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Erörterung
Deutsch

Eduard-Breuninger-Schule Backnang

1,0, Preissler-Schneider, 2016

Anna R. ©
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ID# 55945







Frank Wedekinds Frühlings Erwachen – Erarbeitung der Szene II, S. 43 Z. 27 – S. 45 Z. 27


Jeder Mensch besitzt einen natürlichen Überlebensinstinkt. Der Selbsterhaltungstrieb zeichnet sich aus der heutzutage immer fortschrittlicher werdenden Medizin, aber auch schon einfach dadurch, indem wir immer darauf bedacht sind, uns zu schützen und unsere Grundbedürfnisse befriedigen zu können. Ist dieser Überlebenswille nicht mehr existent, dann sicherlich nicht ohne triftigen Grund.

Interessant ist, dass zum Beispiel in Schweden die häufigste Todesursache von Jugendlichen zwischen 15 und 24 Jahren nach wie vor Selbstmord ist. Laut der Information aus einer schwedischen Nachrichten-Webseite, läge die Ursache hauptsächlich an dem Problem, dass die Jugendlichen oft keine Ansprechpartner hätten und sich von den Erwachsenen nicht ernst genommen fühlten.

Dies führe dazu, dass viele junge Menschen, mit ihren Problemen völlig alleine gelassen, keinen anderen Ausweg sähen, als sich das Leben zu nehmen.

Diese Problematik kennt auch Frank Wedekind nur zu gut, denn er selbst machte die schmerzliche Erfahrung in seiner Jugend, wie es ist, einen Freund und Klassenkameraden durch einen Selbstmord zu verlieren. Dieses Erlebnis veranlasste den Autor dazu, ein Drama mit dem Titel „Frühlings Erwachen“ zu schreiben, in welchem er einen der Hauptprotagonisten nach seinem verstorbenen Freund Moritz benannte.

In seiner Kindertragödie, erstmals 1891 erschienen, thematisiert er die doch sehr verklemmten und repressiven Erziehungsmethoden im 19. Jahrhundert, insbesondere im Hinblick auf die damalige (eher nicht vorhandene) sexuelle Aufklärung. Dazu nimmt er gezielt die außerordentlich spießige und strenge Gesellschaft aufs Korn und stellt anhand seiner etwa 14 Jahre alten Protagonisten dramatisch dar, wie die damalige Jugend versuchen musste sich in der hoch anfordernden Gesellschaft zurecht zu finden und deren Normen und Werten gerecht zu werden.

Dies fällt Moritz schon von Beginn an erheblich schwerer als seinen Klassenkameraden auf dem Gymnasium: Otto, Robert, Georg Zirschnitz, Ernst Röbel, Hänschen Rilow, Lämmermeier und seinem guten Freund Melchior. Da Melchior sehr intelligent und gut in der Schule ist, versucht er stets Moritz zu helfen. Als Moritz ihm gesteht, völlig Ahnungslos zu sein was die Sexualität betrifft, willigt sein Freund ihm auf seine Bitte hin ein, ihm einen „Aufklärungsbrief“ zu schreiben.

Moritz hat viel zu große Angst und Scham, um offen über dieses Thema sprechen zu können. Vielmehr lenkt er sich durch seine Schularbeiten ab, schließlich ist seine andere, noch viel größere Sorge, die Versetzung in die nächste Klasse. Denn anders als Melchior, ist er einer der schlechtesten in seiner Klasse. Umso mehr erleichtert ist er darüber, als er von seiner, wenn auch provisorischen, Versetzung erfährt.

Sein Glück ist jedoch nicht von Dauer, weil sich herausstellt, dass er doch nicht versetzt wird. Er ist völlig verzweifelt vor Angst, über die bevorstehende Reaktion seiner Eltern. Er kann es nicht ertragen deren Erwartungshaltungen nicht erfüllen zu können und sie zu enttäuschen: „Wenn ich durchfalle, rührt meinen Vater der Schlag, und Mama kommt ins Irrenhaus“ (S. 29, Z.1).

