1 Offener Unterricht – Was ist das?
Was unter offenem Unterricht oder offenem Lernen verstanden
wird, liegt häufig schlichtweg im Auge des Betrachters. Es ist erstaunlich, wie
viele verschiedene Definitionen in verschiedenster Literatur zu finden ist.
Bemerkenswert dabei ist die Bandbreite, bei der von offenem Unterricht
gesprochen wird. Sie reicht beispielsweise von ‚der Berücksichtigung der
Lebenswelt der Schüler’ bis ‚Schüler können individuelle Interessen verfolgen’.
Aber ist es nicht ohnehin die Aufgabe eines Grundschulpädagogen, die Lebenswelt
eines jeden Schülers zu berücksichtigen? Muss dieser Ansatz extra erwähnt
werden? Interessanter hingegen ist, dass Schüler ihren Interessen individuell
folgen können. Doch inwieweit ist dies an so genannten „Offenen Schulen“ auch
tatsächlich der Fall? Wie offen sind die Schulen, die sich offen nennen?
Sucht man nach der Definition für offenen Unterricht,
sucht man leider vergebens. Wie bereits erwähnt wird man zwar schnell aber
nicht eindeutig fündig. Warum ist es so schwierig, für diesen Begriff eine
Definition zu finden beziehungsweise aufzustellen?
Der Begriff „offener Unterricht“ stellt eher einen
Sammelbegriff für Alternativen zum traditionellen Unterricht dar und ist keine
Beschreibung einheitlicher Vorstellungen. So ist es nicht verwunderlich, dass
es sich eigentlich nur um verschieden auslegbare Vorstellungen von „offenem
Unterricht“ handelt.
Es tut sich die Frage auf, ob im Laufe der
Reformpädagogischen Bewegung nicht eine Definition gefunden wurde, hatten ihre
Anhänger doch alle das gleiche Ziel vor Augen. Dazu muss gesagt werden, dass
die Reformpädagogik keine Bewegung Gleichgesinnter war,
sondern auch hier hatten ihre Anhänger unterschiedlichste Vorstellungen. Auf
diesen verschiedenen Grundlagen entstanden unterschiedliche Regel- und
Alternativschulen, wie beispielsweise die Montessori-, Petersen- oder
Waldorfschulen.
Die Problematik, „offenen Unterricht“ zu definieren, oder
überhaupt über ihn zu sprechen beginnt bereits auf der sprachlichen Ebene. Die
im Alltagsbewusstsein vorhandene Vorstellung von Unterricht verträgt sich nicht
mit dem Adjektiv „offen“. Damit sich diese beiden Begriffe nicht gegenseitig
ausschließen, darf der Begriff des Unterrichts nicht mehr als belehren vom
Lehrer aufgefasst werden. Der Ursprung des Wortes „Schule“ bedeutet „Innehalten
in der Arbeit“. Von diesem Wortverständnis aus, geht es in der Schule ums
Arbeiten. Um selbständiges arbeiten. Um dieses zu gewährleisten, sollte es den
Schülerinnen und Schülern möglich sein, sich mit dem zu beschäftigen, was sie
interessiert, was ihnen Freude bereitet. Dann sind sie in der Lage, in der
Arbeit innezuhalten.
Trotz dieser ganzen Problematik zum Aufstellen einer
einheitlichen Definition lassen sich, wie bereits erwähnt zahlreiche
Definitionen finden.
Die „offenste“ Definition für „offenen Unterricht“ lässt
sich erstaunlicherweise bei der Internetplattform Wikipedia finden und lautet:
„Offener Unterricht ist eine Organisationsform des
Unterrichts oder ein Unterrichtsprinzip, welche/s es jedem Schüler gestattet
frei zu wählen, wo (räumlich) und wann (zeitlich) er in welcher Sozialform an
selbstgewählten Inhalten und methodisch individuellem Weg diese Inhalte
bearbeitet. Dabei gibt es eine möglichst hohe Mitbestimmung und
Mitverantwortung jedes Schülers für die Infrastruktur der Klasse, die
Regelfindung innerhalb der Klassengemeinschaft sowie der gemeinsamen Gestaltung
der Schulzeit.“
1.1 Dimensionen „offenen Unterrichts“
Um die Problematik der Definition zu dem Begriff „offenen
Unterrichts“ zumindest etwas in den Griff zu bekommen, ist es notwendig, diesen
Begriff auf Dimensionen aufzubauen um eine qualitative Beurteilung der Öffnung
von Unterricht zuzulassen.
