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Seminararbeit
Psychologie

Alpen-Adria-Universität Klagenfurt

2010, Janig Herbert

Leonhard V. ©
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ID# 16263







Individuelle und kulturelle Besonderheiten bei Drogenabhängigen

Alpen-Adria Universität Klagenfurt

SS 2011

&

Sommersemester 2011


Gesundheitspsychologische Forschung (160.277)

Ao.Univ.-Prof. Dr. H. Janig


vorgelegt von:


&


1. Einleitung


Obwohl illegaler Drogenkonsum ein weit weniger verbreitetes Phänomen ist, als Alkohol- oder Tabakgenuss, nimmt die Kontroverse rund um die illegalen Substanzen laut Roth und Petermann (2006) einen wesentlich breiteren Raum in der öffentlichen Diskussion ein. Studien haben gezeigt, dass besonders im jugendlichen Alter der Drogenkonsum weit verbreitet ist und im fortschreitenden Erwachsenenalter rapide abnimmt.

Begründet könnte dieses Verhalten dadurch sein, dass im Jugendalter das sogenannte „Sensation Seeking“ nach Zuckermann (1988) zunehmend an Bedeutung gewinnt. Die Suche nach neuen Erfahrungen birgt die Gefahr in sich, dass sich Neugier und ein vorsichtiges Probieren allmählich zu einer ausgewachsenen Suchtproblematik entwickeln können.

Interventionen, die einen Drogenmissbrauch und auch die damit mitunter verheerenden Folgen zu unterbinden versuchen, stehen oft vor dem Problem, dass die Betroffenen nicht ohne weiteres zu einer Behandlung zu bewegen sind. Viele drogenabhängige Personen sehen überhaupt keinen Anlass, eine Behandlung in Anspruch zu nehmen.

Es gilt also, denjenigen zu helfen, die eigentlich gar keine Hilfe wollen. Aus diesem Grund muss man mit einer verhältnismäßig hohen Anzahl an Drogenkonsumenten rechnen, die eigentlich Hilfe benötigen, aber von sich aus keinen Grund sehen, eine Behandlung zu beginnen.

Ist der Drogenabhängige in der Behandlung angekommen, werden oft kulturelle und individuelle Unterschiede übersehen, die eventuell über Erfolg und Misserfolg der jeweiligen Rehabilitierungsmethode entscheiden. In den folgenden Abschnitten versuchen wir herauszuarbeiten, welche interpersonellen Unterschiede in diesem Zusammenhang zu berücksichtigen sind und welche Bedeutung sie eventuell für eine erfolgreiche Behandlung haben können.

2. Kulturelle Unterschiede


Oft werden kulturelle Unterschiede als ein Hindernis betrachtet, universelle Lösungen für eine konkrete Problematik zu finden. Der Aufwand, ein bestimmtes Problem zu bekämpfen, ist aufgrund der kulturell bedingten, vielfältigen Meinungen und Haltungen sehr hoch und kann sich in den verschiedenen Kulturkreisen unterschiedlich gestalten.


2.1. Kulturelle Unterschiede am Beispiel Japans


Manchmal können sich bestimmte Eigenheiten einer Kultur aber auch vorteilhaft auf eine Problemstellung auswirken, wie es das Beispiel Japan im Hinblick zur Drogenproblematik zeigt.

In einer japanischen Studie zeigten Kondo und Wada (2009), dass das familiäre Umfeld ein wesentlicher Einflussfaktor auf den Drogenkonsumenten sein kann.

In Japan wird hohen Wert auf eine besonders enge Bindung zu den Eltern gelegt, vor allem die Mütter haben großen Einfluss auf ihre Kinder und deren Leben. Auch später, im Erwachsenenalter, ist diese innige Bindung von großer Bedeutung. In anderen Kulturkreisen wird mehr Wert darauf gelegt, dass Kinder zur Selbstständigkeit erzogen werden.

In der japanischen Tradition hingegen spielt Gruppenharmonie eine weitaus größere Rolle, als Selbstverwirklichung und Autonomie, wie Kondo und Wada (2009) weiter ausführten.

