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Universität zu Köln

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Universität zu Köln


Institut für Deutsche Sprache und Literatur


Hauptseminar:

„Mai und Beaflor – Wilhelm und Bene.

Formen und Funktionen des Minne- und Abenteuer-Romans im 13. Jahrhundert.“


Leitung: Dr. Christina Lechtermann Darstellung: Andrea Müller-Epp


Wintersemester 2008/09 30. Januar 2009


Forschungsaufsätze

zum Inzestmotiv und zur Eheauffassung

in Mai und Beaflor


Mädchen ohne Hände – Der Vater-Tochter-Inzest in der

mittelhochdeutschen und frühneuhochdeutschen Erzählliteratur

Ingrid Bennewitz

Benewitz stellt die festen Bestandteile der christlich-abendländischen Kernversion des Vater-Tochter-Inzests heraus: die Abwesenheit der Mutter, die vorgebliche Schuldlosigkeit des Vaters und die aktive Verführungsarbeit der Tochter. Die Erzählung repräsentiert ein typisches Beispiel für die bewußte Verkehrung der eigentlichen Machtverhältnisse, den männlichen Blick, der scheinbar neutral und objektiv ist und Verständnis für das Handeln des Vater sucht, diesen sogar auch zu entschuldigen.

Das Resumee: Der Inzest ist nicht unbedingt verwerflich. Den Vater trifft keine Schuld, da die Tochter den Inzest provoziert hat[1].

Der Ausgangspunkt für den versuchten Vollzug des Inzests der Tochter ist die Abwesenheit bzw. der Tod der Mutter, die Schönheit der Tochter, die zum Ebenbild der Mutter heranwächst und zum Zeitpunkt des versuchten Übergriffs gerade in die Pubertät kommt.

Benewitz stellt Kausalvernetzungen her, die den Inzest vorbereiten und auf die Entschuldigung des Vaters hinarbeiten: Das Leben des Vaters als Witwer, die daraus resultierenden politischen bzw. erbschaftsrechtlichen Probleme, die erotische Attraktivität der Tochter als verjüngtes Spiegelbild der verstorbenen Mutter und der unheilvolle Einfluss Satans[2].

Aus ihrer Argumentation leitet sie die Entschuldbarkeit des Vaters her, der den versuchten Übergriff auf die Tochter verübt hat. Die Versöhnung mit dem Vater am Ende des Romans scheint diesen Schluss zuzulassen.

Benewitz folgert wie Ingrid Kasten, dass diese Entlastungsstrategie in „Mai und Beaflor“ einen Ausgleich durch den Muttermord über die Schuldzuweisung an die Schwiegermutter der vor dem Vater geflohenen und buchstäblich im Hafen der Ehe gelandeten Tochter verlangt: Wie der Vater versucht, über die sexuelle Verbindung mit der Tochter den drohenden Verlust der Tochter an deren zukünftigen Ehemann zu verhindern, so widersetzt sich andererseits - vorerst verbal und emotional, dann mit familiär-politischen Mitteln - die Mutter der Situation, den Sohn mit der Unbekannten teilen zu müssen[3].

Das mütterliche Verhalten ist aber nicht mit dem des Vaters vergleichbar: Die Bedenken der Mutter gegen die Aufnahme der familienlosen Fremden lassen sich mit feudalpolitischen Aspekten rechtfertigen. Ihre Agressionen richten sich nicht gegen das eigene Kind. Der Gedanke, dass zwischen der Mutter Elyacha und Mai eine umgekehrt inzestuöse Beziehung besteht, ist abwegig. Benewitz jedenfalls kann diesen Verdacht nicht bestätigen.

Auffallend ist aber, dass die belastete Beziehung zwischen Vater und Tochter als wiederherstellbar erscheint, während die Mutter-Sohn-Beziehung in letzter Konsequenz ausgelöscht wird.

Nach Benewitz weist der Stoff eine ähnliche Struktur wie das Brautwerbungsschema auf, nur dass die Positionen anders besetzt und ihre Beziehungen umgepolt sind: Statt des aktiven Helden, der sich zweimal auf Brautfahrt begibt, läßt sich die Heldin zweimal suchen. Anstatt der freiwilligen Ausfahrten steht die doppelte Vertreibung oder Flucht: Die Trennung der Brautleute durch den Vater der Braut ist ersetzt durch die Trennung der Ehegatten durch die Mutter des Ehemannes.

