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Textanalyse

Gedicht­ana­lyse Das Mädchen vom Josef von Eichen­dorff

1.336 Wörter / ~4 Seiten sternsternsternsternstern Autorin Aloisia M. im Dez. 2018
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Dokumenttyp

Textanalyse
Deutsch

Universität, Schule

Edith-Stein-Gymnasium Speyer

Note, Lehrer, Jahr

2018

Autor / Copyright
Aloisia M. ©
Metadaten
Format: pdf
Größe: 0.03 Mb
Ohne Kopierschutz
Bewertung
sternsternsternsternstern
ID# 78746







Gedichtinterpretation

"Das Mädchen" (von Joseph von Eichendorff)

Stand ein Mädchen an dem Fenster,

Da es draußen Morgen war,

Kämmte sich die langen Haare,

Wusch sich ihre Äuglein klar.

Sangen Vöglein aller Arten,

Sonnenschein spielt' vor dem Haus,

Draußen überm schönen Garten

Flogen Wolken weit hinaus.

Und sie dehnt' sich in den Morgen,

Als ob sie noch schläfrig sei,

Ach, sie war so voller Sorgen,

Flocht ihr Haar und sang dabei:

Wie ein Vöglein hell und reine,

Ziehet draußen muntre Lieb,

Lockt hinaus zum Sonnenscheine,

Ach, wer da zu Hause blieb‘!“

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Das Gedicht "Das Mädchen" von Joseph von Eichendorff aus dem Jahr 1815 thematisiert das starke Fernweh und den Wunsch nach Freiheit um die Welt zu erkunden eines Mädchens, das am frühen Morgen am Fenster steht, in den Garten blickt und anfängt ein Lied zu singen. Diese Sehnsuchtsthematik charakterisiert deutlich die Literaturepoche der Romantik. Enttäuscht vom Vernunftglauben der Aufklärung wendet man sich wieder dem Gefühl und dem Verborgenem zu.

Das Gedicht besteht aus vier Strophen, welche jeweils aus vier Versen zusammengesetzt sind. Nicht nur die einzelnen Verse sind in diese klare Struktur eingebunden, sondern auf inhaltlicher Ebene auch das Mädchen selbst. Ihr Alltag weist einen strikten und vorgegebenen Ablauf auf, den ein Mädchen zu dieser Zeit verfolgen musste. Das gewählte Metrum des Autors, der vierhebige Jambus, bewirkt durch seine einheitliche Form eine gewisse Liedhaftigkeit sowie eine dynamisierende und antreibende Wirkung. Außerdem erinnert dieser Rhythmus an ein typisches Volks-, beziehungsweise Wanderlied, welches das Fernweh des jungen Mädchens verdeutlicht und ebenfalls das typische Motiv der Romantik bildet. Durch das angewandte Reimschema, den Kreuzreim, wird die innere Zerrissenheit des Mädchens verstärkt ausgedrückt. Einerseits hat es den Drang und die Sehnsucht, die Welt zu erkunden und die Freiheit zu spüren, andererseits ist es Zuhause "eingesperrt", da man, wie schon erwähnt, auf die damaligen Verhältnisse bezogen, als Frau im Haushalt seine Pflichten zu erfüllen hatte und im eigenen Willen eingeschränkt war. Auch die sich regelmäßig abwechselnde Kadenz von weiblich auf männlich betont diese Sehnsucht und spielt möglicherweise auch auf das damals bevorzugte männliche Geschlecht, folglich also den Wunsch der Frauen nach Gleichberechtigung an.

Betrachtet man zu Beginn die Überschrift "Das Mädchen", so fällt auf, dass diese sehr einfach gehalten wurde, was somit auch die Einfachheit und den eintönigen Alltag des Mädchens, also ihre kleinbürgerliche Welt ausdrückt. Liest man zuerst die Überschrift, so hat man noch keinerlei Erwartungen an den Inhalt des Gedichts, was eines der Grundthemen der Romantik, nämlich das Geheimnisvolle widerspiegelt.

