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Dokumenttyp

Inhaltsangabe
Deutsch

Universität, Schule

Bad Friedrichshall

Note, Lehrer, Jahr

2008

Autor / Copyright
Simone M. ©
Metadaten
Format: pdf
Größe: 0.12 Mb
Ohne Kopierschutz
Bewertung
sternsternsternsternstern_0.25
ID# 2531







Kurzfassung: Die Inhalts­an­gabe ermög­licht ein tiefes Verständnis der Parabel "Der verlo­rene Enkel" von Günter Kun­ert. Sie beleuchtet die Gene­ra­tio­nen­kon­flikte und indi­vi­du­ellen Lebens­ent­würfe, die in der Erzäh­lung thema­ti­siert werden. Durch eine detail­lierte Betrach­tung der Charak­tere und Hand­lungen erhalten Leser Einblicke in die symbo­li­sche Bedeu­tung des Werkes sowie dessen Bezug zum bibli­schen Gleichnis "Der verlo­rene Sohn". Diese Zusam­men­fas­sung ist ideal für Studie­rende, Lehr­kräfte oder Lite­ra­tur­in­ter­es­sierte, die sich intensiv mit dem Text ausein­an­der­setzen möch­ten.
#Günter_Kunert#Parabelanalyse#Generationenkonflikt

Günter Kunert: Der verlorene Enkel

Ausführliche Interpretation

 

Inhaltsverzeichnis

1.)     Basissatz. 1

2.)     Inhaltsskizze. 1

3.)     Hauptteil 1

4.)     Haupteil: 3

5.)     Schluss 5

 

1.)         Basissatz

Die Parabel „Der verlorene Enkel“ von Günter Kunert handelt von den Folgen von unterschiedlichen Lebensauffassungen zwischen den Generationen.

2.)         Inhaltsskizze

Von einem bäuerlichen Eltern-  und Großelternpaar wird die Rückkehr des Sohnes, bzw. Enkels intensiv erwartet. Obwohl die alltäglichen Arbeiten routinemäßig verrichtet werden, ist die Aufmerksamkeit der Daheimgebliebenen allein darauf ausgerichtet, irgendwelche Anzeichen zu erspähen, die die reumütige Rückkunft des Ausreißers  ankündigen. Das jahrelange Warten hat weder das Spähen noch das Fantasieren, welche Strafmaßnahmen sie dem nie zurückkehrenden Sohn, bzw. Enkel  angedeihen lassen werden, merklich abgeschwächt.

3.)         Hauptteil

Der Titel der Parabel - in Anlehnung an das biblische Gleichnis „Der verlorene Sohn“ - lässt darauf schließen, dass es sich um eine Variante des Heimkehrermotivs handelt.

Das ist in der Tat der Fall, wobei ausschließlich von dem Standpunkt der Daheimgebliebenen aus berichtet wird. Diese werden nicht als einzelne Individuen charakterisiert, sondern mit dem Personalpronomen „sie“ (Z. 19) anonym gehalten und als eine Gruppe zusammengefasst, was durch die Synekdoche „acht Augen“ (Z. 2)  noch unterstrichen wird. Eine Differenzierung findet lediglich auf der Ebene der Rollenzuweisung innerhalb der  Familie statt, wo dann von „Enkel“ (vgl. Titel), „Vater, Mutter, Sohn und Schwiegertochter“ (Z. 1f), wie von „Großvater(…) (und) Großmutter „ (Z. 14)“ die Rede ist.

Der Text gliedert sich auffallend in zwei Abschnitte. Der erste Abschnitt charakterisiert die Erwartung und zwar in doppelter Hinsicht. Zum einen wird die Art des Wartens besonders ausführlich dargestellt, zum andern wird die fantasierte Szene theatralisch heraufbeschworen,  in welchem Zustand der junge Mann heimkehren wird.

Überraschend an dem Warten ist, dass die Angehörigen dies mit einer übertriebenen, fast bedrohlichen Intensität tun, indem sie angestrengt spähen, was durch die bereits erwähnte Synekdoche,  die vier Personen bestehen nur aus „acht Augen“ (Z. 2), oder die Charakterisierung des Sohnes als „menschliches Periskop“(Z. 10) zum Ausdruck kommt. Auch der Gehörsinn ist geschärft, lauscht  (vgl. Z. 6)doch der Vater dem leisesten „Trittgeräusch“ (Z. 7) hinterher, wie wenn er einen Eindringling oder Einbrecher ertappen wolle. Dabei geht es um den „Moment“ der Genugtuung, wenn, wie sie es fantasieren, der Sohn, bzw. Enkel reumütig heimkehrt, weil er erkannt hat, dass nur der heimatliche Hof und die Familie das einzig lebenswerte Umfeld für ihn sind.  Übertrieben und ironisch wirkt die wie eine kitschige Filmszene entworfene Rückkehr des Sohnes, bzw. Enkels, der   als ein Gestrandeter mit letzter Kraft in den heimischen Hof stolpert, „wankt“ (Z. 13) und unter „Tränen des Glücks“ (Z. 13) die „Heimaterde“ (Z. 14)küsst.

