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„Bei
einer Linde“ und „Näheres über einen Baum“
Vergleichsanalyse
In
der folgenden Analyse sollen die Gedichte „Bei einer Linde“ von
Joseph von Eichendorff und „Näheres über einen Baum“ von Hans
Magnus Enzensberger vergleichend untersucht werden.
Das
Gedicht „Bei einer Linde“
von Joseph von Eichendorff, aus dem Jahre 1825, welches man der
Liebeslyrik und der Epoche der Spätromantik zuordnen kann, handelt
von einem lyrischen Ich, das seinen Liebeskummer zu seiner ersten
Liebe äußert.
Das
Gedicht lässt sich in drei Sinnesabschnitte einteilen, wobei der
erste Passus (Vers 1-4) von einer Verewigung spricht, bei der das
lyrische Ich seinen und den Namen seiner ersten Liebe in einen Baum
geritzt hat. Der Frühling stellt den Lebensanfang und das Aufblühen
in der Natur dar.
Der
zweite Sinnesabschnitt (Vers 5-8) handelt von den Veränderungen des
Baumes, die auch auf die Liebesbeziehung anzuwenden sind, weil sich
diese im Laufe der Zeit verschlechtert hat.
Im
dritten Sinnesabschnitt (Vers 9-12) bringt das lyrische Ich seine
unaussprechlich große Trauer zum Vorschein, wobei der Liebeskummer
weiterhin zu seiner ersten Liebe besteht.
Die
formale Gestaltung des Gedichts ist durch drei Strophen mit jeweils
vier Versen gekennzeichnet. Die zwölf Verse weisen als Reimschema
den Kreuzreim mit der Sequenz „ab ab“ auf.
Das Metrum wechselt zwischen drei- und fünfhebigen Jamben.
Infolgedessen enden die Verse abwechselnd mit männlichen und
weiblichen Kadenzen, wobei die weiblichen Kadenzen die Romantik und
die Liebesbeziehung im Gedicht veranschaulichen. Währendem stellen
die männlichen Kadenzen die Trauer dar, weil die Liebesbeziehung
gestört ist.
Die
sprachliche Gestaltung weist rhetorische Mittel wie beispielsweise
Enjambements in allen drei Strophen auf, weil jede Strophe einen
vollständigen Satz bildet. Die Verssprünge fördern eine
Spannungssteigerung zutage, weil das lyrische Du zum Nachdenken
angeregt werden soll. Die Inversion „auch ich seitdem wuchs“
(Vers 9) bewirkt eine Betonung der vorliegenden Situation, weil der
verstellte Satzbau das Augenmerk auf das lyrische Ich wirft.
Die
rhetorische Frage „den Namen schnitt von meiner ersten Liebe?“
(Vers 4) zeigt den starken Liebeskummer des lyrischen Ich und fordert
das lyrische Du ebenfalls zum Nachdenken auf.
Des
Weiteren kommt auch ein Vergleich „wie ihre erste Liebe“ (Vers
8), der den Baum und die Liebe verbindet, vor. Es wird eine
Veranschaulichung erreicht zwischen der Veränderung des Baumes und
der Liebe. Die Klimax „doch meine Wunde wuchs – und wuchs nicht
zu“ (Vers 11-12) stellt den unaussprechlich großen Liebeskummer
dar und betont nochmals die innere Gefühlswelt des lyrischen Ich.
Die Anapher in den letzten Versen mit „und“ (Vers 11-12) lässt
zu, dass die Situation sehr einprägsam wird und auch die
Wiederholung mit „wuchs“ (Vers 9, 11) trägt dazu bei, dass sich
das lyrische Du mit der Situation des lyrischen Ich identifiziert.
Der
Sprachstil ist mit einer einfachen Wortwahl leicht gehalten, es wird
aber trotzdem die innere Gefühlswelt und besonders die Trauer des
lyrischen Ich zum Ausdruck gebracht. Der Satzbau ist überwiegend
hypotaktisch während die Orthografie bis auf eine Wortverkürzung in
Vers 7 gegeben ist.
Als
Gesamtdeutung lässt sich sagen, dass die Natur dazu verwendet wird,
um die Liebesbeziehung und den Liebeskummer des lyrischen Ich zum
Ausdruck zu bringen, wobei die Veränderungen des Baumes und der
Liebe eine wichtige Rolle spielen.
Bei
dem Gedicht „Näheres über
einen Baum“ von Hans Magnus
Enzensberger, aus dem Jahre 2004, handelt es sich um Naturlyrik, bei
der das lyrische Ich aus der Beobachterrolle eine Weißbirke
beobachtet und seine Wahrnehmungen dazu äußert.
Das
Gedicht lässt sich in drei Sinnesabschnitte einteilen, wobei die
Weißbirke in der ersten Passage (Vers 1-6) ausführlich und
detailliert beschrieben wird.
