„Ein Traum“ - Franz Kafka
Interpretation
In „Ein Traum“, einer Kurzgeschichte von Franz Kafka,
träumt ein Mann von seinem eigenem Begräbnis im Anschluss an einen schon vorher
geplanten Spaziergang. Interessant ist dabei, dass bereits der erste Satz
„Josef K. träumte“ lautet und sich somit, im Gegensatz zu vielen anderen
Kurzgeschichten Kafkas, bereits zu Beginn jegliche Zweifel, beziehungsweise
argumentative Gedanken über eine Traumparallele zugunsten eines Traumes,
erübrigen. Welche Wirkung Kafka mit dieser Geschichte erzielt, soll in dieser
Interpretation dargestellt werden.
Joseph K. träumt, dass er an einem schönen Tag spazieren gehen will.
Unverzüglich erreicht er einen Friedhof, wo er sich bemüht, einen in der Ferne
erspähten Grabhügel aufzusuchen. Dies wird ihm sehr erschwert, dennoch erreicht
er ihn. Dort wird ein Grabstein von zwei Männern in der Erde befestigt, ein
Dritter kommt hinzu und beschriftet den Grabstein. Von K. intensiv beobachtet,
fällt ihm das schwer. Dennoch kann er sein Werk vollenden, während K. in dem
Grab versinkt und letztendlich seinen eigenen Namen auf dem Grabstein
wiedererkennt. Davon entzückt, wacht K. auf.
Die eben beschriebene Handlung weist einen
Spannungsbogen auf. Durch das anfängliche Nichterreichen des Grabhügels, erhält
dieser eine besondere Bedeutung und Spannung wird geschürt. Diese wird
scheinbar beim Erreichen des Grabhügels durch Hinfallen aufgelöst, daraufhin
aber wird durch die Aktivitäten der Männer und des Künstlers neue Spannung
aufgebaut, die sich bis zum Ende hin verstärkt und erst mit dem letzten Satz
aufgelöst wird. Der nicht übertriebene Spannungsaufbau hilft somit, die
Dramaturgie des Traumes nachzuvollziehen. Weitere Spannung wird durch einen
kurzen Wechsel des Tempus erzielt: Die Geschichte ist im Imperfekt geschrieben,
nur der Tatbestand, dass sich der Künstler nach vorne bücken muss, um den
Grabstein zu erreichen, ist teilweise im Präsens geschrieben, nämlich zweimal
durch die Verwendung des Wortes „muss“. Die Beschreibung des Steines direkt davor
und auch die Begründung seines Verhaltens stehen wiederrum im Imperfekt. Es
sind ferner die einzigen beiden Male, dass das eine Pflicht ausdrückende
Hilfsverb „müssen“ in der Kurzgeschichte vorkommt. Also wird hier nicht nur
Spannung durch zeitlich direkten Bezug zum Geschehen erzeugt, ferner wird auch
die Bedrückung durch andauernde Zwänge im Leben angedeutet, was später in der
Geschichte noch eine größere Bedeutung haben wird.
Die Kurzgeschichte ist in vier ungleich große Abschnitte geteilt. Der erste
Absatz und somit der erste gedankliche Abschnitt beschreibt die Entdeckung des
Grabhügels und den Weg dorthin, überhaupt erst wird hier der Weg zum Friedhof
gefunden. Der zweite Absatz beschreibt den Grabstein und sein Aufstellen,
während der dritte Absatz die Aktivität des Künstlers, sein Verhältnis zu K.
und letztendlich das Begräbnis beschreibt. Der vierte Abschnitt, der letzte
Satz, steht in unmittelbarem Verhältnis zum einleitenden Satz vor dem
eigentlichen ersten Absatz. Dieser Rahmen beschreibt, dass es sich um einen
Traum handelt, und löst somit die Geschichte auf. Der erste Satz allerdings ist
meiner Meinung nach unwichtig in Bezug auf die Aufklärung, da der letzte Satz
schon genug Traum erklärend wirkt. Kafka wird den ersten Satz dennoch verwendet
haben, um von vorneherein keine Zweifel über die Traumparallele des Inhalts zu
lassen. Dies entspricht jedoch eher nicht seinem typischen Stil, nur in positiv
ausgehenden Geschichten wie „Die kaiserliche Botschaft“ benutzt er diese
Auflösung, eben um trotz der beschriebenen verzweifelten Lage, von Zwängen
erfüllt, einen positiven, befreienden Ausgang zu bewirken.
