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Emotionen, stress und pathogenese: Neurobiologische Erkenntnisse vor dem Hintergrund der Emotionstheorie der Integrativen Therapie


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Inhaltsverzeichnis

1. Vom Denken und Fühlen – die menschliche Existenz 1

2. Emotionstheorien 2

2.1. Emotionskonzepte der Integrativen Therapie 3

2.1.1. Wie Emotionen entstehen 4

2.1.3. Emotion, Gefühl, Empfindung, Affekt, Stimmung 8

2.2. Das emotionale Zentrum im menschlichen Körper 9

3. Entwicklungspsychologische Aspekte von Emotionen 11

3.1. Emotionale Differenzierung beim Säugling 12

3.2. Emotionale Entwicklung in der Lebensspanne 12

4. Emotionen und Pathogenese 13

4.1. Emotionen und Lernfähigkeit / Gedächtnis 13

4.2. Emotionen und Stress 15

4.2.1. Subjektives Stressempfinden und physiologische Körperreaktionen 15

4.2.2. Stress und Krankheit 16

Literaturverzeichnis 19


1. Vom Denken und Fühlen – die menschliche Existenz


„Indem wir so alles nur irgend Zweifelhafte zurückweisen und für falsch gelten lassen, können wir leicht annehmen, dass es keinen Gott, keinen Himmel, keinen Körper gibt; dass wir selbst weder Hände noch Füße, überhaupt keinen Körper haben; aber wir können nicht annehmen, dass wir, die wir solches denken, nichts sind; denn es ist ein Widerspruch, dass das, was denkt, in dem Zeitpunkt, wo es denkt, nicht bestehe.

Deshalb ist die Erkenntnis: Â»Ich denke, also bin ich« (Original lat.: cogito ergo sum) von allen die erste und gewisseste, welche bei einem ordnungsmäßigen Philosophieren hervortritt“ (Decartes in Wohlers 2007, S.372)


Für Antonio Damasio (2001) greift Decartes Erkenntnis jedoch zu kurz. Er meint, dass die von Decartes postulierte Trennung zwischen Körper und Geist ein Fehlurteil sei. Damasio sieht folglich nicht das Denken sondern das Fühlen als Grundlage des Bewusstseins. Er unterscheidet zwischen dem Gefühl und dem Wissen, dass wir ein Gefühl haben. Er argumentiert, dass nicht automatisch ein Bewusstsein des eigenen Organismus mit seinen neuronalen und mentalen Mustern vorliegen muss, um ein Fühlen zu ermöglichen.

„Doch die vollständige und andauernde Wirkung von Gefühlen bedarf des Bewusstseins, weil das Individuum nur mit den Anfängen eines Selbst-Sinns erkennen kann, dass es Gefühle hat“ (Damasio 2001, S. 50). Mit anderen Worten kann ein Gefühl von einem Subjekt nicht erkannt werden, wenn kein Bewusstsein vorliegt. Soloms und Turnbull argumentieren ähnlich. „Emotion ist jener Aspekt des Bewusstseins, der übrig bliebe, wenn man alle aus der äußeren Welt stammenden Inhalte entfernte.

Das heißt, wenn ihnen alle (aus aktuellen und früheren Wahrnehmungen hergeleiteten) sensorischen Eindrücke fehlten, wären sie gleichwohl immer noch bewusst“ (Solms, Turnbull 2007, S. 120f).

Vor dem Hintergrund der Säuglingsforschung kann man mithilfe von physiologischen Messungen den Zeitpunkt einer Daseinsgewissheit bereits in der pränatalen Phase festmachen. „Eigenleibliches Spüren in persönlicher affektiver Betroffenheit begründet – auch unter evolutionstheoretischer Perspektive – die Daseinsgewissheit des Menschen in der Welt und seinen Bezug zu ihr.“ (Petzold 1993, S.607).


„Sentio ergo sum“ (Ich fühle, also bin ich). Petzold und Damasio verwenden beide diesen Ausdruck in Anlehnung an Decartes. Es wird davon ausgegangen, dass der Mensch bereits vor dem Denken Empfindungen hat, welche über die emotionale Interaktion (z.B. zwischen Mutter und Baby) seine Daseinsgewissheit begründet.

