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Russland, Perm

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Natalia A. ©
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Formen des Zusammenlebens. Abschied vom Familienleben?

Inhalt


  1. Formen des Zusammenlebens……………………………………S. 2

  2. Familie gestern – Familie heute………………………………….S. 4

  3. Familien in Deutschland………………………………………….S. 12

  4. Keine Lust auf Kinder? .S. 19

  5. Familie im Mittelpunkt………………………………………… .S. 24

  6. Die Familie geht nicht unter S. 28

  7. Singles: Eine hektische Jagd nach Anerkennung……………………….S. 30

  8. Von der Groβfamilie zum Single-Haushalt:

Abschied vom Familienleben? .S. 31

  1. Liebe auf Bewährung .S. 32

  2. Das internationale Jahr der Familie: Ressoursen, Aufgaben,

neue Perspektiven .S. 34

  1. Immer mehr alte, immer weniger junge Menschen:

VergreistdiedeutscheGesellschaft? S. 36

  1. Andere Liebe, gleiches Recht S. 37

13.StrukturundEntwicklungderBevölkerung………………………… S. 38

14. Quellen …………………………………………………………….S. 48

15. Zusätzliche Quellen und Adressen ……………………………… .S. 48


FORMEN DES ZUSAMMENLEBENS


Aufgabe 1. Die folgenden Absätze eines Textes überverschiedene Lebensformen in Deutschland sind durcheinandergeraten. Lesen Sie die einzelnen Abschnitte schnell und achten Sie dabei auf verbindende Inhalte.

Unterstreichen Sie die Wörter, die eine Verbindung zwischen den Absätzen herstellen.

Aufgabe 2. Notieren Sie die richtige Reihenfolge der Absätze.


  1. LEBENSFORMEN IM WANDEL

  1. Verliebt, verlobt, verheiratet?

  1. A

Bei älteren Paaren hingegen steht eine Ehe oft nicht mehr zur Diskussion. Ein möglicher Grund ist, dass die Partner bereits eine gescheiterte Ehe hinter sich haben (jede dritte Ehe wird derzeit geschieden) und kein neues Risiko eingehen wollen. Ein anderer Grund kann sein, dass sich die Partner eindeutig gegen Kinder entschieden haben und daher keinen Anlass mehr zu einer Heirat sehen.

    1. B

Nach wie vor ist jedoch die Familie das Lebensideal der meisten Deutschen. Dies gilt auch für die meisten der sogenannten „Singles". Mit diesem in den 70er Jahren aus den USA importierten Begriff bezeich­nete man zunächst nur allein stehende Personen, die eine bewusste Entscheidung für diese Lebensform getroffen hatten. Mittlerweile gilt er jedoch für alle allein stehenden Personen, egal ob ledig, getrennt lebend, geschieden oder verwitwet. Mehr als ein Drittel aller Haushalte in der Bundesrepublik bestehen gegenwärtig aus nur einer Person, und es wird damit gerech­net, dass die Zahl weiter steigt.

    1. C

Entwickeln sich die Deutschen also zu einem Volk von Einzelgängern? Wenn man den zahl­reichen Statistiken Glauben schenkt, scheint es so, aber der Schein trügt. Viele Singles sind über 60 Jahre alt und haben in diesem Alter bereits den Ehepartner verloren. Andere wohnen zwar allein, haben aber einen festen Lebenspartner. Vor allem jüngere Singles sind vielleicht noch auf der Suche nach der „großen Liebe" oder leben kurzfristig allein, weil eine Beziehung gerade zu Ende gegan­gen ist. Echte „Singles", d. h. überzeugte Anhänger des Alleinlebens ohne einen Partner, sind die wenigsten. Sie haben vielleicht eine gescheiterte Ehe hinter sich oder möchten völlig unabhängig sein. Die große Mehrheit der Singles möchte jedoch auch nicht ein Leben lang allein leben.

    1. D

Im Gegensatz zu früher übt heute niemand mehr Kritik, wenn ein Mann und eine Frau unverheiratet zusammenleben. Nicht nur junge, sondern auch viele ältere Paare ent­scheiden sich mittlerweile für eine solche „Ehe ohne Trauschein". Die Entscheidung für diese Lebensform hat verschiedene Gründe. Junge Paare sehen in ihr meistens eine Art „Ehe auf Probe": Sie wollen her­ausfinden, ob sie zueinander passen, bevor sie eine Ehe und die damit verbundenen Verpflichtungen eingehen. Bei ihnen kann man davon ausgehen, dass sie zu 70 Prozent heiraten, allerdings nur und erst dann, wenn ein Kind gewünscht oder erwartet wird.


    1. E

Im Zuge gesellschaftlicher Entwicklungen haben sich in Deutschland vor allem in den letzten zwanzig Jahren Lebensformen herausgebildet, die noch in den 50er und 60er Jah­ren in der Gesellschaft auf Ablehnung ge­stoßen wären. Damals galt es z. B. als un­schicklich, wenn ein Mann und eine Frau zusammenlebten, ohne verheiratet zu sein. Diese Lebensform wurde mit dem Begriff der „wilden Ehe" umschrieben. Er existiert zwar heute noch, wird allerdings inzwischen nur noch scherzhaft verwendet.


    1. F

Eine Möglichkeit, diesen Wunsch zu ver­wirklichen und dabei auch noch Geld zu sparen, ist die Wohngemeinschaft. Diese Lebensform wird vor allem von jungen Leuten bevorzugt, die sich noch in der Ausbildung befinden. Miete und Lebens­haltungskosten werden mit den Mitbewoh­nern geteilt, und wenn man einmal allein sein möchte, macht man einfach seine Zimmertür zu. Aber auch unter Senioren, die nach dem Tod des Partners nicht allein oder bei den Kindern leben wollen, gewinnt diese Lebensform zunehmend an Attraktivität.