Möglich ist die Beschränkung auf folgende Dimensionen:
Organisatorische Offenheit: Bestimmung der Rahmenbedingungen
Methodische Offenheit: Bestimmung des Lernweges
auf Seiten des
Schülers
Inhaltliche Offenheit: Bestimmung des Lernstoffes
innerhalb der
offenen Lehrplanvorgabe
Soziale Offenheit: Bestimmung von
Entscheidungen bezüglich
der Klassenführung bzw. des gesamten
Unterrichts, der Unterrichtsplanung.
Bestimmung
des sozialen Miteinanders bezüglich
der Rahmenbedingungen, dem Erstellen
von Regeln usw.
Persönliche Offenheit: Beziehung zwischen Lehrer /
Kindern und Kindern /
Kindern
2 Wege zur Öffnung
2.1 Stufen der Öffnung
Der offene Unterricht soll den Kindern die Gelegenheit
geben, selbstverantwortliches und selbständiges Lernen und Handeln zu üben.
Demnach wird dieser Unterricht nicht von der Lehrperson, sondern von den
Interessen, Wünschen und Fähigkeiten der Schülerinnen und Schüler bestimmt.
Damit orientiert sich die Schule am Zielbild des mündigen Bürgers und seiner
Verantwortung in der demokratischen Gesellschaft.
Mit Hilfe der unter Punkt 1.2 aufgeführten Dimensionen
offenen Unterrichts lässt sich nun eine schrittweise Öffnung von Unterricht
herleiten. Die Stufen der Öffnung sind auf einer Skala von 0 bis 5 vermerkt.
Dabei steht 0 für „nicht vorhanden“, 1 für „ansatzweise vorhanden“, 2 für „erste
Schritte“, 3 für „teils-teils“, 4 für „schwerpunktmäßig“ und 5 für
„weitestgehend“. Diese Skala lässt sich übertragen auf jede der genannten
Dimensionen. Als Beispiel wird nun die Skala in Bezug auf die methodische
Offenheit des Unterrichts angewandt:
Die Frage, die hier gestellt wird ist, inwieweit ein Schüler
bzw. eine Schülerin seinem eigenen Lernweg folgen kann.
Werden die Lösungswege / -techniken sowie das
Arbeitsmaterial von der Lehrperson vorgegeben, so entspricht dies der Stufe 0
auf der Skala. Werden einzelne Ideen der Kinder angehört, aber das Geschehen
und Vorgehen weiter von der Lehrperson bestimmt, entspricht dies der Stufe 1.
Stufe 2 wäre erreicht, wenn die Wege der Kinder aufgegriffen
werden, die Hinführung zum Normweg aber das Geschehen bestimmt. Werden in
Teilbereichen eigene Wege der Kinder stärker zugelassen, entspräche dies der
Stufe 3. In der 4. Stufe werden überwiegend eigene Zugangsweisen und Lernwege
der Kinder zugelassen. Die 5. Stufe ist dann erreicht, wenn der Unterricht auf
Eigenproduktion der Kinder basiert.
Die Öffnung in den übrigen Dimensionen sähe wie folgt aus:
Organisatorische Offenheit des Unterrichts
Fragestellung: Inwieweit können die Kinder
Rahmenbedingungen ihrer Arbeit
selbst bestimmen?
-
Stufe 5: der Unterricht basiert primär auf eigener
Arbeitsorganisation der Kinder.
-
Stufe 4: Offene Rahmenvorgaben
-
Stufe 3: In einzelnen Teilbereichen werden die
Rahmenvorgaben geöffnet.
-
Stufe 2: In einzelnen Teilbereichen werden die
Rahmenvorgaben punktuell geöffnet.
-
Stufe 1: Die Öffnung der Rahmenvorgaben sind kaum
wahrnehmbar.
-
Stufe 0: Die Lehrperson bestimmt das Arbeitstempo
sowie Arbeitsort und –abfolge.
Inhaltliche Offenheit des Unterrichts
Fragestellung: Inwieweit kann der Schüler über seine
Lerninhalte selbst bestimmen?
