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Seminararbeit
Deutsch

Universität, Schule

Clavius Gymnasium Bamberg

Note, Lehrer, Jahr

14 Punkte, 2011

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Maxi S. ©
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Ohne Kopierschutz
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sternsternsternsternstern
ID# 43762







Vorwort

In der folgenden Seminararbeit wird auf eine wichtige Thematik des Expressionismus, der Großstadtliteratur, eingegangen. Um die Sichtweisen eines bekannten Expressionis­ten darzustellen, dienen die drei Gedichte „Berlin I“, „Berlin II“ und „Berlin III“.

Seine Gedichte spielen noch heute, 100 Jahre später, eine wichtige Rolle in der deutsch­sprachigen Literatur und sind eines der besten Beispiele in welcher Art und Weise viele der damaligen Schriftsteller der Entwicklung der Großstädte gegenüberstanden.

Dabei sind mir hauptsächlich zwei grundlegende Themen wichtig.

Worin liegt der Schwerpunkt der Epoche des Expressionismus, welche Ziele oder Hal­tungen vertreten die Literaten und wer steckt eigentlich hinter dem Künstler Georg Heym.

Die zweite Frage bezieht sich auf seine drei Gedichte über Berlin. Mein Ziel ist es die Gedichte nach Aufbau, Inhalt und Sprache zu analysieren, um daraus eine Interpretation zu ziehen.

Zum Schluss wird auf den historischen Kontext, in welchem die Gedichte entstanden sind, eingegangen und wie Heym diesen Hintergrund in seine Lyrik einbezieht.

Insgesamt hoffe ich eine Antwort auf diese Fragen zu finden um dem Grundgedanken Georg Heyms zu folgen.


1. Die Epoche des Expressionismus

Der Expressionismus lässt sich als eine Stilrichtung beschreiben, welche „vom Willen [getrieben] zu einer Erneuerung der Dichtung und des Lebens von Grund auf“1 aufruft. Der aus dem Latein stammende Begriff heißt übersetzt soviel wie „Ausdruck“ und wur­de erstmals im Sommer 1911 von Kurt Hiller auf die Literatur übertragen2, da das Wort „Expressionismus“ zuvor nur im künstlerischem Sinne benutzt wurde, um die Bilder Pi­cassos und Braques zu beschreiben.

Hillers Anliegen war es, die damalige Epoche von etwa 1905 bis 1925 zu beschreiben. Laut einiger Historiker ist heutzutage davon auszugehen, dass sich wichtige Werke der Expressionisten selbst nach dem zweiten Weltkrieg finden lassen.

Die Schriften, zum Beispiel von Else Lasker-Schüler, Ernst Stadler und Georg Heym, sind durch antibürgerliches und antinationalistisches Denken geprägt. In ihren Texten beschäftigen sie sich mit zeitlichen Phänomenen, wie zum Beispiel der „rasanten Indus­trialisierung und ihren Konsquenzen“3, aber auch mit dem Wachstum der Städte, welche für sie als gänzlich negativ, mit Weltuntergangsvisionen, angesehen wird.4 Ihr

Ziel ist es mit ihren Texten die erstarrte und gesinnungslose Gesellschaft aufzu­wecken und auf ihre fast schon aussichtslose Lage aufmerksam zu machen. Weitere Kritikpunk­te stellen die Technisierung und die Etablierung der Medien dar. Aus diesen Gründen wird vor allem das Bürgertum zum „Angriffsziel“5 der oftmals aggressiven Li­teratur. Nach Meinung der Schriftsteller verliert der Mensch innerhalb der technischen Entwick­lung sich selbst und es kommt zu einer „Dissoziation des Ichs“.6

Dies bedeutet, dass der Mensch in seiner normalen Funktion des Bewusstseins, des Ge­dächtnises, aber auch seiner Identität unterbrochen wird. Ihr momentanes Befinden be­schrieben die Literaten nicht nur in ihren Themen, sondern auch in typischen Gestal­tungsformen, welche sich in vielen verschiedenen Werken wieder finden lassen. Dazu gehört zu aller erst der sogenannte Reihungsstil oder auch Parataxe. Bei diesem Kenn­zeichen werden kurze Hauptsätze aneinander gereiht, obwohl sie weder logisch, noch syntaktisch miteinander verbunden sind. Andere Anhaltspunkte können auch Neologis­men oder die Verwandlung des Menschen zu einem Objekt sein.

Diese Verwandlung und der damit verbundene Verlust der Individualität fand vor allem in den neu entstehenden Großstädten statt. Die neuen Techniken, wie zum Beispiel die Straßenbahn, aber auch neue Fabriken, lockten die Menschen vom Lande in Städte wie Hamburg, Dresden, Leipzig, jedoch in erster Linie Berlin. Dieser neue Lebensstil führte nach einiger Zeit zur Entfremdung der Menschen, oder wie die Expressionisten ihn be­zeichnen, zum „Ich-Zerfall“.


2. Allgemeines zur Großstadtliteratur

Die Großstadt wird zur Zeit des Expressionismus als ein „neues Phänomen“ angesehen, da es das „Gegenbild zu aller Idyllik“7 darstellt. Allen voran London und Paris, denn mit einer Einwohnerzahl von über 2 Millionen galten diese Städte als etwas Neues, Unbe­kanntes und nicht Vergleichbares. Diese Entdeckung nimmt nicht nur Einfluss auf Rei­sedarstellungen, sondern verändert die fiktionale Literatur, da es nun eine neue Gesell­schaft zu beschreiben gilt, die sich innerhalb kürzester Zeit weiterentwickelt.

In Deutschland spielt die Großstadtliteratur erst ab 1890 eine größere Rolle, denn plötz­lich tritt das „ politische Geschehen und [die] soziale Situation“8 in den Vordergrund. Auslöser hierfür sind Gesellschaftsromane und die neuen Erfahrungen, denn die Schrift­steller treten nicht mehr länger als Besucher der Städte auf, sondern als Bewohner. Die Großstadt bietet neuen Lebensraum, doch nicht nur das, sondern auch einen „unentrinn­bar[en] vorgegeben[en] Erfahrungsraum“9. Die Autoren lernen eine neue Selbst-

und Fremdwahrnehmung, wodurch es ihnen leichter fällt das neue Leben so authentisch wie möglich zu beschreiben.