Benewitz benutzt den Begriff der „verfolgten Unschuld“, der ein zentrales Moment benennt: Die Strategie der euphemistischen Verhüllung in der Szene der Hinhaltetaktik der Tochter verleiht ihm eine gewisse Fragwürdigkeit[4]. Demnach handelt es sich nicht um moralische Unschuld, die gefährdet ist, sondern um sexuelle Integrität der Heldin, die den Status der Jungfräulichkeit und treuen Ehefrau innehat.

Eine Verbindung zwischen Sexualität und Moral wird hergestellt: Die moralische Vollkommenheit der Heldin garantiert dem Anspruch der Erzähler nach den Schutz vor der Verletzung ihrer körperlichen und sexuellen Autonomie. Benewitz betont den Moment der offen artikulierten Sehnsucht der Frau nach Selbständigkeit: Die Initiative zur Heirat geht jedenfalls nicht von ihr, sondern von dem Mann aus; sie wird mit Überredungskunst und nachhaltigem Druck durchgesetzt und boykottiert den Wunsch der Frau nach einem Leben ohne Ehe und heterogene Sexualität – wie es die Hochzeitsnacht zeigt.

Benewitz zitiert auch hier Kasten, die anhand der Figur Beaflors zeigt, dass der Autor sie „nicht nur zum Inbegriff von Frömmigkeit, Demut und Selbstverleugnung (stilisiere), sondern auch zur Trägerin von Idealen der religiösen Frauenbewegung macht“[5].

Hinzu kommen nach Benewitz aber auch mehrere vor- und außerarthurische Muster der Sinnkonstitutionen[6]:

2) Das legendarische Muster: Walter Haug unterscheidet zwei Grundtypen. Der eine zeigt den Heiligen in der Bewährung auch bei der größten Anfechtung, der andere arbeitet mit dem Wechsel von Sünde und Buße. Zu ergänzen ist, dass beide Grundtypen eine deutliche geschlechtsspezifische Zuordnung kennzeichnet: Während Beaflor krisenlos den Anfechtungen ihres Schicksals widersteht, durchläuft der Vater Telion, in zweiter Linie auch ihr Ehemann Mai, die Stationen von Sünde und Buße.

Da die weibliche Schuld dem kirchlich-abendländischen Weltentstehungs-Mythos zufolge von Beginn an primär als körperlich-sexuelle Verführbarkeit definiert wird, liegt die Besonderheit der weiblichen Heiligen in der Verneinung ihres Körpers und in der Verweigerung von Sexualität unter allen Umständen (zunächst Verweigerung in der Hochzeitsnacht, Wunsch nach Keuschheit).

Dieser theologischen Konzeption zufolge ist der weibliche Körper schuldlos, also jungfräulich, oder er verliert sein Recht auf Existenz.


Beaflor-Blanscheflur[7]

Zu zwei literarischen Frauengestalten des 13. Jahrhunderts

Alfred Ebenbauer

Ebenbauer liefert zum Roman Mai und Beaflor die Stichworte, um die es geht: Trennung, Liebe, Schönheit und Schmerz. Beaflor wird als sehr schön beschrieben, die scheinbar über erotische Ausstrahlung verfügt.

Ebenbauer betont, dass Beaflor die Hauptperson ist, ihr Schicksal dargestellt wird und nicht das Mais. In Griechenland scheint es ihr nach der Flucht vor dem Vater gut zu gehen, denn man ist höfisch und höflich zu ihr[8].

Die Anfänge der Liebesbeziehung zwischen Mai und Beaflor werden im traditionellen Minnegespräch dargestellt: Mai erfleht trôst durch Beaflors wîpliche güete wegen des ungemachs, das er durch das Feuer und die Pfeilwunde der Minne erdulden müsse[9]. Beaflor reagiert daraufhin entsprechend. minne mit eren will sie von ihm lernen[10]: Mai weiß, dass die minne Wunden schlägt, was sie gar nicht hören will, denn sie habe ja weder Schwert noch Messer, noch wolle sie Mai verletzen.