Aufgabe 3.Geben Sie den Inhalt der Textabschnitte in zusammengefasster Form wieder.

(aus „Blick auf Deutschland)


Familie gestern – Familie heute


  1. Die Familie im 19. Jahrhundert



Das ausgehende 18. und das 19. Jahrhundert waren eine Zeit groβer wirtschaftlicher, kultureller und gesellschaftlicher Veränderungen. Wissenschaft und Technik erlebten einen gewaltigen Aufschwung. So führten z.B. neue medizinische Erkenntnisse zu einem starken Rückgang der Kindersterblichkeit, zu einem raschen Anstieg der Lebenserwartung und zu einem rasanten Bevölkerungswachstum. Die erste industrielle Revolution in Verbindung mit Bauernbefreihung und Landflucht lieβ die Arbeiterschaft und später auch die Angestelltenschaft als neue Bevölkerungsgruppen entstehen. Zugleich wurden die Klassenunterschiede immer gröβer. Immer mehr Menschen zogen in die Städte, mussten sich an städtische und bald auch an groβstädtische Lebensverhältnisse anpassen.

industrielle Revolution

Im 19. Jahrhundert kam es zu einem Machtgewinn des Bürgertums, dessen Lebensform immer mehr zum Vorbild für andere Bevölkerungsgruppen wurde. Es setzte sich zunächst für eine Demokratisierung des Staates ein, wurde ab dem Zeitpunkt, der Gründung des Deutschen Reichs immer konservativer. Dank der Bedeutung, die das Bürgertum der Bildung zuschrieb, kam es zu einem Aufschwung des Schulsystems und der Universitäten. Die Schulpflicht wurde immr mehr durchgesetzt.

Aufstieg des Bürgertums

In dieser Epoche wurde auch die Macht der Kirche geschwächt, kam es zur Säkularisierung. Die Religion geriet in Konkurrenz zu Weltanschauungen wie Marxismus, Materialismus, Darwinismus usw. Zugleich gewann der Staat immer mehr an Bedeutung. So wurde z.B. die Zivilehe eingeführt. Das Bürgerliche Gesetzbuch von 1900 schrieb eine Familienform fest, bei der Ehemann das alleinige Entscheidungsrecht über alle das Familienleben betreffenden Angelegenheiten besaβ, prinzipiell der Frau Unterhalt gewähren musste und alleine die Kinder rechtlich vertrat. Die Ehefrau war zur Haushaltsführung und die Kinder waren bis zu ihrem 21. Lebensjahr zu Gehorsam gegenüber ihren Eltern verpflichtet.

Familienrecht von 1900

Diese nur kurz skizzierten wirtschaftlichen, gesellschatlichen und kulturellen Entwicklungen führten zur Ablösung der Lebensform des “ganzen Hauses” – wie die Familie des Mittelalters und der nachfolgenden Jahrhunderte bezeichnet wurde – durch moderne Familienformen. Generell lassen sich Bürger-, Arbeiter-, Bauern-, und adlige Familien unterscheiden. Da die letzgenannte Familienform heute nicht mehr von Bedeutung ist, soll an dieser Stelle auf ihre Beschreibung verzichtet werden.


Bürgerlichen Familien gemeinsam waren eine hohe Wertschätzung von Bildung, Literatur, Natur- und Geisteswissenschaften, von Kunst und Musik. Sologesang, Klavierspiel, Rezitieren von Gedichten usw. Spielten eine groβe Rolle; höfliche Umgangsformen und angenehme Manieren wurden allgemein erwartet. Die bürgerliche Familie grenzte sich nach auβen hin ab; die Privatsphäre war ihr wichtig. In ihr herrschte eine geschlechtsspezifische Arbeitsteilung vor: So war die Frau für die Haushaltsführung zuständig. Sie richtete ihr Trachten darauf, daheim eine häusliche Idylle zu schaffen, Familiensinn zu zeigen, eine gefühlsbetonte Familienatmosphäre herzustellen und Gästen gegenüber würdig zu erscheinen. Der Mann hingegen war für die Sicherung und Verbesserung des Lebensstandarts der Familie zuständig und vertrat diese nach auβen. Aufgrund der allgemein anerkannten patriarchalischen Familienstruktur konnte er mit dem Gehorsam von Frau und Kindern rechnen.

bürgerliche Kultur





Rollen von Mann und Frau

Der Kindererziehung wurde in bürgerlichen Familien eine groβe Bedeutung beigemessen. Zumeist war für Söhne der Besuch von Gymnasium und Universität vorgesehen. Mädchen wurden jedoch auf die Haushaltsführung hin erzogen, so dass die Kindererziehung stark geschlechtsspezifisch war. Bei der Partnerwahl spielten die Mitgift und der Wille der Eltern eine groβe Rolle, obwohl Liebesheiraten erwartet wurden. Lange Verlobungszeiten bei sexueller Enthaltsamkeit waren üblich. In der Ehebeziehung wurde über Sexualität nicht gesprochen.