Durch Fontanes „Gesellschaftsromane“ tritt Berlin mehr und mehr in das Zentrum der Expressionisten. Zuallererst galt es, sich dem neuen „Exotischen“ anzunähern und ver­traut mit ihm zu werden, erst im späteren Verlauf spielt der „Ich-Zerfall“ eine wichtigere Rolle.

Laut Georg Simmel verlangt die Großstadt den Bewohnern neue Kompetenzen ab und steigert das Nervensystem.10

Er spricht von einer Überflutung von Sinneswahrnehmungen, welche nie da gewesen sind. Dadurch muss der Mensch sich selbst eine Art Abtrennung gegen sämtliche Au­ßenreize bauen. Waltraud Wende führt diesen Gedanken nun weiter und sieht durch die­sen Schutzpanzer den Intellekt als „Distanzierungsinstrument“, woraus jedoch auch Di­stanz, Oberflächlichkeit und Gefühlslosigkeit folgen. 11 Der Mensch verliert zwischen­menschliche Beziehungen, schlimmstenfalls sogar sich selbst.


3. Georg Heyms Biographie

Du hast keine edle Seele. Sowas kann ich nicht lesen […] Warum schreibst Du denn nichts im >Daheim< oder in der >Gartenlaube<.“12

Dieses Zitat stammt von Heyms Mutter über dessen Lyrik aus dem Jahre 1911. Die Sät­ze spiegeln in einer gewissen Art und Weise die Kindheit des bekannten Dichters des Expressionismus wieder. Heym selbst sagt, dass er „einer der größten Dichter ge­worden [wäre], wenn [er ] nicht einen solchen schweinernen Vater gehabt hätte.“13


Georg Heym wird am 30.Oktober 1887 unter dem vollständigen Namen: Georg Theo­dor Franz Arthur Heym in Hirschberg, Schlesien, geboren.

Seine Eltern erziehen den Jungen mit „Altpreußische[n] Beamtenstolz und evan­gelisch-strenge[r] Religiosität“14 Dieses Erziehungsbild entstammt den Vorfahren Heyms El­tern, einer Beamtenfamilie.

Sein Vater Hermann Heym war von Beruf Staatsanwalt, schaffte es jedoch nicht, seinem Sohn einen Ort zu bieten, an dem er „wurzeln konnte“.15 Heym wechselt innerhalb sei­ner Schullaufbahn sechs mal die Schule, da sein Vater versetzt wurde oder Heym selbst die Schule, auf Grund seiner schlechten Leistungen und einem Schülerstreich, verlassen musste. Das Abitur erreicht er im März 1907 am Friedrich-Wilhelms-Gymnasium in Neu-Ruppin. Das einzige Wort das er dazu in seinem Tagebuch, welches er seit einigen Monaten führt, notiert, ist „Frei“16

Auf Wunsch seines Vaters beginnt er in Würzburg zum Sommersemester ein Jurastudi­um, welches er 1908 in Berlin weiterführt.

Georg Heym tritt in den „philosphisch-literarische[n] Kreis junger Schriftsteller“17, „Der neue Club“, ein. Dort trifft der Dichter auf viele Gleichgesinnte und berühmte Autoren, unter anderem Kurt Hiller oder Ernst Blass. Diese Vereinigung von Expressionisten gibt Heym die Kraft, aber auch die Voraussetzung, seine Texte in der Öffentlichkeit zu prä­sentieren und somit Verlage auf sich aufmerksam zu machen.

Nach dem Abschluss seines 1. Staatsexamens im Jahre 1911 bekommt er die Stelle ei­nes Kammergerichtsreferendars am Amtsgericht Berlin-Lichterfelde. Er übte diesen Be­ruf nur wenige Monate aus, da er eine Grundbuchakte vernichtet und darauf­hin gekün­digt wird. Auch seine Dissertation wird noch im selben Jahr von der Universi­tät in Würzburg abgewiesen.

Heym entscheidet sich daraufhin der Tätigkeit als Jurist nicht weiter nach zu gehen. Sei­ne Hoffnung besteht nun darin, eine militärische Laufbahn als Offizier einzuschlagen.

Jegliche Anläufe scheitern jedoch.

Seine Tagebucheinträge sind zu diesem Zeitpunkt von Depression, Traurigkeit, aber auch Einsamkeit und Verzweiflung geprägt. So schreibt er beispielsweise am 09. Okto­ber 1911:

Ich weiß nicht mehr, wo mein Weg hingeht. Früher war alles klar, einfach. Jetzt ist alles dun­kel, ausein­ander zerstreut.“18

Letztendlich genehmigt der Truppenverbund in Metz den Beitritt Heyms, allerdings kommt diese Nachricht zu spät, denn Georg Heym ertrinkt am 16. Januar 1912 mit sei­nem Freund Ernst Balcke in der Havel. Balcke stellte für Heym nicht nur einen seiner engsten Vertrauten dar, sondern „wurde Heyms Vermittler englischer und franzö­sischer Dichtung“19 Heym und Balcke verabredeten sich an diesem Nachmittag, um eine Schlittschuhpartie auf der Havel zu unternehmen. Sie bra­chen an einer „vorher offenen, nur mit dünner Eisschicht bedeckten Stelle“ ein.20 Am 24. Januar 1912 wurde Georg Heym im Alter von 25 Jahren auf dem Friedhof der Lui­senkirchengemeinde in Berlin-Charlottenburg beerdigt.

Was in diesem Zusammenhand äußerst merkwürdig erscheint, ist ein Tage­bucheintrag vom 02. Juli 1911. Darin beschreibt Heym einen Traum, von eben diesem Unfall der ein halbes Jahr später geschieht.21


4. Heyms „Berlin-Gedichte“

4.1 Berlin I

Der hohe Straßenrand, auf dem wir lagen,
War weiß von Staub. Wir sahen in der Enge
Unzählig: Menschenströme und Gedränge,
Und sahn die Weltstadt fern im Abend ragen.