Ein Ziel ihrer Studie war es, den Einfluss, der für die Drogenabhängigen wichtigsten Bezugspersonen, in einer speziell entwickelten Selbsthilfegruppenaktivität derart zu optimieren, dass sich die Betroffenen in eine Behandlung begeben.

Um dies zu erreichen, wurde einmal monatlich ein Treffen abgehalten, in denen sich die engen Bezugspersonen unabhängig von den Drogenkonsumenten austauschen konnten, verschiedenen Gruppenaktivitäten nachgingen und in Erziehungsprogrammen zu förderlichen Verhalten instruiert wurden.

Den Versuchspersonen wurde im Allgemeinen vermittelt, wie sie sich gegenüber dem abhängigen Familienmitglied zu verhalten haben und das, für die Abhängigkeit förderliches Verhalten (Geld borgen, et), möglichst einzustellen ist. Durch die dadurch erzielten Verhaltensänderungen wurden viele Drogenabhängige regelrecht zum Eintritt in eine Behandlung gezwungen. Wie diese Erziehungsprogramme im Detail ausgesehen haben, wurde in der Studie leider nicht näher erläutert.

Trotz einiger Mängel weisen die Ergebnisse recht eindeutig auf den Einfluss der Familienmitglieder bezüglich des Behandlungsstatus der Betroffenen hin. Die logische Konsequenz aus diesem Erfolg ist selbstverständlich, die Familie auch in die eigentliche Intervention mit einzubeziehen.

Der mögliche, positive Einfluss auf den Drogenkonsumenten sollte auf keinen Fall ungenützt bleiben. Ich würde in diesem Zusammenhang aber dazu raten, dem Drogenabhängigen eher unterstützend zur Seite zu stehen, als ihn durch diverse Sanktionen förmlich zu einer Behandlung zu zwingen. Dies wäre eventuell als letzter Ausweg durchaus vertretbar, allerdings besteht durch eine solch strenge Vorgehensweise auch die Gefahr, dass sich die Beziehung zu den engen Vertrauten massiv verschlechtert und sich dadurch der Drogenkonsum auch verstärken kann.

Die enge Bindung an die Familie kann im Hinblick auf den Drogenkonsum eventuell auch als protektiver Faktor gewertet werden. Eine landesweite Umfrage in Japan (2003) hat gezeigt, dass lediglich 2,43% aller Japaner im Laufe ihres Lebens in Kontakt mir illegalen Drogen jeglicher Art kommen – ein Vielfaches weniger als in Europa oder den USA.

Die logische Konsequenz aus dieser Kriminalisierungstendenz ist selbstverständlich, dass Japaner weit weniger dazu bereit sind, eine eventuell vorhandene Drogenproblematik zuzugeben.

Zum anderen haben Forschungen von Bear, Uribe-Zarain, Manning und Shiomi (2009) gezeigt, dass japanische Kinder eher dafür anfällig sind, Scham und Schuld zu empfinden, als eine Vergleichsgruppe von amerikanischen Kinder. Das kann, im Hinblick auf den Drogenkonsum, zweierlei Auswirkungen haben.

Zum einen ist es möglich, dass dieses erhöhte Scham- und Schuldempfinden einen protektiven Faktor darstellt, der Drogenkonsum zum Teil verhindern kann. Zum anderen kann man aber auch argumentieren, dass dieses Schamgefühl dafür verantwortlich ist, dass der Drogenkonsum vom Betroffenen schlichtweg nicht zugegeben wird.

Außerdem ist Japan ein Land, in dem es unüblich ist, seine wahren Gefühle und Gedanken offen zu zeigen, daher kann man auch interpretieren, dass Drogenabhängigkeit als offensichtliche Schwäche nicht gern zugegeben wird. In der japanischen Kultur existieren laut Davies und Ikeno (2002) zwei Begriffe, die den Unterschied zwischen privatem Denken und öffentlichen Auftreten wunderbar skizzieren. „Honne“ entspricht den wahren Gedanken und Gefühlen einer Person, die meist im Verborgenen gehalten werden. „Tatemae“ ist das gezeigte Verhalten in der Öffentlichkeit, welches den Erwartungen der Gesellschaft entspricht und oft mit „Honne“ im Widerspruch steht.