Ebenbauer konstatiert das Ende der schönen Zeit, als die Liebe zwischen Mai und Beaflor ernst und ihr Anspruch unübersehbar wird, denn Beaflor dient (in den Augen Elyachas) allenfalls als Bettgefährtin, aber nicht als Ehefrau[11]. Elyacha empfängt sie zunächst freundlich und geleitet sie zur Burg und tadelt Mai, weil er nicht um sie wirbt.

Der Tadel gilt aber nicht hinsichtlich Brautwerbung oder Option, Beaflor zur Frau zu nehmen. Die Heiratsidee läßt Elyacha erzürnten, und sie wirft Beaflor Hexerei vor - auch die Vasallen sind von den Plänen nicht überzeugt, wenn auch aus politischen Gründen.

Daraus schließt Ebenbauer, wenn es mit der Liebe zu einer Mesalliance im Sinne einer optimalen Heiratspolitik kommt, wird das Mädchen in den Augen der rational-feindlichen Umwelt sehr rasch zur Liebeshexe. Die Trennung wird inszeniert: Es kommt zur Hochzeit Mais und Beaflors, zum Kriegszug, zu dem Mai aufbricht und zur tückischen Intrige Elyachas – diese Momente führen zur Trennung des liebenden Ehepaares und zur Bedrohung für Beaflors Leben[12].

Der Roman gilt bei Ebenbauer als sentimentaler Liebesroman, hinter dem eine harte Wirklichkeit steht: insbesondere hinter der Ehe, der feudalen Ehepraxis und der christlichen Ehe- und Sexualmoral, die man als „Schule der Mädchen“[13] bezeichnen kann. Das Erziehungsprogramm zielt auf die höfischen Tugenden ab, hinzu tritt der Leidensdruck und die Opfermentalität: Entsagung, Verzicht, Hinnehmen des Schicksals, Flucht ins Gebet.

Es geht aber die Disziplinierung im sexuellen Bereich: um Minne, um voreheliche Keuschheit bis zur Hochzeitsnacht[14]. Mai sehnt sich nach Liebe, jedoch Beaflor denkt beim Jawort an Paulus, wobei es ihr wegen des Drucks von Elyacha nichts ausmacht, auf die Liebeserfüllung oder sogar auf die Ehe zu verzichten. Da es doch zur Hochzeit kommt, beginnt nach Beaflors Bitte darum die Nacht mit einem Gebet, wobei Mai dies dann entschieden beendet und Beaflor ins Bett trägt.

Durch die sexuelle vorbildliche Lebensführung erhält das Paar jedoch letztlich den Lohn schon im Diesseits: Ein glückliches Leben in sittlich einwandfreier Ehe als gerechter Herrscher, denn Mai wird durch Beaflor römischer Kaiser; Beaflor bekommt ein legitimes Kind und stellt damit die adelig-genealogische Kontinuität sicher.

Ebenbauer konstatiert das Fehlen tragische Verwicklungen: Der Muttermord an Elyacha bleibt auffällig im Hintergrund – weder für Beaflor noch für Mai kommt es zu inneren, krisenhaften Verwirrungen eines leidenden Individuums[15]. Der Konflikt löst sich ziemlich leicht. Das Schicksal und durch die Tugend und das Gebet gewogener Gott erweisen sich dem Paar als gnädig[16].



Ingrig Kasten

Der Roman stellt eine Variante eines Romantyps dar, der aus der Verbindung des spätantiken Liebes- und Reiseromans mit dem Gattungsschema der Legende hervorgegangen ist. Das Kennzeichen für diesen Typus (des erbaulichen Liebesromans) ist der Dreischritt: das Glück eines Paares – die Krise/Trennung – die Wiederfindung und erneutes Glück[17]. Dieser Typus hat eine Vorliebe für bestimmte Motive, wie hier zum Beispiel der Inzest.

Kasten konstatiert, dass die Ehethematik in Mai und Beaflor erst in der neueren Forschung an Gültigkeit gewann: Ebenbauer sieht Beaflor im Zentrum der Überlegungen, in die Blanscheflur einbezogen ist; beide Werke richten sich an Frauen, denen bestimmte, in den weiblichen Hauptfiguren codierte Handlungsnormen (Demut, Bereitschaft zur Selbstverleugnung, Fähigkeit zu sexueller Selbstkontrolle) vermittelt werden sollen (die sogenannte Schule der Mädchen).

