Interpretation: Der Hutmacher
„Der Hutmacher“, eine Erzählung von Thomas
Bernhard, erschienen am 30.01.2009 in der Zeitung „Die Presse“,
behandelt die Problematik des Abschiebens alter Menschen. Der Text
handelt von einem Hutmacher, der in seinem Haus immer wieder ein
Stockwerk nach oben ausweichen muss, bis er sich irgendwann in einem
äußerst unbequemen Dachgeschoss wiederfindet, sodass er keinen
anderen Ausweg findet, als sich schließlich aus dem dritten Stock in
den Tod zu stürzen.
Die
Erzählung lässt sich in drei Teile teilen. Im ersten Abschnitt wird
die Begegnung zwischen dem Hutmacher und dem Anwalt behandelt. Der
zweite Teil handelt davon, dass der Hutmacher dem Anwalt den Konflikt
mit seinem Sohn erzählt. Der finale Akt beinhaltet das eigentliche
Problem des Hutmachers mit dem Abgeschoben-werden in den dritten
Stock, das schließlich in einem Suizidsprung endet. Die Fabel der
Geschichte beinhaltet das Treffen zwischen dem Hutmacher und dem
Anwalt und den anschließenden Monolog des Hutmachers. Dieser Monolog
besteht aus einer großen Rückblende, Analepse, die sich über den
gesamten zweiten Teil von Zeile 93 bis Zeile 300 erstreckt. Es kann
von zeitraffendem Erzählen gesprochen werden, da die erzählte Zeit
ungefähr eine Stunde beträgt,
die Erzählzeit jedoch nur bei circa 20 Minuten liegt. Der Erzähler
ist homodiegetisch, er greift also in die Handlung direkt ein.
Genauer gesagt handelt es sich bei der Person des Erzählers um den
Anwalt, der von dem Hutmacher besucht wird. Infolgedessen liegt
natürlich auch eine interne Fokalisierung vor. Schauplatz der
Erzählung sind das Büro des Anwalts und das Haus des Hutmachers.
Während
der eher wortkarge Anwalt im Text kaum beschrieben wird und man nur
weiß, dass ihm die Qualität seiner Kleidung sehr wichtig ist, weiß
man über den alten Hutmacher weitaus mehr. Er kann als geschwätzig,
ausufernd, repetitiv und reich beschrieben werden. Jedoch möchte er
seinen Reichtum nicht zur Schau stellen und kümmert sich
dementsprechend auch nicht um seine Kleidung, sondern kauft „Anzüge
von der Stange“ (Z. 66-67). Er scheint auch gerne zu essen, da er
„von Tag zu Tag dicker werde“ (Z. 69). Des Weiteren bereitet ihm
das Reisen eine große Freude, auch wenn er nur Hutgeschäfte
besucht, fragt, ob seine Hüte angeboten werden und sofort wieder
abreist (vgl. Z. 134-146). Über den Sohn des Hutmachers erfährt man
nur, dass er sehr potent sowohl im Vergrößern seines materiellen
Besitzes, wie auch der Anzahl seiner Nachkommen ist. Der Erzähler
und der Hutmacher unterscheiden sich grundlegend in der Wahrnehmung
ihrer Mitmenschen. Der Anwalt achtet bei allen Menschen, denen er
über den Weg läuft, zuerst auf ihre Kleidung (vgl. Z. 46-51), was
seine Fokussierung auf das Äußerliche einer Person, sowie auf
materielle Güter aufzeigt. Im Gegensatz zum Erzähler schaut der
Hutmacher allen Leuten immer ins Gesicht (vgl. Z. 53-56). Dies zeigt
sowohl, dass ihm die inneren Werte von Personen sehr wichtig sind,
als auch, dass sein Reichtum ihn nicht von der Welt entfremdet hat.
Die
äußere Handlung der Erzählung beinhaltet das Treffen des
Hutmachers mit dem Anwalt und die Unterhaltung zwischen den beiden.
Auch der letzte Satz des Textes, der den Tod des alten Mannes
beschreibt, ist dazu zu zählen. Die innere Handlung wird durch den
Monolog des Hutmachers dargestellt. Sie beschreibt seine bisherige
Karriere, seine Reisen zu verschiedenen Hutgeschäften und den
Konflikt mit seinem Sohn.
Besonders
auffallend an dem Text sind die vielen direkten Reden ohne
Anführungszeichen und mehrere Wortwiederholungen, zum Beispiel in
den Zeilen 339 bis 351 mit dem Nomen „Geschichte“, oder in den
Zeilen 20 bis 177 mit dem Verb „sagte“. Die ausschweifende
Schreibweise soll die Senilität des alten Hutmachers betonen. Auch
wird im Text noch teilweise die alte deutsche Rechtschreibung
benutzt, die bis 1996 gültig war, wie man an dem Wort „daß“,
das zum Beispiel in Zeile 16 vorkommt, sehen kann. Da der Text erst
2009 erschienen ist, hat sich der Autor entweder noch nicht an die
neue Rechtschreibung gewöhnt, oder dieses Wort wurde bewusst
eingesetzt, um das Alter des Protagonisten zu verdeutlichen.
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