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Seminararbeit / Hausarbeit

Gothic: Eine Szene zwischen Ästhetik und Vorurteil

2.795 / ~8 sternsternsternsternstern_0.25 Silvia W. . 2012
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Seminararbeit
Soziologie

Leibniz Universität Hannover

20122, Note 1.0

Silvia W. ©

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sternsternsternsternstern_0.25
ID# 22250







Gottfried Wilhelm Leibniz Universität Hannover Institut für Soziologie WS 2011/12 Seminar: Jugendkulturen in Deutschland II Dozent: Dr. Sven Schönfelder Angefertigt von:



Gothic – Eine Szene zwischen Ästhetik und Vorurteil



Die Gothic - Szene ist alles andere als homogen, dennoch erkennt der Außenstehende ihre Mitglieder sofort: In schwarzen Mänteln, Kleidern und Schuhen, mit schwarzgefärbten Haaren und oftmals bleich geschminkt, inszenieren die Anhänger sich selbst und ihr vermeintlich pessimistisches Lebensgefühl. Doch wer sind diese Gothics, Schwarze oder Grufties 1 ? Was verbirgt sich hinter ihrer schwarzen Kluft? Wie ist ihre Weltanschauung? Haben sie tatsächlich etwas mit Satanismus zu tun? Und was steckt hinter dem Vorwurf, die Szene würde neuerdings rechte Tendenzen aufweisen? Auf all diese Fragen können im Rahmen dieser Arbeit selbstverständlich keine allumfassenden und klärenden Antworten gegeben werden. Dennoch möchte ich sie als „roten Faden“ nutzen, um einen pointierten Einblick in die Szene zu geben und vor allem zu klären, warum diese Szene vermutlich wie keine Zweite mit so vielen Vorurteilen behaftet ist. Diese Arbeit baut auf den Inhalten des Referates vom 05.01.2012 auf und soll diese noch vertiefen. 2 Allein die erste Frage „Wer sind die Gothics?“ ist nicht ohne Weiteres und eindeutig zu beantworten: Dies liegt vor allem an der hohen Vielschichtigkeit, die eine abgrenzende Subsummierung zu „einer“ Szene und ihrer Anhänger fast unmöglich macht. Gothic als Bewegung entstand in England Ende der 1970er Jahre als „entpolitisierte“ Antwort auf die Fundamentalopposition des Punk, bei der an die Stelle politischer und sozialer Rebellion ein selbstversponnenes, gefühlsintensives Ausklinken aus der Gesellschaft trat. 3 In den 1990ern veränderte sich die in erster Linie durch Musik geprägte Gothic – Szene nachhaltig, da die Bedeutung der ursprünglich vorherrschenden Musikstile abnahm bzw. fast völlig verschwand. Um als Szene nicht zu verschwinden bzw. unbedeutend zu werden, öffneten sich stattdessen neue musikalische Felder, die eine regelrechte „Umwälzung“ der Gothic - Szene zur Folge hatte. 4 Vor allem durch zahlreiche Überlagerungen mit anderen Musikrichtungen bzw. Subkulturen (beispielsweise Metal, Medieval, Electro) stellt die heutige Gothic – Szene keine in sich geschlossene Gruppe dar, sondern vielmehr ein Sammelbecken verschiedener schwarzer Jugend- und Musikkulturen. Doch auch wenn sich die Szene aufgrund dieser Entwicklung heute „irritierend vielschichtig“ 5 präsentiert, so verbindet die einzelnen Anhänger doch zunächst ein ganz offensichtliches Merkmal: die „Farbe“ Schwarz. Diese dominiert nicht nur die Kleidung und Frisur der Gothics, sondern spielt darüber hinaus auch in deren Leben eine umfassendere Rolle. Aber warum eigentlich ausgerechnet „Schwarz“? Was bedeutet Schwarz in unserer Gesellschaft und welche Wirkung wird mit dieser verbunden? Schwarz ist – sowohl im christlichen als auch wissenschaftlichen Verständnis – die (Nicht-)Farbe des Universums und durch die Abwesenheit von Licht charakterisiert. 6 Und im Gegensatz zu anderen Farben ist Schwarz in unserem Kulturkreis besonders bedeutungsgeladen und unabhängig von ihrem Anwendungsbereich fast ausschließlich negativ besetzt, wogegen ihr Gegenteil Weiß primär positive Assoziationen weckt. Dies wirkt sich auch auf das Alltagsverständnis aus: Mit Ausnahme des Schornsteinfegers 7 fungiert Schwarz als Farbe des Bösen (z.B. schwarze Seele, jmd. anschwärzen), des Todes (z.B. Pest als schwarzer Tod, schwarz gekleideter Henker), der Trauer (z.B. schwarze Trauerkleidung), des Unglücks (z.B. Schwarzer Freitag, Verliererrolle „Schwarzer Peter“, Unglücksrabe), der Illegalität (Z.B. Schwarzarbeiter, Schwarzfahrer) und des Pessimismus (z.B. Schwarzmalen, Schwarzsehen). Weiß dagegen gilt als Farbe der Reinheit (z.B. weiße Berufskleidung, eine weiße Weste haben), der Göttlichkeit (z.B. Symbol der weißen Taube und des weißen Lamms) und der Unschuld (z.B. weißes Brautkleid). 