Das lyrische Ich nimmt in diesem Gedicht eine beobachtende Person ein, welches jedoch die Gedanken, Gefühle und Sehnsüchte des Mädchens kennt und diese widergibt. Da jedoch in der letzten Strophe das Mädchen singt und somit die Rolle des lyrischen Ichs einnimmt, kann man vermuten, dass das lyrische Ich seine Emotionen durch die des Mädchens ausdrückt und sich somit selbst widerspiegelt.

Die erste Strophe beschreibt die morgendlichen Schritte des Mädchens nach dem Aufwachen. Schon im ertsen Vers tritt eine Ausnahme des sonst regelmäßigen Reimschemas auf, da sich "Fenster" (V. 1) und"Haare" (V. 3) nicht reimen. Diese Abweichung hebt das Fenstermotiv, also die Sehnsuchtsthematik des Gedichts stark hervor. Ein weiteres Motiv der Romantik ist in der darauffolgenden Metapher vorzufinden (V. 2). Es wird nämlich betont, dass es "draußen Morgen war", woraus man schließen kann, dass im Inneren des Mädchens noch Nacht herrscht und sie noch in ihren Träumen vertieft ist, was man auf den Eskapismus, auf die Realitätsflucht übertragen kann. Das "Kämm[en]" ihrer "Haare" (V. 3) spiegelt ihren monotonen und eintönigen Alltag wider, was außerdem auch durch den Parallelismus in der ersten Strophe ("Stand"; "Kämmte"; "Wusch") verstärkt wird. Die Beschreibung der Haare mit dem Wort "lang[en]" drückt das Streben nach Unendlichkeit aus, was normalerweise in der Romantik durch das Symbol der "Blauen Blume" hervorgeht. Das Diminutiv "Äuglein" (V. 4) weist darauf hin, dass ihre Augen noch nicht viel von der Welt gesehen haben. Dadurch, dass das Mädchen nun ihre "Äuglein" wäscht, versucht sie wieder "klar" zu sehen und in die Realität zurückzukehren, also ihre Träume und Sehnsüchte "wegzuwaschen".

Die gesamte zweite Strophe akkumuliert die Natur. Vor allem die Vogelmetaphorik wird zu Beginn angeführt und drückt die Sehnsucht nach Freiheit aus, was zudem durch eine Personifikation verstärkt wird ("Sangen Vögel", V. 5). Die folgende Alliteration von "aller Arten" (V. 5) beschreibt die Vielfalt der Natur und ruft den Drang hervor, dies alles zu erkunden und zu erleben. Auch der personifizierte "Sonnenschein" (V. 6) bewirkt durch das Wort "spiel[en]" eine freudige und spaßige Atmosphäre. Jedoch wird darauffolgend ebenso betont, dass dies alles draußen stattfindet und somit unerreichbar für das Mädchen ist "vor dem Haus", V. 6 ; "Draußen", V. 7). Durch das zeilenübergreifende Enjambement (V. 7-8) wird die Dynamik und das Voranschreiten der Wolken pointiert. Die Wolken fliegen über den Gartenzaun hinweg und überschreiten somit die gottgegebenen irdischen Grenzen des Menschen, was somit das Motiv des Streben nach Transzendenz sowie das Reisemotiv verdeutlicht. Ebenso stehen Wolken metaphorisch auch für die Unbeschwertheit und die Freiheit, was hier durch die W-Alliteration betont wird (V. 8). Das Mädchen, beziehungsweise das Lyrische Ich strebt also nach Einklang mit der gottgegebenen Natur, was typisch für die pantheistischen Romantiker war.