-
Stufe 5: Der Unterricht basiert auf selbstgesteuertem,
interessegeleitetem Arbeiten.
-
Stufe 4: Inhaltlich offene Vorgaben von Fachbereichen
oder Rahmenthemen.
-
Stufe 3: Stärkere Öffnung der inhaltlichen Vorgaben in
Teilbereichen.
-
Stufe 2: Inhalte zu vorgegebenen Aufgaben können frei
gewählt werden oder die Kinder können aus einem
Arrangement frei auswählen.
-
Stufe 1: Es werden inhaltliche Alternativen
zugelassen, die nur wenig voneinander abweichen.
-
Stufe 0: Die Lehrperson bestimmt die Arbeitsaufgaben
und Arbeitsinhalte.
Soziale Offenheit des Unterrichts
Fragestellung: Inwieweit kann der
Schüler in der Klasse mitbestimmen?
-
Stufe 5: Selbstregierung der Klassengemeinschaft.
-
Stufe 4: In wichtigen Bereichen können die Kinder eigenverantwortlich
mitbestimmen.
-
Stufe 3: In den von der Lehrperson festgelegten
Teilbereichen können die Kinder
eigenverantwortlich mitbestimmen.
-
Stufe 2: Die Kinder können leherergelenkt
mitbestimmen.
-
Stufe 1: Die Kinder werden nur peripher gefragt,
während die Lehrperson schon vorher weiß,
wie es laufen sollte.
-
Stufe 0: Verhaltensregeln werden von der Lehrperson
oder der Schule vorgegeben.
Persönliche Offenheit des Unterrichts
Fragestellung: Inwieweit besteht zwischen Lehrer und
Schüler bzw. zwischen Schüler und
Schüler ein positives Beziehungsklima?
-
Stufe 5: Die Beziehung beruht auf Gleichberechtigung.
-
Stufe 4: Die Beziehungsstruktur ist offen für die
Interessen des Einzelnen.
-
Stufe 3: Es herrscht ein offener Umgang bei bestimmten
Kindern.
-
Stufe 2: Schüler werden zeitweise angehört und
beachtet.
-
Stufe 1: Die Schüler werden angehört, aber die Lehrperson
bestimmt das Geschehen.
-
Stufe 0: Gruppenhierarchie begründet durch Alter oder
Rolle.
Auf diese weise lässt sich der Weg zur Öffnung des
Unterrichts für jede oben genannte Dimension aufführen und unter verschiedenen
Blickwinkeln beobachten.
Um den Unterricht offener zu gestalten geht es allerdings
nicht nur darum, den Unterricht als solches mit den oben genannten Möglichkeiten
zu öffnen. Es geht vielmehr auch darum, dass die Schule zu einem Ort wird, an
dem sich die Kinder und auch die Lehrpersonen wohl fühlen, einem Ort, mit dem
sie sich identifizieren können, an dem eine lernfreundliche Atmosphäre
herrscht. Ein Weg, um die Schulen als solches offener zu gestalten ist es, das
Schulgebäude wohnlicher und freundlicher herzurichten. An einigen Schulen
wurden beispielsweise die Eingangshallen zu gemütlichen Sitzecken umgestaltet,
in welchen sich Kinder, aber auch Erwachsene unterschiedlicher Kulturen
niederlassen.
2.2 Voraussetzungen an den Schulen
Damit sich Kinder in ihrer Schule wohl fühlen und hier auch
ihren Arbeiten nachgehen können, müssen sie den Raum Schule als den ihren
betrachten können. Der Klassenraum sollte daher kein statischer Raum sein,
sondern ein Raum, der veränderbar ist und den momentanen Bedürfnissen angepasst
werden kann.
Es sollten in jedem Klassenraum Regale und andere Möbel
vorhanden sein, in denen die Schülerinnen und Schüler ihre Materialien
aufbewahren können und in denen sie ihre Arbeitsmaterialien vorfinden. Da im
offenen Unterricht keine Ausrichtung zur Tafel nötig ist, ist für diese Form
des Unterrichts die dezentrale Sitzordnung am besten geeignet. Das bedeutet,
dass die Tische entlang der Wände (mit Blick Richtung Wand) angeordnet sind, an
denen die Kinder ungestört arbeiten Können. Diese Arbeitsplätze sind
ablenkungsarm und zur individuellen Arbeit geeignet. Im Klassenraum befindet
sich außerdem ein fester Sitzkreis und ein großer Gruppentisch, an dem gemeinsam
gearbeitet werden kann.