Liebe und Sexualität

Während die Lebensform der bürgerlichen Familien heute noch bekannt ist und weiterhin unser Familienbild prägt, ist über die Lebensweise der Arbeiterfamilien wenig überliefert – obwohl diese Familienform schon allein zahlenmäβig im 19. Jahrhundert überwog. In Arbeiterfamilien mussten aufgrund der niedrigen Löhne zumeist beide Ehepartner und eventuell sogar ältere Kinder erwerbstätig sein. Da an sechs Tagen pro Woche und an 12 bis 14 Stunden pro Tag gearbeitet wurde, blieb kaum Zeit für Familienleben und Kindererziehung. So mussten Verwandte, ältere Geschwister oder Kinderbewahranstalten die Erziehung jüngerer Kinder übernehmen. Häufig wurden diese auch vernachlässigt und verwahrlosten. Die Frau nahm zumeist eine stärkere Stellung in der Arbeiter- als in der bürgerlichen Familie ein, weil in der Regel aus Liebe geheiratet wurde und da sie ein eigenes Einkommen hatte. Oft verwaltete sie alle Familieneinnahmen. Aufgrund fehlender oder mangelhafter Verhütungsmaβnahmen war sie häufig schwanger. Sie stillte Säuglinge schnell ab, um wieder arbeiten zu können.

Lebensweise von Arbeiterfamilien

Wegen des geringen Haushaltseinkommens war der Lebensstandart von Arbeiterfamilien sehr niedrig. Die Wohnsituation war zumeist schlecht: Die Familien hausten in Ein- oder Zweizimmerwohnungen, in Dachstuben und feuchten Kellern. Vielfach lebten in demselben Haushalt njch Untermieter oder Bettgeher. So führte die übergroβe Enge oft zu Spannungen und setzte Agressionen frei. Ernährung und Hygiene waren unzureichend.

Wohnsituation

Bauernfamilien unterschieden sich sehr voneinander, je nach Gröβe des Hofes und Wirtschaftsweise. Zumeist herrschte noch die Lebensform des mittelalterlichen “ganzen Hauses” vor. So war die Familie Produktions- und Versorgungseinheit, strebte nach wirtschaftlicher Unabhängigkeit und übernahm die Verantwortung für alte und alleinstehende Verwandte. Vielfach handete es sich um Mehrgenerationenhaushalte, die oft auch das Gesinde einschlossen. Die Arbeitsteilung war zumeist geschlechtsspezifisch organisiert: Die Frauen waren für Haushalt, Garten und Kleinvieh zuständig, die Männer für Feldarbeit und Groβvieh. Der Bauer war uneingeschränkter Herrscher auf seinem Hof, hatte das Züchtigungsrecht inne und behielt seine Macht bis zur Hofübergabe bei. Diese erfolgte oft erst, wenn der älteste Sohn längst das 25. Lebensjahr vollendet hatte, und war mit der Unterzeichnung eines detaillierten Übergabevertrages verbunden.

das “ganze Haus”

Die Partnerwahl richtete sich vielfach nach zweckrationalen Kriterien: Besitz bzw. Mitgift und Arbeitskraft der ins Auge gefassten Person waren ausschlaggebend. Die Geburtenkontrolle spielte eine geringe Rolle, da Kinder nicht als Belastung empfunden und als zukünftige Arbeitskräfte gesehen wurden. Sie mussten mit harten Körperstrafen rechnen. Hingegen wurde kaum Wert auf ihre Schulbildung gelegt. Die Eltern hatten wenig Zeit für die Erziehung und wirkten in erster Linie über ihr Vorbild. So eigneten sich die Kinder Eigenschaften, Fertigkeiten und Kenntnisse vor allem durch Nachahmung und bei der Mitarbeit auf dem Hof an. Sie waren in das Erwachsenenleben und die dörfliche Gemeinschaft schon in jungen Jahren eingebunden. Soziale Kontrolle und gegenseitige Unterstützung waren auf dem Land von weitaus gröβerer Bedeutung als in der Stadt.


Kinderarbeit auf dem Hof


    1. Familien im 20. Jahrhundert



Aus den stark verallgemeinernd beschriebenen Familienformen des 19. Jahrhunderts entstanden die heutigen Familientypen – wobei sich die nachstehende Darstellung (einschlieβlich der statischen Angaben) auf die westdeutschen Bundesländer beschränkt. Dieser Entwicklungsprozess gewann vor allem in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts an Dynamik, als die zweite und die dritte industrielle Revolution in Verbindung mit der sozialen Marktwirtschaft Wohlstand sowie gute Wohn- und Lebensbedingungen für weite Bevölkerungskreise brachten. Zusammen mit der Sozialgesetzgebung führte der wirtschaftliche Aufschwung zu einem Abbau der großen Klassenunterschiede, die für das 19. Jahrhundert und die damaligen Familienformen prägend waren. So spielt die Schichtzugehörigkeit heute eine deutlich geringere Rolle, wozu auch die Expansion des Bildungswesens, die Verbesserung des Schulsystems und Verbreitung der Medien beigetragen haben. Die wirtschaftliche Entwicklung führte aber ebenfalls zu Dauerarbeitlosigkeit, einem wachsenden Ausländeranteil an der Bevölkerung Deutschlands, zu Umweltverschmutzung und einer zunehmenden Prägung des Erwachsenenalltags durch Stress, Zeitnot, Konkurrenzverhalten und Leistungsdruck. Die soziokulturelle Umwelt wird zunehmend als inhuman erlebt: Forderungen nach Humanisierung der Arbeitswelt, der Schule, der Medizin usw. sprechen eine deutliche Sprache.
