2. Emotionstheorien

« Le coeur a ses raisons que la raison ne connaît pas. Â» Pascal Blaise

(Das Herz hat seine Gründe, die der Verstand nicht kennt)


Emotionen bestimmen unser Verhalten und unseren Bezug zur Welt. Seit über zwei Jahrtausenden beschäftigen sich Philosophen mit diesem mystischen Thema. Seit viel kürzerer Zeit nahmen sich auch Nachfolgerwissenschaften wie Psychologie, Soziologie, (Neuro-)Biologie und Medizin dieses zentralen Themas unseres Menschseins an.1 Grundsätzlich sind sich Wissenschaftler zumindest in einem Punkt einig: Emotionen sind komplexe Phänomene.

Wichtige theoretische Ansätze der Geschichte wurden von Lelord und Andrè (2005) wie folgt dargestellt:

Theoretische

Strömung

Hypothese

Wichtige Vertreter

Lebenspraktischer

Ratschlag

Evolutions-

psychologen

Wir verspüren Emotionen, weil es in unseren Genen steckt.

Charles Darwin

(1809 - 1882)

Wir sollen aufmerksam auf unsere Emotionen achten, denn sie sind uns nützlich.

Physiologen

Wir verspüren Emotionen, weil unser Körper etwas spürt.

William James

(1843 - 1910)

Indem wir unseren Körper kontrollieren, bekommen wir auch unsere Emotionen unter Kontrolle.

Kognitivisten

Wir verspüren Emotionen, weil wir denken.

Epiktet

(55 - 135)

Indem wir anders denken, bekommen wir unsere Emotionen unter Kontrolle.

Kultur-

relativisten

Wir verspüren Emotionen, weil sie ein Teil unserer Kultur sind.

Margaret Mead

(1901 - 1978)

Wir wollen das jeweilige soziale Umfeld beachten, ehe wir eine Emotion ausdrücken oder deuten.

Abb.1: Theorien zum Thema Emotionen (Lelord , Andrè 2005, S.21)


Auch die Psychoanalyse, Verhaltenstherapie, klientenzentrierte Gesprächstherapie und Gestalttherapie haben alle explizite und implizite Emotionstheorien, die aus einem konstruktiv-kognitiven Blickwinkel grosse Gemeinsamkeiten aufweisen (vgl. Kemmler, Schelp, Mecheril 1995, S. 173ff). Aus Sicht der Integrativen Therapie sind jedoch Triebtheorien oder energetische Ansätze für das Verstehen von Emotionen ungenügend (vgl. Schuch 2000, S.176ff).


Eine neurobiologische Betrachtungsweise begründet das Entstehen von Emotionen durch biologisch determinierte neuronale und biochemische Prozesse, die unser Gehirn bei der Wahrnehmung von emotionalen Veränderungen des Körperzustands hervorbringt. (vgl. Lenzen 2004, S. 81ff). „Immer dann, wenn in der äußeren Welt oder aber in der vom Gehirn wahrgenommenen Körperwelt eine Veränderung auftritt, die zu eine Verschiebung des bisherigen Gleichgewichts, der bisherigen Harmonie der im Gehirn ablaufenden Informationsverarbeitungsprozesse führt, entsteht ein Gefühl“ (Hüther 2004, S.108).

In dieser rein neurobiologischen Auffassung unberücksichtigt bleiben jedoch der intentionale Gehalt (wodurch würde das Gefühl ausgelöst), die Intensität mit der eine Emotion in verschieden Situationen auftritt und die Bewertung der Emotionen (vgl. Lenzen 2004, S.82). Die Emotionstheorie in der Integrativen Therapie bietet einen umfangreichen, mehrperspektivischen Definitionsversuch, erweitert durch philosophische und soziologische Komponenten:

„Emotionen sind komplexe, das gesamte Leibsubjekt in seinem soziophysikalischen und soziokulturellen Kontext ergreifende Prozesse, Thymosregungen, die mit variierender Intensität, Tönung, Bewusstheit als Affekt, Gefühl, Passion, Stimmung, Grundstimmung oder Lebensgefühl vom Selbst eigenleiblich gespürt und vom Ich bewusst erlebt werden. Sie sind komplexe Synergeme von spezifischen physiologischen (neuronalen, endokrinen, kardio-vaskulären, muskulären, respiratorischen) Erregungsmustern, von subjektiven Erlebnisweisen, kognitiven Bewertungen und Benennungen, sozial-kommunikativen Orientierungen und – draus folgend – von charakteristischen Expressionsverhalten in Mimik, Gestik, Haltung und Bewegung.

