Die Handlung des Detektivromans
Inhaltliche Elemente der Handlung
► tragende Elemente sind
- das rätselhafte Verbrechen (der Mord)
- die Fahndung nach dem Verbrecher, die Rekonstruktion des Tathergangs, die Klärung der Motive für die Tat
- die Lösung des Falles und die Überführung des Täters
► Frage nach dem Täter (who?), dem Tathergang (how?) und dem Motiv (why?) in
unterschiedlich starker Akzentuierung
1. Der Mord = Rätsel, auslösende Funktion, nicht das Verbrechen ist von Bedeutung, sondern Anlass für Tätigkeiten des Detektivs
► Mord soll intellektuelle Neugierde wecken, daher Ausführung kompliziert und unwahrscheinlich
► Mordwaffen von Dolch aus Eis bis vergiftete Zahnfüllungen zu Typhus tragenden Läusen
► Morde oft unwahrscheinlich bis zur Grenze physisch materieller Unmöglichkeit, aber oft
psychologisch und soziologisch undenkbar
► "[ .]Ereignisse dar[zu]stellen, die als wahr, nicht aber als wahrscheinlich gelten
sollen.[ .]nicht[auf] ein repräsentatives Abbild der Realität, sondern [auf] die Konstruktion
einer Kuriosität."
► Verbrechen oft Mord, da auf Mord die Todesstrafe stand, daher Motivation der
Handelnden
- Mörder setzt Leben aus Spiel, Anstrengung des präzis kalkulierten Plans und der Vertuschung der Tat
- Detektiv, der sich von fast gleichwertigem unbekannten Täter herausgefordert sieht; Anstrengung, seine intellektuelle Kompetenz unter Beweis zu stellen
-
2. Die Fahndung = Enträtselung des Tathergangs, des Motivs und die Feststellung des
Mörders
►inhaltliche Aspekte:
- Beobachtung
- Verhör
- Beratung
- Verfolgung
- Inszenierung der Überführungsszene
► durch Beobachtung und Verhör erstellt Detektiv Arbeitshypothese, Veränderung und
Anpassung durch neue Tatsachen bis zur Verifizierung
► Personen und Gegenstände werden beachtet, können Hinweis ("clue") sein, auch
Geräusche, Gerüche oder Gebärden
► "fair play" = Chancengleichheit bei Detektiv und Leser, Infos dürfen dem Leser nicht
vorenthalten werden
► das Verhör ergänzt Beobachtungen (Befragung von Zeugen und Verdächtigen)
► Antworten oft beeinflusst durch Fragestellung, oft passen Antworten nicht, Widersprüche,
Aussageverweigerungen, Doppeldeutigkeiten, Fragen werfen neue Fragen auf, weisen auf
"sekundäre Geheimnisse", die nichts mit dem Fall zu tun haben
► durch Verhöre können falsche Fährten gelegt werden ("red herrings"), so dass der Leser
z.B. eine harmlose Person für den Täter hält, auch z.B. durch falsche Alibis
► "Die richtige Methode ist, so die Wahrheit zu sagen, dass der intelligente Leser dazu
verleitet wird, sich selbst eine Lüge vorzusetzen."
