Vorwort
In
der folgenden Seminararbeit wird auf eine wichtige Thematik des
Expressionismus, der Großstadtliteratur, eingegangen. Um die
Sichtweisen eines bekannten Expressionisten darzustellen, dienen
die drei Gedichte „Berlin I“, „Berlin II“ und „Berlin III“.
Seine
Gedichte spielen noch heute, 100 Jahre später, eine wichtige Rolle
in der deutschsprachigen Literatur und sind eines der besten
Beispiele in welcher Art und Weise viele der damaligen Schriftsteller
der Entwicklung der Großstädte gegenüberstanden.
Dabei
sind mir hauptsächlich zwei grundlegende Themen wichtig.
Worin
liegt der Schwerpunkt der Epoche des Expressionismus, welche Ziele
oder Haltungen vertreten die Literaten und wer steckt eigentlich
hinter dem Künstler Georg Heym.
Die
zweite Frage bezieht sich auf seine drei Gedichte über Berlin. Mein
Ziel ist es die Gedichte nach Aufbau, Inhalt und Sprache zu
analysieren, um daraus eine Interpretation zu ziehen.
Zum
Schluss wird auf den historischen Kontext, in welchem die Gedichte
entstanden sind, eingegangen und wie Heym diesen Hintergrund in seine
Lyrik einbezieht.
Insgesamt
hoffe ich eine Antwort auf diese Fragen zu finden um dem
Grundgedanken Georg Heyms zu folgen.
1.
Die Epoche des Expressionismus
Der
Expressionismus lässt sich als eine Stilrichtung beschreiben, welche
„vom Willen [getrieben] zu
einer Erneuerung der Dichtung und des Lebens von Grund auf“1
aufruft. Der aus dem Latein stammende Begriff heißt übersetzt
soviel wie „Ausdruck“ und wurde erstmals im Sommer 1911 von
Kurt Hiller auf die Literatur übertragen2,
da das Wort „Expressionismus“ zuvor nur im künstlerischem Sinne
benutzt wurde, um die Bilder Picassos und Braques zu
beschreiben.
Hillers
Anliegen war es, die damalige Epoche von etwa 1905 bis 1925 zu
beschreiben. Laut einiger Historiker ist heutzutage davon auszugehen,
dass sich wichtige Werke der Expressionisten selbst nach dem zweiten
Weltkrieg finden lassen.
Die
Schriften, zum Beispiel von Else Lasker-Schüler, Ernst Stadler und
Georg Heym, sind durch antibürgerliches und antinationalistisches
Denken geprägt. In ihren Texten beschäftigen sie sich mit
zeitlichen Phänomenen, wie zum Beispiel der „rasanten
Industrialisierung und ihren Konsquenzen“3,
aber auch mit dem Wachstum der Städte, welche für sie als gänzlich
negativ, mit Weltuntergangsvisionen, angesehen wird.4
Ihr
Ziel
ist es mit ihren Texten die erstarrte und gesinnungslose Gesellschaft
aufzuwecken und auf ihre fast schon aussichtslose Lage
aufmerksam zu machen. Weitere Kritikpunkte stellen die
Technisierung und die Etablierung der Medien dar. Aus diesen Gründen
wird vor allem das Bürgertum zum „Angriffsziel“5
der oftmals aggressiven Literatur. Nach Meinung der
Schriftsteller verliert der Mensch innerhalb der technischen
Entwicklung sich selbst und es kommt zu einer „Dissoziation
des Ichs“.6
Dies
bedeutet, dass der Mensch in seiner normalen Funktion des
Bewusstseins, des Gedächtnises, aber auch seiner Identität
unterbrochen wird. Ihr momentanes Befinden beschrieben die
Literaten nicht nur in ihren Themen, sondern auch in typischen
Gestaltungsformen, welche sich in vielen verschiedenen Werken
wieder finden lassen. Dazu gehört zu aller erst der sogenannte
Reihungsstil oder auch Parataxe. Bei diesem Kennzeichen werden
kurze Hauptsätze aneinander gereiht, obwohl sie weder logisch, noch
syntaktisch miteinander verbunden sind. Andere Anhaltspunkte können
auch Neologismen oder die Verwandlung des Menschen zu einem
Objekt sein.
Diese
Verwandlung und der damit verbundene Verlust der Individualität fand
vor allem in den neu entstehenden Großstädten statt. Die neuen
Techniken, wie zum Beispiel die Straßenbahn, aber auch neue
Fabriken, lockten die Menschen vom Lande in Städte wie Hamburg,
Dresden, Leipzig, jedoch in erster Linie Berlin. Dieser neue
Lebensstil führte nach einiger Zeit zur Entfremdung der Menschen,
oder wie die Expressionisten ihn bezeichnen, zum „Ich-Zerfall“.
2.
Allgemeines zur Großstadtliteratur
Die
Großstadt wird zur Zeit des Expressionismus als ein „neues
Phänomen“ angesehen, da es das „Gegenbild zu aller Idyllik“7
darstellt. Allen voran London und Paris, denn mit einer Einwohnerzahl
von über 2 Millionen galten diese Städte als etwas Neues,
Unbekanntes und nicht Vergleichbares. Diese Entdeckung nimmt
nicht nur Einfluss auf Reisedarstellungen, sondern verändert
die fiktionale Literatur, da es nun eine neue Gesellschaft zu
beschreiben gilt, die sich innerhalb kürzester Zeit
weiterentwickelt.
