Goethe: Natur
und Kunst
Das
Gedicht „Natur und Kunst“ wurde 1800 von Johann Wolfgang von
Goethe verfasst. Goethe, geboren 1749 in Frankfurt und gestorben 1832
in Weimar ist der berühmteste Dichter der deutschen Geschichte.
Seine literarischen Handlungen umfassen Gedichte, Dramen,
erzählerische Werke sowie kunst- und literarische Texte. Nachdem er
mit seinem Werk „Die Leiden des jungen Werthers“ 1774 europaweite
Berühmtheit erlangte, wandte er sich den Idealen der Antike zu und
wurde ab den 1790er Jahren mit Friederich Schiller zum wichtigsten
Vertreter der Weimarer Klassik. Die erwähnte Epoche, die in etwa von
Goethes Italienreise 1786, bis zu seinem Tod 1832, andauerte hatte
viele Ziele und Merkmale. Ein wichtiges Merkmal der Klassik war die
intensive Auseinandersetzung mit der Natur des Menschen und dem
Kunstideal der Antike und deren Verhältnis zueinander. In dem Sonett
wird Goethes Auffassung dieses Verhältnisses im Jahre 1800
veranschaulicht.
Im
Gegensatz zu seiner früheren Denkweise ist Goethe kurz vor und nach
1800 nicht mehr der Ansicht, dass Natur und Kunst Gegensätze sind,
die sich unüberwindlich gegenüberstehen, sondern sich gegenseitig
ergänzen. Die Kunst, mit der er das Künstliche, das vom Menschen
und der Zivilisation Geschaffene meint, baut dementsprechend auf der
Natur auf, die in der Weimarer Klassik so viel wie das natürliche
Verhalten des Menschen bedeutete. Der erste Vers konkretisiert die
ursprüngliche Haltung Goethes („Natur und Kunst sie scheinen sich
zu fliehen“, V.1), die er in den darauffolgenden Versen der ersten
Strophe widerlegt und verdeutlicht, dass für ihn beide gleich
relevant sind („ Und beide scheinen mich gleich anzuziehen“,
V.4). Die zweite Strophe bildet erzähltechnisch einen Gegensatz zur
ersten, da sie sich nicht mehr mit dem lyrischen ich, sondern
gesellschaftlichen Regeln und Normen befasst(, weshalb sie auch in
der wir-Perspektive geschrieben ist, die den appellativen Charakter,
den das Gedicht im zweiten Quartett besitz verstärkt.) Der Mensch
ist Mitglied der menschlichen Gemeinschaft und ist deshalb
verpflichtet durch sein Wissen und Können etwas zum Wohl der
Gesellschaft beizutragen. Goethe stellt daraufhin die These auf, dass
nur durch das kontinuierliche Streben einen Beitrag zum Allgemeinwohl
zu leisten, die innere Natur des Menschen ganz zum Vorschein kommen
und der Mensch Freiheit finden kann („mag frei Natur im Herzen
wieder glühen“, V.8).Diesen angerissenen Gedanken greift Goethe in
der dritten Strophe weiter auf. Nun wird auf die Bildung des Menschen
verwiesen („So ist`s mit aller Bildung auch beschaffen“, V.9),
die laut Goethe der Schlüssel zu Vervollkommnung der menschlichen
Natur und Freiheit ist. Zudem thematisiert er, dass Menschen ohne
Ordnung, ohne Kontrolle und ohne Beschränkungen („ungebundene
Geister“, V.10). das Ziel nach Vollendung und Perfektion und das
Ideal nie erreichen können. In der letzten Strophe schließt Goethe
aus diesem Gedanken, dass Weiterbildung und das damit verbundene
Erreichen des Ideals nur durch Beschränkungen („das Gesetz“,
V.14) erreicht werden kann, da Freiheit ohne Beschränkung nicht
existiert.
Die
Verwendung von Verben, die antithetisch zueinanderstehen
(„fliehen…gefunden“, V.1-2) zeigt Goethes kontrastierende
Auffassungen der Beziehung von Kunst und Natur zu unterschiedlichen
Zeitpunkten seines Lebens. Der erste Vers veranschaulicht seine
Denkweise im ersten Jahrzehnt der Weimarer Klassik, in der er sich
sicher ist, dass die Willkür der Natur und das Künstliche, das vom
Menschen und der Zivilisation geschaffene unvereinbare Gegensätze
sind. Dieser Gedanke wird jedoch in den darauffolgenden Versen der
ersten Strophe falsifiziert, die Goethes Auffassung kurz vor und nach
1800 repräsentieren, Kunst und Natur bauen aufeinander auf und sich
ergänzen sich gegenseitig ergänzen.
Zudem
lässt sich eine Metapher erkennen („mag frei Natur im Herzen
wieder glühen“, V.8), die Goethes Aussage, dass der Mensch die
Freiheit der Natur nur durch das Bestreben etwas zum Allgemeinwohl
beizutragen erreichen kann bildlich unterstützt. Außerdem
verdeutlicht sie den hohen Stellenwert den die Freiheit in seinen
Augen für alle Menschen besitzt. Dadurch versucht Goethe den Leser
zu manipulieren, sein Appell, etwas zum Wohl der Gesellschaft
mitzuwirken, anzustreben und umzusetzen.