Schwinden der Klassenunterschiede



inhumane Umwelt






Ein anderer die Familienentwicklung beeinflussender Faktor ist die seit Ende des Zweiten Weltkriges zunehmende Demokratisierung der Gesellschaft, die in Verbindung mit der Emanzipationsbewegung auch zu mehr Gleichberechtigung und Partnerschaft in der Beziehung zwischen den Geschlechtern führte. Charakteristisch für unsere Epoche sind weiterhin Weltpluralismus, konkurrierende Weltanschauungen und eine Abnahme der sozialen Kontrolle durch traditionelle Gemeinschaften. Im Gegensatz zum Kollektivismus vergangener Zeiten ist heute der Individualismus weit verbreitet, der sich auch im Streben nach Glück und Selbstverwirklichung, in der Betonung von Wahlfreiheit und Unabhängigkeit sowie oft in der Zurückweisung von Verantwortnug zeigt.

Wertewandel

Diese und ähnliche Entwicklungen in Technik, Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur haben auch die Familie beeinfluBt. Vergleicht man die Familienformen des 19. Jahrhunderts mit den heutigen, so kann man eine ganze Reihe von Entwicklungstendenzen feststellen. So hat sich die Freiheit der Partnerwahl durchgesetzt, gilt Liebe als entscheidender Heiratsgrund. Damit verbunden ist eine stärkere Emotionalisierung und Psyhologisierung familiärer Beziehungen: Wird z.B. keine Zuneigung mehr zum Partner verspürt oder bleiben grundlegende psychische Bedürfnisse in der Ehe unbefriedigt, kommt es leicht zur Trennung der Ehegatten. Zudem sind die Erwartungen an die Partnerschaft in den letzten Jahrzenten stark gestiegen.

Liebe als Grundlage der Ehe

Ferner hat sich die Einstellung zur Sexualität geändert. Im Gegensatz zum 19. Jahrhundert sind sexuelle Beziehungen mit verschiedenen Partnern in der Jugend und im frühen Erwachsenenalter die Regel. Auch hat ein immer gröBer werdender Teil der Eheleute bereits vor der Heirat mit dem Partner zusammengelebt. AuBereheliche sexuelle Beziehungen sind keine Seltenheit; manchmal werden sie sogar vom Ehegatten akzeptiert (“offene Ehe”).

Haltung zu Sexualität

Aufgrund der Möglichkeit der Empfängnisverhütung werden immer mehr Kinder als “Wunschkinder” geboren. Dieses zeigt sich auch darin, dass die Zahl nichtehelicher Geburten stark abgenommen hat: Waren in den scheinbar so christlich geprägten Jahren 1851/55 noch 208 von 1000 Geburten in Bayern nichtehelich, so waren es 1986 nur noch 9 von 1000. zugleich sind die Zahl der Kinder pro Familie und die Haushaltsgröße zurückgegangen: lebten 1852 durchschnittlich 4,6 Personen in einem Haushalt, so waren es 1986 nur noch 2,6 Personen. Anzumerken ist, dass man bei einer Haushaltsgröße von 4,6 Personen Mitte des 19. Jahrhunderts wohl kaum von Großfamilien sprechen kann – vor allem, wenn man bedenkt, dass zu dieser Zeit viele Haushalte Dienstmädchen, Knechte, Mägde und Lehrlinge umfassten. So wurde die Auffassung, dass in der Vergangenheit Dreigenerationen- oder Großfamilien vorherrschten, inzwischen von der Wissenschaft als Mythos entlarvt.

der Mythos von der Groβfamilie

Statistische Erhebungen zeigen, dass es heute nur noch wenige Haushalte mit drei und mehr Kindern gibt. Für jedes zweite Kind heißt Kindheit, das einzige Kind seiner Eltern zu sein. Es hat eine sehr viel intensivere Beziehung zu seinen Eltern und anderen Erwachsenen als Kinder aus gröβeren Familien und verlangt von ihnen einen hohen Aufwand an Zeit. Hingegen mangelt es ihm manchmal an sozialen Erfahrungen mit Gleichaltrigen.


Im Vergleich zum 19. Jahrhundert haben heute die Familien mit nur wenigen Ausnahmen endgültig ihre wirtschaftliche Produktionsfunktion verloren. Auch ist die Zeugung von Kindern nicht mehr der Hauptzweck von Eltern. Stattdessen haben Familienfunktionen wie Erziehung, emotionale Stabilisierung, Erholung und gemeinsame Freizeitgestaltung an Bedeutung gewonnen, wird die Familie zunehmend als Ort der Selbstverwirklichung gesehen. Zugleich hat sich die Familie nach auβen hin geöffnet: So verbringen die Mitglieder z.B. viel Zeit auβerhalb der Wohnung, um Angebote der Freizeitindustrie, des Bildungsbereichs oder kultureller Einrichtungen wahrzunehmen oder um mit Freunden zusammen zu sein. Aufgrund der Individualisierungstendenz in unserer Gesellschaft gehen sie dabei oft getrennte Wege.

Funktionen heutiger Familien

Zur Öffnung der Familie gehört auch die zunehmende auβerhäusliche Erwerbstätigkeit von Frauen. So waren 1988 bereits 38,8% aller Berufstätigen weiblich. Die Frauen wollen ihre immer besser werdenden schulischen und beruflichen Qualifikationen nutzen. Hinzu kommt, dass die Berufsrolle mit Emanzipation, Unabhängigkeit, Selbstverwirklichung und Anerkennung durch Dritte verbunden wird, während die Hausfrauen- und Mutterrolle an gesellschaftlichem Ansehen verloren haben. Da die meisten Frauen mit ihrer Arbeit und den Beziehungen zu ihren Kollegen zufrieden sind, sind sie immer seltener bereit, ihre Berufstätigkeit zugunsten ihrer Kinder aufzugeben. Oft wird diese nur für einige Jahre unterbrochen, solange die Kinder klein sind.

