Gedichtinterpretation
Heidenröslein
Das naturliterarische
Gedicht „Heidenröslein“ von Johann Wolfgang von Goethe, welches
in der Epoche des Sturm und Drang entstanden ist, macht zu Beginn
einen äußerst freundlichen Eindruck, welcher sich dann aber zum
Gegenteil wendet.
Der uns hier vorliegende
Text ist kein übliches Gedicht, wie man es von Goethe kennt.
Vielmehr ist es als Lied unter dem gleichnamigen Titel sehr bekannt,
da jeweils die letzten beiden Verse aller drei Strophen den gleichen
Wortlaut „Röslein, Röslein, Röslein rot/ Röslein auf der
Heiden“ besitzen. Diese Repititio
kann man mit dem Refrain eines Liedes gleichsetzen.
Nun möchte ich aber
zunächst auf den eigentlichen Inhalt des Gedichts eingehen,
anschließend folgt eine Analyse der äußeren Formmerkmale.
Schon im ersten Vers kommt
das lyrische Ich auf die beiden Protagonisten des Gedichts zu
sprechen. Ein „Knabe“ sieht ein „Röslein“. Schon aus diesem
ersten Vers kann man erkennen, dass die Rose aufgrund ihrer
Verniedlichung noch recht jung und klein zu sein scheint. Außerdem
stellt sich mir hier die Frage: Ist mit dem Ausdruck „Röslein“
wirklich die Rose als Blume gemeint, oder steht er hier im ganzen
Gedicht als eine Methaper für ein junges Mädchen? Diese Frage werde
ich in meiner fortlaufenden Interpretation versuchen, genauer zu
beantworten.
Vers zwei beschreibt
ausschließlich den Standort der Rose und somit den Ort, an dem sich
das Gedicht bildlich abspielt, (V. 2: „Röslein auf der Heiden“),
also auf einer Wiese.
Im dritten Vers wird nun
genauer auf das Aussehen des Rösleins eingegangen (V. 3: „War so
jung und morgenschön“). Hier bestätigt sich noch einmal „das
Alter“ der Rose.
Aufgrund
der im Vers drei beschriebenen Schönheit der Blume, kommt es ,von
Seiten des Jungen, in Vers 4, zu einer genaueren Betrachtung der
Rose, welche ihm, geschrieben in Vers 5, große Freude bereitet. Das
heißt also, er findet das Röslein äußerlich sehr attraktiv.
Vereinfacht wurde der fünfte
Vers mithilfe einer Kontraktion des Verbs „sah“ und des
Personalpronomens „es“ (V. 5. Sah's mit vielen Freuden.)
Wie schon zu Beginn
geschrieben, folgt nun der Refrain, welcher sich in allen Strophen
wiederholt und jeweils die letzten beiden Verse einer Strophe
umfasst. Feststellen lässt sich hierbei, dass das Adverb „rot“
in diesem Zusammenhang ein Symbol der Liebe und Herzlichkeit ist.
Gehen wir nun zur zweiten
Strophe über, welche durch einen Dialog der beiden Protagonisten
schon deutlich mehr zur Geltung kommt.
Gleich zu Beginn der zweiten
Strophe wendet sich der fröhliche und vertraute Eindruck der ersten
Strophe schlagartig zum Gegenteil. Der Knabe spricht zum Röslein,
dass er es „brechen“ will. Er möchte ihr also Schmerzen
hinzufügen, um es für sich zu gewinnen. Dies deutet wieder darauf
hin, dass das Röslein eine Methaper für ein junges Mädchen ist.
Es folgt in Vers 9 der
gleiche Wortlaut wie schon in Vers 2, in welchem der Standort zur
Geltung kommt.
Durch eine Anapher (V. 9 u.
10: „ Röslein auf der Heiden/ Röslein sprach: Ich steche dich,)
wird der zehnte Vers eingeleitet, in dem sich die Rose, also das
Mädchen, versucht, mit ihren Stacheln gegen die Androhungen des
Jungen im 8. Vers zu wehren.
Mithilfe eines Enjambements,
wird die Gegendrohung in Vers 11 präzisiert. Sie droht dem Knaben,
ihn zu „stechen“, damit sie Ihm für immer als Gegner in
Erinnerung bleibt, welcher sich gewehrt hat.
Der 12. Vers zeigt noch
einmal, dass die Blume es mit ihren Gegendrohungen ernst meint, da
sie vergewissert, ihr würde nichts leid tun (V. 12: „ Und ich
will's nicht leiden“), was sie tut. Um diese Gleichgültigkeit zu
unterstreichen, baut das lyrische Ich hier wieder eine Kontraktion
des Verbs „will“ und des Personalpronomens „es“ ein.