► z.B. kann sich Leser der Meinung der Helfer anschließen, Vorurteilen unterliegen
► Detektiv begnügt sich oft mit Andeutungen, Helfer oft unterwürfige Fragen oder
unbeholfene Vermutungen
► Form der Beratung ist auch das Selbstgespräch
► manchmal, aber eher selten, aktionistisches Element der Verfolgung
► die Inszenierung der Überführungsszene
► Effekt einer Pointe, oft allein vom Detektiv arrangiert, der alle Informationen und
Wahrheiten allein kennt, meist alle Verdächtigen zusammengeführt
3. die Aufklärung des Mordes
► Überführungsszene mündet in Identifizierung des Täters
► zusammenfassende Rekonstruktion des Tathergangs aus der Sicht des Detektivs und
Rekapitulation seiner Ermittlungen
► weder Geständnis des Täters noch unangreifbare Beweise liegen vor, Detektiv provoziert
► Triumph des Detektivs zeigt Leser auf, worauf er selbst nicht gekommen ist
► 3 inhaltliche Elemente: Action, Analysis, Mystery
► Action: im Detektivroman stark zurückgedrängte eigentliche Handlungselemente,
narrative Partien (Darstellungen von Verbrechen, Verfolgungen)
► Analysis: intellektuelle Tätigkeiten des Detektivs und seiner Mitarbeiter (Beobachtungen,
Verhöre, Hypothesenbildungen), oft als Dialoge
► Mystery: planmäßige Verdunklung des Rätsels, die am Schluss enthüllt wird (Legen
falscher Fährten, Verschweigen der Gedanken des Detektivs)
► planmäßige Verdunklung und Erhellung des Rätsels ist eigentliches Konstruktionsprinzip
des Detektivromans
Die Handlungsstruktur
► analytischer Roman: die Begebenheiten werden in zeitlicher Umstellung erzählt,
► analytisches und chronologisches Erzählen möglich, daher zwei Arten von Spannung
- Zukunftsspannung, die auf Fortgang und Ausgang einer Ereigniskette gerichtet ist vorwiegendes Interesse vom Leser des Thrillers)
- Geheimnis- o. Rätselspannung, die sich auf bereits geschehene, aber dem Leser in ihren wichtigsten Umständen noch nicht bekannte Ereignisse bezieht
► analytisches Erzählen: im Mittelteil; man erfährt, was Betrachter erfährt und in
Reihenfolge, wie er es erfährt, immer Früheres wird immer später erzählt
► wichtiges Mittel analytischen Erzählens: Frage-Antwort-Spiel (bei Verhör oder Beratung)
► oft im Detektivroman keine Aussage, die nicht Antwort auf vorausgegangene Frage wäre
► Dialoge wichtiges Stilmittel, da so dem Leser Entscheidung überlassen wird, wem er was
► Leser darf im Detektivroman nicht mehr Informationen vom Erzähler erhalten als der
Detektiv;
► der Detektiv kann aber dem Leser von ihm gemachte Erkenntnisse verschweigen
(lückenhafte oder mehrdeutige Infos), dadurch erhöht sich Spannung beim Leser
► Spannungsanstieg durch verschiedene Deutungsmöglichkeiten von Indizien und
Aussagen, gezieltes Legen falscher Fährten mit Hilfe falscher Schlussfolgerungen von
Nebenfiguren etc.; dadurch Überraschungseffekt
► alle Teile des Detektivromans sind der Rätsel- und Geheimnisspannung unterworfen, alles
muss auf die Aufklärung gerichtet sein, keine neuen Handlungsstränge mehr
Die Figuren des Detektivromans
► kleine Gruppe von Ermittelnden mit Detektiv trifft auf größere Gruppe der Unbekannten,
► Gruppe der Nicht-Ermittelnden: geschlossener Kreis
- Figurenzahl begrenzt, überschaubar und konstant und dem Ermittelnden und Leser frühzeitig bekannt
- oft durch äußere Umstände isolierte Gruppe (Flugzeug, Schlafwagen, Insel) oder isoliert lebende Berufsgruppen (Professoren, Theaterensemble) oder Verwandte (Familientreffen)
- alle zur gleichen Zeit am gleichen Ort, kennen sich oft lange und gut, das regt den Leser zum Mitdenken und zum Lösen des Falls an