In
Deutschland spielt die Großstadtliteratur erst ab 1890 eine größere
Rolle, denn plötzlich tritt das „ politische Geschehen und
[die] soziale Situation“8
in den Vordergrund. Auslöser hierfür sind Gesellschaftsromane und
die neuen Erfahrungen, denn die Schriftsteller treten nicht mehr
länger als Besucher der Städte auf, sondern als Bewohner. Die
Großstadt bietet neuen Lebensraum, doch nicht nur das, sondern auch
einen „unentrinnbar[en] vorgegeben[en] Erfahrungsraum“9.
Die Autoren lernen eine neue Selbst-
und
Fremdwahrnehmung, wodurch es ihnen leichter fällt das neue Leben so
authentisch wie möglich zu beschreiben.
Durch
Fontanes „Gesellschaftsromane“ tritt Berlin mehr und mehr in das
Zentrum der Expressionisten. Zuallererst galt es, sich dem neuen
„Exotischen“ anzunähern und vertraut mit ihm zu werden,
erst im späteren Verlauf spielt der „Ich-Zerfall“ eine
wichtigere Rolle.
Laut
Georg Simmel verlangt die Großstadt den Bewohnern neue Kompetenzen
ab und steigert das Nervensystem.10
Er
spricht von einer Überflutung von Sinneswahrnehmungen, welche nie da
gewesen sind. Dadurch muss der Mensch sich selbst eine Art Abtrennung
gegen sämtliche Außenreize bauen. Waltraud Wende führt diesen
Gedanken nun weiter und sieht durch diesen Schutzpanzer den
Intellekt als „Distanzierungsinstrument“, woraus jedoch auch
Distanz, Oberflächlichkeit und Gefühlslosigkeit folgen. 11
Der Mensch verliert zwischenmenschliche Beziehungen,
schlimmstenfalls sogar sich selbst.
3.
Georg Heyms Biographie
„Du
hast keine edle Seele. Sowas kann ich nicht lesen […]
Warum schreibst Du denn nichts
im >Daheim< oder in der >Gartenlaube<.“12
Dieses
Zitat stammt von Heyms Mutter über dessen Lyrik aus dem Jahre 1911.
Die Sätze spiegeln in einer gewissen Art und Weise die Kindheit
des bekannten Dichters des Expressionismus wieder. Heym selbst sagt,
dass er „einer der größten Dichter geworden [wäre],
wenn [er ] nicht einen solchen schweinernen Vater gehabt hätte.“13
Georg
Heym wird am 30.Oktober 1887 unter dem vollständigen Namen: Georg
Theodor Franz Arthur Heym in Hirschberg, Schlesien, geboren.
Seine
Eltern erziehen den Jungen mit „Altpreußische[n] Beamtenstolz und
evangelisch-strenge[r] Religiosität“14
Dieses Erziehungsbild entstammt den Vorfahren Heyms Eltern,
einer Beamtenfamilie.
Sein
Vater Hermann Heym war von Beruf Staatsanwalt, schaffte es jedoch
nicht, seinem Sohn einen Ort zu bieten, an dem er „wurzeln
konnte“.15
Heym wechselt innerhalb seiner Schullaufbahn sechs mal die
Schule, da sein Vater versetzt wurde oder Heym selbst die Schule, auf
Grund seiner schlechten Leistungen und einem Schülerstreich,
verlassen musste. Das Abitur erreicht er im März 1907 am
Friedrich-Wilhelms-Gymnasium in Neu-Ruppin. Das einzige Wort das er
dazu in seinem Tagebuch, welches er seit einigen Monaten führt,
notiert, ist „Frei“16
Auf
Wunsch seines Vaters beginnt er in Würzburg zum Sommersemester ein
Jurastudium, welches er 1908 in Berlin weiterführt.
Georg
Heym tritt in den „philosphisch-literarische[n] Kreis junger
Schriftsteller“17,
„Der neue Club“, ein. Dort trifft der Dichter auf viele
Gleichgesinnte und berühmte Autoren, unter anderem Kurt Hiller oder
Ernst Blass. Diese Vereinigung von Expressionisten gibt Heym die
Kraft, aber auch die Voraussetzung, seine Texte in der Öffentlichkeit
zu präsentieren und somit Verlage auf sich aufmerksam zu
machen.
Nach
dem Abschluss seines 1. Staatsexamens im Jahre 1911 bekommt er die
Stelle eines Kammergerichtsreferendars am Amtsgericht
Berlin-Lichterfelde. Er übte diesen Beruf nur wenige Monate
aus, da er eine Grundbuchakte vernichtet und daraufhin
gekündigt wird. Auch seine Dissertation wird noch im selben
Jahr von der Universität in Würzburg abgewiesen.
Heym
entscheidet sich daraufhin der Tätigkeit als Jurist nicht weiter
nach zu gehen. Seine Hoffnung besteht nun darin, eine
militärische Laufbahn als Offizier einzuschlagen.
Jegliche
Anläufe scheitern jedoch.