Die Wirklichkeit hatte eine andere Auffassung von Ehe: Im Adel wurden Ehen in der Regel aus politischen, dynastischen und wirtschaftlichen Gründen geschlossen. Der Ehevertrag wurde nicht zwischen den Eheleuten, sondern zwischen zwei Familien geschlossen. Die Kirche vertrat die „Unauflösbarkeit“ der Ehe, die unter Verwandten geschlossen wurden.

Die Ehe sollte nur mit der aus freiem Willen gegebenen Zustimmung der Ehepartner zustandekommen. Daraus folgt der Ehekonsens, der Zustimmung und Liebe zur Bedingung hat[19].

Kasten betont dies: Bei den Autoren der höfischen Literatur im Laufe des 12./13. Jahrhunderts gewann dieser Konsensgedanke an Boden und verbanden dieses Prinzip mit den Elementen der feudalen Heiratspraxis. Mit dem Ehekonsens wurde nun eine Legitimation für die Ehen geschaffen, die nicht aus äußeren Zwecken, sondern aus Liebe geschlossen wurden.

Das Ehekonzept in Mai und Beaflor schließt die Frage nach der Thematiserung des Konsenses und der Funktionalisierung des Minnediskurses ein. Kasten konstatiert, dass bereits in der Vorgeschichte der Autor das Thema des Konsens anklingen lässt: Erst, als Beaflor merkt, dass der Vater den inzestuösen Wunsch will und äußerst, weist sie ihn zurück.

Er versucht, sie mit Gewalt gefügig zu machen – und das verstößt gegen den freien Willen, der dem Konsensprinzip zugrunde liegt.

Es wird aber auch der Respekt vor dem Willen der Frau demonstriert: Als Beaflor nach Griechenland kommt und Mai trifft, fragt er nicht nach ihrer Herkunft und dem Grund der Reise, sondern versichert ihr seinen Schutz, dass nichts gegen ihren Willen geschehe. Deutlich wird damit, dass der Verhaltensnorm, nämlich Respekt vor dem Willen und der Zustimmung, Geltung verschafft wird, die der Vater gegenüber Beaflor verletzt hat.

Kasten zieht Parallelen aus dem Minnegespräch zwischen Mai und Beaflor, um einen Kontrast zwischen dem Verhalten des Vaters und Mais darzustellen. Mai zieht Konsequenzen aus Beaflors Wunsch, nur mit Ehre und ohne Sünde lieben zu wollen und macht ihr einen Heiratsantrag[21]. Er verstößt damit jedoch gegen die feudale Heiratspraxis, weil er zum einen eigenmächtig handelt, ohne sich um das Einverständnis der Familie und der Vasallen zu kümmern, zum anderen, indem er einer Frau die Ehe anbietet, deren Familie und Herkunft er nicht kennt.

Er übergeht damit die Gründe, die der Eheschließung aufgrund seiner Herrschaftsposition entgegenstehen könnten.

Die kirchlich geprägte Eheauffassung in Beaflors Antwort ist deutlich: Sie nimmt Mais Antrag an, weil sie an das Pauluswort denkt, nach dem die Liebe ohne Sünde sei, wenn sie mit recht geschieht, also die Liebe durch die Ehe legitimiert ist. Beaflor bittet aber vorher Gott, ihre êre zu bewahren, woraufhin es zum Konsensgespräch kommt.

Deutlich wird das an Elyachas Haltung: Sie steht für die Werbung Mais um Beaflor, aber ist entschieden gegen die Heirat. Im Gegensatz zum Vater macht sie sich keiner Grenzüberschreitung schuldig, vertritt nur einen Standpunkt, der in den Kreisen des männlichen Laienadels als durchaus normal gegolten hat.

Kastens These zufolge muss sie aber zur „Agentin“ des Bösen stilisiert werden, um einen Ausgleich zum inzestuösen Vater zu schaffen[23]. Die vom Autor verurteilte männliche Position wird mit dem Typus einer bösen Frau besetzt: Mit der bösen Intrigantin, um mit der Vernichtung der Schwiegertochter und des Enkels den Verstoß gegen das Regelsystem der feudalen Heirat wieder rückgängig zu machen[24].


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