Universität
Paderborn
Fakultät
für Kulturwissenschaften
Seminar:
Armin T. Wegner
Dozent:
Prof. Dr. Hofmann
Wintersemester:
2013/14
Ausarbeitung
zum Thema: „Das Antlitz der Städte: Der Zug der Häuser“
Der frühe Pendler eilt durch die Stadtstraße vorbei an alten Häusern und einer beobachtenden Frau am Fenster.
29,
Lehramt
Gy/Ge
Deutsch,
Spanisch, Geschichte
9.
FS
Inhaltsverzeichnis:
Über
Armin T. Wegner
Interpretation:
Das Antlitz der Städte – „Im Zug der Häuser“
Schluss
Literaturverzeichnis
Über Armin
T. Wegner
Armin Theophil
Wegner wurde am 16.10.1886 in Wuppertal als zweiter Sohn eines
Baumeisters bei der Eisenbahn, geboren. Seine frühe Kindheit
verbrachte er zunächst in Berlin.
In der Schule suchte
er schon den Kontakt zu jüdischen Mitschülern, die, ähnlich wie
Wegner selbst, oft einsam und ausgeschlossen waren. Diese Kontakte
prägten sein späteres Leben, setzte er sich doch ausführlich mit
dem Schicksal der Juden zur Nazizeit auseinander und ging er sogar
zwei Ehen mit jüdischen Frauen ein.
In seiner Jugendzeit
las er zunächst Märchen- und Seefahrergeschichten, als älterer
Junge begann er dann auch selbst zu schreiben. Er fühlte sich oft
allein gelassen und einsam. Seine Beziehung zu seinem Vater war sehr
schlecht, da dieser ihn oft geschlagen hatte. Das Verhältnis zu
seiner Mutter war demgegenüber sehr gut. Er bezeichnet sie sogar
neben Tolstoi und Rousseau als eine Lehrerin, „deren Erbe er
verwalten will.“
Von Tolstois Beichte
wurde Wegner in jungen Jahren stark beeinflusst, auch wenn diese
Phase nur ein halbes Jahr anhielt. Mit sechzehn Jahren lässt er
schließlich seine ersten Gedichte drucken, dabei verwendet er
erstmals die Abkürzung seines zweiten Vornamens. Als Wegner achtzehn
ist, verlässt er das Gymnasium um Bauer zu werden, doch die
Landarbeit füllt ihn nicht aus. Er kehrt ans Gymnasium zurück und
macht das Abitur. Mit zweiundzwanzig unternimmt er eine Italienreise,
seine ersten Reisebriefe stammen aus dieser Zeit.
Von 1903-13 studiert
Wegner Staats- und Rechtswissenschaften in Breslau, Zürich, Paris
und Berlin. Zu dieser Zeit reist er, soviel er kann. Er möchte
Abenteuer erleben, über die er schreiben kann. Während seiner
Studentenzeit stellt Wegner auch seinen ersten Prosaband zusammen,
„Ein Skizzenbuch aus Heimat und Wanderschaft“, so der Titel. Er
beendet sein Studium schließlich mit der Dissertation „Der Streik
im Strafrecht“.
Seine Arbeit weist
kommunistische Züge auf, so endet sie beispielsweise mit dem
Hinweis, dass es doch im Interesse eines jeden Staates liegen würde,
allen seinen Mitgliedern gleichmäßig den Weg zu den Höhen der
Kultur zu ebnen. Die Weltkriege waren Erlebnisse, die Wegner ein
Leben lang stark beeinflusst haben.
Im Frühjahr 1917
erscheint mit „Das Antlitz der Städte“ ein zweiter Lyrikband,
welcher Bestandteil dieser Ausarbeitung ist.
Wegner wurde er ins
KZ Columbia-Haus verschleppt, bevor er am 19. August ins KZ
Oranienburg verlegt wurde. Nach dem Krieg, im Jahre 1946, begann
Wegner schließlich, seine Erfahrungen der letzten zwölf Jahre für
einen Schweizer Verlag aufzuschreiben, eine für ihn sehr erfüllende
Aufgabe
Interpretation:
Das Antlitz der Städte – „Der Zug der Häuser“
Der
Zug der Häuser
Die
letzten Häuser recken sich grau empor,
In
Massen geschart und in einzelne Gruppen,
Elende
Hütten laufen davor,
Zerlumpte
Kinder vor Heerestruppen.