Die vollen Kremser fuhren durch die Menge,
Papierne Fähnchen waren drangeschlagen.
Die Omnibusse, voll Verdeck und Wagen.
Automobile, Rauch und Huppenklänge.

Dem Riesensteinmeer zu. Doch westlich sahn
Wir an der langen Straße Baum an Baum,
Der blätterlosen Kronen Filigran.

Der Sonnenball hing groß am Himmelssaum.
Und rote Strahlen schoß des Abends Bahn.
Auf allen Köpfen lag des Lichtes Traum.



Das Gedicht „Berlin I“ erscheint im April 1910 als Druckfassung nach verschie­denen vorläufigen Textvarianten.


4.1.1 Aufbau und Inhalt

Dieses Gedicht, wie auch viele andere, lässt sich als ein klassisches Sonett, bestehend aus zwei Strophen mit jeweils 4 Versen und 2 Strophen mit jeweils 3 Versen einordnen. In dieser Hinsicht unterscheidet sich Georg Heym von anderen Expressionisten, welche die „konventionellen metrischen Formen der deutschsprachigen Poesie gesprengt und hinter sich gelassen [haben]“22.

Den beiden Quartetten liegt ein umarmender Reim ABBA und BAAB zu Grunde und sie enden mit einer weiblichen Kadenz.

Die Terzette enden mit einer männlichen Kadenz und werden von einem Kreuzreim der Form CDC und DCD abgeschlossen. Auch im Vermaß, einem fünfhebigen Jambus, wird deutlich, dass Heym sich an die traditionelle Kunst der Lyrik hält. Jedoch ist das Ge­dicht von einer „massiven Spannung zwischen der traditionellen Sonettform auf der einen Seite und dem dargestellten Gegenstand [...]“23 geprägt. Georg Heym beschreibt in seinem Gedicht eine moderne Großstadt, jedoch beschreibt er diese als „voll“(V.7), unübersichtlich und eng.

Das Gedicht beginnt mit einer knappen Beschreibung der Situation, in der sich das „völ­lig unbestimmte [W]ir“24 außerhalb der Stadt befindet. „Der hohe Straßenrand“ (V.1) darf hier nicht fälschlicher Weise als Bordstein angesehen werden, sondern kennzeich­net das Ende der Verkehrswege, also eine Art Bankett.25 Die hier ge­nannte „Weltstadt“ (V.4) wird durch den Titel „Berlin I“ als die damalige Reichshauptstadt identifiziert und in der zweiten Strophe differenzierter beschrieben.

Heyms Großstadtbeschreibung, welche vor allem enorme Bewegung widerspiegelt, wird durch die „Omnibusse“(V.7), die „Automobile“(V.8) und den Kremsern26, welche durch die Menge fahren (vgl. V.5) charakterisiert. Allerdings sieht Heym dieser Ent­wicklung keineswegs positiv entgegen. Die Stadtbewohner werden lediglich als „Men­ge“ (V.5) dargestellt, es wirkt laut und durcheinander durch den „Rauch und [die] Hup­penklänge“ (V.8)

Der Blick des Betrachters wendet sich in der dritten Strophe vom „Riesensteinmeer“(V.9) zu den Bäumen. Hier trennt die „lange[...] Straße“ (V.10) das Großstadtleben von der Natur ab. Man erkennt, dass die Entwicklung der Stadt „nicht bloß ihre Einwohner [entmenscht]“27, sondern auch die Umwelt zerstört. Heym be­schreibt die Kronen der Bäume blätterlos und filigran.

In der letzten Strophe löst sich das lyrische Ich vollständig vom Stadtgeschehen und sei­ner Umgebung ab. Es blickt zur Sonne und dem Himmel und verbindet diesen Moment mit dem Aufkommen von Gedanken und Wünschen.


4.1.2 Sprache

Heyms Werk „Berlin I“ lässt sich als ein Gedicht des Sehens und Betrachtens beschrei­ben. Dies wird durch die dreifache Wiederholung des Wortes „sahn“ (V.2,4,9) deutlich. Die Gegenstände, beziehungsweise Objekte, welche das lyrische Ich betrachtet, be­schäftigen sich vorrangig mit der Modernisierung und Urbanisierung, folg­lich auch mit Bewegung. Dieses Geschehen schildert Heym durch die übergroße Anzahl an Subjektiven, welche primär mit Fortbewegung und Dynamik in Verbindung stehen. Die Menschen in der Stadt treten in „Menschenströmen“ (V.3) oder „Gedränge[n]“(V.3) auf. Auch die „Omnibusse“(V.7), „Automobile“(V.8) und „Wagen“(V.7) fahren durch die Stadt und erzeugen Unruhe. Doch nicht nur Heyms bildhafte Sprache vermittelt diesen Eindruck, auch der Mangel an Artikeln trägt dazu bei. Wie schon zu Be­ginn bemerkt wurde, steht der Inhalt im Gegensatz zum klar gegliederten Aufbau des Gedichtes. Der reine Lesefluss wird zusätzlich von vielen Enjambements unterbro­chen. (vgl. V2/3, V.9/10, usw.)

4.1.3 Interpretation

Georg Heym beschreibt die Großstadtszenerie von außerhalb, was daraus schließen lässt, dass die Menschen in der Stadt ihre Lebenssituation nicht beurteilen können.

Hinzu kommt der Ich-Zerfall, welcher ein typisches Thema für die Großstadtexpressio­nisten ist. Heym beschreibt in „Berlin I“ keine Individuen, sondern spricht ausnahmslos von „Menschenströmen“(V.3) oder der „Menge“(V.5). Die Maschinen und Vehikel wer­den deutlich aufgezeigt, was vermuten lässt, dass nach Heym die Technik den Stellen­wert des Menschen einnimmt. Selbst das lyrische Ich versteht sich nicht als Ein­zelnes und zählt sich damit zu einem unbekannten „Wir“. Hieraus lässt sich schließen, dass die „Menschen mental und emotional ohnehin weitge­hend nivelliert sind“ 28 und somit der Verlust der Individualität beschrieben werden könnte. In der vierten Strophe wendet sich der Betrachter vollkommen zur Sonne, wel­che als Symbol für das Leben auf der Erde angesehen werden kann und zum Himmel, welcher der „althergebrachte Ort metaphysi­scher Erlösungsvorstellungen“ 29 ist.