Seine
Tagebucheinträge sind zu diesem Zeitpunkt von Depression,
Traurigkeit, aber auch Einsamkeit und Verzweiflung geprägt. So
schreibt er beispielsweise am 09. Oktober 1911:
„ Ich
weiß nicht mehr, wo mein Weg hingeht. Früher war alles klar,
einfach. Jetzt ist alles dunkel, auseinander zerstreut.“18
Letztendlich
genehmigt der Truppenverbund in Metz den Beitritt Heyms, allerdings
kommt diese Nachricht zu spät, denn Georg Heym ertrinkt am 16.
Januar 1912 mit seinem Freund Ernst Balcke in der Havel. Balcke
stellte für Heym nicht nur einen seiner engsten Vertrauten dar,
sondern „wurde Heyms Vermittler englischer und französischer
Dichtung“19
Heym und Balcke verabredeten sich
an diesem Nachmittag, um eine Schlittschuhpartie auf der Havel zu
unternehmen. Sie brachen an einer „vorher offenen, nur mit
dünner Eisschicht bedeckten Stelle“ ein.20
Am 24. Januar 1912 wurde Georg Heym im Alter von 25 Jahren auf dem
Friedhof der Luisenkirchengemeinde in Berlin-Charlottenburg
beerdigt.
Was
in diesem Zusammenhand äußerst merkwürdig erscheint, ist ein
Tagebucheintrag vom 02. Juli 1911. Darin beschreibt Heym einen
Traum, von eben diesem Unfall der ein halbes Jahr später geschieht.21
4.
Heyms „Berlin-Gedichte“
4.1
Berlin I
Der hohe
Straßenrand, auf dem wir lagen,
War weiß von Staub. Wir sahen
in der Enge
Unzählig: Menschenströme und Gedränge,
Und
sahn die Weltstadt fern im Abend ragen.
Die vollen Kremser
fuhren durch die Menge,
Papierne Fähnchen waren
drangeschlagen.
Die Omnibusse, voll Verdeck und
Wagen.
Automobile, Rauch und Huppenklänge.
Dem
Riesensteinmeer zu. Doch westlich sahn
Wir an der langen Straße
Baum an Baum,
Der blätterlosen Kronen Filigran.
Der
Sonnenball hing groß am Himmelssaum.
Und rote Strahlen schoß
des Abends Bahn.
Auf allen Köpfen lag des Lichtes Traum.
Das Gedicht „Berlin
I“ erscheint im April 1910 als Druckfassung nach verschiedenen
vorläufigen Textvarianten.
4.1.1
Aufbau und Inhalt
Dieses Gedicht, wie
auch viele andere, lässt sich als ein klassisches Sonett, bestehend
aus zwei Strophen mit jeweils 4 Versen und 2 Strophen mit jeweils 3
Versen einordnen. In dieser Hinsicht unterscheidet sich Georg Heym
von anderen Expressionisten, welche die „konventionellen metrischen
Formen der deutschsprachigen Poesie gesprengt und hinter sich
gelassen [haben]“22.
Den
beiden Quartetten liegt ein umarmender Reim ABBA und BAAB zu Grunde
und sie enden mit einer weiblichen Kadenz.
Die Terzette enden
mit einer männlichen Kadenz und werden von einem Kreuzreim der Form
CDC und DCD abgeschlossen. Auch im Vermaß, einem fünfhebigen
Jambus, wird deutlich, dass Heym sich an die traditionelle Kunst der
Lyrik hält. Jedoch ist das Gedicht von einer „massiven
Spannung zwischen der traditionellen Sonettform auf der einen Seite
und dem dargestellten Gegenstand [...]“23
geprägt. Georg Heym beschreibt in seinem Gedicht eine moderne
Großstadt, jedoch beschreibt er diese als „voll“(V.7),
unübersichtlich und eng.
Das
Gedicht beginnt mit einer knappen Beschreibung der Situation, in der
sich das „völlig unbestimmte [W]ir“24
außerhalb der Stadt befindet. „Der hohe Straßenrand“ (V.1) darf
hier nicht fälschlicher Weise als Bordstein angesehen werden,
sondern kennzeichnet das Ende der Verkehrswege, also eine Art
Bankett.25
Die hier genannte „Weltstadt“ (V.4)
wird durch den Titel „Berlin I“ als die damalige Reichshauptstadt
identifiziert und in der zweiten Strophe differenzierter beschrieben.
Heyms
Großstadtbeschreibung, welche vor allem enorme Bewegung
widerspiegelt, wird durch die „Omnibusse“(V.7), die
„Automobile“(V.8) und den Kremsern26,
welche durch die Menge fahren (vgl. V.5) charakterisiert. Allerdings
sieht Heym dieser Entwicklung keineswegs positiv entgegen. Die
Stadtbewohner werden lediglich als „Menge“ (V.5)
dargestellt, es wirkt laut und durcheinander durch den „Rauch und
[die] Huppenklänge“ (V.8)
Der
Blick des Betrachters wendet sich in der dritten Strophe vom
„Riesensteinmeer“(V.9) zu den Bäumen. Hier trennt die
„lange[...] Straße“ (V.10) das Großstadtleben von der Natur ab.
Man erkennt, dass die Entwicklung der Stadt „nicht bloß ihre
Einwohner [entmenscht]“27,
sondern auch die Umwelt zerstört. Heym beschreibt die Kronen
der Bäume blätterlos und filigran.
In
der letzten Strophe löst sich das lyrische Ich vollständig vom
Stadtgeschehen und seiner Umgebung ab. Es blickt zur Sonne und
dem Himmel und verbindet diesen Moment mit dem Aufkommen von Gedanken
und Wünschen.
