Friedrich
Dürrenmatt – Die Physiker
Analyse
der Wirkung der Figur Fräulein Doktor Mathilde von Zahnd
S.
24-29
Die
Szene findet im Salon statt kurz nach dem Mord an Schwester Monika.
Der Inspektor wartet und sieht sich ein Porträt an. Hier tritt
erstmals Fräulein Doktor Mathilde von Zahnd auf. Sie kommt aus einem
Zimmer und ihre Beschreibung "Bucklig, etwa fünfundfünfzig,
weißer Ärztemantel, Stethoskop" (S.24) gibt ihr das Erscheinen
einer typischen Ärztin. Während des Gespräches zwischen ihr und
dem Inspektor "platzt" Einstein herein, geht allerdings
nach einem kurzen Dialog wieder auf sein Zimmer um zu Schlafen.
Der
erste Textabschnitt (S.24 f) handelt in erster Linie von den
Verwandten der Ärztin, im zweiten Textabschnitt (S. 26 f) wird der
Mord behandelt und im dritten Textabschnitt (S. 28 f) reden Mathilde
von Zahnd und der Inspektor über die Patienten und ihre
vermeintliche Verbindung zur Physik.
Im
Dialog dieser zwei Personen stellt sich sehr schnell heraus, dass
Mathilde von Zahnd eine gewisse Machtposition über dem Inspektor für
sich beansprucht. Dies erkennt man nicht nur an ihrer dominanten
Präsenz im Gespräch, sondern auch an der Erlaubnis zu rauchen, die
sie dem Inspektor gibt, wobei hier klar hervortritt, dass sie sich
auch über Schwester Marta Boll stellt, weil sie die Regeln nicht
beachtet. Des Weiteren weist sie mit dem Satz "Für wen sich
meine Patienten halten, bestimme ich" (S.25) auf ihre
Überlegenheit gegenüber den Patienten hin.
Es
ist zu beachten, dass sich Mathilde von Zahnd einer gewählten
Ausdrucksweise bedient. Im Gegensatz zu dem Inspektor, der meist nur
in kurzen Hauptsätzen spricht, schweift sie oft aus und nutzt dabei
eine sehr gebildete Sprache, was noch ein Hinweis auf ihre (hier)
Überlegenheit hinsichtlich der Eloquenz ist.
Durch
diese Szene vermittelt der Autor dem Zuschauer das Bild einer
selbstsicheren und mächtigen Mathilde von Zahnd, die zudem noch sehr
gebildet ist.
S.30
f
Diese
Szene findet nach dem Gespräch von Mathilde von Zahnd und dem
Inspektor statt. Oberschwester Marta Boll kommt, um Frau Doktor ein
Dossier zu übergeben. Diese erkundigt sich zuerst nach ihren
Verwandten und eröffnet der Oberschwester dann, dass diese ab dem
morgigen Tag nicht mehr die Patienten im Les Cerisiers beaufsichtigen
würde.
Auch
hier kommt wieder eine gewisse Machtdemonstration zum Vorschein,
trotz der symmetrischen Redeinitiative. Die Dominanz von Mathilde von
Zahnd erkennt man hier durch ihren Entschluss, der Oberschwester die
Beaufsichtigung der drei Physiker zu entziehen und sie somit aus der
Villa zu werfen. Mit dem Satz "Mein Entschluss ist endgültig"
(S.30) festigt sie noch einmal ihre Aussage. Marta Boll scheint hier
sehr unterlegen. Als sie aus dem Raum geht und sich nochmal umdreht
um noch einen letzten Versuch zu starten, ihren Job zu behalten,
unterbricht Mathilde von Zahnd sie mit den Worten "Bitte,
Oberschwester, bitte." (S.31) und schickt sie somit aus dem
Raum.
