Rhetorisch-argumentative
Textanalyse / Rationales Argumentieren
Text: Immanuel Kant:
Kritik der reinen Vernunft (Transzendentale Ästhetik Seite 69-86)
In
welchem historisch-theoretischen Diskussionszusammenhang steht der
Text? Welcher Disziplin ist er zuzuordnen?
Immanuel Kant war
einer der einflussreichsten deutschen Philosophen der Aufklärung,
dessen Ansichten, im speziellen aus seinem Werk Kritik
der reinen Vernunft,
einen Wendepunkt in der Philosophie darstellten. Er war einer der
ersten Philosophen, die den Verstand als Erkenntnisquelle
hervorhoben, obwohl sein Menschenbild in einem Zeitalter entstand, in
dem es noch an empirischen Möglichkeiten mangelte viele seiner
Theorien mit tatsächlichen Forschungsergebnissen zu beweisen. Seine
Auffassungen sind geprägt von den Vorstellungen seiner Zeit, wurden
aber später in der Westlichen Welt als revolutionäre Neuerungen der
Aufklärung gefeiert. Auch seine Schriften zu ethischen Themen schuf
ganz neue Perspektiven in der Philosophie, als prominentestes
Beispiel, die des kategorischen Imperativs, die in verschriener Weise
als Begründungen oder Grundlegung ethischen Handels dienen.
In seinem Werk
Kritik
der reinen Vernunft,
das 1771
erschien, kann man Kritik als Reflexion des Erkenntnisvermögens,
weshalb sein Werk eindeutig den Disziplin der Philosophie und in
weiterer Folge der Erkenntnistheorie zuordnen kann. Kritik ist in
diesem Sinne zu verstehen, als dass sie eine Antwort auf die
Auseinandersetzung zwischen Empirismus und Rationalismus geben sollte
und durch analytisch-formale Beweisführung bzw. durch philosophische
Argumentation versucht Erkenntnis logisch dazulegen
Was
ist die zentrale Fragestellung
und Zielsetzung des Textes?
Welche
Thesen
werden formuliert?
1.) Theorie des
nichtempirischen Erkenntnisvermögens im Hinblick auf nichtempirische
Gegenstände
2.) Theorie des der
Erfahrungserkenntnis und sich selbst in einer Läuterung die eigenen
Grenzen aufzuzeigenden nichtempirischen Erkenntnisvermögens,
3.) Theorie der ihr
Vermögen und Unvermögen ineinander umschlagen lassenden reinen
Vernunft.“
Zusätzlich würde
ich dem Text ebenfalls eine analytisch-formale Beweisführung
zuschreiben, sowie eine philosophische Argumentation, in der er
bemüht ist die Grundpfeiler der Erkenntnis darzulegen. Der Text ist
zwar auf den ersten Blick stringent unterteilt, nach Paragraphen
gegliedert und Kant teilt auch die Raum-Zeit-Analyse in eine
Metaphysische Erörterung und anschließend in eine Transzendentale
Erörterung. Jedoch ist aber auf den zweiten Blick kein klarer Aufbau
bzw. Struktur zu erkennen. Es erscheint eher als ein Gewirr aus
bruchstückhaften Argumentationssträngen, was auch an der
uneinheitlichen Wortwahl liegen kann.
Die Rezeptivität
der Sinnlichkeit (passiv) sowie die Spontaneität des Verstandes
(aktiv), stehen in wechselseitiger Beziehung zueinander, was Kant im
vielzitierten Satz der KrV deutlich betont: „Gedanken ohne Inhalt
sind leer, Anschauungen ohne Begriffe sind blind.“
Rekonstruktion
der Argumentationsstruktur
Metaphysische
Erörterung des Raumbegriffs: Definition des Raums bei Kant
Behauptungen:
Behauptung 1:
„Der Raum ist kein empirischer Begriff der von äußeren
Erfahrungen abgezogen worden.“ (B 38/39).
