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Seminararbeit
Soziologie

Göttingen

2007

Zehra W. ©
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ID# 363







These: Geteilte gesamtgesellschaftliche Werte sind das Fundament der gesellschaftlichen Integration. Ohne sie drohen Gesellschaften auseinanderzubrechen


Was hält eine Gesellschaft zusammen? Wie stabil ist eine Gesellschaft in Bezug auf äußere Einflüsse und wie reguliert sich eine Gesellschaft? Es wird die These aufgestellt, dass geteilte gesamtgesellschaftliche Werte grundlegend für Gesellschaften sind. Um diese These zu hinterfragen, wurden die beiden Thesen der Theoretiker Talcott Parsons und Niklas Luhmann betrachtet, die sich auf unterschiedliche Weise mit dem Thema Gesellschaft befasst haben.

Zunächst stelle ich Parsons Position vor, der mit der These konform argumentiert und Werte und Normen als essentiell für soziale Ordnung ansieht. Im Anschluss stelle ich den Ansatz von Luhmann vor, der in seiner Systemtheorie den Grund für Stabilität von Gesellschaften im Grad der Komplexität sieht und dem Normativismus als Begründung keinen Platz einräumt.


Das Interesse Parsons besteht in der Frage, wie soziale Ordnung möglich ist. Hierzu beschäftigt er sich mit Thomas Hobbes und dem Utilitarismus. Nach Meinung der Utilitaristen streben Individuen danach, Schmerz zu vermeiden und Lust zu maximieren. Wenn dann zwei oder mehr Individuen das gleiche wollen, stehen sie in Konkurrenz zueinander und es kommt bei Knappheit um begehrte Güter zwangsläufig zum Krieg: Jeder gegen Jeden.

Aus diesem Kriegszustand führt nach Hobbes der Leviathan heraus, der Staat, dem sich alle Individuen unterordnen und der das friedliche Leben in der Gesellschaft ermöglichen soll.

An dieser Stelle setzt die Kritik Parsons an, der hinterfragt, weshalb sich Individuen dem Leviathan unterordnen sollen. Warum sollten Individuen mit großer Macht diese aufgeben und wer hört zuerst mit dem Kampf auf? Soziale Ordnung lässt sich durch den Utilitarismus nach Hobbes nicht hinreichend erklären!

Parsons hat eine Lösung für dieses Problem. Allein auf einem Kosten – Nutzen Kalkül basierende Handlungen erklären nicht das Bestehen sozialer Ordnung. Vielmehr müssen Handlungsentscheidungen von weiteren Bedingungen beeinflusst werden. Parsons führt die Kritiken und auch Lösungsansätze am Utilitarismus von Durkheim, Weber, Marshall und Pareto fort und entwickelt seine normativistische Handlungstheorie.

Diese besagt, dass Handeln in Werte und Normen eingebettet ist und die Entscheidung in Handlungssituationen von ihnen bestimmt wird. Die gemeinsam geteilten Werte und Normen sind für Parsons ausschlaggebend für Ordnung in der Gesellschaft: „Thus a social order is always a factual order in so far as it is susceptible of scientific analysis but, as will be later maintained, it is one which cannot have stability without the effective functioning of certain normative elements” (Parsons 1937: 92).

In späteren Arbeiten setzte sich Parsons konkreter mit der Idee sozialer Ordnung auseinander und baute seine normativistische Handlungstheorie zum normativistischen Funktionalismus aus. Im Funktionalismus werden Phänomene auf ihre Funktion hin untersucht. Bei Parsons normativistischen Funktionalismus ist die Rolle der Individuen von immanenter Bedeutung: Rollen werden mit bestimmten Erwartungen besetzt: „Daher finden sich in allen Gesellschaften institutionelle Definitionen von Rollen, d.h. von Verhaltensweisen, die man von bestimmten Personen in bestimmte Zusammenhängen und Beziehungen erwartet“ (Parsons 1940: 141).

Die Erfüllung von Rollenerwartungen ist obligatorisch. Die Rollen verdeutlichen die Funktion eines Individuums in der Gesellschaft.

Ihre Erfüllung geht einher mit der Befolgung gesellschaftlicher Werte und Normen. Die Funktion von Rollen ist einerseits die Eingrenzung des Handlungsspielraums und andererseits wird so soziale Ordnung aufrecht erhalten. Das gleiche gilt für bereits institutionalisierte Werte und moralische Muster. Diese sind notwendig für die Integration von Individuen in die Gesellschaft, da daraufhin die jeweiligen Rollen und Funktionen der Individuen bestimmt werden.

Das Übereinstimmen mit den geteilten Werten zeigt die Zugehörigkeit zur Gesellschaft. Dabei kann das allgemeine Interesse vom Eigennützigen abweichen, allerdings zeigt Parsons, dass „je stärker das Individuum in ein institutionalisiertes System integriert ist, dieses moralischen Empfinden auch umso stärker mit Elementen des Eigeninteresses integriert ist“ (Parsons 1940: 145).