S.31-36
Mathilde
von Zahnd studiert das Dossier, welches von der Krankheitsgeschichte
Möbius' handelt. Familie Rose wird von der Oberschwester
hereingeführt. Nach einem kurzen Gespräch gratuliert Fräulein
Doktor ihnen zur Hochzeit. Zum Schluss der Szene wird Möbius geholt,
er erkennt seine Gattin, welche ihn liebevoll begrüßt.
Obwohl
hier die gesamte Familie Rose anwesend ist, findet das Gespräch
relativ ausgewogen zwischen Mathilde von Zahnd und Frau Rose statt,
ihr Mann oder eines der Kinder kommen nur selten zu Wort.
In
dieser Szene zeigt sich Mathilde von Zahnd erstmals von einer lieben,
verständnisvollen Seite, die dem Zuschauer bis jetzt verschlossen
blieb. Sie gratuliert zu der Hochzeit und nimmt Frau Rose ihr
schlechtes Gewissen gegenüber Möbius, aufgrund der verfrühten
Heirat und versucht sie aufzubauen (S. 34 "Frau Rose, Sie sind
eine mutige Frau".). Als sie Frau Rose versichert, dass Möbius,
trotz der Zahlungsunfähigkeit von Frau Rose, in der Villa bleiben
kann, betont sie noch einmal, dass sie "schließlich kein
Unmensch" (S. 35) sei.
Der
Zuschauer sieht hier eine komplett neue Seite von Mathilde von Zahnd.
Sie gibt sich bemüht und betont menschenfreundlich, liebenswürdig
und hilfsbereit.
S.
78-85
Mathilde
von Zahnd lässt die drei Physiker in ihr Zimmer rufen. Hier liegt
der Wendepunkt der Komödie, Frau Doktor klärt die "Patienten",
welche sich zuvor als Geheimagenten herausgestellt haben, über ihren
Plan auf. Ihr gesamter Charakter scheint sich um 180 Grad gedreht und
verändert zu haben.
Hier
liegt eine komplementäre Redeinitiative vor, Fräulein Doktor
dominiert so gut wie das ganze Gespräch. Zuerst demonstriert sie
abermals ihre Macht, indem sie die Pfleger herumschickt und ihnen
Anweisungen gibt (S.81 "Die Scheinwerfer, Sievers.").
Außerdem nimmt sie den Physikern durch die Entwaffnung ihre Macht.
Im Gespräch stellt sich außerdem heraus, dass die selbstsichere
Mathilde von Zahnd von Selbstzweifeln geplagt ist, sie sei Salomons
"unwürdige Dienerin" (S.82) und "Unfruchtbar"
(S.85). Sie spricht von der Machtergreifung, dass ihr Trust herrschen
wird, nicht Zugunsten der Welt, sondern ihretwegen, was sie wie eine
überhebliche Irre dastehen lässt, die tatsächlich durch die
Unterlagen der Physiker viel Macht besitzt. Der Zuschauer wird hier
zum Denken angeregt, was wohl passiert, wenn diese Frau wirklich ihre
Macht ausüben würde. Trotz ihres Wahns spricht Mathilde von Zahnd
die ganze Zeit "still und fromm" (S.84), was erkennen
lässt, dass sie sich keinesfalls bewusst ist, dass sie verrückt
ist. Auch bezeichnet Sie sich als "die letzte Normale" (S.
84) in ihrer Familie.
Das
selbstbewusste und liebeswerte Bild, welches der Zuschauer im ersten
und teilweise auch im zweiten Akt von Mathilde von Zahnd erhalten
hat, wird durch das Ende komplett zerstört und durch das einer
verrückten Irren ersetzt. Obwohl Friedrich Dürrenmatt sie in seiner
Komödie mit den jeweiligen, fast schon paradoxen Charakterzügen
auftreten lässt, erkennt man trotzdem immer noch eine Konstante. Die
Macht, die Mathilde von Zahnd nicht nur ständig als Macht über
Personen demonstriert, sondern die sich zum Schluss zur Macht über
die Weltherrschaft entwickelt.