Behauptung 2:
„Der Raum ist eine notwendige Vorstellung, a priori, die allen
äußeren Anschauungen zum Grunde liegt.“ (B 38/39)
Behauptung 3 :
„Der Raum ist kein diskursiver, oder wie man sagt, allgemeiner
Begriff von Verhältnissen der Dinge überhaupt, sondern eine reine
Anschauung.“ (B40)
Behauptung 4:
„Der Raum wird als eine unendliche gegebene Größe vorgestellt.“
(B 40)
Raum stellt keine
Eigenschaft der Dinge an sich dar, da sowohl absolute wie auch
relative Bestimmungen nicht vor dem Dasein der Dinge, sozusagen a
priori gesehen werden können. Kant versteht den Raum als subjektive
Bedingung der Sinnlichkeit, die erst die Anschauung möglich macht.
(Vgl. Transzendentale Erörterung des Raumbegriffs KrV B75/A51)
Welches
sind die zentralen Begriffe
definiert?
Welche Begriffe
werden mehr oder weniger vorausgesetzt?
Metaphysische
Erörterung des Zeitbegriffs: Definition bei Zeit
1. Behauptungen:
„Die Zeit ist kein empirischer Begriff, der irgend von einer
Erfahrung abgezogen worden.“ (B 46/47)
2.Behauptung/Definition:
„Die Zeit ist eine notwendige Vorstellung, die allen Anschauungen
zum Grunde liegt.“ (B 46/47)
3.
Behauptung/Definition: „Sie hat nur Eine Dimension: verschiedene
Zeiten sind nicht zugleich, sondern nach einander (so wie
verschiedene Räume nicht nach einander, sonder zugleich sind).“ (B
46/47-48)
4.
Behauptung/Definition: „Zeit ist kein diskursiver, oder, wie man
ihn nennt, allgemeiner Begriff, sondern eine reine Form der
sinnlichen Anschauung. Verschiedene Zeiten sind nur Teile eben
derselben Zeit.“ (B 48)
5.
Behauptung/Definition t: „Die Unendlichkeit der Zeit bedeutet
nichts weiter, als dass alle bestimmte Größe der Zeit nur durch
Einschränkungen von einer einigen zum Grunde liegenden Zeit möglich
sei. Daher muss die ursprüngliche Vorstellung Zeit als
uneingeschränkt gegeben sein.“ (B 48)
Transzendentale
Erörterung des Zeitbegriffs
Zeit kann nicht für
sich allein stehen, da sie erst in Relation zu Objekten an Bedeutung
gewinnt. Sie stellt eine Form der inneren Anschauung dar und keine
Bestimmung äußerer Erscheinungen. Im Gegensatz zum Raum, da er nur
die reine Form aller äußeren Erscheinungen darstellt, ist die Zeit
als formale Bedingung sowohl der äußeren, als auch der inneren
Erscheinungen.
Analyse
Im ersten Argument
bezieht sich Kant auf die Unabhängigkeit von Raum und Zeit gegenüber
der empirischen Erfahrung. Anschließend erklärt er im zweiten
Argument Raum und Zeit als erläuternde Ergänzung, nicht aber, dass
sie als „abhängende Bestimmung“ gesehen werden können. Als
Beweis, dass Raum und Zeit a priori verstanden werden und mit der
Unmöglichkeit ihres Nichtseins vorgestellt werden müssen. Beide
Anschauungen können sie nicht weggedacht bzw. als nicht existent
gedacht werden, im Gegensatz zu den Erscheinungen. Im Unterschied zum
Raum betont er, dass die Zeit nur eine Dimension hat, wobei es sich
eigentlich um ein transzendentales Argument handelt, obwohl Kant es
bei der metaphysischen Erörterung anführt, wie er selbst erwähnt.
Im vorletzten Argument geht es Kant nicht mehr um den Ursprung,
sondern um die Art der Vorstellung. Um nachzuweisen, dass die
Vorstellungen von Raum und Zeit Anschauungen und keine Begriffe sind,
führt er die offensichtliche Einzelheit der Raum- und
Zeitvorstellung, als wichtigsten Beweisgrund an:
Der Vorstellung
eines einzelnen Dinges entspricht die Anschauung, der Vorstellung
einer Gattung hingegen der Begriff.
o Pramisse 1: Kein
Begriff hat eine unendliche Menge von Vorstellungen in sich.
o Prämisse 2: Der
Raum hat eine unendliche Menge von Vorstellungen in sich.
o Konklusion: ->
Ergo/Also ist der Raum kein Begriff.