Dennoch wäre es ratsam - trotz dieser kulturellen Unterschiede - Studien aus anderen Ländern auch für heimische Interventionsmöglichkeiten zu berücksichtigen. In unseren Breitengraden ist eine enge Bindung zu den Eltern – trotz Erziehung zur Selbstständigkeit – mit Sicherheit keine Seltenheit.

Auch wenn der familiäre Einfluss eventuell nicht ganz so groß ist, wie in Japan; er ist auf jedem Fall vorhanden und sollte als möglicher Zugang und protektiver Faktor auch in anderen Ländern genutzt werden.

Wichtig wäre aber - bei einer derartigen Intervention - zuvor abzuklären, wie die Beziehung zwischen Familie und Drogenkonsumenten wirklich ist. Sollte die Beziehung problematischer Natur sein, wäre es unter Umständen auch möglich, dass sich der Konsum des Betroffenen aufgrund der neuen, anhaltenden Belastung durch den verstärkten Kontakt eventuell sogar verschlimmert.

Dieser Umstand zeigt, dass kulturelle Unterschiede zwar vorhanden sind, jedoch durchaus ähnliche Mechanismen mit unterschiedlicher Ausprägung (je Kulturkreis) Ursache oder Lösung für problematisches Verhalten jedweder Art sein können

3. Individuelle Unterschiede


Neben den kulturellen Unterschieden spielen selbstverständlich auch individuelle Unterschiede eine bedeutende Rolle, sowohl im therapeutischen Prozess als auch beim Versuch, die Drogenabhängigen zu einer Behandlung zu bewegen.

3.1 Individuelle Motive für den Konsum


Jeder tatsächlich Drogenabhängige hat seinen persönlichen „Leidensweg“, der ihn immer tiefer in die Sucht getrieben hat. Die Spanne reicht hier vom eigentlich braven Jugendlichen, der einmal aus Neugier einen Joint probieren wollte und so allmählich in ein Suchtverhalten abgeglitten ist – bis hin zu Menschen mit tiefer gehenden Problemen, die Drogen als Selbstmedikation einnehmen, um so der Aussichtslosigkeit ihres Lebens zu entfliehen.

Eine Studie von Conrod et al (2000) unterstreicht die Wichtigkeit der Miteinbeziehung der Persönlichkeit und der individuellen Gründe für den Drogenmissbrauch in einer entsprechenden Intervention. Die Ergebnisse dieser Studie zeigten, dass sich die Intervention, die auf die individuellen Motive für den Konsum der Drogenabhängigen und deren Persönlichkeit abzielte, als effektivere Maßnahme herausstellte im Vergleich mit Interventionen, die nicht zur Person passten.

Leider wurden nur Frauen in dieser Untersuchung berücksichtigt, jedoch sind für Männer recht ähnliche Ergebnisse zu erwarten.


3.2 Unterschiede in der Suchtentwicklung

Klinische Studien haben laut Swendsen und Le Moal (2011) mehrfach belegt, dass die meisten Menschen, die Drogen nehmen, keine Abhängigkeit entwickeln. Daher kann man davon ausgehen, dass jeder Mensch eine individuelle Vulnerabilität und protektive Faktoren besitzt, die ein Suchtverhalten auslösen können, oder eben einen Ausbruch verhindern.


3.3 Unterschiede in der konsumierten Droge


Neben den bereits erwähnten Unterscheidungen sollte auch eine Differenzierung hinsichtlich der Droge selbst getroffen werde. Ähnlich wie die Berücksichtigung der individuellen Motive für den Drogenmissbrauch sowie das familiäre Umfeld, gilt es auch, die Art und Wirkung der Droge, die konsumiert wird, zu berücksichtigen.

Viele Drogen lösen neben einem psychischen Verlangen auch eine körperliche Abhängigkeit aus, die eine Nichteinnahme der Droge mit mehr oder weniger schwer erträglichen Entzugssymptomen bestraft. Wird ein Drogenkonsument von solchen körperlichen Reaktionen geplagt, ist ein ärztlich überwachter Entzug von großer Wichtigkeit.