4.1.2
Sprache
Heyms
Werk „Berlin I“ lässt sich als ein Gedicht des Sehens und
Betrachtens beschreiben. Dies wird durch die dreifache
Wiederholung des Wortes „sahn“ (V.2,4,9) deutlich. Die
Gegenstände, beziehungsweise Objekte, welche das lyrische Ich
betrachtet, beschäftigen sich vorrangig mit der Modernisierung
und Urbanisierung, folglich auch mit Bewegung. Dieses Geschehen
schildert Heym durch die übergroße Anzahl an Subjektiven, welche
primär mit Fortbewegung und Dynamik in Verbindung stehen. Die
Menschen in der Stadt treten in „Menschenströmen“ (V.3) oder
„Gedränge[n]“(V.3) auf. Auch die „Omnibusse“(V.7),
„Automobile“(V.8) und „Wagen“(V.7) fahren durch die Stadt und
erzeugen Unruhe. Doch nicht nur Heyms bildhafte Sprache vermittelt
diesen Eindruck, auch der Mangel an Artikeln trägt dazu bei. Wie
schon zu Beginn bemerkt wurde, steht der Inhalt im Gegensatz
zum klar gegliederten Aufbau des Gedichtes. Der reine Lesefluss wird
zusätzlich von vielen Enjambements unterbrochen. (vgl. V2/3,
V.9/10, usw.)
4.1.3
Interpretation
Georg
Heym beschreibt die Großstadtszenerie von außerhalb, was daraus
schließen lässt, dass die Menschen in der Stadt ihre
Lebenssituation nicht beurteilen können.
Hinzu
kommt der Ich-Zerfall, welcher ein typisches Thema für die
Großstadtexpressionisten ist. Heym beschreibt in „Berlin I“
keine Individuen, sondern spricht ausnahmslos von
„Menschenströmen“(V.3) oder der „Menge“(V.5). Die Maschinen
und Vehikel werden deutlich aufgezeigt, was vermuten lässt,
dass nach Heym die Technik den Stellenwert des Menschen
einnimmt. Selbst das lyrische Ich versteht sich nicht als Einzelnes
und zählt sich damit zu einem unbekannten „Wir“. Hieraus lässt
sich schließen, dass die „Menschen mental und emotional ohnehin
weitgehend nivelliert sind“ 28
und somit der Verlust der Individualität beschrieben werden könnte.
In der vierten Strophe wendet sich der Betrachter vollkommen zur
Sonne, welche als Symbol für das Leben auf der Erde angesehen
werden kann und zum Himmel, welcher der „althergebrachte Ort
metaphysischer Erlösungsvorstellungen“ 29
ist.
Obwohl
die Stadt als voll und eng beschrieben wird, der Himmel jedoch nur
vage und unkonkret, lässt sich sagen, dass hier andeutungsweise
Erlösungshoffnungen geschildert werden, da der Himmel noch nicht von
der Technik kontrolliert und als frei angesehen wird.
4.2
Berlin II
Beteerte Fässer rollten
von den Schwellen
Der dunklen Speicher auf die hohen
Kähne.
Die Schlepper zogen an. Des Rauches Mähne
Hing
rußig nieder auf die öligen Wellen.
Zwei Dampfer kamen
mit Musikkapellen.
Den Schornstein kappten sie am
Brückenbogen.
Rauch, Ruß, Gestank lag auf den schmutzigen
Wogen
Der Gerbereien mit den braunen Fellen.
In allen
Brücken, drunter uns die Zille
Hindurchgebracht, ertönten die
Signale
Gleich wie in Trommeln wachsend in der Stille.
Wir
ließen los und trieben im Kanale
An Gärten langsam hin. In
dem Idylle
Sahn wir der Riesenschlote Nachtfanale.
Dieses Gedicht
entsteht nur wenige Monate nach „Berlin I“ und erscheint am
23.11.1910 im damaligen Wochenblatt „Der Demokrat“. Durch diese
Publikation werden viele Verlage aufmerksam auf Georg Heym.
4.2.1
Aufbau und Inhalt
Heym behält auch in
„Berlin II“ die Form des klassischen Sonetts bei. Die zwei
Quartetten weisen einen umarmenden Reim der Form ABBA und ACCA
auf, die zwei Terzette einen Kreuzreim der Form DED und EDE.
Genauso typisch ist der Versrythmus des fünfhebigen Jambus, welcher
in den meisten Werken Heyms zu finden ist. Der Unterschied zu
„Berlin I“ besteht einzig und allein in der Kadenz, da jeder Vers
des obigen Gedichtes mit einer männlichen endet.
Heym beschreibt in
„Berlin II“ eine Kahnfahrt durch den Hafen Berlins, diese Szene
wird erst zu Ende des Gedichts deutlich, da sich in den ersten
Strophen nicht feststellen lässt, wo genau sich das lyrische Ich
befindet. Zuallererst werden die Arbeiten am Hafen beschrieben,
die Situation wirkt durch Worte wie „beteerte“(V.1),
„dunkel“(V.2), „rußig“(V.4) verdreckt und riskant. Das
Wort „Wellen“(V.4) wirkt antithetisch zum Rest der Situation,
denn die Wellen vermitteln eine ruhige Stimmung im Gegensatz zu den
hektischen Arbeiten. Die Arbeiter im Hafen werden dabei völlig
vernachlässigt.