Auch im letzten
Argument befasst sich Kant mit der Art der Vorstellung und weist auf
die Unendlichkeit von Raum und Zeit hin, die den a priori-Charakter
beider Anschauungen unterstreichen soll.
Kritik
Die „Kritik der
reinen Vernunft“ stellt bis heute ein bisher eher erfolglos
angefochtenes Meisterwerk der Philosophie dar. Als größtes Manko
könnte man Kant eine gewisse Ungenauigkeit bei der Ausführung
seiner Argumente bzw. eine unvollständige Beweisführung ebendieser
unterstellen:
Beispielsweise, auch
wenn er davon überzeugt war, dass es ausschließlich ein einziges
Raum-Zeit-System gibt, wonach alle räumlichen und zeitlichen
Faktoren in Relation miteinander stehen, liefert er hierzu keine
weiteren Begründungen, die verschiedene Raum-Zeit-Systeme
ausschließen würden.
In seiner
Argumentation möchte Kant den Beweis liefern, dass Raum und Zeit
nicht durch die Sinne, folglich also nicht durch die Erfahrung
gewonnen werden. Auf ungenaue Weise folgert er daraus jedoch, dass
die Vorstellungen von Raum und Zeit vor allen erfahrbaren Dingen
steht, was er aber nicht weiter belegen kann. Richtigerweise wäre
daraus nur zu schließen, dass wenn Dinge wahrgenommen werden,
sogleich Raum und Zeit wahrgenommen werden.
Nach Strawson könnte
man Raum und Zeit auch als essentielle Ordnungsprinzipien ansehen
ohne die Anschauungen nicht möglich sind.8 Auch wenn Kants Raum- und
Zeit-Auffassung in sich geschlossen logisch ist, steht sie im klaren
Widerspruch zur Relativitätstheorie, da diese sehr wohl besagt, dass
Raum und Zeit Eigenschaften der Dinge an sich sind.
Verwendete
Literatur:
Bilek,
Thomas: Raum und Zeit bei Kant, Fichte, Schelling und Hegel;
Deduktion und Gegebensein von Raum und Zeit gemäß dem Verhältnis
von Logik und Anschauung; Dissertation; Wien; 2003;
Strawson,
Peter F.: Die Grenzen des Sinns. Ein Kommentar zur Kants Kritik der
reinen Vernunft, Konigstein/Taunus 1981
Vaihinger,
Hans: Kommentar zur Kritik der reinen Vernunft, Union Deutsche
Verlagsgesellschaft; Stuttgart 1892
ANHANG:
Kurzinformation zum
Leben Immanuel
Kants:
Quelle:
Immanuel
Kant wurde am 22. April 1724 in Königsberg als viertes Kind einer
traditionsreichen Handwerkerfamilie geboren. Von seinen acht
Geschwistern erreichten nur drei weitere das Erwachsenenalter. Seine
Mutter legte großen Wert auf Bildung und erzog ihre Kinder im streng
pietistischen Glauben. Dank guter Förderung kam er 1732 an das
Friedrichskollegium, und begann bereits als Sechzehnjähriger das
Studium an der Albertina, der Königsberger Universität. Kant
interessierte sich sehr für die Naturwissenschaften und studierte
unter anderem Philosophie, klassische Naturwissenschaften, Physik und
Mathematik. Martin Knutzen, sein Professor für Logik und Metaphysik,
lehrte die Theorien von Leibniz und Newton, die Kant maßgeblich
beeinflussten.
Die
Arbeit als Hauslehrer
Kants
erste Veröffentlichung beschäftigte sich mit den Gedanken
von der wahren Schätzung der lebendigen Kräfte und
wurde im Jahr 1746 publiziert. Professor Knutzen erkannte diese
jedoch nicht als Abschlussarbeit an. Nach dem Tod seines Vaters im
selben Jahr unterbrach Kant sein Studium und verdiente sich seinen
Lebensunterhalt als Hauslehrer. Die ersten vier Jahre arbeitete er in
bei dem reformierten Prediger Daniel Ernst Andersch in einer
Schweizer Kolonie größtenteils französisch sprechender Siedler.
Danach wirkte er bis etwa 1753 als Hauslehrer auf dem Gut des Majors
Bernhard Friedrich von Hülsen bei Mohrungen. Seine letzte Stelle
fand er nahe Königsberg bei der Familie Keyserlingk auf dem Schloss
Waldburg-Capustigall. Hier erhielt er Zugang in die höheren Kreise
der Königsberger Gesellschaft.