8 Wie aus diesen Beispielen ersichtlich wird, können Farben, obwohl sie selbst eigentlich keine Bedeutungsträger sind, in einem bestimmten historischen sozio-kulturellen Kontext zu einem solchen gemacht. Der Ausspruch „Farbe bekennen“9 für „die Wahrheit kundtun“ verweist auf die Verwendung von Farben als Zeichen. Im Rahmen der vestimentären Kommunikation hatten und haben Farben demnach einen besonderen Stellenwert. Schwarz als Kleiderfarbe hatte im Laufe der Zeit in unserem Kulturkreis unterschiedliche symbolische und existentielle Bedeutung. So war Schwarz beispielsweise seit dem 13. Jahrhundert Farbe der Trauer, Farbe der Armut und des niederen Standes. Vor allem seit dem Zweiten Weltkrieg aber wird es auch als Zeichen von Opposition und Distanz gegenüber Werten der etablierten Gesellschaft verwendet. 10 So grenzten sich beispielsweise in den 50er Jahren jugendliche Anhänger des Existentialismus durch schwarze Kleidung ab. 11 Doch was bedeutet es nun für die Gothic – Szene „Farbe zu bekennen“? Was wollten und wollen die Anhänger, die bereits in den Anfangstagen der Szene Schwarz trugen, mit dieser so bedeutungslastigen Farbe zum Ausdruck bringen? Folgt man der Literatur, so umfasst die Szene von jeher ein düsteres Lebensgefühl voll bittersüßer Melancholie, einen Hang zu Depression, Morbidem und Ästhetik. 12 Eine selbstbezogene, passive und teils resignative Grundhaltung zeichnet die Gothics aus, die gleichsam die Friedfertigkeit und Toleranz der Szene ausmacht, aber häufig auch in einer soziopolitische Apathie bis hin zu einem Desinteresse gegenüber gesamtgesellschaftlichen Fragen münden kann. 13 Die traurigen Seiten der menschlichen Existenz werden regelrecht inszeniert. Und das soll ihre schwarze Kleidung nach außen tragen. Schwarz ist, wie bereits erläutert, als Trauerfarbe in den Köpfen der Menschen manifestiert. Aber auch andere, zentrale Themen der Gothic – Bewegung, wie der „Sinn des Lebens“, der „Tod“ oder die Intensität der eigenen Gefühle, werden mit Schwarz zur Außenwelt artikuliert, womit die Gothics bei der „Normalbevölkerung“ oftmals auf Ablehnung stoßen. 14 Doch steht die Artikulation in Form der Inszenierung für die Gothics im Vordergrund: „Schwarz sein“ ist für sie eine Lebenseinstellung, die nicht nur das düstere und depressive Lebensgefühl beinhaltet, sondern ebenfalls eine Kritik an der Oberflächlichkeit und aufgesetzten Heiterkeit der Gesellschaft darstellt, die mit dem Brechen des Tabus der Todesthematik verknüpft ist. Denn Schwarz steht ja auch für die Abgrenzung und Distanz gegenüber etablierten Werten. Das Styling, die Kleidung und bei vielen auch die Wohnungseinrichtung und das Auto sind schwarz und sollen all diese inneren Gefühle und Werte nach außen kommunizieren oder wie es die Gothic – Anhängerin Laura bezeichnet: „[…] die Seele nimmt halt ihren Weg nach außen […].“15 Diese Kommunikation von inneren Einstellungen, nicht nur zur Außenwelt, sondern eben auch innerhalb der Szene erfolgt, ist jedoch äußerst ambivalent: Denn wie bei keinen anderen Szene ist bei der Gothic – Szene das Styling nicht nur Mittel zum Zweck, sondern auch Inhalt der Szenezugehörigkeit. Die Szene verpönt zwar sogenannte „Modegrufties“ bzw. Modeszenegänger, dennoch machen diese wohl gut die Hälfte der Szene aus. 16 Wie bereits erläutert, ist die Gothic - Szene eher ein Sammelsurium verschiedener Subszenen als eine geschlossene Szene. Und aus all diesen Subszenen kommen mannigfache Akzente, wodurch auch das Gedankengut sehr weiträumig bzw. die Prioritäten sehr unterschiedlich sind. Die Metal – Szene beispielsweise, die die Gothic – Szene äußerst effektiv befruchtet hat, legt ihr Hauptaugenmerk auf die Musik und weitaus weniger auf das „richtige“ Styling17. In einigen Untersuchungen zur Szene wird zwar darauf hingewiesen, dass die Szene bemüht ist, sich von den Szeneanhängern