Hinter
den steinernden Zinnen aber beginnen
Die
Felder, die Weiten,
Die
sich endlos in die graue Ebene breiten.
Hohläugig
glotzen die Häuser herüber,
Mit
scheelem Blicke versengen sie Strauch und Baum:
„Gebt
Raum! Gebt Raum
Unserm
Schritt!
Wir
wälzen den plumpen steinernen Leib darüber,
Die
Dörfer, die Felder, die Wälder, wir nehmen sie mit!
Mit
unserem rauchenden Atem verbrennen
Wir
jede Blüte und reifende Frucht.
Die
Saaten, die nicht mehr grünen können,
Ersticken
in Qualm wir. Vor unserer Wucht
Zersplittern
die Bäume, in rasender Schnelle
Sind
alle Menschen im Land auf der Flucht
Vor
unserer steinernen Welle.
Wir
aber erreichen sie doch. Uns hält
Kein
Strom, kein Graben. Wir morden das Feld.
Und
die Menschen, aus ihrer Qual sich zu retten,
Aus
einsamen Höfen, verlassenen Auen,
Mit
dem Wahnsinn gepaart, dem Hunger, dem Schmerz,
Gebeugte
Männer, verzweifelte Frauen
Ziehen
dahin in schwarzen Ketten,
Hinein
in der Städte pochendes Herz.
Ob
lebend, ob tot, wir halten sie fest
An
unsere steinernden Brüste gepreßt.
Bis
unsere Stirnen die Sterne berühren,
Blutender
Felder zerrissenen Grund,
Euch
Ebenen, die in das Endlose führen,
Alle
verschlingt unserer Mauern zermalmender Mund.
Bis
wir zum Saume der Meere uns strecken,
Nie
sind wir müde, nie werden wir satt,
Bis
wir zum Haupte der Berge uns recken
Und
die weite, keimende Erde bedecken:
Eine
ewige, eine unendliche Stadt!...“
(Armin
T. Wegner, 1913)
In der Sammlung „das
Antlitz der Städte“ verarbeitet Wegner seine Erfahrungen mit und
in großen Städten, er versucht auch eine Entwicklung der urbanen
Welt und die entsprechenden Folgen zu beschreiben. Die Sammlung
enthält Werke wie „Die Weltstadt“, „Das Warenhaus“, „Die
Kirchen“, „Die Schlachthallen“, „Das Irrenhaus“, Der Zug
der Häuser“, „Häuser“. Auf das oben zu sehende Gedicht „Der
Zug der Häuser“ möchte ich nun eingehen:
Das Gedicht „Der
Zug der Häuser“ von Armin T. Wegner aus dem Jahre 1913 ist der
Großstadtlyrik zuzuordnen. Es beschreibt die räumliche Ausdehnung
der Stadt. Kern des Gedichts sind die negativen Folgen, die mit der
Ausbreitung der Stadt zusammenhängen.
Des Weiteren ist das
Gedicht dem Expressionismus zuzuordnen.
Zunächst einmal ist
erwähnenswert, dass das Metrum im ganzen Gedicht unterschiedlich
ist. Jambus, Trochäus, (Daktylus, Anapäst) wechseln sich ab. Bei
der Versform unterscheidet man zwischen Alexandriner, Hexameter,
Pentameter und Elfsilbler. In diesem Gedicht ist die Versform
ebenfalls unregelmäßig, dadurch bedingt, dass es ein Gedicht der
Moderne ist. Damals gab es einen Widerstand gegen Regelmäßigkeit
und klassische Formen.
Bei der Strophenform
werden Terzine, Stanze und Odenstrophen unterschieden. Die
Strophenform ist hier ebenfalls unterschiedlich, es gibt drei
Strophen mit neun, zwölf und siebzehn Versen. Dies passt zum
Expressionismus, es kommt zu einem Bruch mit traditionellen Formen.
Zum Ende der formalen Analyse werde ich noch auf das Reimschema
eingehen.
Von Vers 1-4 ist ein
Kreuzreim (ABAB) zu erkennen, während Vers 5 einen weiteren Reim (C)
enthält. Vers 6 und 7 bilden ein Paarreim (DD) und Vers 8 und 9
zeichnen sich durch einen Bruch mit dem Reimschema aus (EF).
Sprachliche Analyse:
Man findet in diesem
Gedicht eine Alliteration in Versen 10, 31 und 34.
Auch
Personifikationen sind zu erkennen, wie in den Versen 3, 8 und 9.