Sie kommen auf als Resonanz auf Einflüsse der aktualen Umwelt (Stimulierung) oder als autochtone Impulse der aktualen Innenwelt (Motivation, Antriebe, Erinnerungen, Phantasien)“ (Petzold 2003, S.619).


2.1. Emotionskonzepte der Integrativen Therapie

Im Zentrum der Emotionstheorie der Integrativen Therapie steht das Leibsubjet. Es besteht aus:

Körper (Gesamtheit aller physiologischen und organismischen Prozesse wie Motorik, Sensorik, Tonusregulation, etc.)

Psyche (Gesamtheit aller Prozesse des Empfindens, Fühlens und Wollens wie Emotionen, Motivationen, Stimmungen, Volitionen2)

Emotionen betreffen stets das Leibsubjekt, also die Person als Ganzes (vgl. Petzold 2003, S. 611).


Emotionen und Kognitionen

Die vermeintliche Dichotomie von Emotionen und Kognitionen löst sich in der Integrativen Therapie auf und greifen vielmehr ineinander. Bereits vor mehr als einem Jahrhundert schrieb Herbert Spencer, dass kognitive Prozesse nur sehr selten frei von Emotionen seien. Gordon Bower hat Anfang der achtziger Jahre erstmals die Rolle der Emotionen in der Informationsverarbeitung untersucht.

Emotionen dienen kognitiven Funktionen. Neuere Forschungsergebnisse bringen Emotionen und Gedächtnis in einen kausalen Zusammenhang. Emotionen beeinflussen unsere Selbst- und Fremdwahrnehmung, wie wir uns erinnern, wie wir Situationen bewerten bzw. interpretieren und welchen Situationen, Personen und Dingen wir überhaupt Aufmerksamkeit zukommen lassen. Emotionale Prozesse können unabhängig von den kognitiven ablaufen.

Carroll Izard (1994, S. 235) stellte fest, dass das umgekehrt jedoch nicht möglich ist. Wenn beispielsweise die emotionale Bewertung einer Situation aufgrund von neuronalen Beeinträchtigungen nicht mehr möglich ist, kann die betroffene Person keine Entscheidungen innerhalb eines adäquaten Zeitraumes mehr fassen.


2.1.1. Wie Emotionen entstehen

Emotionen entstehen entweder durch Außenstimulierungen (Impressionen, externale Stimuli) oder durch Innenstimulierungen (internale Stimuli) in Form von motivationalen Kräften (Einfall, Gedanke, Antriebe, Erinnerungen, Phantasien). Diese führen einerseits zu physiologischen Erregnungszuständen z.B. Herzschlag, Spannung, Zittern und andererseits zu kognitiven Repräsentationen der inneren und/oder äußeren Ereignisse.

Emotionen entstehen aus der Synergie dieser Faktoren. Sie drängen zur Expression und stehen somit hinter den sichtbaren und hörbaren Verhaltensäußerungen. Emotionen manifestieren sich dann auf Verhaltensebene, z.B. Atemmuster oder Gesichtsausdruck (vgl. Petzold S. 608 ff).


In Abbildung 2 ist mit „Stimulation“ die Außenstimulierung (Impression) gemeint. Resonanz wird in diesem Model als Innenresonanz verstanden. Sie entsteht im Inneren des Leibsubjekts, wirkt nach Außen und konstituiert somit die Antwort auf einen externalen Stimulus.


Abb.2. Das Leibsubjekt mit seinem „emotionalen Feld“ in Kontext und Kontinuum, eine Perspektive sozioökologischer Emotionstheorie (Petzold 2003, S.621)



Emotionen umgeben das Leib-Selbst durch die von ihm ausgehenden, multiplen Signale (subliminal und supraliminal wahrnehmbar) als Atmosphäre, womit sich aufgrund der ausgelösten Resonanzen das emotionale Feld aufbaut. Emotionen werden von der Umwelt wahrgenommen als auch bewertet und erhalten dadurch eine subjektive Bedeutung. Gleichzeitig geben sie Signale an die Umwelt. (= informative / kommunikative Funktion der Emotion).

Diese Expressionen konstituieren das emotionale Feld und prägen die Qualität der emotionalen Kultur.


Emotionen sind nicht nur autochthone Artikulationen. Sie geschehen zwischen Menschen, zwischen Kind und Mutter aber auch zwischen Therapeut und Klient: emotionales Spiegeln, affektives Kontrastieren, gefühlsbetontes Feedback sind zentral für jedes therapeutische Arbeiten.


