Gedichtsanalyse: „Doppelmann“ - Zafer Senocak
Deutsch LK, III. Semester – Thema:
Lyrik
Das Gedicht „Doppelmann“, verfasst von Zafer Senocak, ist im Jahr 1985
veröffentlicht worden. Es besteht aus vier Strophen. Die erste beinhaltet vier
Verse, die Zweite drei Verse und die letzten beiden Strophen bestehen jeweils
aus zwei Versen. Die Verse sind alle unterschiedlich lang und sind nicht
interpunktiert. Weder ein Reimschema noch ein Metrum sind vorhanden. In der
dritten Strophe sind die beiden Verse mit einem Jambus verbunden.
In der ersten Strophe steht das lyrische Ich auf zwei Planeten, sodass es
fällt wenn diese sich bewegen und dadurch an ihm zerren. In der zweiten Strophe
beherbergt das lyrische ich zwei Welten in sich, die unvollständig sind und bluten.
Die dritte Strophe besagt, dass eine Grenze durch die Zunge des Ichs verläuft
und in der letzten Strophe wird der Gedanke fortgeführt und es rüttelt an
dieser Grenze als ob es an einer Wunde spielen würde.
Das Gedicht beschäftigt sich mit einem Aspekt der Mehrsprachigkeit, mit
einer durch zwei Sprachen entstehenden Uneinigkeit in einem Menschen durch das
Erlernen einer Fremdsprache und dem damit einhergehenden interkulturellen
Leben. In Bezug darauf befindet sich das lyrische Ich in einem Identitätskonflikt.
Die seelische Unvollständigkeit seiner Selbst quält das Ich. Es fühlt sich
einerseits befangen in diesem Zwiespalt und nicht, wie man vermuten könnte,
durch die Multikulturalität in seiner Persönlichkeit erweitert. Andererseits
hat es keine Beständigkeit und Standhaftigkeit, da es sich keiner der beiden
Kulturen ganz hingeben kann, jedoch fühlt es sich zu beiden hingezogen. Zudem
ist ihm klar, dass es an seinem Leiden nichts ändern kann, so sehr es auch
dagegen ankämpft.
Der Sprecher betrachtet seine Problematik in der ersten Strophe aus einer
Makroperspektive, bei der das Ich sich zwar im ersten Vers über die Probleme
überordnet aber in den folgenden Versen nimmt die Schwierigkeit dennoch eine
höhere Machtposition über das Ich ein. In den restlichen Strophen wird dieses
Machtspiel aus einer Mikroperspektive betrachtet und die Zweisprachigkeit nimmt
klar überhand.
Die unterschiedliche Längen der Verse erzeugt einen unruhigen Klang. Die
fehlende Interpunktion setzt einen verzweifelten Ton bei und die
Aussichtslosigkeit wird abschließend durch das Fehlen eines Punktes oder
Ausrufezeichens im letzten Vers vermittelt. Der Sprachstil ist sachlich und
verständlich. Er impliziert, dass das lyrische Ich von einem breiten Publikum
verstanden werden möchte. Es hätte seine Qualen und seine innere Zerrissenheit
mit vehementeren Ausdrücken beschreiben können, jedoch verzichtet es auf
Register. Die Klangfarbe wird auf diese Art und Weise nüchtern und vermittelt
dadurch besser das Gefühl von Schmerz und Hoffnungslosigkeit.
Die formale Struktur des Gedichts weist eine Auffälligkeit in der dritten
Strophe auf, den Jambus, der die beiden Verse miteinander verbindet,somit wird
das Augenmerk auf die Sprache gelegt, die „Zunge“ (3. Strophe, Vers 2)
veranschaulicht dies symbolisch, somit ist die Problematik unmissverständlich.
Die Überschrift definiert das Problem weiter aus und besagt, dass es sich um
Bilingualität handelt.
Zafer Senocak verwendet Metaphern um die Größe des Leidens des lyrischen
Ichs zu veranschaulichen und stellt die beiden Kulturen, zwischen denen das
lyrische ich sich befindet, als „Planeten“ (1. Strophe, Vers 1) und „Welten“
(2. Strophe, Vers 1) dar. Die Multikulturalität und Sprache sind Verursacher
seines Leidens, denn diese bilden für das lyrische Ich den Grund worauf es
steht und worauf seine Identität fundiert (vgl. 1. Strophe, Vers1). Somit
verliert es an sicherem Halt wenn sich diese beiden großen, unterschiedlichen
Gegenstände bewegen (1. Strophe, Vers 2 – 4).
Auch betreffen die Kulturen seine emotionale und intuitive Festigkeit,
denn es trägt die beiden Welten in sich (2. Strophe, Vers 1) und diese
unterscheiden sich enorm, sodass es eine Unvollständigkeit beider gibt und
unterschiedliche Gefühlswelten zur Folge hat.
Die Grenze die durch die Zunge verläuft (3. Strophe, Vers 1 + 2) sagt
nochmals aus, dass das lyrische Ich eine Bilingualität aufweist, die
darauffolgende Strophe unterstreicht die innere Spaltung die mit dieser
einhergeht. Das Ich fühlt sich wie in einem Gefängnis, aus welchem es ausbrechen
möchte aber nicht kann. Die Aussichtslosigkeit des Entkommens, wird durch das
„Spiel an der Wunde“ (4. Strophe, Vers 2) verdeutlicht. Das „Spiel“ steht für
Naivität und kindliches Denken, welches mehr träumt und weniger bewirkt und
weiterhin an einen Ausweg glaubt.
Das Gedicht hat in seinem Aufbau die Form eines Trichters, die Verse
werden immer kürzer. Auch auf der inhaltlichen Ebene beschreibt der Sprecher
erst die Außenperspektive und geht immer weiter ins Detail zur
Innenperspektive. Dieses Gefälle unterstreicht die Machtposition der Sprache
und des Zwiespaltes über das Ichs. Der formale Ausbau korrespondiert dadurch
mit der Inhaltsebene.
Die magere Struktur und Form und Sachlichkeit sind typisch für die
Literatur der BRD, sowie autobiografische Tendenzen, denn Zafer Senocak selbst
hat einen Migrationshintergrund, somit hat er sich mit den Problemen, die
Mehrsprachigkeit mit sich bringen kann, auseinander setzen müssen. Die
Nachkriegsliteratur löst sich in dieser Zeit in Gegenwartsliteratur auf, sodass
die Motive zu der Zeit nicht mehr politisch waren sondern den Schwerpunkt auf
das private Leben setzten. Die Lyrik der Neuen Innerlichkeit entsteht in den
1970er Jahren und verbindet persönliche Erfahrungen mit gesellschaftlichen
Zusammenhängen. In den 80er Jahren war die Migration von türkischen
Gastarbeitern sehr präsent, dass das Gedicht „Doppelmann“ diese Epoche gut
widerspiegelt.
Gliederung:
-
Einleitender
Satz
-
Aufbau
des Gedichts
-
Inhaltswiedergabe
strophenweise
-
Deutungshypothese
-
Analyse
der Darstellungsmittel
-
Einordnung
in literarische Epoche