Obwohl die Stadt als voll und eng beschrieben wird, der Himmel jedoch nur vage und unkonkret, lässt sich sagen, dass hier andeutungsweise Erlösungshoffnungen geschildert werden, da der Himmel noch nicht von der Technik kontrolliert und als frei angesehen wird.


4.2 Berlin II

Beteerte Fässer rollten von den Schwellen
Der dunklen Speicher auf die hohen Kähne.
Die Schlepper zogen an. Des Rauches Mähne
Hing rußig nieder auf die öligen Wellen.

Zwei Dampfer kamen mit Musikkapellen.
Den Schornstein kappten sie am Brückenbogen.
Rauch, Ruß, Gestank lag auf den schmutzigen Wogen
Der Gerbereien mit den braunen Fellen.

In allen Brücken, drunter uns die Zille
Hindurchgebracht, ertönten die Signale
Gleich wie in Trommeln wachsend in der Stille.

Wir ließen los und trieben im Kanale
An Gärten langsam hin. In dem Idylle
Sahn wir der Riesenschlote Nachtfanale.


Dieses Gedicht entsteht nur wenige Monate nach „Berlin I“ und erscheint am 23.11.1910 im damaligen Wochenblatt „Der Demokrat“. Durch diese Publikation wer­den viele Verlage aufmerksam auf Georg Heym.


4.2.1 Aufbau und Inhalt

Heym behält auch in „Berlin II“ die Form des klassischen Sonetts bei. Die zwei Quar­tetten weisen einen umarmenden Reim der Form ABBA und ACCA auf, die zwei Ter­zette einen Kreuzreim der Form DED und EDE. Genauso typisch ist der Versrythmus des fünfhebigen Jambus, welcher in den meisten Werken Heyms zu finden ist. Der Unter­schied zu „Berlin I“ besteht einzig und allein in der Kadenz, da jeder Vers des obigen Gedichtes mit einer männlichen endet.

Heym beschreibt in „Berlin II“ eine Kahnfahrt durch den Hafen Berlins, diese Szene wird erst zu Ende des Gedichts deutlich, da sich in den ersten Strophen nicht feststellen lässt, wo genau sich das lyrische Ich befindet. Zuallererst werden die Arbei­ten am Hafen beschrieben, die Situation wirkt durch Worte wie „beteerte“(V.1), „dun­kel“(V.2), „rußig“(V.4) verdreckt und riskant. Das Wort „Wellen“(V.4) wirkt antithetisch zum Rest der Situation, denn die Wellen vermitteln eine ruhige Stimmung im Gegensatz zu den hektischen Arbeiten. Die Arbeiter im Hafen werden dabei völlig vernachlässigt.

In der zweiten Strophe fokussiert Heym „zwei Dampfer“(V.5) und „Schornsteine“(V.6) . Auf den Dampfern befindet sich eine Musikkapelle, diese könnte wieder zweideutig angesehen werden. Entweder werden die Schiffshörner beschrieben, oder eine Musikka­pelle, bestehend aus Menschen und Instrumenten.

Auch benutzt Heym wieder Begriffe wie „Rauch, Ruß, Gestank“(V.7) um die schmutzi­ge und gefährliche Arbeit einer Gerberei darzustellen. Wie schon in der ersten Strophe baut Heym eine Antithese ein, in dem er diesmal anstatt Wellen Wogen in den Kontext einbezieht.

Am auffälligsten in den ersten beiden Strophen ist das Verbergen von Menschen. Heym beschreibt nicht ein einziges Mal ein menschliches Wesen, sämtliche Arbeiten und Abläufe, welche nur durch humanitäres Eingreifen gelingen, laufen wie von selbst ab.

Zwischen der zweiten und der dritten Strophe kommt es zu einer Zäsur.

Plötzlich treten Menschen auf, wenn auch nur durch „uns“(V.9). Zwar werden keine In­dividuen beschrieben und auch das lyrische Ich zählt sich ohne weiteres zu den Ande­ren, trotz alledem sind Personen vorhanden. Diese Menschen beschreibt Heym aller­dings sehr passiv,, denn ihnen wird die „Stille“(V.11) zugeordnet, während vom Hafen und von den Maschinen die „Signale“(V.10) ausgehen.

Die vierte Strophe beginnt mit den Worten „Wir ließen los“(V.12), ob Heym damit meint, dass sie sich vom Geschehen nur abwenden oder den Anker lösen und den Hafen ganz verlassen, ist nicht deutlich zu erkennen.

Erst durch die auftretenden Gärten wird klar, dass das Boot sich von der Industrie ent­fernt. Ob man diese Grünanlagen jedoch als Idylle (vgl. V.13) bezeichnen kann, bleibt fraglich. Auch die „Nachtfanale“30(V.14) unterstützen keineswegs die Vorstellung einer gefahrlosen und idyllischen Situation.


4.2.2 Sprache

Heym benutzt auch in diesem Gedicht viele Enjambements, wie zum Beispiel Vers 3 bis Vers 4.

Gleichzeitig findet man dort eine Personifikation, denn der Rauch wirkt durch sei­ne Mähne menschlich.31 Dies ist nicht die einzige „Vermenschlichung“, auch in Vers 11 wachsen die Trommeln, was eigentlich nur Lebewesen können.32

Dass Heym die posaunenden Schiffshörner als Musikkapellen beschreibt liegt nahe, denn dies ist nicht der einzige Vergleich zum Bildfeld Musik.33 Auch in Vers 10 und Vers 11 setzt Heym die Geräusche am Hafen mit Musik in Verbindung, was die Abläufe in gewisser Art und Weise als abgestimmt und geregelt erscheinen lässt.

Wie schon genannt findet man zwischen der zweiten und der dritten Strophe eine Zäsur, was typisch für ein Sonett ist. In den ersten beiden Strophen wird nur die Situation beschrieben, erst ab den Terzetten tritt das lyrische Ich in Erscheinung.