abzugrenzen, die die Phrase „es ist Ausdruck meines Lebensgefühls“ weniger mit Inhalt füllen, dennoch stellt sich hier die Frage, wie diese Abgrenzung erfolgen soll? Denn nicht nur „Modegrufties“, sondern auch „ernsthafte“ Grufties fühlen sich dem richtigen Styling verpflichtet. Neueinsteigern wird der Zugang zur Szene oftmals verwehrt, sofern sie den harten Kriterien von „schwarzer Schönheit“ nicht gerecht werden. Wird beispielsweise in der Rockabilly – Szene den Anhängern weitaus mehr Respekt gezollt, die sich in musikalischen Fragen auskennen, als denjenigen, die topgestylt sind, sind in der Gothic – Szene die optischen Kriterien unerbittlich. Dabei wird allerdings vergessen oder ignoriert, dass sich hier die allgemeine Ablehnung von Oberflächlichkeit und das Besinnen auf tiefe, innere Werte mit einem szeneinternen strengen Dresscode bricht. 18 Das „schwarze Styling“ steht demnach im eigentlichen Zentrum der Gothic – Mentalität. Und wenn hinter diesem Styling keinerlei innere Motivation mehr steht, und dies ist, wie erwähnt, bei gut der Hälfte der Szenemitglieder der Fall, dann dient es vor allem dem Zweck der Provokation. Und wie zentral der Faktor der Provokation innerhalb der Szene ist, zeigt sich im starken Kokettieren mit dem „Bösen“. Die Verwendung der bedeutungsgeladenen Farbe Schwarz wurde bereits eingehend beleuchtet. Die allgegenwärtige Verwendung dieser „Nichtfarbe“ wirkt auf Außenstehende verstörend, irritierend und, durch die enge Verbindung zum Tod, auch beängstigend. Und die Gothics addieren zu diesem ohnehin schon beängstigten Gefühl der Außenstehenden noch verschiedene bedeutungsgeladene Symbole, etwa in ihren Accessoires, die zusätzlich eine bedrohliche Aura um sie herum schaffen. Diese Symbole, wie beispielsweise Kreuze und Pentagramme, oft umgedreht, werden häufig völlig unreflektiert verwendet. Ein umgedrehtes Kreuz an der Kette bedeutet oftmals gar nichts oder soll ausdrücken, dass man das Christentum ablehnt. 19 Dass dies von der Außenwelt, die unter Umständen eine ganz andere Beziehung zu diesen Symbolen hat, völlig anders wahrgenommen wird, ist nicht unverständlich und weitgehend auch Ziel der Szene. Und hier liegt die Ambivalenz: Eine Szene, die als tiefgründig, melancholisch und introvertiert wahrgenommen werden will, kokettiert völlig übertrieben und unreflektiert mit dem „Bösen“ und bedient so ihr eigenes Vorurteil. Oft wird hier von Szenegängern und -Beobachtern darauf hingewiesen, dass die gesellschaftlichen Vorurteile eine äußerst uneinheitliche Gothic – Kultur treffen und sie im Ganzen stigmatisieren. Dennoch nutzt die gesamte Gothic – Szene, also auch die Anhänger, die ihre Lebensphilosophie mit der Szene verbinden, ihren Status als „gefährliche“ Szene, um sich selbst abzugrenzen und hervorzuheben und ist generell wenig bemüht, die vorhandenen Vorurteile aufzuklären. Um diese These zu verifizieren, muss zunächst geklärt werden, was genau „gefährlich“ in diesem Zusammenhang bedeutet. In der öffentlichen Wahrnehmung herrscht seit den 1980er Jahren ein Klischeebild des Gothics vor, der sich nachts auf Friedhöfen aufhält, in Särgen schläft, immer depressiv ist und vor allem eine sehr zweifelhafte Beziehung zum Tod hat. Diese Vorstellungen werden ergänzt von dem populären Vorwurf, die Gothic – Szene stehe in Zusammenhang mit satanistischen Aktivitäten bzw. sie sei eine organsierte Satanismus - Kultur. Dieses Vorurteil hält sich nicht nur äußerst hartnäckig, sondern ist nicht ganz unproblematisch: Die Wahrnehmung von Satanismus in der Gesellschaft entspricht selbst bestenfalls einem stereotypen Bild, welches durch verschiedene Erfahrungsberichte und die Massenmedien geprägt wird, die den Aspekt „Aufklärung“ dem Aspekt „Sensation“ unterordnen. 20 Dieses Bild umfasst Teufelsanbetungen in sogenannten „Schwarzen Messen“, Verherrlichung des Bösen, Menschen - oder Tieropfer und exzessive Sexualpraktiken. Für den Begriff „Satanismus“ gibt es tatsächlich keine einheitliche Definition und das nicht nur in der öffentlichen Meinung, sondern ebenfalls in der wissenschaftlichen Literatur21. Vielmehr wird das Phänomen Satanismus folgendermaßen beschrieben:

