Gedichtanalyse
Die Stadt – Georg Heym
Das Gedicht „Die Stadt“ von Georg Heym, geschrieben 1911,
aus der Epoche des Expressionismus, erzählt von dem eintönigen, fast totem,
Leben in der Stadt, ihrer Größe und der Anonymität innerhalb der Stadt
Bei dem Gedicht handelt es sich um Sonett, und daher besitzt
es, wie jedes Sonett, zwei Quartette und zwei Terzette. In der ersten Strophe
ist ein umarmender Reim zu finden. Ebenso in der zweiten Strophe, wobei sich
hier die mittleren Verse zu den umarmenden aus der ersten Strophe reimen.
Sämtliche Verse des ersten Terzettes reimen sich. Auch die des zweiten
Terzettes reimen sich.
Im Gedicht kommt ein 5-hebiger Jambus vor und eine männliche
Kadenz am Versschluss.
Am Anfang des Gedichtes, in der ersten Strophe, wird
besonders das Bild der Stadt vermittelt mithilfe der Natur. Die zweite Strophe
erzählt großen Menschenmengen in den vielen gefüllten Straßen
In der folgenden Strophe geht es vielmehr über das
Vorbeifliegen der Zeit und dem sinnlosem Leben in der Stadt, in der jeder
anonym und unbekannt bleibt.
Und in der letzten Strophe wird noch einmal mit Hilfe der
Natur, ein bedrohliches Bild der Stadt gezeichnet.
In den Versen eins und zwei ist ein Enjambement zu finden. Der
Sprung von den Worten „(…) Und Wolkenschein“ aus Zeile eins zu „Zerreißet vor
des Mondes Untergang“ in Zeile zwei bewirkt, dass man diese Zerrissenheit auf
Grund des Zeilensprungs noch deutlicher verspüren kann. Dadurch bekommt es eine
stärkere Wirkung. Es ist als würde man selbst sehen wie die Wolken, den Licht
spendenden Mondes, verdecken und eine bedrückende Stimmung erschaffen.
Bei dem Wort „Wolkenschein“ handelt es sich um eine
Wortneuschöpfung, da dieses Nomen, in dieser Zusammensetzung nicht existiert.
Jedoch wird dadurch Stärke der Dunkelheit unterstrichen und es vermittelt
einen Eindruck von kräftigen und machtvollen Wolken.
In Vers drei werden die Fenster personifiziert, indem es
heißt „Und tausend Fenster stehen die Nacht entlang“. Die Nacht wird somit auch
als ein anderes Bild dargestellt. Sie wird ebenfalls personifiziert. Durch
diese zwei Personifikationen wird die Stadt und das Leben in ihr viel größer
dargestellt, auf Grund Vorstellung von tausend Fenstern die in einer Reihe
stehen, in der Dunkelheit der Nacht. Damit wird das Stadtleben als düster und
dunkel verbildlicht.
In Zeile vier heißt es weiter, dass diese Fenster rote Lider
besitzen, wodurch die Fenster als schaurige Gestalten erscheinen. Auf Grund
dessen könnte man die Fenster auch als Einwohnern der Stadt verstehen. Die
roten Lider bewirken einen toten Eindruck. Wie untote Wesen leben sie in der
Stadt, nichts interessiert sie mehr und alles ist ihnen gleichgültig. Damit
wird die Stadt als eintöniger Ort empfunden.
Eine weitere Personifikation befindet sich in Zeile fünf.
Die Straßen werden personifiziert und auf einmal gehen sie durch die Stadt.
Außerdem werden sie mit „Aderwerke“ verglichen (vlg. Z. 5). Die starren
Straßen, die nun plötzlich selber umhergehen verdeutlichen weiter eine gewisse
Melancholie in der Stadt, die auch die Menschen als Fenster bewirken. Der
Vergleich aus Zeile fünf verdeutlicht, dass es sich hierbei um sehr viele
Straßen handeln muss, die eng beieinander liegen, genau wie die vielen Adern in
einem Körper.