4. Diskussion:


Leider ist es trotz der zahlreichen Studien zu diesem Thema sehr schwer, sich einen konkreten Überblick über die herrschende Drogenproblematik zu verschaffen. Immer wieder wird berichtet, dass ein erheblicher Teil der Drogenkonsumenten unbehandelt bleiben – wie viele von ihnen aber eine konkrete Abhängigkeit mit der damit verbundenen Suchtproblematik entwickelt haben, ist unklar.

Die Unterscheidung des Drogenkonsumenten vom tatsächlich Drogenabhängigen ist eine wichtige Maßnahme, die über die Art der Behandlung unterscheidet. Oft werden nach diesem Vorgang aber individuelle und kulturelle Unterschiede übersehen, die eine Rehabilitation zum Teil erschweren, aber auch maßgeblich erleichtern können.

Man kann davon ausgehen, dass dieselben protektiven Faktoren, die Gesundheitsverhalten fördern, auch einen Einfluss darauf haben, ob Problemverhalten auftritt, wie Jessor, Turbin und Costa (1998) in ihren Ausführungen beschrieben haben.

Die Aufgabe ist es nun, diese günstigen Faktoren mittels Aufklärung, Unterricht und Vorbildwirkung von Eltern und Lehrer zu forcieren, damit künftige Generationen stark genug sind, von sich aus „Nein zu Drogen“ zu sagen.

Es hat sich zusammenfassend gezeigt, dass bei der Behandlung von Drogenkonsumenten beziehungsweise Drogenabhängigen eine Vielzahl von individuellen oder auch kulturellen Besonderheiten existieren, die es bei einer Intervention unbedingt zu beachten gilt. Ein Standardrezept, dass jedem Suchtkranken hilft, wird nicht existieren, daher muss man bei erfolgversprechenden Maßnahmen stets die individuellen und gegebenenfalls kulturellen Besonderheiten des Betroffenen berücksichtigen.

Bear G. G.; Uribe-Zarain X.; Manning M. A.; Shiomi K. (2009). Shame, guilt, blaming, and anger: Differences between children in Japan and the US. Motivation and Emotion. Vol.33(3): S. 229-238

Conrod, P. J.; Stewart, S. H.; Pihl, R. O.; Cote, S.; Fontaine, V.; Dongier, M. (2000). Efficacy of Brief Coping Skills Interventions That Match Different Personality Profiles of Female Substance Abusers.
Psychology of Addictive Behaviors. Vol. 14(3): S. 231-242

Davies R. J.; Ikeno O. (2002). The Japanese mind: understanding contemporary Japanese culture. Tuttle Publishing; 1. Auflage

Director General for Policy Planning and Coordination (2003). The Japanise Youth In Comparison with the Youth of the World. A Summary Report of the Seventh World Youth Survey. (Zugriff 05. 07. 2011, 22:17)

Jessor, R.; Turbin, M. S.; Costa, F. M.; Dong, Q.; Zhang, H.; Wang, (2003). Adolescent Problem Behavior in China and the United States: A Cross-National Study of Psychosocial Protective Factors. Journal of Research on Adolescence. Vol.13(3): S. 329-360

Kondo, A.; Wada, K. (2009). The Effectiveness of a Mutual-Help Group Activity for Drug Users and Family Members in Japan. Substance Use & Misuse, 44: S. 472-489

Roth M.; Petermann H.; in Renneberg, B.; Hammelstein, P. (Hrsg.) (2006). Gesundheitspsychologie. Heidelberg: Springer-Verlag. S. 162

Swendsen, J.; Le Moal, M. (2011). Individual vulnerability to addiction. Annals of the New York Academy of Sciences. 1216(1): S. 73-85

Zuckerman, M. (1988). Behavior and Biology: Research on Sensation Seeking and Reactions to the Media. In L. Donohew, H.E. Sypher and E.T. Higgins (Hrsg.), Communication, Social Cognition and Affect. Hillsdale, New Jersey.


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