Der Vorteil einer solchen Sitzordnung ist der Raumgewinn.
Der gesamte Innenraum der Klasse bleibt praktisch frei und bietet viel Platz
für großflächiges Malen, Basteln, Experimentieren, Forschen und ähnliches.
Eine zusätzliche wichtige Voraussetzung für die Durchführung
eines offenen Unterrichts ist, dass die Kinder die Gelegenheit haben sollten,
das gesamte Schulgebäude bzw. das gesamte Schulgelände nutzen zu können, um
sich möglichst frei zu entfalten.
Zu einem effektiven Lernen gehört auch, dass die Kinder in
ihrem ganz eigenen individuellen Rhythmus lernen, dies bedeutet, dass die
Schule den herkömmlichen 45-Minuten-Takt abgeschafft haben sollte. Da manche
Kinder bereits einige Zeit vor dem eigentlichen Schulbeginn in der Schule
eintreffen, ist eine gute organisatorische Planung notwendig, die es dem
Klassenlehrer bzw. der Klassenlehrerin ermöglicht, möglichst den ganzen
Unterricht in der eigenen Klasse zu geben und Fachlehrerstunden entweder
vermieden oder in Randstunden gelegt werden, um die Kinder nicht bei ihren Arbeiten
zu unterbrechen.
2.3 Nachteile offenen Unterrichts
Offenen Unterricht zu gestalten kann sich als sehr schwierig
erweisen. Verschiedene Probleme können auftreten. Darunter beispielsweise das Dominanzproblem,
mit dem potenzielle Störanlässe bezeichnet werden, die aufgrund des
unterschiedlichen Lebensalters, unterschiedlicher Lebenserfahrungen, sowie
unterschiedlicher Sprachkompetenzen von Lehrperson und Schüler vorliegen. Die
räumlichen Voraussetzungen, wie oben beschrieben sind nicht an allen Schulen
gegeben. Hinzu kommt, dass sowohl Schulleitung als auch das Schulpersonal
hinter der Idee des offenen Unterrichts stehen müssen um diesen voll ausnutzen
zu können. Es ist für viele Lehrerinnen und Lehrer schwer, vom traditionellen,
frontalen Unterricht abzuweichen. Zudem verlangt der offene Unterricht eine
zeit- und kostenintensive Materialbeschaffung.
Abgesehen von diesen internen Schwierigkeiten darf nicht vergessen werden, dass
die Gesellschaft mit der Form des offenen Unterrichts noch gar nicht oder nur
sehr wenig konfrontiert wurde. Ein Verständnis für den Erfolg für dieses
Konzept gibt es kaum. Die Gesellschaft ist sehr stark auf das erreichen von
Leistungsstandards ausgerichtet, die das Kind - nach offizieller Meinung –
nicht durch selbständiges Arbeiten erreichen kann.
Viele weitere Argumente gegen die Form des offenen
Unterrichts lassen sich nennen. Darunter das Argument der Überforderung des
Kindes, die durch den zusätzlichen Entscheidungsstress auf das Kind zukommen
kann. Was ist mit schüchternen Kindern? Können sie sich in dem offenen System
durchsetzen oder gehen sie zwischen den anderen Kindern unter? Viele Kinder
benötigen Führung. Beispielsweise lernschwache Kinder. Sie sind auf die Hilfe
einer Lehrperson angewiesen. Ein weiteres Problem das sich ergibt ist, ob
Kinder aus sozial schwachen Familien mit der Menge und der Fülle an Büchern und
Materialien umgehen können. Wissen diese Kinder, wie mit einem Buch verfahren
wird, wie man mit einem Buch umgeht? All diese und viele weitere Fragen tun
sich in diesem Zusammenhang auf.
Hinzu kommt, dass, wie bereits erwähnt, dieses System für
die Lehrperson sehr zeit- und kostenintensiv ist und die Beurteilung der
Schüler sehr schwierig ist, da die Lehrperson die Kinder beobachten muss, um
sie beurteilen zu können.