In der dritten Strophe wandert der Fokus wieder auf das Mädchen, welches sich streckt und sich sorgenvoll ihr Haar flechtet. Die Apokope "dehnt`" (V. 9) drückt aus, dass sich das Mädchen ausdehne, ihr jedoch der nötige Freiraum fehlt, somit also wieder der Freiheitsaspekt aufgegriffen wird. Die Begründung, sie "sei noch schläfrig" ist aus einem Konjunktiv gebildet, woraus man schließen kann, dass man diese "[S]chläfrig[keit]" nicht wortwörtlich nehmen darf, sondern im übertagenden Sinne die Müdigkeit vom monotonen Alltag gemeint ist. Dieser damit verbundene Müßiggang ist auch eins der damaligen Motive der Romantik. Der nun herrschende Gemütszustand des Mädchens wird explizit im darauffolgenden Vers durch die anfängliche Interjektion ("Ach", V. 11) sowie durch "sie war so voller Sorgen" beschrieben. Das Flechten ihrer Haare (V. 12) unterstreicht ihren strengen und strikten Alltag, das Singen dabei noch ihre Mädchenhaftigkeit und ihre Unschuld. Der Grund dafür, dass sie so voller Sorgen sei liegt daran, dass sie sich wie ein eingesperrter Vogel in einem Vogelkäfig fühlt und sich somit nach Freiheit sehnt. Daraus entsteht ihr Neid, beziehungsweise ihre Bewunderung für die Vögel, was in der letzten Strophe, sobald sie anfängt zu singen, zum Ausdruck kommt.

In der vierten Strophe erklärt sie durch einen Vergleich, dass die Liebe draußen in der Natur wie ein Vogel existiere. Durch die Apokope von "Lieb(e)" wird ausgedrückt, dass ihr persöhnlich die Liebe fehlt und sie diese durch die Erkundung der Natur erfahren möchte. Ihre Bewunderung zu den Vögeln wird durch ein Oxymoron ("ein Vöglein hell und reine") erneut verdeutlicht. Die durch eine Synästhesie veranschaulichte "muntre Lieb" verstärkt den Drang des Mädchens nach draußen zu gehen ("Lockt hinaus zum Sonnenscheine", V. 15) und grenzt schon fast an eine Art Verführung. Diese Sehnsucht wird durch ihr Seufzen sowie durch die angewandte Exklamtio in Vers 16 betont ("Ach, wer da zu Hause blieb´!"). Dieser Ausruf appelliert gleichzeitig auch an den Leser, nicht zu Hause zu bleiben, sondern in die Natur zu gehen und diese zu erforschen und zu erleben.

Abschließend ist zu sagen, dass das Gedicht ein Gefühl von Harmonie und Freude durch die angewandten positiven Adjektive und Substantive wie "klar" (V. 4), "schönen" (V. 7), "hell" (V.13), "rein" (V. 13), "muntre" (V. 14), "Vöglein" (V. 5), "Sonnenschein" (V. 6) und "Lieb" (V. 14) bei dem Leser bewirkt. Beim Analysieren der einzelnen Verse erkennt man jedoch, dass das Gedicht von Sehnsüchten durchzogen ist und das Mädchen ein neues Leben in Freiheit begehrt, was aber letztendlich an der Wirklichkeit scheitert. Betrachtet man nun das gesamte Gedicht, so erinnert dieses stark an das Märchen "Rapunzel", indem das Mädchen auch zu Hause eingesperrt ist und sich nach der weiten Welt und Freiheit sehnt. Auch das Kämmen der langen Haare weist Anspielungen auf dieses Märchen auf. Nicht nur das Märchenhafte, sondern auch die Zuwendung zur Natur ist typisch romantisch, welche, wie auch im Gedicht "Das Mädchen", idyllisch verklärt wird. Dieser Drang zur Realitätsflucht ist die Reaktion auf die nicht erwünschten Änderungen der Aufklärung sowie der Industrialisierung, die den Menschen auf seinen wirtschaftlichen Nutzwert reduzierte.




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