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Interpretation

Gedicht­ana­lyse: Werner Bergen­gruen: Die heile Welt

1.254 Wörter / ~3½ Seiten sternsternsternsternstern Autor Patrick S. im Apr. 2013
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Literaturanalysen zur Nachkriegsliteratur - Trümmerliteratur: Die Abitur & Hausaufgabenhilfe: Interpretationen zu Ilse Aichinger, Ingeborg Bachmann, ... Wolfdietrich Schnurre (Textanalysen, Band 1)
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Dokumenttyp

Interpretation
Deutsch

Universität, Schule

Freie Waldorfschule Essen

Note, Lehrer, Jahr

8 Punkte, 2012

Autor / Copyright
Patrick S. ©
Metadaten
Format: pdf
Größe: 0.22 Mb
Ohne Kopierschutz
Bewertung
sternsternsternsternstern
ID# 30290







Werner Bergengruen – Die heile Welt

Gedichtanalyse / Interpretation

 

Einleitung

„Nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben ist barbarisch.“ (Adorno) Diesen berühmten Satz sagt Adorno in Bezug auf die Frage, inwiefern es eine Lyrik geben sollte nach dem zweiten Weltkrieg. Laut Adorno würde Lyrik die Grausamkeit des zweiten Weltkrieges und des Holocausts beschwichtigen und durch künstlerische Elemente überspielen. Dennoch hat sich eine eigene Gattung nach dem Krieg entwickelt: die Nachkriegslyrik. Dazu gehört z.B. die Trümmerlyrik. Auch das Gedicht „Die heile Welt“ von Werner Bergengruen gehört der Gattung der Nachkriegslyrik an, da es im Jahre 1950 geschrieben wurde und die Gefühle der Menschen nach dem zweiten Weltkrieg in der späten Nachkriegszeit behandelt.  Inwiefern das Gedicht von Werner Bergengruen den Kriterien Adornos widerspricht oder entspricht, wird im weiteren Verlauf dieser Analyse erläutert.

 (Inhaltsangabe) In der ersten Strophe sagt Bergengruen aus, dass das Herz unverwundbar sei. Danach sagt er aus, dass nur die Schale geritzt werden könne. In der dritten Strophe heißt es, dass es eine Art ständig dauernden Wechsel zwischen Frucht und Blüte, zwischen Vogelzug nach Süd und Nord gebe. Danach heißt es, dass es keine Veränderung an natürlichen Gegebenheiten gebe. In der letzten Strophe sagt Bergengruen, dass es Neues gebe.

 

Analyse Form

Auf den ersten Blick erkennt man eine eindeutige Gedichtsstruktur, da das Gedicht in fünf Strophen mit je 4 Versen eingeteilt ist. Auch den Kreuzreim kann man sofort erkennen. Das Metrum in diesem Gedicht ist ein vierhebiger Jambus mit wechselnden Kadenzen.

Daher ist dies eine eindeutig klassische Gedichtform, die keiner expliziten Gattung angehört.

Aufgebaut ist das Gedicht wie eine Art zeitlicher Verlauf, beginnend mit Andeutungen auf den zweiten Weltkrieg und endend mit einem Ausblick in die Zukunft. Die Strophen sind daher nach Sinn zusammengestellt. Die erste Strophe behandelt eine Art Unverwundbarkeit, die zweite Strophe  eine Zugehörigkeit, die Dritte eine Wiederholung, die Vierte eine Vorausbestimmtheit und die letzte Strophe einen Zukunftsausblick.

Bergengruen arbeitet mit sehr vielen metaphorischen Bildern. „Das Blut [kann nicht] vom Herzen“ (Z. 2) spritzen, es ist das Organ des Menschen, welches für die Blutweiterleitung zuständig ist. Die Welt hat zwar eine Schale, doch kann man diese nicht mit der Schale einer Frucht vergleichen, daher ist der Vergleich in Zeile drei und vier nicht ganz nachvollziehbar, da die „Schale der Welt“ der äußersten Erdummantelung entspricht, welche mit Tälern und Bergen übersäht ist und daher ein „Ritzen“ einen mehrere Kilometer tiefen Einschnitt bedeuten würde.  Mit den „Ringen“ (Z. 5) ist anscheinend ebenfalls die Erde gemeint, die Erdschichten kann man auch als Ringe betrachten, dessen „Kern“ (Z. 6) er ebenfalls anspricht.  Felsen können laut Zeile 13 wachsen, in Wirklichkeit wachsen Felsen nur durch das Auftragen neuer Schichten und nicht wie ein organischer Prozess.  Daher verwendet Bergengruen auffällig viele Metaphern. In Strophe 3 beginnen zusätzlich zwei nicht aufeinander folgende Verse mit dem Wort „Ewig“ (Z.9 & 11).

Bergengruen bedient sich in seiner Wortwahl sehr an romantischen Wörtern und verwendet keine Fachwörter.

 

Analyse Inhalt

Der Inhalt des Gedichts lässt den Leser eine träumerische Atmosphäre erahnen, eine Art Gedankenwelt.  Die Wortwahl unterstützt dieses. Das lyrische Ich ist in diesem Fall nicht eindeutig zu erkennen, jedoch wird der Leser in Zeile eins, acht, 15 und 20 direkt angesprochen. Auffällig ist, dass das lyrische Ich nie von sich selbst spricht sondern immer nur von vollendeten Tatsachen, die allerdings nicht unbedingt belegbar sind.

Der Titel des Gedichts beschreibt in diesem Fall auch genau den Inhalt des Gedichts, Bergengruen spricht stets von einer „heilen Welt“ in seinem Gedicht.