3. Die Grundschule Harmonie in Eitorf – Ein
Beispiel
„Im Zentrum der pädagogischen Arbeit an der
Grundschule Harmonie stehen das Lernen zum
eigenverantwortlichen Lernen
die
Erziehung zum selbständig verantworteten Verhalten
Wir
schaffen Lernarrangements in kooperativen demokratischen Strukturen
Wir
orientieren uns an jedem einzelnen Menschen und seinen individuellen
Lernbedürfnissen“
Mit diesen Worten stellt sich die Grundschule Harmonie in Eitorf
auf ihrer Internetseite vor. Die Grundschule Harmonie ist eine offene Schule in
der die Kinder lernen, was sie wollen.
Das Schulgebäude steht offen. Die Kinder können von allen
Seiten in die Schule gelangen. Sie können den Haupteingang benutzen, sie können
aber auch durch den Garten / Schulhof direkt in ihre Klassenräume gehen.
Überall stehen Bücher und andere Arbeitsmaterialien zur Verfügung.
Jeder Morgen beginnt mit einem Sitzkreis, der von einem
Kreisleiter, welcher für zwei Tage von der Klasse gewählt wird, geleitet wird.
Im Kreis werden verschiedene Dinge geregelt, Beschlüsse gefasst, Probleme
diskutiert, etc. Auch die Lehrperson muss sich an die Regeln im Kreis halten
und ist den Schülerinnen und Schülern gleichgestellt. Der Kreisleiter hat jeden
Morgen die Aufgabe, die Kinder zu fragen, was sie sich für den anstehenden Tag
vorgenommen haben und woran sie arbeiten möchten. Wenn der Kreisleiter den
Kreis beendet, beginnen die Kinder mit ihren Arbeiten. Haben sie Fragen, wenden
sie sich an Mitschüler oder an eine Lehrperson. Kinder, die einfach nichts
machen möchten, machen auch nichts. An dieser Grundschule sind die Kinder frei
und können machen was sie möchten. Dennoch gibt es gewisse Systeme, die
gewährleisten, dass ein Kind, sollte es wirklich nicht von selber mit seiner
Arbeit beginnen, früher oder später arbeitet. Zu diesen Systemen zählt
insbesondere der so genannte „Führerschein“, den die Kinder für alle Fach- und
Teilbereiche erlangen können. Diesen „Führerschein“ erhalten sie, nachdem sie
sich beispielsweise ausführlich mit einem Thema auseinandergesetzt haben und
darüber eine Präsentation gehalten haben oder wenn sie eine gewisse Anzahl an
Aufgaben gerechnet haben, etc. Der Führerschein soll den Kindern einen Anreiz
zum Arbeiten bieten. Doch jedem Kind wird zunächst eine gewisse Zeit eingeräumt,
von selber mit seiner Arbeit zu beginnen. Am ende eines jeden Schultages
stellen die Kinder ihre Arbeiten im Kreis vor und besprechen diese mit den
anderen Kindern und der Lehrperson. Dies dient unter anderem der
Ergebnissicherung.
Ein Unterschied zu anderen Schulen ist der, dass viele
Kinder bereits vor offiziellem Schulbeginn in der Schule eintreffen und auch
nach offiziellem Schulende noch eine Zeit in der Schule verweilen.
4 Unterricht im internationalen Vergleich am
Beispiel der islamischen Republik Iran
Das Iranische Schulsystem ist aufgebaut aus acht Stufen. Die
höchste erreichbare Stufe ist dabei die Promotion, beginnend mit der Vorschule,
die ein Jahr dauert. Nach der Vorschule, die ein Kind im Alter von fünf Jahren
besucht, wird das Kind auf eine Grundschule geschickt. Mit zwölf Jahren
wechselt es dann in die Sekundarstufe I, die drei Jahre dauert. Nach diesen
drei Jahren muss sich der Schüler bzw. die Schülerin entscheiden, welchen Zweig
der Sekundarstufe es weiter verfolgen will. Es stehen vier Zweige zur Auswahl:
Zweig 1: Sekundarstufe I, Praktischer Zweig, Dauer 3 Jahre
Zweig 2: Sekundarstufe II, Theoretischer Zweig, Dauer 3
Jahre
Zweig 3: Sekundarstufe II, Technischer Zweig, Dauer 3 Jahre
Zweig 4: Fach- oder Berufsschule, Dauer 5 Jahre
Wird der zweite Zweig erfolgreich absolviert, kann der
Schüler bzw. die Schülerin ein Universitätsvorbereitungsjahr machen und im
Anschluss daran den Bachelor of Arts oder den Bachelor of Science erreichen.