[…] beim Satanismus ist eine Umkehrung gesellschaftlicher Normen und Werte systemimmanent und kriminelle Handlungen sind daher Teil der Ideologie. Satanismus wird im Verborgenden praktiziert und entzieht sich so der Aufmerksamkeit der breiten Öffentlichkeit.22

Wenn dieses stereotype Bild des Satanismus im Kopf eines „Durchschnittsbürgers“ vorherrscht und dieser dann auf einen ganz in schwarz gekleideten Menschen, der zudem noch ein umgedrehtes Kreuz oder Pentagramm um seinen Hals trägt, trifft, ist ein Verknüpfung der beiden Bilder unausweichlich: Schwarz als Farbe des Bösen und des Todes scheint verknüpft mit Satan bzw. dessen Anbetung oder Beschwörung, denn nicht umsonst wird dies in „Schwarze Messen“ durchgeführt. Zudem geben sich die Gothics in der Öffentlichkeit sehr introvertiert und oftmals geheimnisvoll, wodurch die Vermutung, sie würden im Verborgenen „praktizieren“, an Gehalt gewinnt. Durch die Ablehnung bzw. Verweigerung der gesellschaftlichen Werte wird zudem der Verdacht geschöpft, die Gothics hätten eine andere Ideologie als die in der Gesellschaft gängige, wodurch gleichsam die Angst vor Kriminalität oder Gewalttätigkeit geschürt wird. All dies Unbehagen innerhalb der Bevölkerung wird durch verschiedene Berichte der Massenmedien noch angeheizt, die von Zeit zu Zeit eine direkte Verbindung zwischen Gothic – Szene und Satanismus herstellen bzw. hervorheben. Eine derartige Darstellung soll anhand des bereits im Referat angesprochenen sogenannten „Satansmord von Witten“ kurz skizziert werden, wobei vor allem gezeigt werden soll, wie die Gothic - Szene selbst auf diese Vorwürfe reagiert. Am 06.07.2001 wurde der 33-jährige Frank H. in der Wohnung der Eheleute Daniel und Manuela Ruda mit diversen Hammerschlägen, Machetenhieben und Messerstichen getötet. Die Strafverhandlung gegen das Ehepaar Ruda machte in der Presse als „Satanisten-Prozess“ Schlagzeilen. Die Angeklagten behaupteten, sie hätten den Befehl für die Tötung in einer von Satan geschickten Vision erhalten. In den Vernehmungen zeigte sich zum einen ein sicherer Umgang mit satanistischer Symbolik und Ausdrucksweise, zum anderen wird mit den Elementen gespielt, die den Satanismus zu einem reißerischen Aufmacher verhelfen. 23 Vor allem Manuela Ruda sorgte mit ihrem Gothic – Styling dafür, dass die Schwarze Szene in Verbindung mit den vermeintlich24 satanistischen Morden gebracht wird. Weil an Auto und Wohnungstür der Rudas der Titel des :wumpscut:25 -Albums „Bunkertor 7“ zu lesen war, geriet vor allem dieses Musikprojekt in die Schlagzeilen. So druckte beispielsweise die Boulevardzeitschrift Bild in diesem Zusammenhang den Text des Stücks „Bunkertor 7“ ab und unterstellte einen Einfluss des Stücks auf den Mord. 26 Und wie reagierte Ratzinger selbst? Er produzierte ein rätselhaftes Stück namens „Ruda“, das neben der für ihn typischen harten Industrial- Klänge Samples aus den Medienberichten des Prozesses enthielt. Eine klare Positionierung erhielt man von Ratzinger nicht, weder ob das Lied als Kritik oder als Verherrlichung zu verstehen sei. In der Ausgabe 9/2001 der Szenezeitschrift „Zillo“ war das Lied auf einer beigelegten CD erhältlich. Die Ausgabe trug den Titel „Wir sind keine Mörder!“ und beschäftigte sich mit dem Satansmord und dessen Auswirkungen auf die Gothic – Szene.27 Hier stellt sich nun die Frage, warum sich die Szene bei einem derart expliziten Fall verpflichtet fühlt, Stellung zu beziehen bzw. Vorwürfe von sich zu weisen, aber nach diesem Ereignis die Koketterie mit Pentagrammen und umgedrehten Kreuzen nicht verwirft. Auf einem ganz anderen Weg erfolgen zudem seit einiger Zeit Versuche, die Schwarze Szene von rechts zu unterwandern. Vor allem aufgrund des zweifelhaften Spiels einiger Bands mit der Nazi-Ästhetik bzw. tatsächlicher Faszination für rechtsextremistische und sozialdarwinistische Ideen wird die Gothic –Szene zusätzlich zum Vorwurf eine satanistische Szene zu sein, als böse und gefährlich stigmatisiert. Die meisten Bands antworten auf ihre fragwürdigen Texte angesprochen, dass diese als Provokation 28 zu verstehen seien. Inwiefern diese Provokation allerdings von den Gothic - Anhängern als solche verstanden wird und wie viele „andere“ Anhänger eine solche Verwendung ebenso mit sich bringt, ist fragwürdig. Vor allem die militante Ästhetik der Electro - Szene, einer Strömung der Schwarzen Szene, schafft Raum für rechte Tendenzen. Denn zwischen die schwarzen Militäruniformen vieler Electro - Anhänger mischen sich immer häufiger beige-braune und khakifarbene Hemden, die zu verschiedenen Neofolk-Klängen tanzen. Besonders dieser Randbereich der Gothic – Szene gerät immer mehr in Verruf, da vor allem Bands dieser Strömung durch Spiele mit verschiedenen Elementen der Nazi-Zeit und völkischem Gedankengut auffallen. Allerdings definiert sich hier keine Band klar als rechts, sondern beruft sich häufig auf den Status der Provokation. Und eine Positionierung der Gothic - Szene erfolgt bestenfalls diffus, da die Toleranz und apolitische Haltung in den Vordergrund gestellt wird. Selbst einer Organisation wie „Grufties gegen Rechts“ wird oft mit mehr Ablehnung begegnet als den braunen Einflüssen selbst. Hier wird einerseits argumentiert, dass sich die Szene vor allem gegen Gewalt ausspricht, aber keinerlei Anlass dafür sieht, gegen Bands zu protestieren, die nur Musik machen, aber niemandem etwas zuleide tun.29 Dass selten die Bands durch rechte Gewalt auffallen, sondern vor allem die Anhänger dieser Bands, wird hier regelrecht ignoriert und zeugt für die Naivität, aber auch für das Desinteresse der Szene. Andererseits werden eben die rechten Vereinnahmungsversuche vor allem über ästhetische Wege eingeleitet und oftmals in ihren politischen Inhalten nicht erkannt. 30