Die
wissenschaftliche Laufbahn Kants
1754
nahm Kant sein Studium in Königsberg wieder auf. Bereits ein Jahr
danach veröffentlichte er mit Allgemeine
Naturgeschichte und Theorie des Himmels seine
erste wichtige Schrift. Noch 1755 habilitierte er mit dem Thema Die
ersten Grundsätze der metaphysischen Erkenntnis (Nova
dilucidatio) und
wurde Privatdozent in den Fächern Logik, Metaphysik, Anthropologie,
Moralphilosophie, Natürliche Theologie, Mathematik, Physik,
Mechanik, Geographie, Pädagogik und Naturrecht.
Seine
Vorlesungen waren sehr gut besucht, so schrieb beispielsweise einer
seine Studenten, der Literat und Theoretiker Johann Gottfried Herder:
Mit
dankbarer Freude erinnere ich mich aus meinen Jugendjahren der
Bekanntschaft und des Unterrichts eines Philosophen, der mir ein
wahrer Lehrer der Humanität war […] Seine Philosophie weckte das
eigne Denken auf, und ich kann mir beinahe nichts Erleseneres und
Wirksameres hierzu vorstellen, als sein Vortrag war.
Trotz
Kants umfangreicher Lehrtätigkeit wurde seine erste Bewerbung auf
einen Lehrstuhl 1759 abgelehnt. Von 1766 bis 1772 nahm Kant seine
erste feste Anstellung als Unterbibliothekar der königlichen
Schlossbibliothek an. Neben dem Lehrstuhl für Dichtkunst in
Königsberg schlug er auch Angebote einer Lehrtätigkeit in Erlangen
und Jena aus. Erst 1770 erhielt er die Stelle des Professors für
Logik und Metaphysik in seiner Heimatstadt und dissertiere ein
weiteres Mal mit der Studie Formen
und Gründe der Sinnes- und Verstandeswelt.
Selbst die Bitte des damaligen Kulturministers von Zedlitz, an der
berühmten Universität von Halle zu lehren, konnte ihn nicht von
Königsberg, dem heutigen Kaliningrad trennen. Dort wurde er 1786/88
Rektor der Universität. 1787 wurde er in die Berliner Akademie der
Wissenschaften aufgenommen.
In
den letzten 15 Jahren seines Lebens geriet Kant ständig in Konflikt
mit der preußischen Zensurbehörde, jetzt unter der Leitung des
neuen Kulturministers Wöllner. Kant lehrte weiter bis 1796, war aber
angehalten, sich religiöser Schriften zu enthalten, da seine Lehren
nicht mit der Bibel vereinbar seien.
Das
bis heute überlieferte Bild des Philosophen als steifer,
professoraler Mensch, der Wert auf einen streng geregelten
Tagesablauf legte, ist stark überzeichnet. So war er zwar
pflichtbewusst und konzentrierte sich auf seine Arbeit, galt aber als
guter Karten- und Billardspieler und war sehr gesellig. Er putzte
sich gern mit modischen Kleidern heraus, genoss große Gesellschaften
und trug mit seiner Belesenheit und seinem trockenen Humor sehr zu
deren Unterhaltung bei. Erst als Kant ins Alter kam und es mit seiner
Gesundheit nicht mehr zum Besten stand, begann er einen regelmäßigen
Tagesablauf zu pflegen. Morgens um 4:45 Uhr ließ er sich von seinem
Hausdiener, dem ehemaligen Soldaten Martin Lampe, mit den Worten „Es
ist Zeit!“ wecken und ging um 22 Uhr zu Bett. Zum Mittagessen lud
er meist Freunde ein und pflegte die Geselligkeit, vermied dabei aber
philosophische Themen. Außerdem machte er täglich zur gleichen Zeit
einen Spaziergang.
1794
wurde Kant der „Herabwürdigung mancher Haupt- und Grundlehren der
heiligen Schrift und des Christentums“ bezichtigt.
Am
12. Februar 1804 starb er. Beigesetzt wurde er in Königsberg, wo er
fast sein gesamtes Leben verbrachte hatte.