Die Erfüllung des erwarteten Verhaltens ist mit sozialem Druck auf das Individuum verbunden und sichert so die Befolgung der gesellschaftlichen Werte und Normen. Die Verinnerlichung von gesellschaftlichen Werten und Normen beginnt bereits in der Kindheit durch das Lernen von den Eltern und dann später in der Schule. Insbesondere die Schule hat die Aufgabe, die Individuen für das spätere Erwachsenenleben bereit zu machen, wobei sie zur „]Bereitschaft zur Verwirklichung der allgemeinen Werte der Gesellschaft und Bereitschaft zur Erfüllung eines bestimmten Rollentypus innerhalb der Struktur der Gesellschaft“ befähigt (Parsons 1959: 162).

Die Rolle des Individuums bei der Aufrechterhaltung der Gesellschaft ist damit klar umschrieben. Bis hierhin wurde gezeigt, dass Integration auf geteilten Werten beruht. Ferner wird jetzt Parsons Betrachtung von Stabilität einer Gesellschaft dargelegt. Ein Abweichen von der vorgegebenen Norm wird sanktioniert, da ein nicht – Einhalten dieser das gesellschaftliche System, so wie Parsons es darstellt, in seiner Stabilität gefährden würde.

Die Stabilität einer Gesellschaft wird getragen von der sozialen Ordnung innerhalb des Systems. Wie weiter oben bereits erwähnt, können gesellschaftliche Werte mit den persönlichen Werten übereinstimmen und bei hoher Integration ist gegenteiliges selten. Ähnliches findet Parsons beim persönlichen Interesse: „Denn der Inhalt des Eigeninteresses ist in sehr weitgehendem Maße eben um soziale Organisationen organisiert“ (Parsons 1940: 151).

Begründet wird dies in der positiven Anerkennung seitens der Gesellschaft.

Das bedeutet, dass das Eigeninteresse überwiegend gesellschaftskonform verläuft und dadurch in gewisser Weise einer Ordnung unterliegt. So lässt sich nach Parsons Argumentation behaupten, dass die Stabilität der Gesellschaft durch das Einwirken der institutionalisierten Werte auf das Individuum gewahrt wird.

Ausgegangen von diesen Thesen müssten Gesellschaften über hohe Stabilität und keinen Wandel verfügen. Für Wandel müssten sich die Normen und Werte verändern und dafür ist in Parsons Theorie kein Platz, beziehungsweise ist nicht schlüssig zu argumentieren, wie normativer Wandel möglich sein soll wenn deviantes Handeln sanktioniert wird.

Dessen ungeachtet gibt es sozialen Wandel und die von Parsons vorausgesetzte soziale Ordnung ist in der Realität nicht gegeben.

Ihm ist zu Gute zu halten, dass es in seiner Schaffensperiode wohlmöglich anders aussah, dennoch hält seine Theorie den gesellschaftlichen Gegebenheiten nicht stand und ist vermutlich auch damals nicht unumstritten gewesen. Die Konflikttheoretiker werfen Parsons vor, Konflikten keine Beachtung zu schenken und somit einen Teil des realen Lebens nicht in seine Theorie mit einzubeziehen.


Während Parsons die soziale Ordnung als gegeben angesehen und nach dem Grund für sie gesucht hat, so befasste sich Luhmann damit, wie gesellschaftliche Systeme auf Probleme, Veränderungen und Konflikte von Außen reagieren können und was in Systemen vorhanden sein muss, um diesen Einwirkungen Stand zu halten:

Die Gesellschaft stellt bei Luhmann ein soziales System dar, das von einer dazugehörigen Umwelt umgeben ist. Das soziale System beinhaltet bestimmte Handlungen, die sich von den sozialen Handlungen der Umwelt abgrenzen. Diese Differenzierung dient der Reduktion von Komplexität. Ohne die Reduktion von Komplexität würden die Individuen handlungsunfähig aufgrund ihrer unendlichen Handlungsmöglichkeiten. „Soziale Systeme haben die Funktion der Erfassung und Reduktion von Komplexität.

Die Welt kann mangels äußeren Bezugspunkten nicht als System betrachtet und untersucht werden. Die Systemgrenzen sind als Sinngrenzen zu verstehen, die sich durch Differenzierung nach Außen von anderen Systemen unterscheiden und sind nicht mit territorialen Grenzen zu verwechseln. Individuen können sich jedoch in verschiedenen Systemen befinden, das heißt, dass die Systeme einander nicht ausschließen.

Die Gefahr einer Gesellschaft auseinanderzubrechen, besteht laut Luhmann aufgrund ihrer unzureichenden Komplexität. Auch wenn das soziale System dazu dient die Komplexität zu verringern, so ist ebenfalls Komplexität notwendig um sich auf Einflüsse und Veränderungen der Umwelt einstellen zu können. Ferner können Systeme auch selbst Komplexität aufbauen.