Berufstätigkeit von Ehefrauen

Die Berufsbedingte Selbständigkeit und Unabhängigkeit von Frauen und der in den vergangenen Jahrzehnten erfolgte Abbau traditioneller Geschlechtsrollenleitbilder haben sich natürlich auch auf die Ehebeziehung ausgewirkt: In mehr als zwei Drittel aller Ehen werden heute anstehende Entscheidungen partnerschaftlich gefällt. Jedoch gibt es weiterhin geschlechtsspezifische Akzente. So haben Frauen z.B. im Erziehungs- und Haushaltsbereich größeren Einfluss, Männer hingegen bei teueren Konsumausgaben (wie Autokauf). Auch die Arbeitsteilung im Haushalt ist weiterhin geschlechtsspezifisch organisiert: Die Frauen halten in der Regel die Wohnung sauber, kümmern sich um die Wäsche und bereiten die Mahlzeiten zu, während die Männer Aufgaben wie Autowäsche und kleinere Reparaturen in der Wohnung übernehmen. Wohl ist eine Tendenz hin zu etwas mehr Mitwirkung von Männern an der Hausarbeit festzustellen, aber selbst bei erwerbstätigen Müttern trägt sie nur wenig zu deren Entlastung bei. So ist es nicht verwunderlich, dass sich einerseits 9 von 10 Ehemännern kaum durch Hausarbeit belastet fühlen und dass es andererseits in einem Viertel aller Ehen Meinungsverschiedenheiten wegen der Arbeitsteilung gibt.

Machtverhältnisse in Ehen






Männer durch Hausarbeit kaum belastet

Ähnliches gilt auch für die Kindererziehung: Obwohl Väter sich mehr für Erziehungsfragen interessieren und sich vor allem um Kleinkinder intensiver kümmern, bleibt ihr Zeitaufwand in diesem Bereich weit hinter dem der Mütter zurück. So liegt die Kinderbetreuungszeit von Männern laut einer Untersuchung der Wissenschaftler Krüsselberg, Auge und Hilzenbecher ziemlich konstant bei 20 Minuten täglich – unabhängig von der Zahl der Kinder. Frauen verwenden hingegen durchschnittlich 41 Minuten pro Tag auf ein Kind, 59 Minuten auf zwei und 81 Minuten auf drei und mehr Kinder. Nach dem Alter differenziert sinkt die Kinderbetreuungszeit beispielsweise bei Einzelkindern von 189 Minuten für ein Kind unter drei Jahren auf 31 Minuten für ein 15- bis 18jähriges Kind. Dementsprechend sind die Mütter in der Regel die wichtigsten Bezugspersonen ihrer Kinder.

Zeitaufwand für Kinder

Obwohl aufgrund der gestiegenen Lebenserwartung Mutter- und Vaterschaft nur noch eine kurze Phase im Lebenslauf von Frauen und Männern bilden, sind Eltern zunehmend kinderzentriert. Für sie sind Kinder Mittelpunkt und Sinn des Lebens, ist Erziehung eine Möglichkeit zur Selbstentfaltung. Sie begreifen sich selbst als “aktive Eltern” und denken viel über Erziehung nach. Letzteres beruht teilweise auch darauf, dass die gesellschaftlichen Ansprüche an Erziehung gestiegen sind und dass die Medien Eltern mit entgegengesetzten pädagogischen Strömungen, unterschiedlichen Leitbildern und widersprüchlichen Ratschlägen konfrontieren. Aber auch aufgrund des rasanten soziokulturellen und wirtschaftlichen Wandels sind Eltern in der Erziehung ihrer Kinder unsicherer geworden, müssen sie neue Wege suchen. Generell haben in den letzten Jahrzehnten Erziehungsziele wie Gehorsam, Höflichkeit, Ordnungsliebe und Fleiβ an Bedeutung verloren, während beispielsweise Selbständigkeit, Durchsetzungsfähigkeit, Toleranz und Willensfreiheit eine größere Rolle spielen. Die Eltern beachten mehr die Individualität ihrer Kinder, verhalten sich ihnen gegenüber informeller, lassen ihnen mehr Freiräume und verwendeten seltener Körperstrafen. Zudem machen sie in der Erziehung von Jungen und Mädchen deutlich weniger Unterschiede, erhalten beide Geschlechter bereits dieselbe Schulbildung. Auch ist ein Verlust an elterlicher Macht festzustellen: Vor allem Väter haben einen Machtverlust.

Schließlich ist gegenüber dem 19. Jahrhundert eine gröβere Vielfalt der Formen familialen Zusammenlebens festzustellen. So unterscheiden sich Familien stark hinsichtlich ihrer Strukturen, Beziehungsdefinitionen, Kommunikationsmuster, Rollenvorstellungen, Erziehungsstile, Regeln usw. Nichteheliche Lebensgemeinschaften werden immer zahlreicher – 1987 gab es bereits 778 000. Aufgrund der gestiegenen Scheidungsraten nimmt aber auch die Zahl der Teil- und Zweitfamilien zu. Zur Vielfalt der Lebensformen tragen ferner die vielen Ausländer-, Aussiedler- und Asylantenfamilien bei. Derzeit leben beispielsweise rund 4,5 Millionen Ausländer in der Bundesrepublik Deutschland – 60 Prozent von ihnen seit 10 Jahren und länger.

Eltern als Erzieher














neue Erziehungsziele























neue Familienformen

Martin Textor “Familienpolitik” Bonn, 1991.

