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Interpretation

Gedicht­ver­gleich: Glück­liche Fahrt von Goethe und Reisende von Uljana Wolf

1.257 Wörter / ~4½ Seiten sternsternsternsternstern_0.25 Autor Joachim B. im Jul. 2017
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Dokumenttyp

Interpretation
Deutsch

Universität, Schule

Kopernikus Gymnasium Blankenfelde

Note, Lehrer, Jahr

12, 2017

Autor / Copyright
Joachim B. ©
Metadaten
Format: pdf
Größe: 0.31 Mb
Ohne Kopierschutz
Bewertung
sternsternsternsternstern_0.25
ID# 66733







Glückliche Fahrt“ von Goethe &  

Reisende“ von Uljana Wolf

Gedichtvergleich

 

Das Gedicht „Glückliche Fahrt“ wurde 1795 von Johann Wolfgang von Goethe verfasst und handelt von einer Reise des lyrischen Ichs über das weite Meer sowie die Überwindung einer bedrückenden Situation.

Im Gegensatz dazu wurde „Reisende“ von Uljana Wolf im Jahr 2006, knapp zweihundert Jahre später, geschrieben, doch auch in diesem Gedicht geht es um das Reisen, wenn auch in einem ganz anderen Zusammenhang.

Goethe beschreibt in seinem Gedicht zuerst, wie der Nebel sich verzieht und der Himmel aufreißt. Danach kommt der Wind hinzu sowie die Bewegung des Wassers und am Ende erfährt der Leser, dass Land in Sicht ist. Es wird klar deutlich, dass es sich um eine Schifffahrt handelt, bei dem das lyrische Ich eine Entwicklung durchlebt. Anders ist es bei „Reisende“, wo der Leser viel Interpretationsfreiraum hat was den Inhalt betrifft, da es kein direktes lyrisches Ich gibt, sondern Uljana Wolf nur einziges Mal das Wort „wir“ (v.1) verwendet. Eine Möglichkeit wäre den Inhalt des Gedichts als den Weg des Lebens zu verstehen, welches in dem Gedicht durch sehr viele Bilder dargestellt wird. Goethes Gedicht besteht aus einer Strophe mit zehn Versen, wohingegen Uljana Wolfs Gedicht aus vier Strophen besteht, wobei die erste Strophe drei Verse besitzt und die restlichen drei Verse jeweils lediglich zwei Verse besitzen.

Goethes lyrisches Ich steht am Bug eines Segelschiffs, beide schauen hoffnungsvoll zum Horizont ihrer glücklichen Reise.
Goethes lyrisches Ich steht am Bug eines Segelschiffs, beide schauen hoffnungsvoll zum Horizont ihrer glücklichen Reise.

Auch bei den Reimen finden sich Unterschiede. Gibt es in „Glückliche Fahrt“ wenigstens noch einen unregelmäßigen Reim, bei dem sich beispielsweise die Verse „helle“ (v.2) und „Welle“ (v.8) reimen, enthält „Reisende keinen einzigen Reim. Der unregelmäßige Reim vermittelt eine gewisse Freiheit, die das lyrische Ich bei seiner Fahrt über das Meer empfindet, als auch die Freiheit vom strengen Regelwerk der Lyrik, die vor allem die Epoche des Sturm und Drangs prägte.

Die Kadenz in Goethes Gedicht ist bis auf die Verse vier und zehn weiblich, diese Regelmäßigkeit drückt eine Art von Sicherheit aus, da das lyrische Ich bereits eine Unsicherheit überwunden hat.

Der Rhythmus in diesem Gedicht ist an die Situation angepasst. Zu Beginn ist dieser gleichmäßig, als sich der Nebel löst, während er dann schneller wird und es dem Leser die Aufregung des lyrischen Ichs vermittelt wird, wie beispielsweise in Vers sieben mit der Wiederholung der Worte „Geschwind! Geschwinde!“. Anschließend wird der Rhythmus wieder gleichmäßiger und ruhiger, sobald das Land in Sicht ist, dem Leser wird Erleichterung vermittelt.

In „Reisende“ ist kein Metrum vorzufinden, was jedoch eine gewisse Harmonie bewirkt und zeigt, dass es keine Normen und Regeln gibt, was auch zu der Postmoderne passt, in welcher dieses Gedicht verfasst wurde.

Ebenfalls auffällig ist, dass in Uljana Wolfs Gedicht keine Interpunktion vorhanden ist. Dementsprechend verwendet die Autorin weder Punkt noch Komma, was eine gewisse Pausenlosigkeit und Ziellosigkeit zum Ausdruckt bringt. Enjambements wie „wir erfinden uns zwischen den Bahnhöfen“ (v. 2 und v.3) verdeutlichen zu dem den Eindruck dieser Pausen- und Ziellosigkeit.

Man weiß nicht, wohin man möchte und was einem alles auf seiner Reise durch das Leben begegnet, diese Ahnungslosigkeit wird durch die Kleinschreibung der Wörter im gesamten Gedicht dargestellt.

Weitere sprachliche Aspekte, die die Gestaltung des Motives der Reise in Goethes Gedicht unterstreichen, sind zum einen der Parallelismus „Es teilt sich die Welle, Es naht sich die Ferne;“( v.8 und v.9). Durch diesen Parallelismus kommt etwas Schwung und Geschwindigkeit in das Werk Goethes und verdeutlicht zudem noch die Aufregung des lyrischen Ichs endlich das Ziel, das Land zu sehen, vor Augen zu haben. Auch die Ausrufe „Geschwind! Geschwinde!“ (v.7) und „Schon seh ich das Land!“ (v.10) lassen den Leser spüren, wie erleichtert und erfreut das lyrische Ich ist, nachdem es das Gefühl des Unwohlseins vom Anfang überwunden hat.