Dies nimmt weitere vier Jahre in Anspruch. Daraufhin besteht die Möglichkeit
den entsprechenden Master innerhalb von zwei Jahren zu erlangen. Eine Promotion
im Anschluss ist möglich.
Wird der dritte Zweig erfolgreich absolviert, erhält der
Schüler bzw. die Schülerin nach weiteren zwei Jahren den „Open Associate Degree
in Techn. Vocational“. Darauf folgt ein so genannter Studienweg der auf
Arbeitserfahrung aufbaut. Im Anschluss an diese drei Jahre besteht die
Möglichkeit den Master of Arts oder den Master of Science zu erlangen und
anschließend zu promovieren.
Im Anschluss an den vierten Zweig folgen zwei Jahre
„Integrated Associate“. Daraufhin wiederum die Möglichkeit den Master zu machen
und zu promovieren. Die Promotion erfolgt also in allen drei Fällen im Alter
von 27 Jahren.
4.1 Die Grundschule
In der Islamischen Republik Iran gilt die allgemeine
Schulpflicht. Sie bezieht sich auf alle Kinder zwischen sechs und elf Jahren.
Der Staat ist zur Bereitstellung der Mittel und Einrichtungen, um die Schulerziehung
zu gewährleisten, verpflichtet. Der Staat verfolgt damit folgende Ziele:
-
Förderung der unterprivilegierten Regionen,
-
Zentralisierung der Gesetzgebung, bei gleichzeitiger Stärkung und
Delegation der Einzelverantwortlichkeiten,
-
Förderung der Mädchen,
-
Erhöhung des Etats für Bildung, sowie Förderung der
Lehrerausbildung,
-
Vergünstigungen für Lehrer.
Innerhalb des Landes herrscht ein sehr starkes
Bildungsgefälle. Die Förderung ländlicher und einkommensschwacher Regionen ist
daher ein besonderes Anliegen der Regierung. Erreicht werden soll dies durch
verstärkte Lehrerausbildung und Erhöhung der Attraktivität des Lehrerberufs
durch Sondervergünstigungen und Weiterbildungen.
Die Ziele der Grundschulausbildung lassen sich
folgendermaßen skizzieren:
-
Grundlage ist die Vermittlung moralischer und ethischer Werte im
Sinne der Prinzipien des Islam
-
Förderung von Umwelt- und Naturbewusstsein
-
Vermittlung der Grundlagen von Lesen, Schreiben und Rechnen
-
Förderung von Gruppenaktivitäten
-
Respektierung der Gesetze und Vorschriften des Staates und der
Familie
-
Förderung sportlicher Betätigung und grundlegende Bildung in
Hygiene.
Sowohl für lernschwache Kinder als auch für besonders
begabte Schüler gibt es spezielle Ausbildungsprogramme. Unter bestimmten
Bedingungen ist es Möglich, dass ein Kind bis zum 15. Lebensjahr in dieser
Schulform bleibt. Die Unterrichtszeit beträgt 24 Wochenstunden verteilt auf
sechs Tage in der Woche.
In der Grundschule werden folgende Fächer unterrichtet:
Koran, Religion, Aufsatz, Diktat, Persische Sprache,
Gesellschaftsunterricht, Kunst, Hygiene, Naturwissenschaften, Mathematik und
Sport. Die Reihenfolge der genannten Fächer entspricht auch ihrer Gewichtung im
Stundenplan.
Der iranische Unterricht kennt die Form des offenen
Unterrichts bisher nicht. Er ist viel mehr geprägt von dem traditionellen
Frontalunterricht. Auch den Sachunterricht, wie er in Deutschland verstanden
wird, sucht man hier vergebens. Annähernd vergleichbar hierzu wäre der
Gesellschaftsunterricht, in dem es allerdings vorwiegend darum geht, den
Kindern Wissen über die iranische Gesellschaft und Geschichte zu vermitteln.