  1. Familien in Deutschland



Familien in Deutschland sehen sich - wie anderswoauch - tief greifenden gesellschaftlichen Veränderungen gegenüber. Neue Lebens- und Beziehungsformen, der Wandel der Arbeitswelt und allerlei Hemmnisse von mangelnder Kinderbetreuung bis zu fehlenden finanziellen Ressourcen führen dazu, dass immer weniger junge Menschen sich den Wunsch nach einer eigenen Familie erfüllen. So schrumpft und altert die Bevölkerung - mit drastischen Folgen.

Das gemütliche Frühstück im Bett, mit frischem Obst und einem leckeren Müsli, dazu ein Croissant und ein ausgiebiger Blick in die Tageszeitung - fällt heute aus. Wie auch schon gestern und vorgestern und morgen und über­morgen. Gemütlich ist es nicht, unter der Woche, im Hause von Kerstin Decker. Um 6 Uhr klingelt der Wecker, aufstehen, Bro­te schmieren für die drei Kinder, Frühstück richten, und dann stürmt auch schon Tonio, 12, der Sohn aus ihrer ersten Ehe, die Treppe herunter.

Der war ausnahmsweise mal ganz auf Fei­ertag eingestellt und muss sich nun sputen, um die Straßenbahn zu seiner Schule noch zu erreichen. Wenig später ein Küsschen, „bis nachher“, dann verlässt ihr Lebensgefährte das Rei­henhaus und mit ihm Tochter Valerie. Volker Herzberg, Leiter der Online-Redaktion der Leipziger Volkszeitung, bringt die Sie­benjährige mit dem Auto zu einer Privatschule, wo sie bis gegen 15 Uhr lernen, Mittag essen, spielen, Musik und Hausaufgaben machen wird.

Und jetzt, nachdem rasch das Gröbste aufgeräumt und die But­ter im Kühlschrank verstaut ist, nachdem bei Töchterchen Annabel, 2, die Schmusetiere versorgt und die Zähne geputzt sind, wird es auch Zeit für Kerstin Decker, sich mit dem Nesthäkchen auf den Weg in die Kinderkrippe zu machen. „Auf, auf“, treibt sie Annabel an, in der Redaktion der Leipziger Volkszeitung, wo Kerstin Decker für eine Stadtteil-Ausgabe verantwortlich ist, wartet ein Gesprächspartner.

Es ist Mittwochmorgen, und in Leipzig, wie überall im Land, hat für Mütter und Väter das alltägliche Rin­gen begonnen: um Zeit für die Kleinen und Aner­kennung des Chefs, um berufliches Fortkommenund privates Glück, um Erziehung, Einkommen und Ehe. Oft ist es auch ein Ringen um elementare Bedürfnisse, um ein ge­sundes Mittagessen und tragbare Kleidung.


Familie sein in Deutschland heißt auch heute noch in den meisten Fällen: die Mutter kümmert sich um Haushalt und Kin­der, der Vater sorgt fürs Geld zum Leben. Doch der „Mythos Mutter“ bröckelt, Frauen - selbstbewusst und hervorragend ausgebildet - wollen beides: Kind und Karriere; Männer - ge­prägt vom „Balancing“, dem von Unternehmen und Arbeitsfor­schern propagierten Ausgleich zwischen Beruf und Privatem - verbringen immer mehr Zeit mit dem Nachwuchs; die Firmen - geplagt vom Verlust weiblichen Know-hows - sorgen für neue innerbetriebliche Betreuungsmöglichkeiten.

Und die Poli­tik? Die hat nun auch ihr Herz für die Familien entdeckt. Abge­ordnete aller Couleur übertrumpfen sich mit Forderungen nachmehr Geld für Kinder und Eltern, nach Krippenplätzen und Ganztagsschulen, nach Gleichberechtigung für Frauen. Famili­enpolitik ist wieder ein Thema, in der Politik wie in den Medien, wo seit Wochen „Zurück zur Familie“, „Abenteuer Kind“ und „Cabrio statt Kinderkarre“ getitelt wird.


      1. Der Generationenvertrag auf der Kippe


Aufgeschreckt hat sie alle vor wenigen Wochen ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das unmissverständlich deutlich machte: der Generationenvertrag, die Verantwortung der Jun­gen für die Alten und Schwachen, funktioniert nicht mehr. Die Pflegeversicherung, genauso wie die Renten- und große Teile der Krankenversicherung, bauen in Deutschland darauf, dass die Jungen mit ihren Beiträgen die Versorgung der Senioren garantieren.

Doch nun steht dieses Konzept auf der Kippe. Der Grund: Es fehlen die Kinder. Wie in den meisten modernen Gesellschaften geht auch in Deutschland die Schere Zwischen Sterbefällen und Geburten auseinander. Wurden 1964 in Gesamt-Deutschland noch 1,36 Millionen Kinder geboren, waren es 1999 nur noch 771 000. Die Zahl der Todesfälle lag mit 846000 erheblich über der Zahl der Geburten.

Die deutsche Bevölkerung schrumpft aber nicht nur, sie wird auch immer älter - ebenfalls in Europa kein singuläres Faktum. Noch 1997 waren 21,5 Prozent der deutschen Bevölkerung unter 20 Jahren alt, fast ebenso viele waren 60 und älter. Im fahre 2050 dürfte der Anteil der Unter-Zwanzigjährigen auf 15 Prozent gesunken und der der Alten auf 38 bis 40 Prozent gestiegen sein.