Im
zweiten Passus (Vers 7-14) beschreibt das lyrische Ich die Wirkung
der Weißbirke auf sich selbst und den Menschen, während im letzten
Sinnesabschnitt (Vers 15-25) die Weißbirke in Bezug auf auftretende
Witterungsverhältnisse beschrieben und die Wahrnehmung des Menschen
dazu geäußert wird.
Zu
der formalen Gestaltung ist zu sagen, dass das Gedicht aus zwei
Strophen und insgesamt 25 Versen aufgebaut ist. Ein Reimschema ist
bei den Versen nicht zu identifizieren und ein Metrum ist ebenfalls
nicht vorhanden. Die Verse enden überwiegend mit männlichen
Kadenzen, sodass man daraus schließen kann, dass Enzensberger die
schwachen Wahrnehmungen des Menschen auf die Natur betont.
Die
sprachliche Gestaltung ist bis auf einige Fachbegriffe wie
„pathologische Mengen“, „Funktionen ohne Ableitung“ und
„Flatterbahnen im Phasenraum“ einfach gehalten. Die Besonderheit
dabei ist der prosaistischer Sprachstil, weil das Gedicht wie eine
Erzählung wirkt.
Die
Verwendung von wenigen rhetorischen Mittel, bestätigt trotzdem, dass
es sich um ein Gedicht handelt. Es lässt sich eine Inversion „Die
Weißbirke dort, sonnenfleckig.“ (Vers 1) und der Vergleich „Jeder
Nerv rieselt wie auf der Haut“ (Vers 7) identifizieren, die eine
besondere Wahrnehmung des Menschen herauskristallisieren. Das
Augenmerk wird auf die Weißbirke gerichtet, damit das lyrische Du
zum Nachdenken gezwungen wird.
Die
Wiederholung „richtet sich auf, unverändert, fast aber nicht ganz“
(Vers 9) und „aufrichtet, unverändert fast, aber nicht ganz“
(Vers 24-25) ist nicht ganz identisch, woraus man schließen kann,
dass sich die Wahrnehmung des Menschen ändern kann.
Die
Klimax „Bis es bebt, schwirrt, kippt“ (Vers 20) in Verbindung mit
der Aussage „Lass rechnen dein schwaches Gehirn“ (Vers 18) zeigt,
dass der Mensch die Natur und natürliche Prozesse nie ganz ergründen
wird.
Allgemein
ist festzustellen, dass der Satzbau hypotaktisch ist, wobei auch
kurze Sätze verwendet werden wie beispielsweise „Bewege dich
nicht.“ (Vers 2) und die Orthographie in diesem Gedicht vollständig
gegeben ist.
Zusammenfassend
ist zu sagen, dass Enzensberger das lyrische Ich dazu verwendet, um
aus der Beobachterrolle auf die Natur und speziell die Weißbirke,
die Wahrnehmung des Menschen auf natürliche Prozesse erprobt. Dabei
kommt zum Vorschein, dass der Mensch dazu unfähig ist, weil er die
Natur nicht vollständig ergründen kann.
Als
vergleichende Analyse lässt sich herausstellen, dass sich die
Gedichte grundlegend unterscheiden, weil es sich um zwei
unterschiedliche Themen handelt. Beide Gedichte lassen sich zwar der
Naturlyrik zuordnen, wobei das Gedicht „Bei einer Linde“ eine
Liebesbeziehung thematisiert und „Näheres über einen Baum“ die
Wahrnehmungen des Menschen zum Vorschein bringt.
Anzumerken
ist, dass die erheblichen Unterschiede zwischen den Gedichten auch an
der Entstehungszeit, die von unterschiedlichen gesellschaftlichen
Problemen gekennzeichnet ist, liegen. Zwischen den Veröffentlichungen
der Gedichte liegen 179 Jahre.
Die
Ziele der Dichter sind ebenfalls unterschiedlich, weil Eichendorff
die Natur verwendet, um ein romantisches Gedicht mit Liebesinhalten
zu veröffentlichen und Enzensberger die Natur als Sinnbild auf die
Tatsachen des menschlichen Lebens bezieht. Somit ist das romantische
Gedicht sehr an die innere Gefühlswelt orientiert, wobei das
lyrische Ich einen Aufbruch erlebt und sich in einer Traumwelt
befindet.
Die
sprachliche Gestaltung weicht ebenfalls erheblich voneinander ab,
weil das romantische Gedicht von Eichendorff den typischen Merkmalen
im Reimschema, Metrum und Kadenzen folgt. Enzensberger benutzt kein
Reimschema und Metrum, sodass der prosaistische Sprachstil das
Gedicht wie eine Erzählung wirken lässt.
Somit
ist bewiesen, dass die Gedichte „Bei einer Linde“ von Joseph von
Eichendorff und „Näheres über einen Baum“ von Hans Magnus
Enzensberger im Vergleich zueinander sehr unterschiedlich sind.