Heym benutzt auch in „Berlin II“ viele Metaphern um dem Leser ein imaginäres Bild der Situation zu verschaffen. Metaphern wie: „ Hing rußig nieder auf die öligen Wellen“(V.4) oder „Gleich wie in Trommeln wachsend in der Stille.“(V.11), sind nur zwei Beispiele für sei­ne überaus bekannte bildhafte Sprache.

Heym beschreibt die Arbeit in einer Gerberei mit dem Klimax „Rauch, Ruß, Gestank“(V.7), was die Situation als dreckig und gefährlich darstellt. Außerdem findet man im gleichen Atemzug ein für Heym weiteres bekanntes Stilmittel, nämlich die Farbsymbolik. Der gesamte Eindruck des Hafens erscheint dunkel und verschmutzt, die Gerberei wird eindeutig mit dem Wort „braun“(V.8) beschrieben.

Zuletzt sind noch die Antithesen in „Berlin II“ zu nennen. Wie schon genannt entsteht ein Kontrast zur auf brausenden und ruhelosen Lage am Hafen und den Worten „Wel­len“(V.4) und „Wogen“(V.7). Auch die „Signale“(V.10) von Hafenarbeitern und Ma­schinen durchbrechen die „Stille“(V.11) der Menschen auf dem Schiff. Die letzte wich­tige Antithese wird durch die Gärten, welche als Idyll dargestellt werden und den Rie­senschloten der Industrie gekennzeichnet.34


4.2.3 Interpretation

Heym vermittelt den Eindruck eines vollen Hafens, aufgewühlt durch viele verschiede­ne Arbeiten, welche die Umwelt verschmutzen und den Port verunreinigen. Gleichzeitig scheint es so, als bräuchte man für dies keine Menschen mehr. Die Menschen befin­den sich auf einem Boot, als in gewisser Weise abgeschnitten zum Hafen selbst und unfähig in das Geschehen einzugreifen, oder etwas zuverändern. In „Berlin I“ befindet sich sämtliche Technik in der Stadt. Hier wird deutlich, dass Maschinen und Dynamik nicht nur am Festland zu finden sind, sondern auch auf dem Wasser. Die Brücke, welche hier als Kontakt zwischen Menschen und Industrie agiert, beschreibt Heinz Rölleke als das Symbol des Verbindens in der deutschen Dichtung.35 Entfernt man sich ein Stück vom Hafen und den geschäftigen Verhältnissen wird deutlich, dass es mittlerweile zwei Welten in einer Stadt gibt. Auf der einen Seite die Industrie, welche unermüdlich arbeitet und ewig erscheint und auf der Anderen, die Menschen und ihre noch vorhande­nen Zufluchtsorte, wie zum Beispiel kleine Gärten.



4.3 Berlin III


Schornsteine stehn in großem Zwischenraum
im Wintertag, und tragen seine Last,
des schwarzen Himmels dunkelnden Palast
Wie goldne Stufe brennt sein niedrer Saum.

Fern zwischen kahlen Bäumen, manchem Haus,
Zäunen und Schuppen, wo die Weltstadt ebbt,
und auf vereisten Schienen mühsam schleppt
Ein langer Güterzug sich schwer hinaus.

Ein Armenkirchhof ragt, schwarz, Stein an Stein,
die Toten schaun den roten Untergang

aus ihrem Loch. Er schmeckt wie starker Wein.

Sie sitzen strickend an der Wand entlang,
Mützen aus Ruß dem nackten Schläfenbein,
zur Marseillaise, dem alten Sturmgesang.


„Berlin III“, welches oft auch als „Berlin IV“ bezeichnet wird, ist das letzte Gedicht aus Heyms Berlin-Zyklus und wurde im Dezember 1910 verfasst.


4.3.1 Aufbau und Inhalt

Wie schon bei „Berlin I“ und „Berlin II“ hält Heym sich an die klassische Form eines Sonetts, bestehend aus vier Strophen mit jeweils zwei Quartetten und zwei Terzetten.

Die zwei Quartette werden von einem umarmendem Reim der Form ABBA und CDDC umschlossen. Das Reimschema EFE und FEF in den zwei Terzetten lässt auf einen Kreuzreim schließen.

Auch beim Versfuß, einem fünfhebigen Jambus, bleibt Heym seinem Schreibstil voll­kommen treu, wie auch bei der durchgängigen männlichen Kadenz.

Die Beschreibung der Großstadt mit ihren „Schornsteine[n]“(V.1) findet aus einiger Entfernung statt. Das lyrische Ich berichtet nur kurz von dem Bild, welches sich vor ihm bietet, dennoch entsteht eine relativ genaue Vorstellung der Lage, wenn auch eine sehr düstere. Schon in der ersten Strophe lässt sich eine klare apokalyptische Stimmung erkennen, welche in späteren Gedichten Heyms zum Mittelpunkt wird.

Die Großstadt verschmilzt mit der Abenddämmerung, weshalb keine Übergänge mehr erkennbar sind.

In der zweiten Strophe entfernt sich der Blick von der Industrie und wendet sich an Randgebiete, wo man Gärten und Häuser erahnen kann.36

Das wichtigste Symbol in dieser Strophe stellt der „Güterzug“(V.8), welcher langsam und träge die Stadt verlässt, dar. Die Schwere aus Strophe 1 setzt sich mit diesem Bild fort.

Zwischen der zweiten und der dritten Strophe findet nun wieder eine Zäsur statt.

Von der anfänglichen Distanz befindet sich das lyrische Ich nun auf einem Friedhof und die für Heym typischen apokalyptischen Bilder kommen zum Vorschein. Die Grabsteine werden als dicht nebeneinander beschrieben, was eine gewisse Enge darstellt. Die Toten betrachten den Sonnenuntergang, welcher als „rote[r] Untergang“ (V.10) beschrieben wird. Diese Untergangsstimmung wird mit starkem Wein verglichen, was erahnen lässt dass es nur schwer zu ertragen ist.

