Gedichtsanalyse „Der Herbst
des Einsamen“, Georg Trakl
Das 1915 erschienene Gedicht „Der Herbst des Einsamen“
von Georg Trakl besteht aus drei Strophen mit jeweils sechs Versen,
die im (teils unreinen) Kreuzreim verfasst sind (ababa'b, cdc'dcd,
efefef). Für ein regelmäßiges Metrum sorgen ein fünfhebiger
Jambus und ausschließlich weibliche Kadenzen. Beim Beschreiben der
Atmosphäre, die der Herbst nach dem Sommer mit sich bringt, bedient
sich der Autor vieler sprachlicher Mittel. Um, wie der Titel bereits
vermuten lässt, Einsamkeit beim Schildern einzelner Orte wie in
einer Momentaufnahme gut darzustellen, gebraucht er vor allem
Farbadjektive. Im Prinzip schildert er die Sonnenuntergangsphase
eines Herbsttages; dementsprechend wird die Stimmung mit den Strophen
düsterer.
Zusammen mit dem personifizierten Herbst („kehrt ein“)
findet man im ersten Vers, um die schöne Beschaffenheit der Umwelt
zu skizzieren, ein allitisches Naturmotiv („Frucht und Fülle“).
Eine Antithese zu jenem („dunkle“) soll die zwei Seiten der
Jahreszeit darstellen: die schöne, bunte gegenüber der düsteren.
Die letzte führt das sich von der tristen Stimmung emotional
distanzierende Lyrische Ich im nächsten Vers fort, indem sie den
Herbst als „vergilbte[n] Glanz von schönen Sommertagen“
bezeichnet. Ein wenig der Sommerwärme ist in dem erlebten Moment
offenbar noch spürbar, weicht aber schnell kälteren Temperaturen
und ist nur eine Erinnerung an die Monate davor. Tatsächlich greift
Trakl im dritten Vers das für den Expressionismus typische Motiv des
Verfalls auf, das er auf die wärmere Jahreszeit bezieht. Aus der
„verfallene[n] Hülle“ tritt ein „reines Blau“, das die auch
kühleren Farben des Herbstes (bspw. nasse Wiesen, Nebel), aber auch
Klarheit darstellen soll und darüber hinaus womöglich eine
Bezeichnung für einen wolkenlosen Himmel sein soll, der auch für
Schutzlosigkeit und kältere Tage und Nächte steht. Auch ist dies
eine Metapher dafür, dass sich Körper und Geist voneinander trennen
und somit ein Motiv für die Unendlichkeit, bekräftigt durch Leben,
das nicht stirbt.
Mit einer Alliteration („Flug der Vögel“) tritt im
vierten Vers erneut das Naturmotiv auf. Die Handlung soll „von
alten Sagen [tönen]“. Die Assonanz betont das Alter dieses
Handlungsablaufs, der als uralter Ritus Abschied und Umschwung
symbolisiert, aber auch einen nicht endenden Kreislauf und
dementsprechend Wiederkehr und Ewigkeit. Eine weitere Assonanz
befindet sich im fünften Vers („milde Stille“), die durch ein
Enjambement auf den darauf folgenden übergreifend eine Unruhe
übermittelt. Die Stille ist von der „leise[n] Antwort dunkler
Fragen [erfüllt]“ (V.6), was darstellen soll, dass die Antworten
auf breit geteilte, jedoch nie gestellte Fragen, leicht zu erahnen
ist. Sie wurden nie ausgesprochen, da sie Angst und Besorgnis
auslösend sind und, obgleich die Antwort bekannt und auch schon
spürbar ist, verdrängt oder von Hoffnung überdeckt werden. Sie
beziehen sich möglicherweise auf Leid, Verlust, Trauer und
Existenzschwierigkeiten. Der bereits gekelterte Wein (vgl. V.5)
stellt eine jedes Jahr wiederkehrende Tradition dar.
Zu Beginn der zweiten Strophe beschreibt das Lyrische
Ich, wie „hier und dort ein Kreuz auf ödem Hügel“ steht (V.7).
Die Todessymbolik und das negativ connotierte Adjektiv übermitteln
ganz deutlich die Trostlosigkeit des Ortes, der vergessen wurde und
für den man Gleichgültigkeit und Unbehagen empfindet, weshalb er so
vernachlässigt ist.