Durch die beschriebene Einleitung der restlichen
Handlung in drei Abschnitte, erhalten verschiedene Bezugsgegenstände und
Personen zu K. eine besondere Wichtigkeit. Dies sind der Grabhügel, der
Grabstein, der Künstler, der Bleistift und das Loch. Eine große Bedeutung
erhält auch das Wort „Erlösung“ und der scheinbare Jubel als Vorankündigung
derer, was ich im Folgenden erklären werde. Wie zuvor erklärt, haben Zwänge des
Alltags in dieser Kurzgeschichte eine zentrale Bedeutung. Hier jedoch leidet
nicht K. selbst unter den Zwängen, sondern der Künstler, der sich vorbeugen
muss. Der Künstler als eigentlicher Hauptdarsteller in dieser Szene, symbolisiert
somit für einen kurzen Moment den eingeengten Alltagsmenschen, den Kafka für
gewöhnlich darstellt. Dies wird später noch einmal eingebracht, als der
Künstler seine „Lebhaftigkeit“ verloren zu haben scheint.
Paradox ist es, dass das Grab für K. bereitet wird, aber der Künstler der
eingezwängte Mensch ist. Die Zwänge entlädt er in seiner Wut, durch die das
Grab geschaffen wir. Durch das Stampfen fliegt die Erde hoch und ein Loch wird
gegraben. Und genau an dieser Stelle vollzieht sich ein Rollentausch, der nur
durch die Verwendung des auktorialen Erzählers möglich ist: Es wird nicht
eindeutig festgelegt, wer in der Erde gräbt und das Loch schafft. „Er“ kann
rückbezüglich auf „ihn“, also den Künstler, und auch auf K. übertragen
werden. Die Handlung wird somit auf K. übertragen, wobei offen bleibt, ob
er sich sein Grab selbst schafft. Die „Erlösung“, die K. erfährt, als der
Künstler weiterschreibt, erhält an dieser Stelle also wieder eine Bedeutung,
nämlich im Grab als Erlösung von den Zwängen. Schon der „Jubel“, der nur
scheinbar existiert, denkt solch ein Ende voraus. Die goldenen Buchstaben
sprechen somit auch für eine Erlösung, dadurch dass der Name nach dem Zögern
blass geschrieben wird, also letztendlich dennoch „mächtige Zierraten“ am
Grabstein prangen, wird die Erlösung wiederum als etwas Wunderbares
dargestellt, das alles golden erscheinen lässt. Die Verwendung des
Bleistifts spricht auch für die Mittellosigkeit des Einzelnen, das Gold zu
Beginn des Scheiterns für Selbstverwirklichung unter derartigen
Umständen.
Das Typische von Kafka geht somit fast unter, nämlich
zu Beginn die Erschwerung des Weges zum Grabhügel, der dann doch plötzlich da
ist, etwas wie die Hilflosigkeit, die Ausweglosigkeit in der Szene, wo K. und
der Künstler sich ansehen und die Schreibhandlung ruht. Dennoch erhält letztere
große Bedeutung, weil ja letztendlich durch diesen Bruch und die Pause der
Rollentausch möglich wird. Durch das Wort „abzubitten“ wirkt das Begräbnis wie
eine Strafe, doch die Erlösung von den Zwängen übertrifft dies.
Insofern spiegelt sich hier der Lebensweg Kafkas
wieder. Sein Vater, von Arbeitszwängen geplagt, überträgt sein Leid auf Kafka
selbst. Der Tod, der somit die Trennung von dem Künstler bringt, steht für die
Trennung vom Vater. Doch er hängt an seinem Vater, er liebt ihn dennoch, und
somit ist der Tod die einzige Möglichkeit für eine Trennung, ohne dass Kafka
selbst darunter leiden muss. Eine religiöse Interpretation wäre denkbar, aber
diese sagt mir aufgrund ihrer Unausgeprägtheit hier nicht zu, die
autobiografische Interpretation erscheint mir jedoch schlüssig.