Das Problem der Szene ist klar: Sie ist belastet mit Klischees und Vorurteilen, deren Inhalte auch, gerade in Bezug auf den Satanismus, illegale Aspekte streifen. Doch eine fehlende bzw. uneindeutige Positionierung und Distanzierung von Seiten der Szeneangehörigen verschärfen den Konflikt nur noch. Statt bedeutungsgeladene Symbole, wie beispielsweise umgedrehte Kreuze, aus dem Repertoire zu streichen, kokettiert die Szene mit diesen und argumentiert lediglich mit ihrer ganz eigenen Ästhetik. Selbst wenn sich der Szene die Möglichkeit 31 bietet, öffentlich Vorwürfe von sich zu weisen, wird selten klar Stellung bezogen. Vielmehr wird die mediale Aufmerksamkeit als Bühne genutzt, um weiter mit den Klischees zu spielen und zu provozieren. Und eben diese Provokation dient auch als Hauptargument diverser Randgruppen der rechten Szene, sich Raum in der Gothic – Szene zu verschaffen. Über eine diffuse Affinität zur faschistischen Ästhetik der Gothic – Szene konnten sich in verschiedenen Teilbereichen rechtslastige und neonazistische Themen, Bands und Musikprojekte einnisten und ausbreiten. Diesen Entwicklungen begegnet die Gothic – Szene allerdings kaum mit Gegenwehr, sondern versucht vielmehr Politik generell aus der Szene herauszuhalten. Das dies in dem Falle des Vereinahmungsversuches der rechten Szene äußerst gefährlich sein kann, wird weitgehend ignoriert. Wenn die Gothic - Szene weiterhin nicht gewillt ist, sich klar zu positionieren bzw. ihre indifferente Haltung der Gesellschaft gegenüber zu relativieren, wird sie nach wie vor verschiedenen Randgruppen die Möglichkeit geben, sie zu unterwandern und viel Spielraum für Vorurteile lassen.