In
der letzten Strophe wird Goethes Schlussfolgerung, dass die Existenz
von Freiheit ohne Beschränkungen nicht möglich ist, durch die
Personifikation des Gesetzes hervorgehoben („das Gesetz nur kann“,
V.14). Gesellschaftliche Verhaltensregeln und ethische Werte sind
existentiell für die Freiheit des Menschen, da eine Gemeinschaft
ohne diese nicht funktionieren kann und oft in Anarchie versinkt.
Diese Denkweise lässt sich durch seine Abneigung gegenüber der
Französischen Revolution von 1789 erklären, die nach dem Umsturz
des Regimes zu Chaos und Gewalt im Land führte, da keine Regeln mehr
existierten, was ein Paradebeispiel für die Relevanz solcher und die
Wahrheit seiner Auffassung ist.
Das
Gedicht ist ein klassisches Sonett, da es zwei Quartette und zwei
Terzette umfasst. Die Quartette reimen sich umarmend, während sich
die Terzette strophenüberreifend kreuzweise reimen (ab V.9 abc;
abc). Die Verse sind in fünfhebigen Jamben in weiblicher Kadenz
verfasst.
Goethes
Wandel hinsichtlich seiner Einstellung zu der Beziehung zwischen
Natur und Kunst lässt sich anhand von Ereignissen, die sein Leben in
dieser Zeit entscheidend geprägt haben, erklären. Der junge Goethe
lehnt die Zivilisation und ihre Regeln konsequent ab, da er sich
nicht mit ihnen identifizieren kann und sie als einengend empfindet.
In späteren Werken wendet sich Goethe von diesem radikalen Gedanken
ab und relativiert bzw. kompensiert den Gegensatz zwischen Natur und
Kunst. Statt wie zuvor in freier Sprache, verfasst er seine Werke nun
in Versen, die diese von der natürlichen Sprache abheben und dadurch
eindeutig als Werke der Kunst (im heutigen Wortsinn) gelten. Der
Appell an Bildung, ohne die die Perfektion der menschlichen Natur
nicht erreicht werden kann, zeigt den Einfluss, den Johann Gottfried
Herder, der Goethes Lehrer war, auf ihn hatte, da der Ansatz, dass
Humanität nicht angeboren ist, sondern erst gebildet werden muss
schon sieben Jahre vor Veröffentlichung des Gedichts ein elementarer
Aspekt seines Humanitätsideal war. Seine Forderung gegen Ende des
Gedichts, an Verhaltensregeln und Beschränkungen festzuhalten, um
Freiheit zu ermöglichen, repräsentiert Goethes und Schillers
Antipathie gegenüber der Französischen Revolution aus der dieser
Gedanke resultiert. Goethe thematisiert in seinem Gedicht einige
Aspekte die in unserer modernen Gesellschaft noch durchaus aktuell
sind, wie die Idee, dass jeder Mensch moralisch dazu verpflichtet
ist, etwas zur Gesellschaft beizutragen. „giving back to society“
in Form von Spenden oder auch physischer Arbeit ist immer noch von
enormer Relevanz und verliert aufgrund des Egoismus‘ und der
Ignoranz der meisten Menschen leider immer mehr an Popularität. Auch
die Akzeptanz von Regeln und Gesetzen als Weg zur Freiheit ist auch
heute noch ein umstrittenes Argument. Ein Beispiel für Freiheit
schaffende Regeln im 21. Jahrhundert ist die Straßenverkehrsordnung.
Obwohl sie die Verkehrsteilnehmer bis zu einem gewissen Grad
beschränkt, da sie sich beispielsweise an rote Ampeln und
Geschwindigkeitsbegrenzungen halten müssen, senken diese simplen
Individuen beschränkenden Regeln das Gefahrenpotenzial und
ermöglichen einen beinahe unfallfreien Umgang miteinander.
Fußgänger, Autofahrer und Fahrradfahrer werden in ihrem Verhalten
freier, da aufgrund der Beschränkungen keine Kommunikation
erforderlich ist und sie schneller und vor allem sicherer handeln
können. Dieses Beispiel zeigt, dass Regeln eine durchaus eine
gewisse Freiheit kreieren, zumindest innerhalb eines schlüssigen
Regelwerks.
Zusammenfassend
kann man sagen, dass das Gedicht Goethes Einstellung zu Natur und
Kunst um 1800 repräsentiert, laut der das vom Menschen und der
Zivilisation Geschaffene und die innere Natur des Menschen
aufeinander aufbauen und sich gegenseitig ergänzen. Zudem gibt er
ein Regelwerk, das für die gesamte Gesellschaft gelten soll. Obwohl
das Gedicht schon zwei Jahrhunderte alt ist, können trotzdem
Parallelen zu dem heutigen Verhältnis von Kunst und Natur gezogen
werden, da das von dem Gedicht gelieferte Rahmenwerk für die
damalige Zivilisation als auch für unsere moderne Gesellschaft
relevant ist.