- "fair play" – der Mörder darf nicht kurz vor Schluss als Person neu eingeführt
werden
- Darstellung der Personen stark typisiert, seelische Gründe selten wichtig, Psychologie reduziert auf z.B. Eifersucht, Rachsucht, Gewinnstreben
-
► das Opfer
- normalerweise geringster personaler Stellenwert
- Requisit, das Mechanismus in Gang setzt
- Leser kann kaum emotionale Bindung aufbauen, da meist von Anfang an tot
- würde Tod affektive Teilnahme oder Sentimentalität erzeugen, ginge Unterhaltungscharakter verloren
- Opfer wichtig für Romanfiguren, da sie Anlass ihrer Schwierigkeiten sind
- der Tote oft mit schlechtem Charakter, damit es viele Verdächtige gibt
► der Mörder ist oft "the most unlikely person"
► Variationen: erst verdächtig, dann stark entlastet, dann doch überraschend Mörder
► es werden viele Verdächtige gebraucht, viele sekundäre Geheimnisse, doch sie sind nicht
als Charaktere wichtig, sondern nur Mittel zum Zweck
► im Detektivroman oft überschaubare, durch Konventionen beherrschte alltägliche Welt,
► Milieu daher oft intellektueller oder Geldadel (Professoren, Diplomaten, wohlhabende
Pensionäre, Offiziere, Geschäftsleute)
► die Gruppe der Ermittelnden: Detektiv und Mitarbeiter in Vertrauensverhältnis, Distanz
oder Konkurrenz
► Detektiv zentrale Figur ( Unterscheidungen nach analytisch und aktionistisch, Amateur
oder Polizist, überhöht oder realistisch etc.)
► oft gesehen als Verkörperung des Intellekts, das geht aber nicht weit genug
► Exzentrik und Isolation (Außenseitertum) sind Merkmale des Detektivs
► oft aus der Norm fallende Angewohnheiten (Verdunkelung der Zimmer,
Rauschgiftgenuss, künstlerische Neigungen) machen ihn außergewöhnlich, aus der Norm
fallend
► Einsamkeit oft durch Junggesellentum dargestellt, damit seine Ermittlungen nicht getrübt
► Identifikationspotential durch
- Hinwegsetzen über Normen
- persönliche Autonomie und Unabhängigkeit
- großer Scharfsinn, ausgeprägte Phantasie
- Unsterblichkeit
- sittliche Verpflichtung gegenüber einer Gesellschaftsordnung
- bekannte menschliche Schwächen und Angewohnheiten
► früher Detektive eher überhöht und übermenschlich, heute immer realistischer, näher am
Leser
► Arbeitsweise des Detektivs: methodisch; Deduktion und Kombination basieren auf
Beobachtungen, Messungen, Zeugenaussagen u. werden überprüft (Hervorhebung der
wissenschaftlichen Arbeitsweisen, die Welt scheint durchschaubar und zu bewältigen)
► der Gefährte des Detektivs
- durch ihn teilt sich der Held mit
- er entlockt dem Helden Meinungen, Äußerungen
- Medium, durch das dem Leser Beobachtungen oder Ergebnisse mitgeteilt werden können
- Gefährte übernimmt die lästige Kleinarbeit, Recherche
- kann Leser auf falsche Fährte locken
- Leser kann sich besser fühlen, wenn er richtige Schlüsse vor dem Gefährten gezogen hat
-
► die Polizisten
- sollen Leistungen des Detektivs herausstellen
- Menschen der Tat, eher aktionistisch als intellektuell
Räume und Gegenstände im Detektivroman
► Raum soll Mordfall verrätseln
► Raum meist abgeschlossen (Zugabteil, Insel), damit Mörder nur unter den begrenzten
Personen im begrenzten Raum zu suchen ist
► manchmal "geschlossener Raum", in den eigentlich keiner gekommen sein kann, zu dem
es aber doch Lösungen gibt
► geschlossenen Räumen und exotischen Mordwaffen stehen oft realitätsnahe Darstellungen
von Gegenständen gegenüber, damit der Leser sich in gewohntem Raum befindet, in dem
unvertraute Dinge geschehen
► erst wird beim Leser Gefühl der Sicherheit erzeugt (familiar homeliness), dann wird es wieder aufgehoben