Literaturangaben:

Peter Matzke, Tobias Seeliger: Gothic! Die Szene in Deutschland aus der Sicht ihrer Macher. Berlin 2000

Beate Großegger, Bernhard Heinzlmaier: Jugendkultur – Guide. Wien 2004

Doris Schmidt, Heinz Janalik: Grufties. Jugendkultur in Schwarz. Hohengehren 2000

Horst Haas. Pechschwarze Saubermänner. In: Illustrierte Wochenzeitung 1999, Nr. 5

Heidelore Kluge: Mit Farben heilen. Düsseldorf 1996

Eva Heller: Wie Farben wirken. Reinbek 1995

Werner Helsper: Okkultismus. Die neue Jugendreligion? – Die Symbolik des Todes in der Jugendkultur. Opladen 1992

Susanne El – Nawab: Skinheads, Gothics, Rockabillies: Gewalt, Tod und Rock´n´Roll. Eine ethnografische Studie zur Ästhetik von jugendlichen Subkulturen. Hannover 2005

Möller: Satanismus als Religion der Überschreitung. Transgression und stereotype Darstellung in Erfahrungs- und Aussteigerberichten. Marburg 2007

Ulla Fröhling: Vater unser in der Hölle. Ein Tatsachenbericht. Leipzig 1996

Internetquellen:

(12.03.2012)

(12.03.2012)

1 Alle Begriffe werden in der Abhandlung synonym verwendet. Dies widerspricht zwar einigen Darstellungen in der Literatur, soll aber für diese Arbeit der Einfachheit halber genügen. Des Weiteren gibt es ausreichend Quellen, die mit der Synonymie der Begriffe konform gehen (bspw.

