen und trifft
sich oft mit diesem Mann. Da er weiß, dass er nicht mehr lange zu leben hat,
erklärt er ihr seine Gefühle. Dieser Mann war ihr Vater und musste Sterben,
bevor sie ihn richtig kennenlernen konnte.
Durch das geringe Interesse der Mutter an
ihrer Tochter, lebt das Mädchen in Berlin bei ihren Freunden (vgl. Z.1 f),
dadurch wird ihr Vater zum Fokus der Geschichte (Z.1 f). Das Verhältnis von
Vater zu Tochter wird verstärkt dargestellt. Anhand der Ich-Erzählerin wird der
Text subjektiv und es gibt einen begrenzten Blickwinkel, dadurch erfährt der
Leser das Geschehen so, wie es die Ich-Erzählerin erlebt hat. Diese
Erzählstruktur spiegelt die Entwicklung der Beziehung der Figuren, sodass der
Leser an gewissen Stellen die logischen Beziehungen selbst herstellen muss.
Außerdem kann man sich besser in die Personen hineinversetzen und
ihre Gefühle und Gedanken nachvollziehen. Durch diese Erzählperspektive
und der angewendeten Sprache, wird gewährleistet, dass der Leser sich mit der
Protagonistin identifiziert.
Trotz der häufigen Treffen erfährt das
Mädchen nicht viel über den Mann und er ist ihr noch fremd (vgl. Z.20), jedoch
sind sie sich in vielen Punkten ähnlich und dadurch lässt sich schon früh
schließen, dass er ihr Vater ist. Die Ähnlichkeit der Figuren zeigt sich
an ihrer Spontaneität (vgl. Z.8 ff) und Schüchternheit (vgl. Z.9). Anhand der
Zeitraffung (vgl. Z.21 f) wird gezeigt, dass sich die Personen trotz aller
Treffen immer noch nicht sonderbar gut kennen, dennoch haben sie nicht den Kontakt
abgebrochen. Dies wird in Zeile 22 klar, da das Mädchen ihren Vater im
Krankenhaus an seinem Totenbett besucht.
Er kündigte seinen Tod recht früh an, um
noch Zeit mit seiner Tochter verbringen zu können. „Er starb ein Jahr lang“
soll keine Umgangssprache sein, es deutet darauf, dass der Vater bereits ein
Jahr lang krank im Bett lag und nicht genau wusste, wann er sterben würde und
dies ließ den Sterbeprozess noch länger dauern. „Er habe Angst vor dem Tod“(Z.19) und wolle so schnell wie möglich alles zu Ende bringen. Daraufhin bat er
seine Tochter, die ihm in der Zeit so oft wie möglich besuchte, ob sie ihm die
Droge „Morphium“ (Z.21) besorgen könne. Dadurch denkt sie einen Moment an ihre
Freunde, die Drogen nehmen. Daraufhin wird ihre Verwahrlosung sichtbar, welche
sich im Laufe der Bekanntschaft zu ihrem Vater ein wenig auflöst. Da keiner
ihrer Freunde im Besitz von Morphium ist, kann sie ihm diesen Wunsch nicht
erfüllen. Infolgedessen bittet der Vater sie um einen „einfacheren“ Wunsch, den
sie ihm erfüllt. Sie bringt ihm also zwei Bleche Streuselschnecken.
Sie repräsentiert die
Liebe und Zuwendung, aber ist gleichzeitig auch eine Metapher für die langsame
Entwicklung der Beziehung Vater- Tochter. In diesem Fall steht die Schnecke
nämlich für Langsamkeit. Ihre Beziehung wächst sehr langsam aber dafür wird die
Bindung zwischen ihnen immer tiefer, denn als sich beide anfangen zu lieben
müssen sie dann auch wieder Abschied voneinander nehmen. Das Mädchen empfindet
auch so viel für ihren Vater, da sie sicherlich keine Zuwendung von ihrer
Mutter bekommt und schon im jungen Alter bei „Freunden“ (vgl. Z.1) wohnt.
Gerade diese Tragik, die beiden Menschen widerfährt, macht es noch schwerer
Abschied zu nehmen.
Zu Ende des Textes sagt
der Vater, „das er gerne mit ihr gelebt hätte“ (vgl. Z. 28) und gerne versucht
hätte eine Vater für sie zu sein, er hat gedacht, dass es „noch Zeit gäbe“ (Z.
29), doch jetzt „sei es zu spät“(Z. 30).
Diese Sätze geben uns die
Klarheit, dass ihm auch die Tochter ans Herz gewachsen ist und er diesen
Fehlschlag den er in der Vergangenheit gemacht hat, nun bereut.
Bedauerlicherweise kann man nicht sagen, weshalb er erst nach so langer Zeit
den Kontakt zu seiner Tochter suchte.
Als ihr Vater
letztendlich an ihrem 17. Geburtstag stirbt geht sie gemeinsam mit ihrer
Schwester, jedoch ohne die Mutter auf die Beerdigung. Dadurch wird das
schlechte Verhältnis der zwischen den Eltern deutlich. Im Weiteren wird noch
bekannt gegeben, dass Ihre Mutter nach Worten ihrer Tochter „Ihren Mann nicht
geliebt hat“ (vgl. Z.30 f) oder auch „mit anderem beschäftigt sei“ (vgl. Z. 30
f). Aber darüber kann man auch nichts weiter sagen. Denn man weiß nicht wie es
denn tatsächlich war. Es wird gezeigt, dass die Tochter ihre Mutter als ein
„herzloses“ oder auch teils „egoistischen“ Mensch sieht.
Da das Thema der
Geschichte aus dem alltäglichen Leben stammt soll sie dem Leser dazu bringen,
sich mit der Thematik auseinanderzusetzen und sich ein eigenes Bild zu machen.
Meiner Meinung nach soll die Kurzgeschichte einem zeigen, dass man sich auch
mit den unscheinbaren Dingen im Leben beschäftigen soll und nicht alles für
selbstverständlich nehmen soll. Heutzutage sind viele Menschen viel zu sehr mit sich selbst
beschäftigt und merken dadurch viel zu spät wie wichtig einem andere Menschen
sein können und es ist zu spät, so wie in dem Schluss dieser Kurzgeschichte.