Auch im zweiten Abschnitt der Parabel werden die Fantasien der Angehörigen ausgeleuchtet, die sich diesmal auf ihre Reaktionen auf eine eventuell erfolgte Heimkehr beziehen. Überraschend dabei ist, dass sie nicht freudig, sondern missgünstig und sanktionierend reagieren, denn man muss „ein Exempel(…) statuieren“(Z. 17f). Die Strafen sind zunächst übertrieben hoch, werden dann aber langsam gemildert, um dann doch wieder erhöht zu werden. Durch die dreifache Wortwiederholung im ersten Satz des zweiten Abschnitts („Worte um Worte“), „Abend um Abend“ , „bunter und bunter“ (Vgl. Z. 16f))), der nach dem Doppelpunkt in dem „seit Jahren“ (Z. 17)gipfelt, wird deutlich, dass sich die Gedanken der Angehörigen gebetsmühlenartig um nichts anderes drehen, als darum, wie sie ihren Groll an dem Heimkehrenden auslassen können. Das Vergehen des Sohnes, bzw. Enkels besteht darin, dass er „weglaufen wollte“(Z. 20), dass er seine Rolle im Rahmen der Großfamilie nicht einnehmen wollte (vgl. Z. 21f) und sich mit den Verhältnissen „zwischen Schweinen und Ziegen“ (Z. 22) zu leben nicht arrangieren konnte. Das Unverständnis der Angehörigen zeigt sich darin, dass sie seine Motive als Trotzreaktion abstempeln oder ihm „andere(..) niedrige(…) Bewegründe“ (Z. 23) unterstellen.

Die beiden Abschnitte sind sprachlich parallel aufgebaut, indem zunächst ein parataktischer Satz in einem Doppelpunkt mündet, dem eine Apposition angeschlossen ist. Danach folgen von Appositionen und Reihungen geprägte lange hypotaktische Sätze, die manchmal auch Ellipsen aufweisen.  Dieser Satzbau erinnert an hastig Gesprochenes oder Gedankenfetzen, womit der Leser durch den personalen Erzählstil in die Gedankenwelt der Protagonisten hineingenommen wir, hier also in die Fantasien und Gedanken- und Gesprächsinhalte der Angehörigen (vgl. Z. 12 ff.; Z. 17-25).

Der erste Teil des ersten Abschnitts (Z. 1 – 11) und der erste Satz des zweiten Abschnitts sind im auktorialen Erzählstil gehalten, in dem der Überblick über die Jahre und deren Wiederholungscharakter deutlich wird, was übrigens noch durch das historische Präsens unterstrichen wird. Ebenfalls im auktorialen Erzählstil steht der Schlusskommentar, der bescheinigt, dass „kein verlorener Enkel“(Z. 26) je zurückkehren wird, was anhand der Kettenmetapher (vgl. 27f) veranschaulicht und begründet wird.

 


4.)         Hauptteil

Vergleicht man diese Parabel mit dem Gleichnis „Der verlorene Sohn“, so scheint sie sich modellhaft daran anzulehnen, jedoch betrachtet aus der Perspektive der Daheimgebliebenen. Wie im Gleichnis wird der In- die- Fremde – Gezogene erwartet und wie im Gleichnis wird er als heruntergekommen und abgehärmt fantasiert, der die heimatliche Erde schließlich als Glücksverheißung ansieht. Dieser Fährte folgt der Leser, wenn auch etwas befremdet durch die etwas bedrohliche Atmosphäre, die durch das allgegenwärtige Spähen heraufbeschworen wird. Doch spätestens im zweiten Abschnitt findet die Ernüchterung und die Abweichung statt. Anstelle von freundlicher und alles vergebender Gesinnung  begegnet man hier der missgünstigen Haltung der Familienmitglieder, die aus ihrem Groll heraus den Heimkehrer mit harten Strafen bedenken würden. Bezogen auf das Gleichnis wäre dies die menschliche Haltung des älteren Sohnes, der aus Eifersucht ebenfalls keine Gnade walten lassen würde. Hier in der modernen Parabel wird also die göttliche Ebene  - eine liebende, vergebende, menschliche Gefühlsregungen übersteigende  Instanz - gar nicht erst in Betracht gezogen.

Es ist naheliegend, die Sachebene der Parabel als Generationenkonflikt zu deuten, da ja bereits der Titel durch die Nennung des Begriffs „Enkel“ mindestens drei Generationen evoziert. Dass „verloren“  - gerade in Hinblick auf die Haltung der Familie – auch im Sinne von „schwarzem Schaf“ gedeutet werden kann, verweist auf das Konflikthafte  zwischen den Generationen. Doch woher könnte das Motiv für den Groll, den die Familienmitglieder dem Enkel/ dem Sohn gegenüber hegen, sein?