In der zweiten
Strophe fokussiert Heym „zwei Dampfer“(V.5) und
„Schornsteine“(V.6) . Auf den Dampfern befindet sich eine
Musikkapelle, diese könnte wieder zweideutig angesehen werden.
Entweder werden die Schiffshörner beschrieben, oder eine
Musikkapelle, bestehend aus Menschen und Instrumenten.
Auch benutzt Heym
wieder Begriffe wie „Rauch, Ruß, Gestank“(V.7) um die
schmutzige und gefährliche Arbeit einer Gerberei darzustellen.
Wie schon in der ersten Strophe baut Heym eine Antithese ein, in dem
er diesmal anstatt Wellen Wogen in den Kontext einbezieht.
Am auffälligsten in
den ersten beiden Strophen ist das Verbergen von Menschen. Heym
beschreibt nicht ein einziges Mal ein menschliches Wesen, sämtliche
Arbeiten und Abläufe, welche nur durch humanitäres Eingreifen
gelingen, laufen wie von selbst ab.
Zwischen der zweiten
und der dritten Strophe kommt es zu einer Zäsur.
Plötzlich treten
Menschen auf, wenn auch nur durch „uns“(V.9). Zwar werden keine
Individuen beschrieben und auch das lyrische Ich zählt sich
ohne weiteres zu den Anderen, trotz alledem sind Personen
vorhanden. Diese Menschen beschreibt Heym allerdings sehr
passiv,, denn ihnen wird die „Stille“(V.11) zugeordnet, während
vom Hafen und von den Maschinen die „Signale“(V.10) ausgehen.
Die vierte Strophe
beginnt mit den Worten „Wir ließen los“(V.12), ob Heym damit
meint, dass sie sich vom Geschehen nur abwenden oder den Anker lösen
und den Hafen ganz verlassen, ist nicht deutlich zu erkennen.
Erst durch die
auftretenden Gärten wird klar, dass das Boot sich von der Industrie
entfernt. Ob man diese Grünanlagen jedoch als Idylle (vgl.
V.13) bezeichnen kann, bleibt fraglich. Auch die „Nachtfanale“30(V.14)
unterstützen keineswegs die Vorstellung einer gefahrlosen und
idyllischen Situation.
4.2.2
Sprache
Heym benutzt auch in
diesem Gedicht viele Enjambements, wie zum Beispiel Vers 3 bis Vers
4.
Gleichzeitig findet
man dort eine Personifikation, denn der Rauch wirkt durch seine
Mähne menschlich.31
Dies ist nicht die einzige „Vermenschlichung“, auch in Vers 11
wachsen die Trommeln, was eigentlich nur Lebewesen können.32
Dass Heym die
posaunenden Schiffshörner als Musikkapellen beschreibt liegt nahe,
denn dies ist nicht der einzige Vergleich zum Bildfeld Musik.33
Auch in Vers 10 und Vers 11 setzt Heym die Geräusche am Hafen mit
Musik in Verbindung, was die Abläufe in gewisser Art und Weise als
abgestimmt und geregelt erscheinen lässt.
Wie schon genannt
findet man zwischen der zweiten und der dritten Strophe eine Zäsur,
was typisch für ein Sonett ist. In den ersten beiden Strophen wird
nur die Situation beschrieben, erst ab den Terzetten tritt das
lyrische Ich in Erscheinung.
Heym benutzt auch in
„Berlin II“ viele Metaphern um dem Leser ein imaginäres Bild der
Situation zu verschaffen. Metaphern wie: „ Hing rußig nieder auf
die öligen Wellen“(V.4) oder „Gleich wie in Trommeln wachsend in
der Stille.“(V.11), sind nur zwei Beispiele für seine überaus
bekannte bildhafte Sprache.
Heym beschreibt die
Arbeit in einer Gerberei mit dem Klimax „Rauch, Ruß,
Gestank“(V.7), was die Situation als dreckig und gefährlich
darstellt. Außerdem findet man im gleichen Atemzug ein für Heym
weiteres bekanntes Stilmittel, nämlich die Farbsymbolik. Der gesamte
Eindruck des Hafens erscheint dunkel und verschmutzt, die Gerberei
wird eindeutig mit dem Wort „braun“(V.8) beschrieben.
Zuletzt sind noch
die Antithesen in „Berlin II“ zu nennen. Wie schon genannt
entsteht ein Kontrast zur auf brausenden und ruhelosen Lage am Hafen
und den Worten „Wellen“(V.4) und „Wogen“(V.7). Auch die
„Signale“(V.10) von Hafenarbeitern und Maschinen
durchbrechen die „Stille“(V.11) der Menschen auf dem Schiff. Die
letzte wichtige Antithese wird durch die Gärten, welche als
Idyll dargestellt werden und den Riesenschloten der Industrie
gekennzeichnet.34
4.2.3
Interpretation
Heym
vermittelt den Eindruck eines vollen Hafens, aufgewühlt durch viele
verschiedene Arbeiten, welche die Umwelt verschmutzen und den
Port verunreinigen. Gleichzeitig scheint es so, als bräuchte man für
dies keine Menschen mehr. Die Menschen befinden sich auf einem
Boot, als in gewisser Weise abgeschnitten zum Hafen selbst und
unfähig in das Geschehen einzugreifen, oder etwas zuverändern. In
„Berlin I“ befindet sich sämtliche Technik in der Stadt. Hier
wird deutlich, dass Maschinen und Dynamik nicht nur am Festland zu
finden sind, sondern auch auf dem Wasser. Die Brücke, welche hier
als Kontakt zwischen Menschen und Industrie agiert, beschreibt Heinz
Rölleke als das Symbol des Verbindens in der deutschen Dichtung.35
Entfernt man sich ein Stück vom Hafen und den geschäftigen
Verhältnissen wird deutlich, dass es mittlerweile zwei Welten in
einer Stadt gibt. Auf der einen Seite die Industrie, welche
unermüdlich arbeitet und ewig erscheint und auf der Anderen, die
Menschen und ihre noch vorhandenen Zufluchtsorte, wie zum
Beispiel kleine Gärten.