Nun endet der Dialog und es
folgt wieder der bekannte Refrain. Anders als in Strophe eins, wir
dem Adverb „rot“ eine andere Bedeutung zugeordnet. Es steht hier
weniger als ein Symbol der Liebe, sondern vielmehr als Symbol des
Blutes und somit des Schmerzes. Diese Deutung lässt sich gut im Text
widerspiegeln.
Trotz der Abneigung des
Mädchens gegenüber dem Jungen, beginnt die 3. Strophe, wohl auch
die brutalste, damit, dass der Knabe das Röslein „bricht“, das
Mädchen wird vergewaltigt. Verstärkt wird dieser Eindruck durch das
Adjektiv „wild“, welches dem Jungen im 15. Vers zugeordnet wird.
Der 16. Vers gleicht wieder
dem jeweils zweiten Vers der anderen Strophen, mit einer kleinen
Ausnahme: Durch ein Enjambement vom 15. zum 16. Vers, wurde nun in
Vers 16 die Vereinfachung des Artikels „das“ (V. 16: „ 's
Röslein auf der Heiden“) an den Anfang gesetzt, um die
fortlaufende Tätigkeit des Jungen zu beschreiben.
Wie schon in Strophe zwei
prophezeit, wehrt sich die Rose im 17. Vers und sticht mit ihren
Stacheln zu, jedoch ohne Erfolg.
Wieder durch ein Enjambement
wird das Geschehen aus dem vorherigen Vers im 18. fortgesetzt. Hier
wird nun klar, dass es sich bei der Rose um ein Mädchen handeln
muss, da das lyrische Ich nun als Personalpronomen für „das
Röslein“ „ihr“ einsetzt, welches ein feminines Pronomen ist.
Niemand hilft dem Mädchen, sodass es mit ansehen muss, wie es seine
Jungfräulichkeit, als Opfer einer Vergewaltigung, verliert.
Der letzte Vers vorm
bekannten Refrain klingt sprachlich schon sehr grenzwertig (V. 19:
Musst' es eben leiden.) Zunächst wird das Ganze wieder durch eine
Apokope mit der Vergangenheitsform des Verbs „muss“ vereinfacht,
obendrein verleiht der Partikel „eben“ der Tat des Jungen eine
Natürlichkeit, als wäre es das normalste auf der Welt, ein Mädchen
zu vergewaltigen. Es wird keinerlei Rücksicht auf die Feminine Rolle
genommen.
Ich möchte nun zu einigen
äußeren Formmerkmalen kommen.
Das naturliterarische
Gedicht hat den Stil eines volkstümlichen Volksliedes. Es besitzt
drei Strophen mit jeweils sieben Versen. Das Reimschema der ersten
Strophe: a-b-c-a-d-e-b, ist nicht einheitlich, deutet aber auf einen
Schweifreim hin. Die anderen beiden Strophen weisen einen Paar- und
ebenfalls einen Schweifreim auf, welche wie folgt aussehen:
a-b-a-a-b-c-b. Gereimt wurde nach dem trochäischem Metrum.
Dennoch hebt sich die erste Strophe nicht nur wegen des anderes
Reimschemas hervor, sondern auch im Bezug auf den Inhalt. Dies ist
die einzige Strophe, in welcher das Gedicht harmonisch und liebevoll
wirkt und keine Aussicht auf Gewalt zu spüren ist. Erst ab der
zweiten Strophe wird spürbar, wie brutal das Gedicht eigentlich ist.
Zu
Beginn wird dem Leser vermittelt, dass es sich bei diesem Text um ein
Liebesgedicht handelt. Letztendlich endet diese „Liebesgedicht“
aber in einer Vergewaltigung.
In
meiner Einleitung habe ich gesagt, dass „Heidenröslein“ aus der
Epoche des Sturm und Drang stammt. Dieser Meinung bin ich noch immer,
da im Sturm und Drang das Gefühl, die Kraft der Natur und die
Subjektivität weit oben standen.
Eventuell
schrieb Goethe dieses Gedicht, um über die Trennung von Friederike
Brion hinweg zu kommen.
Mein
zu Beginn beschriebener erster Eindruck hält bis jetzt an. Im
Gedicht geht es um eine Liebe, welche nicht erwidert wird und in
einer Vergewaltigung endet. Durch die freundliche erste Strophe wird
das Ganze noch brutaler, da die eigentliche Moral der Vergewaltigung
durch freundliche und liebevolle Züge unterstützt wird. Ich finde
es nicht gut, dass dieses Gedicht als Lied so berühmt ist, da ich
mir nicht vorstellen möchte, wie glückliche Menschen dieses Lied
singen, ohne zu wissen, was sich eigentlich dahinter verbirgt.