In der vierten und damit letzten Strophe kann man eine Verbindung zu Heines Gedicht „Die schlesischen Weber“ feststellen. Die Toten singen die Marseillaise, welche mit der französischen Revolution in Verbindung gebracht wird. Dabei stricken sie Mützen aus Ruß, was wieder an die Fabriken aus den ersten beiden Strophen erinnert. Durch „das Bild der >>Mützen aus Ruß<<“, zeigt Heym „das Gespinsthafte der Totenexistenz, die Tristheit der Umwelt und die Blöße der Armut“37


4.3.2 Sprache

Im gesamten Gedicht lassen sich Worte finden, welche eine düstere und dunkle Stim­mung verbreiten. („Last“(V.2), „schwarzen; dunkelnden“(V.3), „kahlen“(V.5) etc.)

Doch nicht nur diese Worte vermitteln eine Art Beklommenheit, auch die zwei einzigen Ausdrücke für Bewegung, „schleppen“(V.7) und „ragen“(V.9), wirken eher träge durch die Adjektive „mühsam“(V.7) und „schwer“(V.8).

Wie schon in „Berlin II“ spricht Heym von Schornsteine[n]“(V.1) und hier auch von ei­nem „Güterzug“(V.8), diese wirken aber gleichsam als Metapher. Die Schornsteine wer­den in Verbindung mit Pfeilern gebracht, da sie die Last des Himmels tragen müssen. Der Güterzug steht für das Entfliehen aus der Stadt, was mittlerweile als schwierig emp­funden wird.

Diese finstere und trostlose Atmosphäre wird „durch die Kumulierung der dumpfen Vo­kale "u" und "o" “ in Strophe eins und "ü" und "u" in Strophe zwei verstärkt. 38

Des Weiteren lassen sich wieder Personifikationen finden, wie zum Beispiel die „Schornsteine“ welche „stehn“39 und eine Last tragen.40 Auch der Güterzug bewegt sich in gewisser Weise wie ein Lebewesen, wenn auch nur schleppend.41

Die Worte „Stein an Stein“(V.9) wirken sehr eindringlich durch ihre Wiederholung.

Die Farbsymbolik, welche sich schon in „Berlin II“ andeutete, ist nun klar zu erkennen.

Das gesamte Gedicht ist von Wörtern wie „schwarz“(vgl. V. 3 und 9), „dunkel“(vgl. V.3), „golden, brennt“(vgl. V.4), „vereist“(vgl. V.7) oder „rot“(vgl. V.10) durchzogen.

Diese Adjektive verschaffen dem Leser ein klares und sehr realistisches Bild, welches Heym versucht zu beschreiben. Die Farben dienen nicht nur einer guten Darstel­lung, sondern stellen auch einen gewissen Kontrast dar. Der schwarze Himmel (vgl. V.3) und die „goldenen Stufen“ (vgl. V.4) wirken inkongruent.


4.3.3 Interpretation

Walter Hinck sieht in dem Gedicht „Berlin III“ „die Alpträume des Steinwüsten-Bewoh­ners“42, welche Heym ganz klar verdeutlicht. Die Worte „Palast“(V.3) und „goldne Stufen“(V.4) lassen noch auf Luxus und Glanz schließen, durch den Güterzug und auch den dunklen Himmel wird diese Vorstellung schnell zerschlagen. Der Dichter be­richtet in seinem Gedicht von der Ahnung einer Apokalypse, welche die Toten durch den „roten Untergang“(V.10) wahrscheinlich schon wahrnehmen, die Stadtbewohner je­doch nicht. Die Farbe Rot, welche er im Zusammenhang mit Untergang, sowie dem Wein aufgreift, wirkt aufreizend, zugleich aber auch gefährlich. Darüber hinaus spielt Heym durch die „Marseillaise“ auf die französische Revolution an, dies zeigt, dass er erstmals in seinem Berlin-Zyklus die damalige Geschichte einbe­zieht. Die Toten werden als gescheitert dargestellt, sie sitzen strickend in einer Reihe und können dem Untergang nur entgegen sehen, allerdings nichts daran ändern. Allem Anschein nach ist Heym der Meinung, dass sich nur durch eine Revolution, wie sie in Frank­reich stattfand, eine Änderung ergeben kann. Diese „Nahtstelle zwischen realer Gegen­ständlichkeit und jener visionären Bilderwelt“43 ist es, die Heym so unverkennbar macht.


4.4 Veränderung der Sichtweisen zu Berlin

Der Zeitraum, in welchem die Gedichte entstanden, beläuft sich auf circa neun Monate.

Schon in „Berlin I“ wird deutlich, dass eine Betrachtung der Großstadt nur von außer­halb möglich ist. In keinem der drei Gedichte befindet sich das lyrische Ich in Mitten der Stadt, sondern immer leicht abgesondert, wie zum Beispiel auf einem Boot in „Ber­lin II“.

Auch die Darstellung der Menschen verändert sich im Laufe des „Berlin-Zyklus“.

Spricht Heym zu Beginn noch von „Menschenströmen und Gedränge“(V.3, „Berlin I“) kommt es im Weiterem zu einem unbestimmten „wir“(V.12, „Berlin II“) bis letztendlich keine Menschen mehr vorkommen, sondern nur „Tote[...]“(V.10, „Berlin III).

Auch der Stellenwert der Maschinen entwickelt sich ins Negative. Zwar werden schon die „Automobile“(V.8, „Berlin I“) als störend und umweltzerstörend dargestellt und auch die Arbeiten in einem Hafen verschmutzen eher die Natur (vgl. „Berlin II“), doch in „Berlin III“ ist es sogar ein „Güterzug“(V.8, „Berlin III“) der versucht der Großstadt zu entkommen.

Die Bewegung spielt in „Berlin I“ und „Berlin II“ eine relativ große Rolle, in dem viele Maschinen oder Arbeiten beschrieben werden und damit eine be­stimmte Dynamik entsteht. Bei „Berlin III“ lässt sich fast keine Lebhaftigkeit finden.