4.3
Berlin III
Schornsteine stehn in großem Zwischenraum
im Wintertag, und tragen seine Last,
des schwarzen
Himmels dunkelnden Palast
Wie goldne Stufe brennt sein niedrer
Saum.
Fern zwischen kahlen Bäumen, manchem Haus,
Zäunen und Schuppen, wo die Weltstadt ebbt,
und auf
vereisten Schienen mühsam schleppt
Ein langer Güterzug sich
schwer hinaus.
Ein Armenkirchhof ragt, schwarz, Stein an
Stein,
die Toten schaun den roten Untergang
aus
ihrem Loch. Er schmeckt wie starker Wein.
Sie sitzen
strickend an der Wand entlang,
Mützen aus Ruß dem nackten
Schläfenbein,
zur Marseillaise, dem alten Sturmgesang.
„Berlin
III“, welches oft auch als „Berlin IV“ bezeichnet wird, ist das
letzte Gedicht aus Heyms Berlin-Zyklus und wurde im Dezember 1910
verfasst.
4.3.1
Aufbau und Inhalt
Wie schon
bei „Berlin I“ und „Berlin II“ hält Heym sich an die
klassische Form eines Sonetts, bestehend aus vier Strophen mit
jeweils zwei Quartetten und zwei Terzetten.
Die zwei
Quartette werden von einem umarmendem Reim der Form ABBA und CDDC
umschlossen. Das Reimschema EFE und FEF in den zwei Terzetten lässt
auf einen Kreuzreim schließen.
Auch beim
Versfuß, einem fünfhebigen Jambus, bleibt Heym seinem Schreibstil
vollkommen treu, wie auch bei der durchgängigen männlichen
Kadenz.
Die
Beschreibung der Großstadt mit ihren „Schornsteine[n]“(V.1)
findet aus einiger Entfernung statt. Das lyrische Ich berichtet nur
kurz von dem Bild, welches sich vor ihm bietet, dennoch entsteht eine
relativ genaue Vorstellung der Lage, wenn auch eine sehr düstere.
Schon in der ersten Strophe lässt sich eine klare apokalyptische
Stimmung erkennen, welche in späteren Gedichten Heyms zum
Mittelpunkt wird.
Die
Großstadt verschmilzt mit der Abenddämmerung, weshalb keine
Übergänge mehr erkennbar sind.
In
der zweiten Strophe entfernt sich der Blick von der Industrie und
wendet sich an Randgebiete, wo man Gärten und Häuser erahnen kann.36
Das
wichtigste Symbol in dieser Strophe stellt der „Güterzug“(V.8),
welcher langsam und träge die Stadt verlässt, dar. Die Schwere aus
Strophe 1 setzt sich mit diesem Bild fort.
Zwischen
der zweiten und der dritten Strophe findet nun wieder eine Zäsur
statt.
Von
der anfänglichen Distanz befindet sich das lyrische Ich nun auf
einem Friedhof und die für Heym typischen apokalyptischen Bilder
kommen zum Vorschein. Die Grabsteine werden als dicht nebeneinander
beschrieben, was eine gewisse Enge darstellt. Die Toten betrachten
den Sonnenuntergang, welcher als „rote[r] Untergang“ (V.10)
beschrieben wird. Diese Untergangsstimmung wird mit starkem Wein
verglichen, was erahnen lässt dass es nur schwer zu ertragen ist.
In
der vierten und damit letzten Strophe kann man eine Verbindung zu
Heines Gedicht „Die schlesischen Weber“ feststellen. Die Toten
singen die Marseillaise, welche mit der französischen Revolution in
Verbindung gebracht wird. Dabei stricken sie Mützen aus Ruß, was
wieder an die Fabriken aus den ersten beiden Strophen erinnert. Durch
„das Bild der >>Mützen aus Ruß<<“, zeigt Heym „das
Gespinsthafte der Totenexistenz, die Tristheit der Umwelt und die
Blöße der Armut“37
4.3.2
Sprache
Im
gesamten Gedicht lassen sich Worte finden, welche eine düstere und
dunkle Stimmung verbreiten. („Last“(V.2), „schwarzen;
dunkelnden“(V.3), „kahlen“(V.5) etc.)
Doch
nicht nur diese Worte vermitteln eine Art Beklommenheit, auch die
zwei einzigen Ausdrücke für Bewegung, „schleppen“(V.7) und
„ragen“(V.9), wirken eher träge durch die Adjektive
„mühsam“(V.7) und „schwer“(V.8).