„(…) Menschen schwemmen aus und ein“, heißt es in Vers 6.
Wie eine menge Wasser strömen Menschen durch die Straßen. Das Bild von
„schwimmen“ und „Wasser“ lässt die Vorstellung von vielen Menschen in einer
Stadt noch weiter vergrößern und es erscheint als würden es unzählbar viele
sein. Diese Wortwahl unterstützt weiterhin das erdrückende Bild von der Stadt.
Auch könnte man diese Menschen die in die Stadt hinein und
hinaus schwimmen mit dem Aderwerk in Verbindung bringen und den engen Straßen.
Es ist wie ein einziger Strom der sie ihre Wege entlang treibt, dem sie stumm
folgen.
In der dritten Strophe ist ein Parallelismus vorzufinden. Es
werden Leben und Tod direkt gegenüber gestellt. Zuerst geht es nur um das
Gebären und den Tod und in dem nächsten Vers wird eine andere Wortwahl gewählt
und zwar stattdessen „Lallen der Wehen, langer Sterbeschrei“. Vers zehn benutzt
härtere und negativere Beschreibungen für Leben und Tod. Dadurch wird die
Vorstellung von der Stadt immer dunkler. Im folgenden Vers 11 wird vom „blinden
Wechsel“ gesprochen. Der Wechsel wird personifiziert. Das Wort „blind“
beschleunigt die Vorstellung des Wechsels von Leben und Tod. Und der blinde
Wechsel zeigt eine rasche Abfolge von dem Beginn eines neuen Lebens und dem
Ende des Lebens.
Während das gesamte Bild der Stadt stets düster und schwarz
bleibt, gibt es auch einige Kontraste zu sehen. Die roten Lider (vgl. Z. 4),
die Aderwerke, mit dem man das rote Blut verbindet (vlg. Z. 5) und die roten
Fackeln und das Feuer (vlg. Z. 12), sind farbliche Auffälligkeiten in diesem
Sonett. Es ist ein Zeichen für die Epoche des Expressionismus, in dem
Farbauffälligkeiten normal sind.
Durch diese erkennbare Kontraste wird das Gedicht
lebendiger, jedoch erweckt es einen bedrohlicheren Anschein, den im Kontext
wird die rote Farbe mit negativen Sachen in Verbindung gebracht, sodass sie
gefährlich erscheint.
Wie bereits mehrfach erwähnt ist und bleibt das Bild der
Stadt düster und bedrückend. Dies sind auch die ersten Eindrücke, die man beim
Lesen erhält. In jeder Strophe wird die Stadt negativ beschrieben. Zwar
schafften die Naturbilder zu anfangs eine fröhlichere und lockerere Atmosphäre,
doch schon bald erkennt man die eigentlichen Vorstellungen des Dichters. Die
stumpfe, männliche Kadenz an jedem Versende gibt dem Gedicht einen gedrängten Klang
beim Lesen und vollendet die gedrängte Stimmung.
Die Großstadt wird gerne als ein Ort für einen Neuanfang
dargestellt, in der man alles erreichen kann. Aber der Dichter möchte durch
dieses Gedicht das eigentliche Gesicht der Stadt aufdecken.
In diesem Gedicht ist sehr stark die expressionistische
Epoche zu verspüren. Zum Beispiel ist ein typisches Merkmal für Expressionismus
die Wortneuschöpfung (Z. 1 „Wolkenschein“).
Auch starke, einprägsame Bildlichkeit ist hier vorzufinden,
da immer und immer wieder das düstere Bild der Stadt unterstrichen wird, das
man es gar nicht oft genug erwähnen kann.
Auch die drastische Farbsymbolik im letzten Vers des
Gedichtes ist vorzufinden und auch unter anderem durch den starken Gebrauch von
dem rot-schwarz Kontrast.
Es ähnelt sehr anderen Gedichten der expressionistischen
Epoche in denen es auch um Städte geht, wie zum Beispiel Oskar Loerkes „Blauer
Abend in Berlin“, in dem auch die Stadt als dunkler Ort dargestellt wird.