Auffällig ist zudem die Herabstufung des Himmels in seinen Gedichten. Spricht Heym in „Berlin I“ noch von einer Art Zufluchtsort, dem Himmel, welchen er als Paradies und „Traum“(V.14, „Berlin I“) ansieht, so entsteht bei „Berlin III“ ein eher mystisches Bild. Der Himmel ist schwarz und dunkel, die Stadt mit ihren Schornsteinen muss diese Last tragen.44

Innerhalb der drei Gedichte lässt sich eine Steigerung ins Negative feststellen.

4.5 Die Darstellung der Großstadt

Vor allem Heinz Rölleke hat sich mit dem Thema auseinander gesetzt, in welcher Art und Weise Heym die Großstadt zur damaligen Zeit darstellt.

Laut Stadlers Meinung bejaht Heym die Gegenwart vollständig, jedoch stellt Rölleke fest, dass es sich um „ein Demaskieren und schonungsloses Offenlegen all ihres Grau­ens.“45 handelt.

Vor allem „Berlin II“ und „Berlin III“ sind von Dunkelheit geprägt, das Mystische über­nimmt immer mehr die Oberhand, was „auch die moderne Industrie [zu einer] Quelle der Todesatmosphäre“46 macht.

Es wirkt, zum Beispiel durch die Totensymbolik in „Berlin III“, so, als ob die Men­schen auf die Stadt angewiesen sind, egal ob im Hier und Jetzt oder nach dem Tod.

Andererseits stellt Rölleke fest, dass die Berlin-Gedichte zu wenig bildhaft sind, son­dern die Sprache noch zu sehr im Vordergrund steht. Seiner Meinung nach lassen sich in anderen Gedichten bessere Anhaltspunkte dafür finden, dass die Stadt den Menschen benutzt, „entseelt oder vernichtet“47

Heym spricht in seinem „Berlin-Zyklus“ nicht von einem völligen Ich-Verlust, sondern versucht die Menschen zu erziehen und damit zu verbessern. 48


5. Berlin um 1910

5.1 Allgemein geschichtliches

Ab 1871 war Berlin Reichshauptstadt, was dazu beitrug, dass auch das Ausland auf­merksam auf Deutschland wurde. Die Zeit ist von Kultur, Wissenschaft und Forschung geprägt. Viele Menschen besuchen Berlin oder entscheiden sich sogar vollkommen nach Berlin zu ziehen. Innerhalb kürzester Zeit steigt die Einwohnerzahl rasant an, bis sie Anfang des 20. Jahrhunderts die 2 Millionen-Grenze überschreitet.

Berlin hatte sich zu einem der wichtigsten Industriestandorte in ganz Europa entwickelt, dazu wur­den Handelsverbindungen auch innerhalb der Stadt benötigt. Bereits 1902 begann man das Straßennetz durch U-Bahnen und S-Bahnen auszuweiten um den Menschen die Möglichkeit zu geben mobiler zu werden.

Das Wettrüsten zur See zwischen Deutschland und Großbritannien im Jahr 1910 wirkte sich auch auf die Gesellschaft aus, da es zu Spannungen zwischen ihrem Vaterland und dem Ausland kam.49

Für viele stellte dieses „verspätete Einsetzen einer rapiden industriellen Revolution“50 eine immense Veränderung ihres alltäglichen Lebens dar. 51


5.2 Darstellung der Geschichte in Heyms Gedichten

Der „massive[] ökonomische[] Aufschwung“ ging mit vielen „tief greifenden Folgen für viele Bereiche der Gesellschaft“52 einher. Mit Sicherheit bezieht Heym sich auch in seinen Gedichten auf diese Ereignisse, schließlich wollte er die Menschen auf die Situation aufmerksam machen und sie dazu aufrufen etwas zu verändern.

Vor allem die Technisierung und das rapide Anwachsen der Einwohnerzahl hält Heym in seinen Gedichten fest. Die Stadt wirkt hektisch und voll, die Maschinen, allen voran Automobile, scheinen sich noch zusätzlich durch die überfüllte Stadt drängen zu wol­len.

Ob man politische Haltungen in seinen „Berlin-Gedichten“ finden kann, hängt stark von der Interpretation des Lesers ab.




6. Fazit

Ich hoffe es ist deutlich geworden, welche Sichtweise Heym zur Großstadt vertritt und wie er dies in seinen Gedichten schildert.

Die Epoche des Expressionismus, mit allen verschiedenen Themen, hat sich für mich als umfangreicher erwiesen, als ich erwartet hätte. Aus diesem Grund ist die Epoche nur kurz, aber mit den wichtigsten Informationen umrissen und auch bei der Großstadtlitera­tur wird vornehmlich auf Deutschland eingegangen.

Meiner Meinung nach ist es in gewisser Art und Weise nachzuvollziehen, dass Heym vielen Dinge in seinem Leben kritisch gegenüber steht, denn auch seine Kindheit wirkt sehr eingeengt.

Das Problem, welches ich während der gesamten Seminararbeit hatte, lag in der wenig vorhandenen Literatur zu den Gedichten. Aus diesem Grund habe ich die Analyse größ­tenteils selbst erarbeitet, was wiederum auch Vorteile mit sich brachte. Durch das voll­kommene Auseinandersetzen mit den Gedichten viel es mir leichter die Aussage Georg Heyms zu verstehen.

Insgesamt lässt sich sagen, dass die Fragen, welche ich zu Anfang stellte, als beantwor­tet gelten.





