Die Metaphern dieses Gedichts muss man allerdings kritisch hinterfragen, da selbst nach Ausdeutung der Metapher kein reeller Sinnzusammenhang erkennbar ist. Die Schale der Welt ist nicht verwundbar, da die oberste Schicht ganz natürlich aus Rissen, Kluften und Bergen besteht. Der Kern im Innern besteht aus einer glühenden Masse geschmolzenen Gesteins, diese Tatsache ist durchaus bestätigt. Der Vogelzug und der Frucht-Blüte-Zyklus sind ebenfalls belegt. Fraglich ist, was mit einer ewigen strengen Güte gemeint ist. Felsen können nicht im organischen Sinne wachsen, Ströme können nicht gleiten, sie fließen. Der Tau kann nicht unverletzt fallen, da Tau aus kondensiertem Wasser besteht und Wasser keine Verletzungsmöglichkeit bietet. Welche Rast und Wanderbahn gesetzt ist, bleibe ebenfalls offen. Wolken können ebenfalls nicht glühen, sie können durch das Sonnenlicht angestrahlt hell schimmern und dadurch den Effekt erwirken, dass sie glühen würden. Nie erblickte Sterne gibt es ebenfalls, doch was mit der süßen Labung gemeint ist, bleibt ebenfalls offen.

Betrachtet man dieses Gedicht allerdings einmal nicht in Bezug auf die Erde als Objekt, sondern denkt sich die Erde als Symbol für die Menschen, so kann man einige weitaus deutlichere Schlüsse ziehen. Dass man den Menschen und seine Gefühle durch naturgegebene Objekte beschreibt, war zu dieser Zeit durchaus üblich, da eine Sprachskepsis durch den zweiten Weltkrieg und die Propaganda entstanden war. Die Schale des Menschen ist in diesem Fall das äußere Erscheinen und Verhalten der Menschen, der Kern die inneren Gefühle. Doch alleine diese Vorstellung ist aberwitzig und nicht korrekt. Die Menschen mögen zwar nach dem zweiten Weltkrieg äußerlich ihre körperlichen und/oder seelischen Narben gezeigt haben, jedoch  sind diese Wunden im Inneren der Menschen auch vorhanden, da durch den zweiten Weltkrieg viele Menschen Freunde und Verwandte verloren haben und dadurch innerlich einen seelischen Schaden erlitten haben. Auch wenn man nicht direkt betroffen war, hat man das Leid trotzdem erfahren und wurde durch die allgemeine Situation des Krieges tief verwundet. Werner Bergengruen widerspricht diesem aber, da er aussagt, dass nur die äußere Situation den Krieg wiederspiegelt. Diese Aussage ist aber vollkommen falsch, da das innere Leid der Menschen damals viel größer war als sie nach außen gezeigt hatten.

In den Anspielungen auf den Zyklus in der dritten Strophe wird auch nicht ganz deutlich, ob Bergengruen den Wiederaufbau der Menschen und des Landes meint oder ob er auf eine Wiederkehr eines Krieges plädiert. In der vierten Strophe spielt Bergengruen auf Naturphänomene an, die unaufhörlich stattfinden. Fraglich ist jedoch ob der Autor mit dem dritten und vierten Vers der Strophe auf eine Art Vorherbestimmung anspielen will. In der letzten Strophe macht Bergengruen einen Ausblick in die Zukunft. Fraglich ist, was er mit den neuen Wolken meint. Wolken stehen im Allgemeinen für eine Trübung des Himmels, eine Art Vorboten für schlechtes Wetter, denn aus Wolken kann es regnen. Sieht Bergengruen in der Zukunft also weitere dunkle Zeiten der Geschichte? Mit den neuen Gipfeln meint der Autor anscheinend die verschiedenen Fronten nach dem zweiten Weltkrieg. Deutschland steht ohne Regierung und Führung da und die Siegermächte streiten sich vor allem um Territoriales.  Mit den nie erblickten Sternen könnte Bergengruen neue Horizonte meinen, neue Blickweisen, neue Perspektiven.

 

Back to the roots & Schluss

Doch ist so ein Gedicht wirklich angebracht nach dem Krieg? Sicherlich spielt Bergengruen in seinem Gedicht auch auf die negativen Aspekte an, jedoch verpackt er sie in sehr kunstvolle Worte und so erscheint das Gedicht auf den ersten Blick wie eine Art Hoffnungsillustration. Laut Adorno müsse jegliche Lyrik nach dem Krieg ohne Kunst sein. Doch Bergengruens Gedicht ist genau das Gegenteil. Es enthält alle Merkmale des Gedichts, viele Symbole und Metaphern, jeglicher Vers muss erst ausgedeutet werden. Ist Bergengruens Gedicht nach Adorno also barbarisch? Obwohl Bergengruen am Ende zwar auf einen evtl. entstehenden Konflikt hinweist, sagt er am Anfang des Gedichts aus, dass der Krieg die Menschen innerlich nicht verwundet hätte. Diese Aussage ist beinahe eine Verleumdung der Gräueltaten des Krieges. Daher würde Adorno diesem Gedicht harte Kritik entgegensetzen und würde nicht mit seinen Aussagen konform sein. Auch Paul Celan, der ebenfalls Lyrik verfasst hat, wäre skeptisch, solche Tatsachen in so kunstvolle Worte zu packen und sogar den Krieg zu verharmlosen. Daher ist dieses Gedicht nicht als gutes Beispiel für Nachkriegslyrik anzusehen.


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