In Vers drei wird Äolus, der Herrscher der Winde der griechischen Mythologie erwähnt, welcher das ängstliche Band löst (vgl. v. 3). Die Personifikation „ängstliche Band“ (v. 4) verdeutlicht das gebunden sein an etwas, in diesem Fall das gebunden sein an die Launen der Natur, die auch die Angst des lyrischen Ichs vor einem Unwetter hervorhebt.

Goethe verwendet zudem viele Verben der Stille wie beispielsweise „säuseln“ (v. 5) und „rührt“ (v.6), die dem Leser deutlich machen, dass die bedrückende Situation überstanden ist, der Nebel sich auflöst und der Himmel heller wird (vgl. v.1ff.).

Im Gegensatz dazu verwendet Uljana Wolf in ihrem Gedicht Verben der Bewegung wie „fortklopfen“ in Vers acht, die die Ziellosigkeit und die Pausenlosigkeit, welche der Leser empfindet, verdeutlichen.

Das Erfinden zwischen den Bahnhöfen (vgl. v.1ff.) erinnert an Selbstfindung und Identitätsbildung, wenn die Bahnhöfe in Uljanas Gedicht Stationen im Leben eines Menschen symbolisieren sollen. „Schotter und Halme“ (v.5f.) sind Dinge, die den Weg des Reisenden beschwerlich machen. Sie symbolisieren Hindernisse, die der Mensch auf seinem Weg nach oben überwinden muss, wenn er sich selbst finden möchte.

Das Symbol „Weichen“ (v.6) steht sinnbildlich für Stellen, an welchen der Weg des Menschen sich gabelt und es zwei Möglichkeit gibt seinen Weg fortzuführen. Wenn man nun jedoch genauer drüber nachdenkt, stellt man fest, dass die Weichen nicht vom Schaffner, der den Zug fährt, gestellt werden sondern von anderem Personal. Jedoch beeinflusst man indirekt die Stellung der Weichen mit seiner Destination, so stellt man diese Weiche also nicht persönlich, sondern beeinflusst sie indirekt durch sein Handeln und Denken.

So kann es also auch vorkommen, dass der Mensch in gewissem Maße in eine bestimmte Richtung, eventuell sogar gegen seinen Willen, gesteuert wird, dies wird durch das Symbol „geschiente Küsse“ (v.7) belegt. Die Gesellschaft hat eine feste Vorstellung von Dingen wie beispielsweise Küssen, die wie Schienen verankert sind und sich nicht ohne weiteres lösen oder lockern lassen.

Das Symbol „fortklopfen der züge“ (v.8f.) lässt sich mit dem immer andauernden Klopfen des menschlichen Herzens gleichsetzen und verdeutlicht, dass das Leben immer weitergeht und nicht stoppt, auch wenn man vielleicht einen Bahnhof erreicht hat, an dem man gerne für immer bleiben würde.

Ellipsen wie „an den weichen geschiente küsse“ (v.6f.) oder „gegen das fortklopfen der züge“ (v.8f.) lassen auf eine gewisse Unsicherheit des lyrischen Ichs schließen und, dass es nicht sicher weiß, welche Entscheidungen im Leben zu treffen sind.

In Goethes Gedicht wirkt die Reise durch die erwähnten Stilmittel sehr aufregend, fröhlich und frei, wohingegen Uljana Wolfs Werte eine gewisse Unendlichkeit, Ruhe und auch Abenteuerlust vermitteln, da man im Leben nie still steht und das Herzklopfen bis zum Tod nicht verstummen wird.

„Glückliche Fahrt“ folgt auf ein zweites Gedicht, welches Goethe „Meeres Stille“ nannte und in weiteren Veröffentlichungen immer mit „Glückliche Fahrt“ gedruckt wurde.

Grund dafür ist ein Erlebnis Goethes während seiner Italienreise 1786 bis 1788, bei der der Dichter von Neapel nah Sizilien mit dem Schiff aufgebrochen war, doch auf der Reise eine schreckliche Angst vor einem Schiffbruch erlebte, die sich zum Glück nicht bewahrheitete. Zuzuordnen wäre dieses Gedicht aufgrund seiner vielen Naturbeschreibungen und seiner unregelmäßigen Form in die Epoche des Sturm und Drangs, die eigentlich nur bis circa 1785 anhielt, doch da die Übergänge der verschiedenen Epochen fließend verlaufen, lässt es sich diese Einordnung nicht mit absoluter Sicherheit treffen.

Schon von der Zeit, in welcher die beiden Gedichte verfasst wurden, unterscheiden sich diese um Welten. Die Schriftstellerin wurde am im April 1979 in Berlin geboren und studierte an der Humboldt- Universität zu Berlin Germanistik und Kulturwissenschaft. Ihr Gedicht verfasste sie 2006, in der Epoche der Postmoderne. Im selben Jahr wurde sie auch als jüngste Autorin mit dem Peter-Huchel-Preis ausgezeichnet, da es ihr laut Jury gelinge, in wenigen Strichen die Existenz ihrer Erlebniswelt traumhaft sicher in sprachliche Miniaturen zu fassen. So kann man zusammenfassend feststellen, dass beide Dichter das Motiv der Reise auf ihre Art und Weise in Worte gefasst haben, auch wenn Uljana Wolfs Werk deutlich mehr Freiraum für Interpretationen, aufgrund seiner schlichten Art, lässt.


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