Der Unterschied zwischen den beiden Fächern „Koran“ und „Religion“
liegt darin, dass es im Koranunterricht ausschließlich darum geht, den Koran
lesen zu lernen, da dieser nur auf arabisch vorliegt und nicht in der
iranischen Amtssprache Farsi (persische Sprache).
4.1.1 Die Schuluniform
Im Iran ist es Pflicht eine Schuluniform zu tragen. Diese
Pflicht bestand schon vor der islamischen Revolution im Jahr 1979. Damals wurde
den Schülerinnen die Wahl gelassen, ob sie die prärevolutionäre Version (siehe
Bild unten - rechts) der Schuluniform tragen oder sich für die islamische
Variante (siehe Bild unten - links) entscheiden. Im März 1980 wurde allerdings
die islamische Variante in Schulen Pflicht, da sich nach Meinung der Regierung
zu wenig Mädchen für diese Uniform entschieden. 1981 wurde das Tragen des
Kopftuchs auch in der Öffentlichkeit Pflicht.
5 Persönliches Fazit
Als ich vor etwa zwei Jahren im Rahmen eines Seminars der
Universität zu Köln die Gelegenheit bekam an der Grundschule Harmonie in Eitorf
zu hospitieren, hatte ich vorher von dem Begriff „Offener Unterricht“ noch nie
etwas gehört. Demzufolge hatte ich auch keine Vorstellung von dem, was mich
erwartet.
Als ich dann an diesem Morgen in der Schule ankam, hatte ich
den Eindruck, in einem Kindergarten zu sein und nicht in einer Schule, da mein
Begriff von Schule doch sehr von meiner eigenen Schulzeit geprägt war. Alles
war bunt, überall, sogar auf den Fluren, standen Regale mit Büchern, es gab
eine Hauseigene Druckerei, in der die Kinder Bücher drucken konnten und vieles
mehr. Die Kinder waren nicht an ihren Plätzen in den Klassen, sondern
arbeiteten dort, wo sie wollten. Zunächst hatte ich das System überhaupt nicht
verstanden, bis es mir schließlich von Herr Peschel erklärt wurde. Ich war sehr
beeindruckt. Nachdem ich ihm zahlreiche Fragen dazu gestellt hatte, war ich von
dem System überzeugt. Nun ist Falko Peschel auf diesem Gebiet doch sehr extrem
und vertritt, wie ich es nennen würde, den offensten Unterricht, den man sich
vorstellen kann. Im Laufe der Zeit habe ich mir darüber meine Gedanken gemacht
und habe doch ein paar Zweifel entwickelt, die in Kapitel 2.3 zum Ausdruck
kommen und an dieser Stelle nicht noch mal wiederholt werden müssen.
Meiner Meinung nach ist eine Mischung aus beiden
Unterrichtsformen mit einer Tendenz mehr zum offenen Unterricht die optimale
Lösung. Ich bin davon Überzeugt, dass jedes Kind eine natürliche Neugier mit in
die Schule bringt. Das eine Kind hat diese Neugier etwas früher, das andere
etwas später. Und es ist nicht abzustreiten, dass diese Neugier unter all dem
Druck und all dem Zwang, der in vielen Schule herrscht, zerstört wird und die
Schule von dem Kind nur noch als Last empfunden wird. Als Lehrer hat man die
Aufgabe, jedem Kind die Möglichkeit zu bieten, diese Neugier zu stillen und
auch diese Neugier am Leben zu halten. Hat ein Kind einen schlechten Tag und
möchte nicht rechnen, warum soll man es dann dazu zwingen. Was es heute nicht
rechnet, rechnet es an einem anderen Tag umso mehr.
Literaturverzeichnis
Falko Peschel, Offener Unterricht
Teil I: Allgemeindidaktische Überlegungen, 2009 Schneider Verlag
Hohengehren, Baltmannsweiler
Falko Peschel, Offener Unterricht
Teil II: Fachdidaktische Überlegungen, 2006 Schneider Verlag Hohengehren,
Baltmannsweiler
Arnulf Hopf, Schulen öffnen sich,
1992 Verlag Moritz Diesterweg GmbH & Co., Frankfurt am Main
Sheyda Rafat, Das iranische
Bildungssystem in der Dynastie Pahlawi und der Islamischen Republik,2008
LIT Verlag Dr. W. Hopf Berlin
Internetseiten