Zunächst scheint es die Tatsache zu sein, dass er ohne ersichtlichen und nachvollziehbaren Grund, einfach „aus purem Trotz und anderen niedrigen Beweggründen“ (Z. 22f), den Hof verlassen hat. Während für die Angehörigen das Leben auf dem Hof, die Gleichförmigkeit der Arbeit und die Weitergabe der Traditionen von Generation zu Generation Sicherheit und Selbstbestätigung bedeutet – um die Metapher aufzugreifen, wäre das für sie „das melodiöse Klirren“ (Z. 27)der Ketten - , können sie nicht im geringsten nachvollziehen, dass jemand andere Ambitionen und Lebensentwürfe haben könnte. Zwar spielt das Schauen und Ausschauhalten bei ihnen eine große Rolle, doch ist es kein offenes, sondern ein einengendes, einfangendes Schauen, das eifersüchtig die eigenen engen Grenzen bewacht.  Wenn er wieder unter ihre Augen käme und sie „seiner habhaft geworden“ (Z. 26) wären, dann wäre der Status quo wieder hergestellt, denn „darauf richtet sich alles Interesse und alles Mühen“(Z. 25). Sie haben kein Interesse an Neuem oder Andersartigem. Und genau darin liegt der Affront, dass der Sohn, bzw. Enkel sie und ihre Lebensweise in Frage stellt, indem er beschlossen hat zu gehen und ein Leben außerhalb dieser engen Grenzen  zu führen. Er hat „das Gewicht der Ketten“ (Z. 27), das durch die Erwartungen und Einschränkungen seitens der Familie an ihm hing, von sich geworfen und ist nun frei.

Die Familienmitglieder wollen und können ihn jedoch nicht gedanklich  aus dem Familiensystem entlassen, denn sie haben ihn fest in ihrer Generationenfolge eingeplant. Fehlt er, so entsteht Unordnung und Unsicherheit in Bezug auf ihre eigene Rolle, was ein weiterer Grund für ihren Groll ist. Aus ihrer Perspektive scheinen ihnen ihre bereits angetretenen Rollen und Entwicklungsmöglichkeiten genommen: Der Großvater wird wieder zum Vater, der Vater wieder zum Sohn. Sie erleben es als Rückschritt. Und gerade dadurch, dass sich gedanklich alles um den „verlorenen“ Sohn oder Enkel dreht, vernachlässigen sie ihre eigentlichen Aufgaben und lassen beispielsweise den Hof immer mehr verfallen (vgl. Z. 26), weil sie nur dem „Anschein“ (Z. 5) nach arbeiten, statt ihre ganze Aufmerksamkeit dem Erhalt des Hofes zu widmen. Auch definieren sie sich nur über ihre Rollen innerhalb der Familie, statt sich in irgendeiner Weise um Individualität zu bemühen.

Es ist mehr als verständlich, dass der Sohn, bzw. Enkel dieses „Gewicht“ an Rollenerwartungen, verbunden mit der Unmöglichkeit sich zu einem eigenständigen Individuum zu entwickeln, abstreift und dass er im „Klirren“ der Ketten – unter diesen Bedingungen – nichts „Melodiöses“  entdecken kann.

Psychologisch und auch gesellschaftlich gesehen ist eine Ablösung von der älteren Generation dringend notwendig. Kunert entwirft jedoch ein sehr pessimistisches Bild von der Haltung der  Daheimgebliebenen, die borniert und unflexibel jegliche Neuerung verweigern. Gewiss ist dies eine Überzeichnung, die jedoch biographisch zu deuten ist.  Kunert war DDR-Bürger und spiegelt hier in „Der verlorenen Enkel“ die Haltung der in der ehemaligen DDR Daheimgebliebenen wider, die denen, die in den Westen geflohen sind, nur mit Unverständnis und Groll begegnen können.

 


5.)         Schluss

Zieht man Kafkas Parabel „Die Heimkehr“ zum Vergleich heran, so fällt auf, dass es sich bei Kunert um eine von den Angehörigen erwünschte Heimkehr, bei Kafka um eine tatsächliche Heimkehr handelt.

Die geschilderte Atmosphäre zwischen den Angehörigen und dem Heimkehrer wirken ähnlich angespannt und bedrückend. Während die Angehörigen in Kunerts Parabel feindselig und sanktionierend reagieren würden, sind es in Kafkas Parabel eher die Gegenstände, die auf ein ablehnendes, bedrohliches Klima hinweisen. In beiden Parabeln findet keine Begegnung statt, weil die „Heimkehrer“ eine unüberbrückbare Distanz zu den anderen Familienmitgliedern fühlen, die daher rührt, dass sie in Bezug auf ihre etwas andere Lebensführung nur auf Unverständnis stoßen. Deshalb suchen sie auch von sich aus keine Annäherung: der Enkel wird nie zurückkehren und der Sohn wird nicht die Türe öffnen. Sie können ihre Sensibilität und Andersartigkeit nur durch diese Art von Abgrenzung behaupten.

Während bei Kafka s Parabel mehr die Verlorenheit des Individuums im Vordergrund steht, wirft Kunert die Frage auf, welche Rolle das Individuum innerhalb eines Systems spielt und inwiefern das ausscherende Individuum den das System und den Generationenvertrag ins Wanken bringt.


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