Aus diesem Grund bittet er Melchiors Mutter um finanzielle Hilfe, damit er nach Amerika fliehen kann. Wenn auch Frau Gabor bemüht ist, freundlich und höflich zu schreiben, lehnt sie eine Hilfe für Moritz entschieden ab. So kommt es schließlich dazu, dass Moritz keinen anderen Weg sieht, als sich umzubringen. Zur Abenddämmerung begibt er sich nach draußen, fest mit dem Ziel im Kopf, sich das Leben zu nehmen.

Nicht einmal, als er die fröhliche Ilse trifft, die völlig ahnungslos von ihren Erlebnissen plappert, ändert er seine Meinung. Er lehnt sogar ihr Angebot ab, sie noch mit nach Hause zu begleiten. Moritz geht zum Fluss, mit sich alleine, seiner Pistole und seinen letzten Gedanken.

Der junge Mann ist erst 14 Jahre alt und sich doch jetzt schon seiner Roller in der Gesellschaft durchaus bewusst. Anfangs voller Bitterkeit und von Trotz geprägt, bringt er schon im ersten Satz seines Monologs seinen Platz auf den Punkt: „Ich passe nicht hinein“ (S. 43, Z.25). Er weiß also sehr wohl, die Gesellschaft hat keinen Platz für die Schwachen, sie duldet keine schlechten Schüler, keine Menschen mit anderen Vorstellungen zu dem, was gut oder schlecht sein mag, eben keine Menschen, die anders denken über die herrschenden Normen und Werte.

Eine solche Gesellschaft akzeptiert keine sexuelle Neugierde; alles was im Zusammenhang mit Geschlechtsverkehr oder Selbstbefriedigung steht, wird gemieden und unter den Teppich gekehrt. Moritz kann nicht mehr in dieser Welt leben und will sich dieser entziehen: „Ich ziehe die Tür hinter mir zu“ und „trete ins Freie (…)“ (Z.26/27). Er möchte nicht mehr versuchen, sich in dieses Gesellschaftsbild hinein zu quetschen und die Freiheit erlangen, indem er alles hinter sich lässt, befreit von allem Zwang und Druck.

Indem er ausdrückt: „Man hat mich gepresst“, gibt er sich nicht selbst die Schuld für seine Situation. Bemerkenswert ist allerdings, dass er sie auch ausdrücklich nicht zuschiebt. Mit „man“ kann er dann wohl nur ganz allgemein die Gesellschaft beschuldigen. Er gesteht: „Meine Eltern mache ich nicht verantwortlich“ (S.44, Z.1/2). Seine Eltern sind, so wie die meisten Eltern zu dieser Zeit, sehr konservativ und streng.

Ihnen sind nur gute Schulnoten, Fleiß und Gehorsam wichtig. Sie sind so gesehen selbst Opfer gesellschaftlicher Vorstellungen, die sie selbst geschaffen haben- ein Teufelskreis, in den sie ihre Kinder mit hineinziehen. Denn die Eltern pressen ihre Kinder in ein Gesellschaftsbild, weil sie das scheinbar Beste für sie wollen und merken dabei nicht unter welch unglaublichen Druck und welcher Angst sie diese damit alleine lassen.

Das gesellschaftliche Ansehen ist ihnen wichtiger als das Wohl der eigenen Kinder, in denen sie sich selbst widerspiegeln. Somit wollen sie doch nur das Beste für sich, handeln also verantwortungslos und egoistisch. Dennoch, statt seiner Eltern, beschuldigt er recht vage irgend so etwas wie das Schicksal – es wäre ihm auch lieber ein Anderer geworden zu sein. Er wiederholt, er „müsse ja auf den Kopf gefallen sein“, die Pünktchen weisen darauf hin, was er noch nicht ausspricht.

Moritz versucht sich immer wieder selbst zu entschuldigen, dass er durch seinen ihm gegebenen Charakter und Anlagen eigentlich überhaupt nie eine Chance bekommen hatte, jemals einen anerkannten Platz in dieser Gesellschaft zu erreichen. So schimpft er recht verbittert vor sich hin: „Was soll ich dafür büßen, dass alle andern schon da waren!“ (Z.6). Gerade dieses Selbstmitleid und die empfundene Last lassen ihn in seinem Vorhaben sicher sein.