Die Teilsysteme können Umwelteinflüsse auffangen und bearbeiten, ohne dass das gesamte System davon betroffen ist. So sind Systeme stabil. Funktionell differenzierte Systeme sind selbstreferentiell und erzeugen sich immer wieder selbst. Dadurch genießen sie eine gewisse Unabhängigkeit nach Außen hin und können interne Probleme selbstständig beheben.

Zusammengefasst ist nach Luhmanns Auffassung die Gesellschaft ein System, das aus autonomen Teilsystemen besteht, die sich funktionell voneinander differenzieren. Nach Außen differenziert sich das System von seiner umliegenden Umwelt, welche die im System ausgeschlossenen Handlungen enthält.

Dadurch dass komplexe Systeme aus mehreren Teilsystemen bestehen, kann es trotz Wegfall eines Einzelnen weiter existieren. So bleibt schließlich auch ein Betrieb von ausreichender Größe beim Ausfall eines Mitarbeiters noch geschäftsfähig. Bei diesem Vergleich ist auch darzustellen, weshalb die Größe im Sinne von funktionaler Differenzierung notwendig ist, um auf Veränderungen reagieren zu können.

„Soziale Systeme gewinnen eine über die Situation hinausreichende, die Systemgrenzen definierende Systemstruktur durch Generalisierung der Erwartungen für systemzugehöriges Verhalten“ (Luhmann 1970: 121). Die Integration in die Gesellschaft ist bedingt durch das für das System richtige Verhalten. Auch wenn es Luhmann selbst anders darstellen würde, so ist die Rolle von Werten und Normen in seiner Systemtheorie nicht deplatziert.

Die Erwartungen, die an das Individuum gestellt werden, sind schließlich auch normativistischen Ursprungs. Das erwartete Verhalten entspricht geteilten Werten innerhalb des Systems. „Sachlich werden Erwartungen durch situationsunabhängige Identifikation ihres Sinnes und Grundes generalisiert. […] Vor allem ist an die Identifikation von konkret bekannten Personen, von Rollen, von Entscheidungsprogrammen (Zwecken oder konditionalen Normen) und von abstrakten Werten zu denken, die in sehr unterschiedlicher Weise als Kriterien dessen dienen, was man erwarten kann“ (Luhmann 1970: 121).Die generierten Erwartungen sind von Werten geprägt, die gesellschaftlich geteilt sein müssen, um auch eine gesamtgesellschaftliche Erwartung auszudrücken.

Auch wenn gesellschaftliche Werte und Normen in Luhmanns Theorie wiederzufinden sind, so sind sie dennoch nicht ausschlaggebend für den Bestand einer Gesellschaft. Die Stabilität einer Gesellschaft ist abhängig vom Grad der Komplexität und dem Vorhandensein von Teilsystemen, und dadurch bedingt, auf die Möglichkeit der Variation zur Reaktion auf eine variierende Umwelt.

Worauf beruht denn aber nun gesellschaftliche Integration? Wodurch zeichnet sich ein in die Gesellschaft integriertes Individuum aus? In welchem Maße kann ein Individuum überhaupt gesamtgesellschaftlich integriert sein bei Luhmanns Vorstellung von funktional differenzierten, selbstreferenziellen Teilsystemen? Von der Frage des Wie abgesehen: Reicht es aus in ein Teilsystem integriert zu sein, um von gesellschaftlicher Integration zu sprechen?

Denn wie sollten geteilte Werte in multikulturellen Gesellschaften aussehen? Abgesehen von religiösen Differenzen ist nicht einmal eine gemeinsame Sprache als Basis für einen Wertekonsens vorhanden. Aber wie besteht die Stabilität der Gesellschaften? – Gar nicht, denn die Gesellschaften sind nicht stabil! Möglicherweise ist zu viel differenziert worden, weshalb keine klare Abgrenzung mehr vorhanden sind Gesellschaftsgrenzen ineinander verschwimmen.

Die Frage, die hierbei aufkommt, ist vielmehr die, wie viel Stabilität realistisch ist? Geteilte gesellschaftliche Werte für heutige Gesellschaften zu konstruieren ist utopisch. Weitere Differenzierungen bringen, wie weiter oben bereits erläutert, auch keinen Fortschritt in Richtung Stabilität. Vielmehr sollten Gesellschaften auf eine stärkere Identitätsbildung hinarbeiten.


Literatur:


Parsons, Talcott (1973) [1940]: Die Motivierung wirtschaftlichen Handelns, in: ders.: Beiträge zur soziologischen Theorie, Darmstadt, S. 136-159


Parsons, Talcott (1981) [1959]: Die Schulklasse als soziales System: Einige ihrer Funktionen in der amerikanischen Gesellschaft, in: ders.: Sozialstruktur und Persönlichkeit, Frankfurt/M., S. 161-193


Parsons, Talcott (1937): The Structure of Social Action, New York, S. 87-102

Luhmann, Niklas (1970) [1967]: Soziologie als Theorie sozialer Systeme, in: ders.: Soziologische Aufklärung. Aufsätze zur Theorie sozialer Systeme, 2. Auflage, Opladen, S. 113-136



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