Die Integrative Therapie verwendet auch den Begriff der emotionalen Stile. Emotionale Stile bilden sich im Laufe der Sozialisation und betreffen das gesamte emotionale Leben eines Menschen. Sie sind nicht nur auf eine Leitemotion fokussiert und können sich mit der Zeit verändern. Emotionale Stile basieren dennoch auf dem zugrunde liegenden Temperament der Person. Dysfunktionale emotionale Stile haben den Ursprung in gestörten, defizitären, einseitigen, inkonstanten emotionalen Feldern.

Beim Zusammentreffen zweier emotionaler Felder wird ein übergreifendes Feld, ein Ensemble nicht-linearer Resonanzphänomene, gebildet, wobei es dabei zu einem emotionalen Chaos oder zu einem Gleichgewicht kommen kann. Eine wechselseitige Resonanz von zwei emotionalen Feldern konstituiert ein emotionales Mikroklima, in denen sich Sozialisationsklimata reproduzieren können.

Diese zu modulieren und umzustimmen stellt eine wichtige Chance für die therapeutische Arbeit dar. Im Inneren eines Individuums kann es ähnliche Phänomene geben; ein Widerstreit von zwei oder mehreren Emotionen. Familie und soziale Gruppen, sprich mehrere emotionale Felder (Mikroklimata) formen eine emotionale Kultur. Die emotionale Kultur ist die primäre Sozialisationsinstanz.


Ein wichtiger Bestandteil der Emotionstheorie der Integrativen Therapie ist die ständige Interaktion und Kommunikation mit der Umwelt. Aufgrund einer Impression entsteht eine Erregung, welche mittels einer Innenresonanz sich zu einer Emotion entwickelt, die durch eine Expression nach außen dringt, und wiederum eine Außenresonanz zur Folge hat (Impression  Erregung  Innenresonanz  Emotion  Expression  Außenresonanz).

Der Kreis schließt sich und der Prozess beginnt wiederholt mit einem neuen Eindruck. Durch Außenresonanz entsteht die relationale Qualität von Emotionen. Auf Eindruck erfolgt Ausdruck. Die Expression wird zur Impression beim anderen Subjekt. Es entsteht eine Interaktion, ein kommunikativer Zyklus der in der Integrativen Therapie als Ko-respondezprozess bezeichnet wird (ohne die „Anderen“, gibt es kein „Ich“).

Erst der Bezug zu unserer Umwelt, die Interaktion mit unseren mit Menschen ermöglicht unsere Entwicklung, Überleben und das grundsätzliche Verständnis der eigenen Person. Für unsere psychische Gesundheit ist der beschriebene emotionale Austausch von äußerster Wichtigkeit!

Emotionen sind nicht ausschließlich unwillkürliche Konstrukte. Sie können durch das Ich gesteuert werden. Als Erregungszustände wirken sie im Körperlichen und sind außerdem tonangebend für das Psychische. Das Psychische wird von einem erlebnisfähigen Ich bestimmt; d.h. mit seinen verschiedenen Ausprägungen des Selbstgefühls (von Wertlosigkeitsgefühl bis Selbstwertgefühl) durchwegs subjektiv.

Emotionen beeinflussen aber nicht nur das Körperliche und Psychische sondern ebenso das Geistige. Das Geistige ist bewusst und hat in der Regel eine emotionale Färbung (vgl. Damasio, Antonio 2001 S. 339ff). Die kausale Komponente des Geistigen ermöglicht es uns, auf vergangene Erlebnisse begründet, rational zu handeln, wobei eine rationale Handlung wiederum emotional getragen wird, z.B. von einem Gefühl der Sachlichkeit.

Regulativ ist das Geistige insofern als es in einem Prozess von Reflexion Bedürfnisse lenken und aufschieben kann. Das Geistige wertet nicht immer, allerdings basiert jede Wertung auf Emotionen (vgl. Petzold, Hilarion 2003, S.611ff). Das bedeutet, dass die Interpretation der wahrgenommen Wirklichkeit von Gefühlen mitbestimmt wird.


Emotionen haben körperlich/physiologische, subjektiv-psychologische, geistig/kognitiv-reflexive, behavioral-aktionale und sozioökologische Komponenten, die in Abhängigkeit von dem jeweiligen sozialen und kulturellen Kontext/Kontinuum in Form von Verhalten und Kommunikation zum Ausdruck kommen (vgl. Petzold 2003, S. 613f). Diese Komponenten erscheinen bei unterschiedlichster Zusammensetzung in komplizierten Formen und Varianten.

