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Interpretation

Hilde Domin: Bitte: Interpretation

844 Wörter / ~2½ Seiten sternsternsternsternstern_0.75 Autorin Regina U. im Jan. 2017
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Literaturanalysen zur Epoche Exilliteratur: Die Abitur & Hausaufgabenhilfe: Interpretationen zu Bertolt Brecht, Rose Ausländer, Else Lasker-Schüler, ... Domin, Heinrich Heine (Textanalysen, Band 3)
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Interpretation
Deutsch

Universität, Schule

Universität Potsdam

Note, Lehrer, Jahr

Dr. P. Geist

Autor / Copyright
Regina U. ©
Metadaten
Format: pdf
Größe: 0.05 Mb
Ohne Kopierschutz
Bewertung
sternsternsternsternstern_0.75
ID# 62062







Hilde Domin „Bitte“

Gedichtinterpretation



Die Gliederung des vierstrophigen, reimlosen Gedichts „Bitte“ von Hilde Domin scheint recht übersichtlich: Nachdem dem Leser in der ersten Strophe die bedrängende Situation, in der sich das chorische Wir, nämlich die von der Judenverfolgung betroffene Gemeinschaft, nahe gelegt wird, und in der zweiten Strophe eine Möglichkeit, dieser Situation durch Wünsche zu entfliehen, negiert wird, taucht am Anfang der dritten Strophe wiederum das Wort „Bitte“ auf. Aus ihm heraus entwickelt sich schließlich der einzig „taugliche“ Weg, die beschriebene Situation zu bewältigen

Die erste, als einzige nur aus vier Zeilen bestehende Strophe bildet aufgrund dieser Kürze und ihrem Tatsachenbeschreibungscharakter sozusagen das Fundament, auf dem die nachfolgenden Strophen aufgebaut sind.

Die erste Zeile erinnert an eine jüdische Immersionstaufe, jedoch nicht im positiven Sinne, wie der passive und damit unfreiwillige Charakter und die zweite Zeile verdeutlichen. Denn wir werden „mit dem Wasser der Sintflut gewaschen“, und zumeist gilt die Sintflut in der Geschichte als eine durch den Zorn eines Gottes ausgelöste Säuberung, die ihren Ursprung im Fehlverhalten der Menschheit hat.

Der biographische, bzw. der geschichtliche Hintergrund ist unverkennbar: Hilde Domins Eltern zählten nicht zu den orthodoxen Juden: Sie feierten weder jüdische Feste noch jüdische Gebräuche, sondern hielten sich an das christliche Weihnachts- und Osterfest. Erst in den Emigrationsjahren wurde Hilde Domin das Schicksal des Judentums aufgezwungen, indem sie aufgrund der „Minimaldefinition“ Hitlers zur (offiziellen) Jüdin gemacht wurde und somit wie tausend andere an den schmerzhaften Erfahrungen der Heimatlosigkeit teilnehmen musste. Hitlers Ziel bestand darin, als eine Art Gott, die Welt zu säubern und systematisch von den Juden zu befreien. Das Schuldigsein der jüdischen Bevölkerung bestand in eben dieser Konfession. Dass dieses Schicksal nicht nur äußere, sondern auch seelische Schäden verursachte, wird in den Zeilen drei bis vier deutlich, in denen wir nicht nur bis auf die Haut, sondern bis auf die Herzhaut durchnässt werden. Das Herz bleibt jedoch als Innerstes unberührt, was zu zeigen scheint, dass Hitler dem jüdischen Menschen nicht sein Selbst nehmen konnte, so sehr die Situation auch die Seele zu belasten schien. Der Zustand des Durchnässtseins wird hier noch lautmalerisch durch die Häufung der Laute S und Z in „Wasser“, „durchnässt“ und „Herzhaut“ in den Zeilen zwei bis vier verstärkt.

In der zweiten Strophe beschreibt das chorische Wir die Möglichkeit der grausamen Situation durch Wünsche zu entfliehen, negiert diese aber dann. Hierbei geht es zum einen um den „Wunsch nach der Landschaft diesseits der Tränengrenze“ (vgl. Z. 5-6), womit die Heimat gemeint ist, und zum anderen um den Wunsch, den Blütenfrühling halten zu wollen (vgl. Z. 10) und verschont zu bleiben (vgl. Z. 11). Ein ewiger Blütenfrühling jedoch hätte zur Folge, dass die Zeit still stehen würde, der Mensch würde nicht mehr altern und könnte somit auch keine weitere Reifung erfahren. Keine Weiterentwicklung würde ebenso durch das Verschontbleiben folgen, denn erst durch die Auseinandersetzung mit Problemen und das Beschäftigen mit Konflikten, kann der Mensch durch dessen Überwindung an Stärke gewinnen und sich weiter entwickeln.

Die Aussage der zweiten Strophe wird durch das zweimalige „taugt nicht“ (vgl. Z. 9 u. Z. 12) verstärkt. Auch die Tatsache, dass vor dem zweiten „taugt nicht“ zwei Wünsche stehen, noch dazu in zwei völlig parallel gebauten Sätzen, erzeugt eine Spannung und macht schließlich die Nutzlosigkeit der beschriebenen Wünsche deutlich.

In der dritten Strophe folgt nun endlich die Beschreibung dessen, was taugt, nämlich die Bitte, „dass bei Sonnenaufgang die Taube den Zweig vom Ölbaum bringe. Dass die Frucht so bunt wie die Blüte sei, dass noch die Blätter der Rose am Boden eine leuchtende Krone bilden.“ (vgl. Z. 15-19). Wir sollen bitten, dass wir wie Noah auf seiner Arche durch die Taube als Hoffnungsträger erfahren, dass es wieder Land gibt, das nicht mehr von dem Wasser der Sintflut bedeckt ist. Wir sollen bitten, dass die Frucht so bunt wie die Blüte sei, die wir zusammen mit dem Blütenfrühling aufgeben mussten, und dass noch die am Boden liegenden Blätter der Rose, als Sinnbild für eine der schönsten Blüten überhaupt, eine leuchtende Krone, also ein Zeichen des Sieges bilden.

In der vierten Strophe wird der Inhalt der Bitte fortgeführt. Das Bild der Flut wird um die Bilder der Löwengrube und des feurigen Ofens erweitert. Hierbei handelt es sich beide Male um Motive aus dem Alten Testament.

In die Löwengrube wurde Daniel wegen seines Glaubens geworfen, und wer das Gesetz übertrat, sollte ein Opfer des feurigen Ofens werden. Eine Rettung vor der Sintflut, der Löwengrube oder des feurigen Ofens konnte nur  durch Gott erfolgen, der die wahre Gerechtigkeit kannte.

Demzufolge lässt sich sagen, dass sich die Bitte an Gott, nicht unbedingt im streng gläubigen Sinne, richtet. Nur im Glauben, der Hoffnung schenken soll, kann die Stärke gefunden werden, „immer unversehrter und immer heiler stets von neuem zu uns selbst entlassen zu werden“ (vgl. Z. 23-26). Das bedeutet, je stärker wir durch das Bewältigen von Konfliktsituationen werden, desto leichter fällt es uns auch, unser Innerstes, unser Herz, zu bewahren. Hier tritt wieder das Motiv des Nichtverschontbleibens aus der zweiten Strophe auf. Nur im Kampf mit den Problemen des Alltags und ihrer Überwindung, reift der Mensch und gewinnt eine neue Qualität, mit der er stets aufs Neue zu sich selbst entlassen werden wird.




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