Wie
schon in „Berlin II“ spricht Heym von Schornsteine[n]“(V.1) und
hier auch von einem „Güterzug“(V.8), diese wirken aber
gleichsam als Metapher. Die Schornsteine werden in Verbindung
mit Pfeilern gebracht, da sie die Last des Himmels tragen müssen.
Der Güterzug steht für das Entfliehen aus der Stadt, was
mittlerweile als schwierig empfunden wird.
Diese
finstere und trostlose Atmosphäre wird „durch die Kumulierung der
dumpfen Vokale "u" und "o" “ in Strophe
eins und "ü" und "u" in Strophe zwei verstärkt.
38
Des
Weiteren lassen sich wieder Personifikationen finden, wie zum
Beispiel die „Schornsteine“ welche „stehn“39
und eine Last tragen.40
Auch der Güterzug bewegt sich in gewisser Weise wie ein Lebewesen,
wenn auch nur schleppend.41
Die
Worte „Stein an Stein“(V.9) wirken sehr eindringlich durch ihre
Wiederholung.
Die
Farbsymbolik, welche sich schon in „Berlin II“ andeutete, ist nun
klar zu erkennen.
Das
gesamte Gedicht ist von Wörtern wie „schwarz“(vgl. V. 3 und 9),
„dunkel“(vgl. V.3), „golden, brennt“(vgl. V.4),
„vereist“(vgl. V.7) oder „rot“(vgl. V.10) durchzogen.
Diese
Adjektive verschaffen dem Leser ein klares und sehr realistisches
Bild, welches Heym versucht zu beschreiben. Die Farben dienen nicht
nur einer guten Darstellung, sondern stellen auch einen gewissen
Kontrast dar. Der schwarze Himmel (vgl. V.3) und die „goldenen
Stufen“ (vgl. V.4) wirken inkongruent.
4.3.3
Interpretation
Walter
Hinck sieht in dem Gedicht „Berlin III“ „die Alpträume des
Steinwüsten-Bewohners“42,
welche Heym ganz klar verdeutlicht. Die Worte „Palast“(V.3) und
„goldne Stufen“(V.4) lassen noch auf Luxus und Glanz schließen,
durch den Güterzug und auch den dunklen Himmel wird diese
Vorstellung schnell zerschlagen. Der Dichter berichtet in seinem
Gedicht von der Ahnung einer Apokalypse, welche die Toten durch den
„roten Untergang“(V.10) wahrscheinlich schon wahrnehmen, die
Stadtbewohner jedoch nicht.
Die Farbe Rot, welche er im Zusammenhang mit Untergang, sowie dem
Wein aufgreift, wirkt aufreizend, zugleich aber auch gefährlich.
Darüber hinaus spielt Heym durch die „Marseillaise“ auf die
französische Revolution an, dies zeigt, dass er erstmals
in seinem Berlin-Zyklus die damalige Geschichte einbezieht. Die
Toten werden als gescheitert dargestellt, sie sitzen strickend in
einer Reihe und können dem Untergang nur entgegen sehen, allerdings
nichts daran ändern. Allem Anschein nach ist Heym der Meinung, dass
sich nur durch eine Revolution, wie sie in Frankreich stattfand,
eine Änderung ergeben kann. Diese „Nahtstelle zwischen realer
Gegenständlichkeit und jener visionären Bilderwelt“43
ist es, die Heym so unverkennbar macht.
4.4
Veränderung der Sichtweisen zu Berlin
Der Zeitraum, in
welchem die Gedichte entstanden, beläuft sich auf circa neun Monate.
Schon in „Berlin
I“ wird deutlich, dass eine Betrachtung der Großstadt nur von
außerhalb möglich ist. In keinem der drei Gedichte befindet
sich das lyrische Ich in Mitten der Stadt, sondern immer leicht
abgesondert, wie zum Beispiel auf einem Boot in „Berlin II“.
Auch die Darstellung
der Menschen verändert sich im Laufe des „Berlin-Zyklus“.
Spricht Heym zu
Beginn noch von „Menschenströmen und Gedränge“(V.3, „Berlin
I“) kommt es im Weiterem zu einem unbestimmten „wir“(V.12,
„Berlin II“) bis letztendlich keine Menschen mehr vorkommen,
sondern nur „Tote[...]“(V.10,
„Berlin III).
Auch der Stellenwert
der Maschinen entwickelt sich ins Negative. Zwar werden schon die
„Automobile“(V.8, „Berlin I“) als störend und
umweltzerstörend dargestellt und auch die Arbeiten in einem Hafen
verschmutzen eher die Natur (vgl. „Berlin II“), doch in „Berlin
III“ ist es sogar ein „Güterzug“(V.8, „Berlin III“) der
versucht der Großstadt zu entkommen.
Die Bewegung spielt
in „Berlin I“ und „Berlin II“ eine relativ große Rolle, in
dem viele Maschinen oder Arbeiten beschrieben werden und damit eine
bestimmte Dynamik entsteht. Bei „Berlin III“ lässt sich
fast keine Lebhaftigkeit finden.
Auffällig ist zudem
die Herabstufung des Himmels in seinen Gedichten. Spricht Heym in
„Berlin I“ noch von einer Art Zufluchtsort, dem Himmel, welchen
er als Paradies und „Traum“(V.14, „Berlin I“) ansieht, so
entsteht bei „Berlin III“ ein eher mystisches Bild. Der Himmel
ist schwarz und dunkel, die Stadt mit ihren Schornsteinen muss diese
Last tragen.44
Innerhalb
der drei Gedichte lässt sich eine Steigerung ins Negative
feststellen.