Im Hinblick auf die Beziehung des Individuums zu seiner Umwelt erkennt Petzold mehrere Funktionen der Emotionen:

eine motivationale Funktion zur Bewirkung von Handlungen;

eine kommunikative Funktion als Ausdruck für den Zustand des Leibsubjekts im Kontext;

eine orientierende Funktion zur Sinnstiftung (Reaktionen der Umwelt schaffen Orientierung für die Person);

und eine selbstregulatorische Funktion in Resonanz mit dem Umfeld.

Auch die Umwelt erhält gleichzeitig durch die situativ gesendeten Signale eine Orientierung in Bezug auf den inneren Zustands des Individuums4 und somit eine Möglichkeit der Bewertung.

2.1.3. Emotion, Gefühl, Empfindung, Affekt, Stimmung

Die Integrative Therapie unterscheidet zwischen Empfindung und Gefühl. Emotionen gründen stets in eigenleiblich gespürten Regungen bzw. in Empfindungen, die auch ohne Gefühl auftreten können. Empfindungen wie Durst, Hunger oder Schmerz können sich aber zu Gefühlen entfalten; ein flüchtiges Durstempfinden kann sich zu einem starken Durstgefühl entwickeln; eine leichte Schmerzempfindung zu einem quälenden Schmerzgefühl.


Emotion und Gefühl wird in der Literatur abhängig von der wissenschaftlichen Disziplin und Denkschule unterschiedlich verstanden. In der Integrativen Therapie wird Emotion als Obergriff verwendet. Die begriffliche Differenzierung unter einer qualitativen und temporalen Perspektive erfasst folgende Abstufungen: Affekt, Gefühl, Leidenschaft, Stimmung, Grundstimmung, Lebensgefühl.

Affekt beschreibt ein situationsabhängiges, kurzzeitiges, bewusstes emotionales Erleben mit kräftigen Thymosregungen. „Passionen, Stimmungen, Grundstimmungen, Lebensgefühl sind in der Regel eher internale, weitgehend feldunabhängige, über längere Entwicklungsprozesse formierte Grundmuster, emotionale Stile als Prolongierung von Affekten und Gefühlen unter Ablösung derselben von ihrem ursprünglichen Situationsbezug und ihren einstmals vorhandenen Kommunikationsadressaten.“ (Petzold 2003, S. 630).

Zur Veranschaulichung gibt Petzold folgendes Beispiel: Aktuale bedrückende Verhältnisse können zu Niedergeschlagenheit führen, welche wiederum in eine verzweifelte Stimmung ausufern oder gar zu einer depressiven Grundstimmung chronifizieren kann. Häufen sich negative Lebensereignisse über längere Zeit und kommen Grundstimmungen wie beispielsweise Ohnmacht oder Hilflosigkeit hinzu, so kann sich ein depressives Lebensgefühl ausbilden.





Grundvertrauen und Lebensgefühl:

Das Lebensgefühl wurzelt im Grundvertrauen und das auf ihm ruhende Selbstgefühl.

Grundvertrauen entsteht

bereits pränatal in der uterinen Geborgenheit

und postnatal, einerseits durch positive emotionale Zuwendung bzw. das freudige Erleben derselben und andererseits durch Erfahrungen von gelingenden Handlungen und Interaktionen des Babys.

Das Grundvertrauen ist dementsprechend schwach, wenn diese Erfahrungsmöglichkeiten im ersten Lebensjahr vernachlässigt oder verhindert werden. Klinische Erfahrungen lassen feststellen, dass ein sicheres Selbst- bzw. Lebensgefühl, ein gutes Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen Prädikatoren für Gesundheit und Lebensglück sind. Anderseits sind Selbstwertprobleme, Minderwertigkeitsgefühle, Selbstunsicherheit und Selbstzweifel ernsthafte Faktoren für Erkrankungen (vgl. Petzold 2003, S. 630ff).


2.2. Das emotionale Zentrum im menschlichen Körper

Eine philosophische Betrachtungsweise von Emotionen liefert uns Petzold mit seiner Definition von Gefühlsregung (Thymos). „Der Thymos, diese tiefste und innerste Regung des menschlichen Wesens ist die Quelle aller Gefühle und Grund der wahrhaften Mitmenschlichkeit. Er ist die Resonanz des Herzens auf die Welt“ (Petzold 2003, S.636).


Kortikale Bestandteile des limbischen Systems (Teile des Allocortex) umfassen primär den Hippocampus und Gyrus cinguli (Gürtelwindung); subkortikale Bestandteile umschließen die Amygdala (Mandelkern), die Limbische Vorderhirnregion (z.B. Area septi), die limbischen Areale im Zwischenhirn (z.B. Thalamus, Hypothalamus) und die limbische Mittelhirnregion. In der Literatur werden meist Hippocampus, Amygdala und Gyrus cinguli als die wichtigsten Bestandteile genannt.


Der Thalamus (Tor des Bewusstseins) ist die übergeordnete Schaltzentrale für sensorische Systeme, die zur Großhirnrinde (Cortex) führen. Der Hippocampus spielt eine zentrale Rolle bei der Bildung und Verarbeitung von Erinnerungen. Die Hypophyse (Hirnanhangdrüse) steht unter der Kontrolle des Hypothalamus und reguliert unseren Hormonhaushalt. Die Amygdala ist für die emotionale Bewertung einer Situation maßgeblich und für Angst- und Aggressionsempfindungen verantwortlich, welches unser Sozialverhalten in weiterer Folge entscheidend beeinflusst.

Hier vermischt sich dann die primäre Schmerzinformation mit den unbewußten oder emotionellen Inhalten und wird dementsprechend bewertet.

Abb. 3: Limbisches System (Thompson 2001, S.19)


Individuelle Erfahrungen und Erinnerungen sind in den Nervenzellen des Grosshirns und im limbischen System gespeichert. Positive wie negative Gefühle werden addiert und verfestigen unsere Nervenzell-Netzwerke über Zeit (additiver Charakter von Emotionen). Die so entstanden Interpretations- und Handlungsmuster haben enormen Einfluss auf die Bewertung neuer Situationen.

Emotionen bestimmen somit unsere Wahrnehmung und Beziehung zur Umwelt. Neue Forschungen legen nahe, dass es deutlich mehr neuronale Verbindungen vom limbischen System zum kognitiv ausgerichteten Cortex verlaufen als in umgekehrter Reihenfolge. Dies kann als Erklärung gelten, warum das menschliche Verhalten stärker von Gefühlen als von reiner Logik beeinflusst wird.


Die Integrative Therapie richtet jedoch den Augenmerk nicht nur rein auf zwischenmenschliche Beziehungen, sondern auf den emotionalen Gehalt einer Interaktion innerhalb einer Beziehung. Nur so kann man fehlende, negative oder misslungene emotionale Situationen, Deprivationen durch Defizite an Zuwendung, Störungen und Konflikte durch emotionale Verwirrungen, traumatisierende Überflutungen mit toxischen Gefühlen und Gefühlsintensitäten erklären (vgl. Petzold 2003, S.608ff).



3. Entwicklungspsychologische Aspekte von Emotionen

Noch vor der Geburt kennen wir unseren Körper (z.B. Daumen lutschen, strampeln) und grundlegende Gefühle wie Angst oder Wohlbefinden. Auch wenn in diesen frühen Stadien der menschlichen Entwicklung noch kein „bewusster Zugang“ zu diesen Emotionen besteht, werden wir durch sie dennoch bereits pränatal geprägt.

Über die Mutter macht der Fötus Erfahrungen mit der Außenwelt. Er kennt die Stimme und über Aromastoffe im Fruchtwasser auch den Geruch der Mutter. Hat die Mutter während der Schwangerschaft oft Angst, so kann das Kind später leichter anfällig für dieses Gefühl sein. Ist die Mutter verängstigt, so spürt der Fötus dies über physiologische Reaktionen der Mutter (z.B. Zusammenziehen der Bauchdecke oder schneller Herzschlag) und über den Anstieg des Cortisolspiegels (hohe Konzentration des Stresshormons Cortisol).

Es tritt eine Erstarrung des Fötus ein, die im Gehirn gespeichert wird. Gleichzeitig kann der Fötus auch die laute, aggressive Stimme des Vaters mit der Reaktion der Mutter in Verbindung bringen. Nach der Geburt kann bei vergleichbarer Stimmfärbung eine ähnliche Erstarrung eintreten. Die Entwicklung emotionaler Bezogenheit zur Umwelt beginnt also bereits sehr früh.


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