Er ist so felsenfest davon überzeugt, das richtige zu tun, dass er letztlich seinen inneren Frieden findet. Die Aussage „Ich bin froh, ohne Bitterkeit zurückblicken zu dürfen“ (S.45 Z. 15/16), könnte dies nicht besser widerspiegeln. Doch so weit ist er nicht gleich. Nachdem er für sich eine Rechtfertigung für seinen Selbstmord gefunden hat, wird er ruhiger und nimmt nun auch seine Umgebung wahr.

Er erinnerte sich allerdings vor allem an eine sehr aufreizend wirkende Dame, die jedoch leider „nur mit Partien“ (Z.26) getanzt habe. Die Erinnerung an deren Anblick erregt sogar wohl jetzt noch so sehr, dass er offensichtlich sogar ins Wanken gerät, denn er gibt nun zu, dass es doch noch etwas gibt, dass er bereut nie getan zu haben, nämlich „Mensch gewesen zu sein, ohne das Menschlichste kennen gelernt zu haben“ (S. 45 Z. 1/2).

Ohne sexuelle Erfahrungen in das Jenseits zu treten, ist für ihn beschämend, er sieht es als ein Makel an und er wolle es auch nicht zugeben, wenn er dort angekommen sei. Er zieht den ironischen Vergleich: „(…) Sie kommen aus Ägypten, verehrter Herr, und haben die Pyramiden nicht gesehn?!“ (Z. 36/37). Auch hier zeigt sich deutlich die Unterscheidung seiner Ansichten zu denen der Gesellschaft.

Doch er glaubt auch, dass es nun zu spät ist und findet sich damit ab.

Schließlich gerät er in eine Abschiedsstimmung und stellt sich vor, wie wohl sein Begräbnis aussehen wird, obwohl er sagt: „Ich will nicht wieder an mein Begräbnis denken –“ (Z.40). Außerdem wiederholt er den Satz „Ich will nicht wieder weinen“ (Z.40/48), was recht deutlich schon an dem Wort „wieder“, der Wiederholung, sowie an den Gedankenstrichen zeigt, dass er schon so oft und detailgenau an sein Begräbnis dachte, als sei es schon sehr lange geplant.

Er weiß, er bekommt keinen Grabstein, denn Selbstmord gilt als die größte Sünde. Dennoch wünscht er sich „eine schneeweiße Marmorurne auf schwarzen Syenitsockel“ (Z.10/11). Moritz versucht es sich schön zu reden, dass seine Hinterbliebenen friedlich und angebracht reagieren werden: „Melchior wird mir einen Kranz auf den Sarg legen. Pastor Kahlbauch wird meine Eltern trösten.

Noch bevor er sein Leben endgültig beendet, sieht er bereits die kopflose Königin aus dem Jenseits winken. Für ihn hat die kopflose Königin, von der er mehrere Male in dem Drama spricht, eine zwischengeschlechtliche Bedeutung. Es wäre wohl erleichternd für ihn, seinen Kopf wie der König mit den zwei Köpfen auf einen weiblichen Körper setzen zu können. Zum einen, weil er gern körperliche Liebe aus der weiblichen Perspektive erleben würde, zum anderen, weil er so den Ansprüchen seines Vaters, beziehungsweise der Gesellschaft, entfliehen könnte.

Die kopflose Königin wird damit zum Symbol seiner inneren Zerrissenheit.

Auch wenn die Lösung für Moritz den Tod bedeutet, ist diese glücklicherweise nicht auch gleich für die anderen Protagonisten eine Lösung, für die sehr ähnlich gelagerten Probleme.

Denn ihre Mutter möchte Wendla immer noch nicht als junge Erwachsene anerkennen und setzt alles daran, damit ihre Tochter noch an den Storch glaubt. Wendla ist jedoch wie gesagt sehr neugierig, will Lebenserfahrungen sammeln und Unbekanntes kennenlernen. Dies führt dazu, dass sie bei einer Begegnung mit Melchior im Wald von ihm geschlagen werden möchte. Sie fügt sich in die Rolle der passiv-masochistischen Frau und bettelt geradezu Melchior darum an, mit einer langen Rute geschlagen zu werden.