4.5
Die Darstellung der Großstadt
Vor allem Heinz
Rölleke hat sich mit dem Thema auseinander gesetzt, in welcher Art
und Weise Heym die Großstadt zur damaligen Zeit darstellt.
Laut Stadlers
Meinung bejaht Heym die Gegenwart vollständig, jedoch stellt Rölleke
fest, dass es sich um „ein Demaskieren und schonungsloses
Offenlegen all ihres Grauens.“45
handelt.
Vor allem „Berlin
II“ und „Berlin III“ sind von Dunkelheit geprägt, das
Mystische übernimmt immer mehr die Oberhand, was „auch die
moderne Industrie [zu einer]
Quelle der Todesatmosphäre“46
macht.
Es wirkt, zum
Beispiel durch die Totensymbolik in „Berlin III“, so, als ob die
Menschen auf die Stadt angewiesen sind, egal ob im Hier und
Jetzt oder nach dem Tod.
Andererseits stellt
Rölleke fest, dass die Berlin-Gedichte zu wenig bildhaft sind,
sondern die Sprache noch zu sehr im Vordergrund steht. Seiner
Meinung nach lassen sich in anderen Gedichten bessere Anhaltspunkte
dafür finden, dass die Stadt den Menschen benutzt, „entseelt oder
vernichtet“47
Heym
spricht in seinem „Berlin-Zyklus“ nicht von einem völligen
Ich-Verlust, sondern versucht die Menschen zu erziehen und damit zu
verbessern. 48
5.
Berlin um 1910
5.1
Allgemein geschichtliches
Ab 1871 war Berlin
Reichshauptstadt, was dazu beitrug, dass auch das Ausland aufmerksam
auf Deutschland wurde. Die Zeit ist von Kultur, Wissenschaft und
Forschung geprägt. Viele Menschen besuchen Berlin oder entscheiden
sich sogar vollkommen nach Berlin zu ziehen. Innerhalb kürzester
Zeit steigt die Einwohnerzahl rasant an, bis sie Anfang des 20.
Jahrhunderts die 2 Millionen-Grenze überschreitet.
Berlin hatte sich zu
einem der wichtigsten Industriestandorte in ganz Europa entwickelt,
dazu wurden Handelsverbindungen auch innerhalb der Stadt
benötigt. Bereits 1902 begann man das Straßennetz durch U-Bahnen
und S-Bahnen auszuweiten um den Menschen die Möglichkeit zu geben
mobiler zu werden.
Das Wettrüsten zur
See zwischen Deutschland und Großbritannien im Jahr 1910 wirkte sich
auch auf die Gesellschaft aus, da es zu Spannungen zwischen ihrem
Vaterland und dem Ausland kam.49
Für viele stellte
dieses „verspätete Einsetzen einer rapiden industriellen
Revolution“50
eine immense Veränderung ihres alltäglichen Lebens dar. 51
5.2
Darstellung der Geschichte in Heyms Gedichten
Der „massive[]
ökonomische[] Aufschwung“ ging mit vielen „tief greifenden
Folgen für viele Bereiche der Gesellschaft“52
einher. Mit Sicherheit bezieht Heym sich auch in seinen Gedichten auf
diese Ereignisse, schließlich wollte er die Menschen auf die
Situation aufmerksam machen und sie dazu aufrufen etwas zu verändern.
Vor
allem die Technisierung und das rapide Anwachsen der Einwohnerzahl
hält Heym in seinen Gedichten fest. Die Stadt wirkt hektisch und
voll, die Maschinen, allen voran Automobile, scheinen sich noch
zusätzlich durch die überfüllte Stadt drängen zu wollen.
Ob
man politische Haltungen in seinen „Berlin-Gedichten“ finden
kann, hängt stark von der Interpretation des Lesers ab.
6.
Fazit
Ich
hoffe es ist deutlich geworden, welche Sichtweise Heym zur Großstadt
vertritt und wie er dies in seinen Gedichten schildert.
Die
Epoche des Expressionismus, mit allen verschiedenen Themen, hat sich
für mich als umfangreicher erwiesen, als ich erwartet hätte. Aus
diesem Grund ist die Epoche nur kurz, aber mit den wichtigsten
Informationen umrissen und auch bei der Großstadtliteratur wird
vornehmlich auf Deutschland eingegangen.
Meiner
Meinung nach ist es in gewisser Art und Weise nachzuvollziehen, dass
Heym vielen Dinge in seinem Leben kritisch gegenüber steht, denn
auch seine Kindheit wirkt sehr eingeengt.
Das
Problem, welches ich während der gesamten Seminararbeit hatte, lag
in der wenig vorhandenen Literatur zu den Gedichten. Aus diesem Grund
habe ich die Analyse größtenteils selbst erarbeitet, was
wiederum auch Vorteile mit sich brachte. Durch das vollkommene
Auseinandersetzen mit den Gedichten viel es mir leichter die Aussage
Georg Heyms zu verstehen.
Insgesamt
lässt sich sagen, dass die Fragen, welche ich zu Anfang stellte, als
beantwortet gelten.
7.
Literaturverzeichnis
Forschungsliteratur: