"Stimmen der Nacht"(Eichendorff) und
"Entfremdung" (Ingeborg Bachmann)
Gedichvergelich
In Joseph von Eichendorffs
1841 geschriebenem Gedicht „Stimmen der Nacht“ geht es um die Tageszeiten, um
die Nacht, um genauer zu sein, während es in Ingeborg Bachmanns zwischen 1948
und 1953 entstandenem Gedicht „Entfremdung“ um die Entfremdung von der Natur
geht. Meiner Meinung nach geht es in beiden Gedichten um die Beziehung zu Gott,
in Eichendorffs „Stimmen der Nacht“ um die Verbindung zu Gott, in Bachmanns
„Entfremdung“ um die Entfremdung von Gott. Aus diesem Grund wird dies mein
späterer Vergleichspunkt sein. Eichendorff beschreibt in seinem Gedicht die
Nacht und ihre Auswirkungen. Er beschreibt die Einsamkeit, wie Tiere wegen
Geräuschen erschrecken und den Wind, mit dem Gott über das Land zieht. Der
Titel des Gedichts gibt hierbei nur wenig über das Gedicht preis. Das Gedicht
ist aus drei Strophen mit jeweils vier Versen aufgebaut. Die Verse sind durch
Kreuzreime miteinander verbunden (vgl. „Felder“-Wälder“; „freut“-„Einsamkeit“,
V. 1-4). Als Metrum hat Eichendorff eine Mischung aus Trochäus und Daktylus.
Das lyrische Ich beschreibt bis auf den Teilsatz, dass es erfreut ist,
ausschließlich die Nacht, es handelt nicht und blickt deshalb von außen auf das
Gedicht herab, schiebt aber jenen bereits erwähnten Teilsatz „O wie mich das
freut“ (V. 2) ein. Ein lyrisches Du existiert nicht. Die Sprache ist bildhaft
und eher einfach gehalten, um die Idylle und den Einklang in ihr zu beschreiben.
Der einsame Mann betrachtet nachdenklich den sternenklaren Nachthimmel inmitten einer ruhigen Landschaft.
Eichendorff verwendet bereits
im ersten Vers Metaphern: „Weit tiefe, bleiche, stille Felder“ (V.1). Diese
verwendet er, um die Nacht zu charakterisieren. Diese Metaphern sind
gleichzeitig Personifikationen, denn ein Feld kann nicht still sein und nicht
bleich sein. Man kann sagen, dass die komplette erste Strophe eine Lobeshymne
auf die Nacht ist, auf ihre Pracht und Stille. Dies kann man in Vers drei
erkennen als das lyrische Ich „alle, alle“ (V.3) ausruft. Diese Anapher
beschreibt die Freude des lyrischen Ichs. Ebenfalls wird die Freude durch die
Klänge beschrieben, die hellen I-Klänge sollen das Glück symbolisieren. Strophe
zwei beschreibt nun die Störung der Idylle durch das Läuten der Stadtglocken („Aus
der Stadt nur schlagen die Glocken“, V. 5). Das schlafende Reh hebt daraufhin
kurz den Kopf, schläft aber sofort wieder ein („Ein Reh hebt den Kopf
erschrocken und schlummert gleich wieder ein“, V 7-8). Hier fällt die Inversion
in Vers sieben auf („hebt den Kopf erschrocken“, V. 7), die Eichendorff nicht
nur wegen des Kreuzreimes verwendet hat, sondern auch wegen des Schreckmoments
und um die Entspannung in Vers acht stärker darzustellen. Ebenfalls sehr
markant ist an dieser Strophe, dass Vers sechs, der zweite Vers aus Strophe
zwei, nur aus vier Worten besteht: „Über die Wipfel herein“ (V. 6). Die
häufigen Assonanzen mit „U“ und „O“ beschreiben die Störung bildhaft. In Vers
drei beschreibt Eichendorff nun die Verbindung zu Gott („Denn der Herr geht
über die Gipfel“, V.11) und stellt damit noch einmal klar, dass die Natur hier
stellvertretend für Gott gesehen werden kann. Es wird nochmal eine Metapher mit
dem Wort still gemacht: „Und segnet das stille Land:“ (V.12). Dadurch bekommt
das Gedicht eine runde Form, da bereits am Anfang eine Metapher mit dem
Adjektiv „still“ niedergeschrieben wurde. Das lyrische Ich nutzt die Nacht, um
ohne große Störungen mit der Natur verbunden zu sein und damit auch um mit Gott
verbunden zu sein.
Die Sätze sind parataktisch
angeordnet, es gibt keine untergeordneten Sätze bzw. Satzteile. In Vers eins
verwendet Eichendorff eine Ellipse und lässt in den Versen 3-4 das Prädikat
aus: „Über alle, alle Täler, Wälder/Die prächtige Einsamkeit!“ (V. 3-4). Dies
betont wie auch die bereits erwähnte Anapher in Vers drei die Freude des
lyrischen Ichs über die Stille der Natur. Das unterschiedliche Metrum mit
Daktylus und Trochäus verändert sich im Laufe des Gedichts. Zu Beginn ist
hauptsächlich ein Trochäus verwendet, am Ende ein Daktylus. Erkennbar ist dies
an den Betonungen, in Strophe eins eine Mischung aus drei und fünf Betonungen
(„Weit tiefe, bleiche stille Felder-/O wie mich das freut“, V. 1-2), in Strophe
drei nur noch drei Hebungen („Der Wald aber rühret die Wipfel/Im Schaf von der
Felsenwand“, V. 9-10), was daran liegt, dass in Strophe drei nur noch Daktylen
verwendet wurden. Die Veränderungen im Metrum und in den Betonungen sollen die
Verbundenheit mit Gott betonen, die im Lauf des Gedichts eintritt.
Im Gegensatz zu Eichendorff
benutzt Bachmann in ihrem Gedicht weder gleich lange Strophen noch ein
Reimschemata und auch kein Metrum. Der Titel des Gedichts („Entfremdung“,
Überschrift) gibt viel über das Gedicht preis, denn Bachmann beschreibt in dem
Gedicht die Entfremdung von der Natur, dass sie in den Bäumen keine Bäume mehr
sieht (vgl. V.1) und das Gezwitscher der Vögel nicht mehr hört (vgl. V.7).
Durch die Entfremdung zur Natur entfremdet sich das lyrische Ich, das bei
Bachmann im Gegensatz zu Eichendorff im Mittelpunkt steht, auch von Gott, was
der größte Unterschied zwischen den beiden Gedichten ist, die Verbindung mit
Gott bei Eichendorff und die Entfremdung von Gott bei Bachmann. In Teil eins
des Gedichts von Bachmann beschreibt sie, dass das lyrische Ich die Natur nicht
mehr als das wahrnimmt, was sie eigentlich ist, die Bäume als Bäume (vgl. V.1),
die Früchte als sättigend (vgl. V.3-4), nicht einmal mehr die Wiese als
Rückzugsort, als Bett (vgl. V.8). Zweimal fragt sich das lyrische Ich in diesem
Teil, was in der Zukunft passieren wird. In Teil zwei stellt sich das lyrische
Ich die Frage, ob es sich der Natur und damit auch den Menschen und Gott wieder
nähern soll: „Soll ich mich aufmachen, mich allem wieder nähern?“ (V.13). In
Vers vierzehn beantwortet es diese Frage aber bereits selbst, indem es sagt, es
könne „in keinem Weg mehr einen Weg sehen“, V.14. Dadurch verbaut es sich den Ausweg
aus der Entfremdung.
Bachmann verwendet kein
Metrum. Dies verdeutlicht den Bruch mit der Natur und die Entfremdung von ihr.
Sie benutzt keine Metaphern oder sonstige bildhafte Stilmittel, sondern
arbeitet mit Antithesen („In den Bäumen kann ich keine Bäume mehr sehen.“, V.1)
und Oxymora („Ich bin satt vor der Zeit/und hungre nach ihr.“, V.9-10). Das
Oxymoron in den Versen neun und zehn beschreibt eine Leere, die das lyrische
Ich wahrnimmt, aber nicht wahrhaben möchte. Das Gedicht bekommt gleich wie „Stimmen
der Nacht“ eine runde Form, da die Verse am Anfang und Ende des Gedichts
ähnlich aufgebaut sind („In den Bäumen kann ich keine Bäume mehr sehen.“,
V.1-„Ich kann in keinem Weg mehr einen Weg sehen.“, V.14). Diese beiden Sätze
sind teilweise Parallelismus, teilweise Chiasmus. Bei Bachmann sind die Sätze
mit einer Ausnahme in dem zweiten Vers genau wie bei Eichendorff parataktisch.
Bachmann verwendet allerdings keine Ellipsen, dafür stellt ihr lyrisches Ich
aber zweimal die rhetorische Frage: „Was soll nur werden?“ (V.5 und V.11) und
stellt sich die Frage, ob es sich den Menschen, der Natur und Gott wieder
nähern soll (vgl. V.13). Die Unregelmäßigkeiten im Gedicht, sprich das fehlende
Metrum, das fehlende Reimschema und die ungleichmäßig langen Verse sollen die
Trennung von der Natur und damit von Gott darstellen.
Eichendorffs lyrisches Ich
erfreut sich an der Natur, an seinem Verhältnis und an seiner Verbindung zu ihr
und damit zu Gott, während Bachmanns lyrisches Ich die Einsamkeit vorzieht und
keine Verbindung zur Natur oder zu Gott eingehen möchte.
Aus diesen Gründen ist der
größte Unterschied zwischen den beiden Gedichten von Eichendorff und Bachmann
die Verbindung bzw. die Entfremdung von Gott.