Darüber hinaus gibt
es Metaphern in diesem Gedicht in mehreren Versen: 5, 12,
14,17,20,22,27,28,30,31,32,34,37.
Schließlich gebe ich eine
kurze inhaltliche Analyse/Interpretation:
Zwischen 1870 und
1920 begannen sich einige Großstädte sehr schnell auszudehnen.
Wegner machte sich viele Gedanken über dieses rasante Wachstum. Die
Wirtschaft expandierte, in kurzer Zeit wurden eine Vielzahl neuer
Fabriken und Banken geschaffen. Der Arbeitsmarkt konnte auf neue
Arbeitskräfte setzen, da die Stadt einen großen Zulauf von
arbeitssuchenden Menschen verzeichnen konnte. Diese Menschen kamen
oft in Häusern unter, die extra für diese neue „Arbeiterschicht“
gebaut wurden. Wegner charakterisiert diese Häuser als brutal und
rücksichtslos, da sie die Natur zerstören, und damit auch den
Lebensraum der Menschen. In den Versen 17-22 nimmt Wegner eine
Personifizierung der Objekte vor:
Ersticken in
Qualm wir. Vor unserer Wucht
Zersplittern die
Bäume, in rasender Schnelle
Sind alle
Menschen im Land auf der Flucht
Vor unserer
steinernen Welle.
Wir aber
erreichen sie doch. Uns hält
Kein Strom, kein
Graben. Wir morden das Feld(…)
In den Versen 33-39
zeichnet Wegner ein düsteres Zukunftsbild, er sieht die „Expansion“
der Häuser als Gefahr für die Menschen, er ist der Auffassung, dass
die Häuser sich nicht aufhalten lassen wollen. Im Gegenteil, er ist
der Meinung, dass sie die Erde in eine betonierte Stadt verwandeln
wollen:
Euch Ebenen, die
in das Endlose führen,
Alle verschlingt
unserer Mauern zermalmender Mund.
Bis wir zum Saume
der Meere uns strecken,
Nie sind wir
müde, nie werden wir satt,
Bis wir zum
Haupte der Berge und recken
Und die weite,
keimende Erde bedecken:
Eine ewige, eine
unendliche Stadt!...“
Somit wird eine
Ausdehnung der Stadt auf die gesamte Erde bezogen, die Stadtgrenze
wird zur Weltgrenze. Letztendlich ist es so, dass das Gedicht die
Bedingungen der Urbanität perspektivisch über die Stadtgrenzen
hinaus verlängert, indem es den Vormarsch der Mietskasernen in die
Landschaft imaginiert. Solche allegorischen Elemente sind typisch für
Wegner. Seine Botschaft ist die Anklage gegen soziale Ungerechtigkeit
und Unterdrückung durch die Stadt und in der Stadt.
Schluss
Mir war es wichtig
zu zeigen durch welch kreatives Schaffen sich Armin T. Wegner
ausgezeichnet hat und wie vielschichtig er war. Seine Werke bieten
oft einen großen Interpretationsspielraum. Für mich war
entscheidend mich mit der Biographie Wegners zu beschäftigen, um so
ein besseres Verständnis für seine Gedichte zu erlangen.
Zu Beginn zeigt sich
seine Weltanschauung eher in expressionistischen Gedichten. Hierbei
handelt es sich vor allem um ein Bild, in dem der Dichter für seine
Kunst lebt und über allen bürgerlichen Wertvorstellungen steht.
Wegner sieht sein Schaffen aber auch als Verbindung zur restlichen
Gesellschaft. Gerade in jungen Jahren positioniert er sich als
dichterische Randfigur, die sich, ohne gesellschaftliche Zwänge,
ganz auf die eigene Schöpferkraft und Inspiration konzentriert.
Gerade diese „Heimatlosigkeit“ ist es, die zur notwendigen
Voraussetzung für die „Gabe der Einfühlung“ in Menschen und
Schicksale wird.
Meiner Meinung nach
sehnt sich Wegner nach einer Natur, die aber Gefahr läuft, von den
vielen Häusern verschlungen zu werden. Wegner schafft es, den Leser
von der Gefahr der massiven Bebauung zu überzeugen, indem er die
Stadt mit der Metaphorik von Fabelwesen mystifiziert und
personifiziert. Wie im Gedicht zu sehen, lässt er die Häuser in
seinem Gedicht „Zug der Häuser“ ja sogar sprechen.