Der „rote[] Wald“ (V.8), in dem sich eine Herde
verliert, stellt sich trotz leuchtender, warmer Farben, oder gerade
wegen der visuellen Veränderung, als eine verwirrende Komponente
heraus, die für Desorientierung sorgt. Die „Herde“ bezeichnet
vermutlich Hirsche, die sich nicht verlaufen haben, sondern sich für
die harten Tage zusammenfinden und einsam und unter sich durch die
Bäume streifen und wie Nomaden ziehen. Sie entziehen sich dem Blick
des betrachtenden Lyrischen Ichs, die Hufschläge verklingen und sie
entschwinden in den Wald. Ebenso können aber auch zurückgelassene
Zuchttiere wie Schafe gemeint sein, die sich zwar in einer Gruppe
befinden, der Natur jedoch schutzlos ausgeliefert und unter den
gegebenen Umständen nicht überlebensfähig sind, womit ihr
Schicksal besiegelt und ihr Tod voraussehbar wäre.
Im neunten Vers schildert das Lyrische Ich, wie eine
Wolke über einen Weiherspiegel wandert. Die mit weichen Konsonanten
gebildete Alliteration bestärkt den unberührten Charakter der
Situation. Auch bringt die Darstellung in erneutem Bezug auf die
Natur Verlassenheit und große Stille mit sich.
Mit der „ruhenden […] ruhige[n] Geberde“ des
Landmanns (V.10) ist das Säen gemeint. Das Landleben im Kontrast zum
Stadtleben ist als sehr ruhig zu betiteln und das Ausstreuen von
Samen erfolgt einer gleichmäßigen Bewegung. Da es im Herbst keinen
Sinn macht, zu säen, ruht der Bauer in dieser Tätigkeit.
Die Personifikation in Vers elf („rührt des Abends
blauer Flügel“) verbildlicht die langsam näher kommende Nacht.
Wieder werden kühle Farben verwendet, um dem Leser die zunehmende
Kälte nahezubringen. Der Flügel als Element der Luft ist eine
Metapher für eine Windbrise, die „sehr leise“, womöglich nicht
hör- und nur sichtbar und dadurch spukhaft, „ein Dach von dürrem
Stroh, die schwarze Erde“ (V.12) rührt. Das dürre Stroh erinnert
an die biblische Geschichte von Jakob und seinen Brüdern, in welcher
der Pharao von mageren Kühen träumt, die eine schlechte Ernte
prophezeien. In diesem Kontext steht die Bezeichnung für die
Schattenseite des Sommers, der nicht so viel Ertrag gewährleisten
konnte. Auch bietet ein Dach aus dünnem Gras unzureichenden Schutz
vor Nässe und Kälte. Um diese Schwierigkeit rein klangmalerisch zu
untermalen, bedient sich Trakl einer Alliteration mit harten
Konsonanten. Die schwarze Erde unterdessen wirkt unlebendig und
fruchtlos.
Die dritte Strophe beginnt damit, dass sich „Sterne in
des Müden Brauen“ einnisten (V.13). Hier erscheint erstmals das
Nachtmotiv. Die Sterne setzen sich, durch die Personifikation aktiv,
im übertragenen Sinne über die Augen, machen schwere Lider und
sorgen systematisch dafür, dass sich diese senken. Das
personifizierte „still[e] Bescheiden“ (V.14) steht metaphorisch
für die Ruhe, die einkehrt, sobald alle sich in der „kühle[n]
Stube“ Befindlichen schlafen.
Die Engel, als biblisches Eelemnt Symbol für Reinheit
und Unschuld, stellen in dem Kontext die aufrichtige, metaphorisch
skizzierte Liebe dar, die sich zwischen den „Liebenden“ offenbart
(V.15f). Ihr Leid beschreibt die Sehnsucht, die sie empfinden, da sie
sich nicht sehen können. Trakl greift hier die aus der Romantik
bekannte Lyrikthema auf, dass sich Liebende selten treffen und
oftmals nur von Ferne lieben konnten, möglicherweise dadurch
bedingt, dass ein Verhältnis aus unterschiedlichen Gründen verboten
war.
Das rauschende Rohr (gemeint ist von Wind bewegtes
Schilf, V.17) verdeutlicht die Einsamkeit und Verlassenheit des
Ortes. Das „knöchern Grauen“ verbildlicht das Todesmotiv und
beschreibt ein Schaudern oder eine üble Vorahnung.
Im letzten Vers vereinigt Trakel das Motiv des Todes,
der Natur und des Verfalls. Der Tau an sich erinnert an den Übergang
der Nacht in den frühen Morgen und an Leben schaffende
Fruchtbarkeit. Das Schwarz als unnatürliche Farbe allerdings
kontrastriert das wie Tränen „von den kahlen Weiden“ (V.18)
tropfende Wasser. Die Bäume, die der Leser mit aussagekräftigen
Bildern von Trauerweiden assoziieren kann, stehen als romantisches
Element des Sehnsuchtmotivs für Trauer und Einsamkeit, mit
Berücksichtigung auf das negativ connotierte Adjektiv, das die
Pflanzen als schlafend oder tot bezeichnen kann, für Schmerz, aber
auch für ein hohes Alter und verlässliche Standhaftigkeit.