        1. Kinderlose und Familien im Wettstreit


Was passieren müsste, um die sozialen Sicherungssysteme in Deutschland vor dem Kollaps zu bewahren, malte der Bielefelder Bevölkerungswissenschaftler Herwig Birg aus. Entweder bringen alle Frauen im gebährfähigen Alter in den kommenden Jahrzehnten im Schnitt nicht mehr nur 1,3, sondern 3,8 Kinder zur Welt. Oder es wandern in den nächsten 50 Jahren rund 188 Millionen junge Ausländer ein.

Oder das Rentenalter steigt lang­fristig auf 73 Jahre. Für die Verfassungsrichter stand angesichts der nicht übermäßig realistischen Alternativen fest, dass die So­zialsysteme einer Generalüberholung bedürfen: Wer Kinder aufzieht und damit die Verantwortung für die Versorger der fol­genden Generation auf sich nimmt, muss in Zukunft von Beiträgen für die Sozialkassen zumindest teilweise befreit sein.

Das wäre schon ein Fortschritt, findet Kerstin Decker. Für sie war klar, dass Sie nach der Geburt ihrer Kinder bald wieder an ihren Arbeitsplatz zurückkehren wollte - weil Sie gerne Re­dakteurin ist, aber auch, weil die Familie auf ihr Gehalt nicht allzu lange verzichten konnte. „Wenn es mehr Erziehungsgeld gäbe, wäre ich nach Annabels Geburt auch noch ein bisschen länger zu Hause geblie­ben“, räumt sie ein.


Auch wenn derzeit in der Republik ein bizarrer Wettstreit darüber ausgebrochen ist, ob sich Familien oder Kinderlose stärker ausgebeutet und sozial benachteiligt fühlen dürfen, fest steht, dass Kinder Geld kosten. Nach Berechnungen des Bundesfamilienminisreriums summieren sich bei einem Ehepaar mit einem Kind die öffentlichen und privaten Aufwendungen bis zum 18. Lebensjahr auf mehr als 715 000 Mark.

Etwa ein Drittel davon trägt der Staat. Zwar zahlen Kinderlose höhere Steuern, doch der meist unvermeidliche Verzicht eines Eltern­teils auf den Job wiegt unterm Strich schwerer. Nach Berechnungen des Statistischen Landesamtes in Baden-Württemberq von 1998 müssen junge Ehepaare mit Kindern „deutliche Einkommensnachteile“ gegenüber Kinderlosen in Kauf nehmen. So hatten kinderlose Paare pro Kopf 2545 Mark netto zur Verfügung.

Familien mit einem Kind kamen auf 1594 Mark, 37 Prozent weniger. Bei zwei Kindern waren es 49 Prozent, bei drei Kindern gar 57 Prozent weniger.


Nachdem die Familien jahrelang von der Politik eher stief-mütterlich behandelt wurden, erhöhte die rot-grüne Regierung nach dem Regierungswechsel 1998 das Kindergeld zunächst in zwei Stufen von 220 auf 270 Mark. Die Einkommensgrenzen für das Erziehungsgeld von monatlich 600 Mark für die ersten beiden Lebensjahre des Kindes wurden deutlich angehoben. Anfang 2002 steht die nächste Kmdergelderhöhung um weitere 30 Mark für das erste und zweite Kind an.

Zudem können nun berufsbedingte Betreuungskosten steuerlich geltend gemacht werden, und die steuerliche Absetzbarkeit von Betreuungs- und Ausbildungskosten wurde erweitert. „Wir sind auf dem richti­gen Weg", sagt Bundesfamilienministerin Christine Bergmann (SPD), doch weiß sie, dass kein Paar für Nachwuchs sorgt, nur weil es pro Kind 30 Mark mehr zum Ausgeben hat.


        1. Mangelnde Betreuungsmöglichkeiten


Wir müssen alles dafür tun, damit die Übernahme von Eltern-verantwortung vereinbar ist mit anderen Wünschen zur Lebensgestaltung“, sagt Ministerin Bergmann und meint vor allem die Kombination von Beruf und Familie, „eine der großen gesellschaftlichen Zukunftsaufgaben“. Die Bundesregierung hat des­halb schon bald nach Regierungsantritt entsprechende Initia­tiven ergriffen: So können Eltern seit 1. Januar 2001 die „Elternzeit“, wie der Erziehungsurlaub seitdem heißt, gemein­sam in Anspruch nehmen und gleichzeitig auf Teilzeitarbeit bis zu 30 Wochenstunden umsteigen.

Vor allem in den alten Bundesländern ist das öffentliche Betreuungsangebot äußerst dürftig. Meist kommen dort die Schulkinder um die Mittagszeit hungrig nach Hause. Dabei wünschen sich 50 Prozent der El­tern für ihren Nachwuchs eine Ganztagsbetreuung


Kerstin Decker kann sich glücklich schätzen, im Osten Deutschlands zu leben. Hier profitieren die Frauen vom noch immer dichten Netz an Krippen, Kindergärten und Horten, das in der DDR geknüpft worden war, um Frauen in die Arbeitswelt zu integrieren und die systemkonforme Erziehung des sozialistischen Nachwuchses zu gewährleisten. Natürlich wünscht sich niemand die Verhältnisse in den sozialistischen Kinderkrippen, geprägt von staatlichen Plänen und autoritärer Pädagogik, zurück.

„Aber wir sind froh, dass wir diese Angebote haben“, sagt Kerstin Decker, „und nutzen sie auch“.


Zwar beschleicht sie bisweilen das „schlechte Gewissen, dass eines zu kurz kommt: der Job oder die Kinder.“ Kerstin Decker will dennoch auf keines verzichten und weiß sich durchaus in einer von vielen beneideten Stellung. Mit der guten Betreuungssituation, die zwei Jobs und zwei Gehälter ermög­licht - und mit zwei Elternteilen - gehört ihre Familie nicht zu den Unterprivilegierten im Land.