2 Siehe hierzu die Referatsausarbeitung „Gothic – Kultur, Musik und Anderes“ vom 05.01.2012

3 Vgl. Jugendkultur - Guide. S.148

4 Vgl. Peter Matzke, Tobias Seeliger: Gothic! Die Szene in Deutschland aus der Sicht ihrer Macher. Berlin 2000. S. 36

5 Jugendkultur – Guide. S. 150

6 Vgl. Doris Schmidt, Heinz Janalik: Grufties. Jugendkultur in Schwarz. Hohengehren 2000. S.66

7 Laut Aberglaube bringt der Kamin- oder Schornsteinfeger trotz seiner schwarzen Kleidung Glück, da er dem Feuerteufel

Paroli bieten kann. (Vgl. Horst Haas. Pechschwarze Saubermänner. In: Illustrierte Wochenzeitung 1999, Nr. 52, S.7)

8 Vgl. Schmidt, Janalik: Grufties. 2000. S.67

9 Entstanden ist der Ausspruch im mittelalterlichen Rittertum: Damals verdeckten manche Ritter vor dem Kampf ihr

farbiges Wappen, das als persönliches Erkennungszeichen diente, mit einem Überwurf, um ihre Identität geheim zu

halten. Bekannten sie jedoch Farbe, gaben sie sich zu erkennen. (Vgl. Heidelore Kluge: Mit Farben heilen. Düsseldorf 1996.

S.20)

10 Vgl. Schmidt, Janalik: Grufties. 2000. S.70-75

11 Vgl. Eva Heller: Wie Farben wirken. Reinbek 1995. S. 101

12 Vgl. Werner Helsper: Okkultismus. Die neue Jugendreligion? – Die Symbolik des Todes in der Jugendkultur. Opladen

1992. S. 248

13 Vgl. Susanne El – Nawab: Skinheads, Gothics, Rockabillies: Gewalt, Tod und Rock´n´Roll. Eine ethnografische Studie zur

Ästhetik von jugendlichen Subkulturen. Hannover 2005. S.184

14 Vgl. Ebd. S. 159

15 Ebd. 160

16 Vgl. Ebd.

17 Selbstverständlich gibt es ein szenetypisches Styling, dieses ist jedoch im Gegensatz zur Gothic – Szene sehr unauffällig.

18 Vgl. El – Nawab: Skinheads, Gothics, Rockabillies. Hannover 2005. S. 184

19 Vgl. Ebd. S.168

20 Vgl. Möller: Satanismus als Religion der Überschreitung. Transgression und stereotype Darstellung in Erfahrungs-

und Aussteigerberichten. Marburg 2007. S.168

21 So gibt es tatsächlich nur 2 (!) deutschsprachige Bücher, die sich dem Thema Satanismus weitestgehend neutral und aus

einem wissenschaftlichen Standpunkt nähern. (Vgl. Möller: Satanismus als Religion der Überschreitung. 2007. S. 168)

22 Ulla Fröhling: Vater unser in der Hölle. Ein Tatsachenbericht. Leipzig 1996. S.365

23 Vgl. Möller: Satanismus als Religion der Überschreitung. Marburg 2007. S.168143 - 145

24 In späteren Verhören und in einem Buch, das Daniel Ruda während seiner Haftstrafe verfasste, distanziert dieser sich konsequent von satanischen Beweggründen und gibt weiter an, dieses sei vielmehr eine Verlegenheitsaussage gewesen.

25 Ein seit 191 bestehendes deutsches Projekt des deutschen Musiker Rudy Ratzinger. Wesentliches Merkmal von :wumpscut: ist die Provokation durch Musik, Texte und Album-Artwork. Aufgrund der düsteren Texte und er aggressiven Musik wird die Musikrichtung von :wumpscut: auch als „Endzeit-Industrial“ bezeichnet.

(Vgl.

26 Vgl. El – Nawab: Skinheads, Gothics, Rockabillies. Hannover 2005. S. 118

27Vgl.Ebd.

28 So verwendet bereits genannte Band :wumpscut: in dem Stück „Breathe“ ein Sample aus dem Film „Verraten“, in dem eine Kinderstimme proklamiert: „Eines Tages werden wir die ganzen dreckigen Nigger und Juden töten, und dann wird alles sauber sein.“ (Vgl.

29 Vgl. El – Nawab: Skinheads, Gothics, Rockabillies. Hannover 2005. S. 184

30 Vgl. Ebd.

31 Wie im Fall von :wumpscut: – Macher Rudy Ratzinger zum „Satansmord von Witten“


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