Sowohl für Wendla, als auch für Melchior stellt diese Erfahrung eine Ersatzhandlung dar. Zu seinem bestehenden Wissen aus Büchern, will auch er endlich praktische Erfahrungen sammeln. Bei diesem Ventil für den beständigen sexuellen Druck bleibt es jedoch nicht. Die Beiden treffen sich, nachdem Melchior aus Schrecken von seiner Gewalt bestürzt auf den Heuboden floh.

Klar ist jedoch, dass Wendla nur aufgrund ihrer sexuellen Unaufgeklärtheit schwanger wird, was schließlich wegen einer unsachgemäßen Abtreibung zu ihrem Tod führt. Auch wenn Melchior durch seine Offenheit der Sexualität gegenüber und dank seiner glänzenden Schulleistungen soweit gut mit den Ansprüchen der Gesellschaft zurechtkommt, ist er nach dem Tod Wendlas zutiefst erschüttert.

Mithilfe des vermummten Herrn, eine Allegorie des „Lebens“, findet er wieder neue Hoffnung und fasst Mut zum Weiterleben.

Auch Hänschen Rilow weiß sich zu helfen, indem er seinem sexuellen Verlangen einfach doch heimlich nachgibt und auf der Toilette zu „gefundenen“ Aktgemälden onaniert. Somit findet auch er ein Ventil für den Druck der Gesellschaft und hat keine Scheu, auch mit seinem Freund Ernst Röbel in den Weinbergen zu experimentieren. Er hat zwar Angst und Gewissensbisse, weiß sich aber zumindest zu helfen.

Er möchte später ein ruhiges Pfarrerleben und mit einem „Hausmütterchen“ (S.72, Z.14) verheiratet sein, hat also kein Problem damit, sich den Gesellschaftsnormen einmal anzupassen, wenn es einmal so weit ist. Doch in seinen jungen Jahren will er wohl offensichtlich auch noch etwas mit Hänschen experimentieren, bevor er zum hochwürdigen Pfarrer wird.

Ganz anders sind da Ilse und die Zöglinge der Korrektionsanstalt. Sie halten sich aus den Zwängen der Gesellschaft ganz und gar außen vor. Ilse ist keine Schülerin mehr, sondern eine Bohème und gehört somit ohnehin nicht mehr dazu. Als Modell prostituiert sie sich in der gehobenen Künstlerszene, betrinkt sich bis zu Bewusstlosigkeit und hat für ihr Alter schon sehr viel Erfahrung mit verschiedenen Liebhabern gesammelt.

Bei den Jungen in der Korrektionsanstalt geht es noch wilder zu: Sie machen sich einen Spaß aus Sexualität und veranstalten einen Wettbewerb aus einer Gruppenonanie. Ironischerweise gerade an dem Ort, an dem die Zöglinge zu Gehorsam und Sittlichkeit erzogen werden sollen. Hier bestätigt sich wieder, dass Wedekinds Drama durchaus nicht nur aus Tragik besteht, er wollte auch einen gewissen, wenn auch sehr dunklen Humor, in sein Werk einbringen.

Während die männlichen Gymnasiasten sich oft über das Thema Schule und den hohen Ansprüchen auseinandersetzen und beweisen, dass sie den hohen Anforderungen durchaus gerecht werden wollen, reden die Mädchen kaum darüber. Sie halten sich ganz rollenkonform eher mit Themen über Familiengründung, Erziehung und Eltern auf. Sie stehen auch nicht unter einem so hohen Schuldruck, denn von ihnen wird keine höhere Bildung verlangt.


Das schlimme daran ist, dass die betroffenen Personen es oftmals nicht einmal nach außen hin zeigen und im Stillen leiden. Ich bin froh, dass sich in der Hinsicht insbesondere eines geändert hat. Von der Gesellschaft nicht mehr als geisteskrank verpönt, gibt es Heutzutage Einrichtungen für depressiv kranke Menschen. Somit wurde nicht nur das Schulsystem oder die sexuelle Aufklärung seit der Jahrhundertwende stark verbessert, auch psychische Probleme werden seither mehr ernst genommen und behandelt.

Schon im Hinblick auf die Allegorie des vermummten Herrn, dem wohl das ganze Drama gewidmet ist, lässt sich darauf schließen, dass Wedekind in seinem Drama insbesondere auf eines hinaus wollte: Achte das Leben, liebe es, dich selbst und achte auf die Menschen, die du liebst.


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