7. Literaturverzeichnis


Forschungsliteratur:


- Boesch, Bruno: Deutsche Literatur in Grundzügen. 3.Auflage, Francke Verlag, Bern und München 1967

- Bogner, Ralf Georg: Einführung in die Literatur des Expressionismus. 2.Auflage,

WBG, 2009

- Riha, Karl: Deutsche Großstadtlyrik. München, Zürich 1983

- Greulich, Helmut: Georg Heym. 1887-1912. Leben und Werk. Nendeln 1967

- Wuthenow, Ralph-Rainer: Die Entdeckung der Großstadt in der Literatur des 18. jjjJahrhunderts, in: Die Stadt in der Lyrik. Hr. v. Cord Meckseper und Elisabeth Schraut. JjjGöttingen 1983

- Simmel, Georg: Die Großstädte und das Geistesleben“, in: „Das Individuum und die

Freiheit. Essais, Berlin 1984

- Wende, Waltraud: Großstadtlyrik. Stuttgart 1999

- Schneider, Nina: Georg Heym, Der Städte Schultern knacken. Bilder, Texte,

Dokumente. Zürich 1987

- Rölleke, Heinz: Die Stadt bei Stadler, Heym und Trakl, Berlin 1966

- Hinck, Walter: Mützen aus Ruß In: Reich-Ranicki, Marcel: 1000 Deutsche Gedichte jjjjund ihre Interpre­tationen, Von Georg Trakl bis Gottfried Benn, Frankfurt am Main jjjjund Leipzig 1995


Internetquellen:

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(zuletzt aufgerufen am: 02.10.2011)

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8. Erklärung der Urheberrecht



Ich kläre, dass ich die Seminararbeit ohne fremde Hilfe angefertigt und nur die im Literatur angeführten Quellen und Hilfsmittel benutzt habe.




..................................., …...................... ….........................................................

Ort Datum Unterschrift


























1Boesch, Bruno: Deutsche Literatur in Grundzügen. 3.Auflage, Francke Verlag Bern und München 1967 S.437

2Bogner, Ralf Georg: Einführung in die Literatur des Expressionismus. 2.Auflage, WBG 2009 S. 9

3Ebd. S. 24

4Riha, Karl: Deutsche Großstadtlyrik. München, Zürich 1983 S. 28

5Bogner, Ralf Georg: Einführung in die Literatur des Expressionismus. 2.Auflage, WBG 2009 S. 24

6Ebd. S. 25

7Wuthenow, Ralph-Rainer: Die Entdeckung der Großstadt in der Literatur des 18. Jahrhunderts. In: Die Stadt in der Lyrik. Hr. v. Cord Meckseper und Elisabeth Schraut. Göttingen 1983, S7

8Ebd. S.10

9Ebd. S.68

10Simmel, Georg: Die Großstädte und das Geistesleben“, in: „Das Individuum und die Freiheit. Essais, Berlin 1984, S. 192

11Wende, Waltraud: Großstadtlyrik. Stuttgart 1999, S.8

12 Heym, Georg: Tagebuch zitiert nach: Schneider, Nina: Georg Heym, Der Städte Schultern knacken. Bilder Texte Dokumente, Zürich, 1987, S.46

13Heym, Georg: Tagebuch

14Greulich, Helmut: Georg Heym. 1887-1912. Leben und Werk. Nendeln 1967, S.10

15Ebd. S.9

16Heym, Georg: Tagebuch 20.März 1907

17Greulich, Helmut: Georg Heym. 1887-1912. Leben und Werk. Nendeln 1967, S.56

18Heym, Georg: Tagebuch zitiert nach: Schneider, Nina: Georg Heym, Der Städte Schultern knacken. Bilder Texte Dokumente, Zürich, 1987, S.136

19Schneider, Nina: Georg Heym, Der Städte Schultern knacken. Bilder Texte Dokumente, Zürich, 1987, S.15

20Vgl. Ebd. S.143

21Ebd. S.141

22Bogner, Ralf Georg: Einführung in die Literatur des Expressionismus. 2.Auflage, WBG 2009 S. 104

23Bogner, Ralf Georg: Einführung in die Literatur des Expressionismus. 2.Auflage, WBG 2009 S. 104

24Ebd. S. 103

25Vgl. Ebd. S. 104/105

26Kremser: Eine Kutche, welche von Pferden gezogen wird und überdacht ist.

27Bogner, Ralf Georg: Einführung in die Literatur des Expressionismus. 2.Auflage, WBG 2009 S. 107

28Bogner, Ralf Georg: Einführung in die Literatur des Expressionismus. 2.Auflage, WBG 2009 S. 106

29Ebd. S. 107

30Fanale: Abstammung aus dem italienischen = Leute, Fackel; wird als Leuchtfeuer benutzt um Nach­richten zu übermitteln. Heute als Ankündigung für bedeutende Handlungen oder Ereignisse

31Vgl. Vers 3

32Vgl. Vers 11 „ Gleich wie in Trommeln wachsend in der Stille“

33 (20.Oktober.2011)

34Vgl. Vers 13ff

35Rölleke, Heinz: Die Stadt bei Stadler, Heym und Trakl, Berlin, Schmidt,1966 S.156

36Vgl. Vers 5ff

37Hinck, Walter: Mützen aus Ruß In: Reich-Ranicki, Marcel: 1000 Deutsche Gedichte und ihre Interpre­tationen, Von Georg Trakl bis Gottfried Benn, Frankfurt am Main und Leipzig, Insel Verlag, 1995 S.313

38

(aufgerufen am 20.Oktober.2011)

39Vgl. Vers 1 „Schornsteine stehn in großem Zwischenraum“

40Vgl. Vers 2 „ im Wintertag, und tragen seine Last“

41Vgl. Vers 7-8

42Hinck, Walter: Mützen aus Ruß In: Reich-Ranicki, Marcel: 1000 Deutsche Gedichte und ihre Interpre­tationen, Von Georg Trakl bis Gottfried Benn, Frankfurt am Main und Leipzig, Insel Verlag, 1995 S.312

43 Ebd.

44Vgl. V.1-3, „Berlin III“

45Rölleke, Heinz: Die Stadt bei Stadler, Heym und Trakl, Berlin, Erich Schmidt, 1988 S.80

46Ebd. S.167

47Ebd. S.196

48Rölleke, Heinz: Die Stadt bei Stadler, Heym und Trakl, Berlin, Erich Schmidt, 1988 S.80-199

49 (aufgerufen am: 10.Oktober.2011)

50Bogner, Ralf Georg: Einführung in die Literatur des Expressionismus, Darmstadt, WBG, 2009 S.49

51 (aufgerufen am: 10.Oktober.29011)

52Bogner, Ralf Georg: Einführung in die Literatur des Expressionismus, Darmstadt, WBG, 2009 S.49


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