Viel härter trifft es da die stei­gende Zahl der allein Erziehenden, vor allem die Mütter. Sieweisen mit Abstand die höchsten Sozialhilfequoten auf. Jede dritte Frau, die ohne Partner zwei Kinder versorgt, bezieht Hilfe zum lebensunterhalt. Von den drei Millio­nen Sozialhilfeempfängern ist inzwischen jeder dritte unter 18 Jah­ren alt. Immer mehr Kinder und Jugendliche werden als „arm" einge­stuft, und immer häufiger werden sie zum Armutsrisiko.

Die jungen Deutschen ficht die Statistik nicht an. Die Zahl derer, die Familie als „sehr wichtig“ einstufen, liegt bei rund 80 Prozent. Gar 90 Prozent der Jugendlichen träumen davon, spä­ter zu heiraten, und Frauen unter 20 Jahren möchten im Schnitt noch immer zwei Kinder haben. Doch die Realität hinkt hinterher: Zwar ist die Ehe nach wie vor die weit­aus beliebteste Form des menschlichen Zu­sammenlebens.


        1. Chancengleichheit für Frauen und Männer


In manchen Unternehmen scheint die Botschaft angekommen zu sein. Im inzwischen globalen „war for talents“, dem Kampf um die besten Köpfe, haben die Manager die Frauen entdeckt. „Noch nie gab es so gut qualifizierte Frauen wie heute“, sagt Familienministerin Bergmann. Frauen von der Erwerbstätigkeit auszuschließen, sei deshalb „eine Verschleuderung menschli­cher Ressourcen", ergänzt ihre Parteifreundin Renate Schmidt.

Die Lufthansa etwa hat die Palette der Arbeitszeitmodelle um Teil- und Gleitzeit. Telearbeil. Jahresarbeitszeit und Sabbaticals erheblich erweitert. Alle Angebote richten sich an Männer wie Frauen. „Wer sich so genau über­legt, wie er arbeiten will, ist meist hoch motiviert und will beweisen, dass es klappt“, sagt Gerhard Weiß. Beauftragter für Chancengleichheit. Für den Luftfahrt-Konzern bedeutet Chancengleichheit, dass Frauen und Männer sowohl gute Mütter und Vä­ter wie erfolgreiche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sein können.

Dass es einen Zusammenhang gibt zwischen der Geburtenrate eines Landes und der Erwerbsbeteiligung von Frauen verdeutlicht ein Blick in die Nach­barländer. Deutschland weist mit 1,37 Prozent eine der niedrigsten Geburtenraten innerhalb der EU und mit 65 Prozent eine niedrige Frwerbsbeteiligung von Frauen auf. In Frankreich etwa, wo Ganztagsbetreuung von der Vorschule bis zum Abitur garantiert ist, sind 79 Prozent der Frauen zwischen 25 und 49 Jahren berufs­tätig, erstaunliche 45 Prozent der Mütter von drei Kindern haben einen Job.

Wie also lässt sich vermeiden, dass sich Deutschland allmählich in eine Gesellschaft ohne Kinder verwandelt? Fest steht: Die Zu­kunft der Familie ist unmittelbar mit der Zu­kunft der Arbeit verknüpft. „Wenn Men­schen gezwungen sind, zwischen einem glücklichen Familien­leben und einer erfolgreichen Karriere zu wählen, haben wir alle von vornherein verloren“, sagt Bundeskanzler Gerhard Schröder.

Nur wer die zeitlichen und finanziellen Ressourcen hat, um Beruf und Baby miteinander zu vereinbaren, wird sich nicht für das eine oder das andere entscheiden. Es kann in Zukunft nicht mehr darum gehen, ein zeitliches Nacheinander von Familie und Beruf zu organisieren, vielmehr ist ein zeitli­ches Nebeneinander gefragt. Zudem gilt es, sich intensiver mit dem Thema „Mann und Familie“ und der traditionellen Rollen­verteilung zu befassen.

Noch immer sind Frauen dreimal länger als Männer im Haushalt und mit den Kindern beschäftigt.

Dazu kommt, was Soziologen als Patchwork-Biographien beschreiben. Der Lebensweg verläuft immer seltener linear von der Ausbildung über die Erwerbsarbeit bis hin zum Ruhestand bei Frauen nur unterbrochen durch die Familienzeit. Die In­dividualisierung der Gesellschaft, die Verschiebung der Werte und der Wandel der Arbeitswelt mit der Notwendigkeit lebens1angen Lernens führen zu Biographien mit Brüchen, in denen sich Ausbildung, Erwerbsarbeit, ehrenamtliches Engagement, Familie, Weiterbildung und Sabbaticals ständig abwechseln.

Auf den Stress könnte sie verzich­ten, auf die Kinder niemals. „Bei der Arbeit kann dich eigentlich immer jemand ersetzen. Nur bei den Kindern, da hast du das Gefühl, dass du wirklich gebraucht wirst.“


  • Die „Groβfamilie“

    Kerstin Decker, 39 (Redakteurin)

    Volker Herzberg, 36 (Ohnline – Redakteur)

    Tonio (12), Valerie (7) und Annabel (2)

    aus Leipzig


    Mit zwei Gehältern kommt die fünfköpfige Familie von Kerstin Decker und Volker Herzberg ganz gut über die Runden. Doch große Sprünge sind nicht drin. Kleidung und Essen, hier ein neuer Schulranzen, da ein neues Fahrrad, dazu die Zeit, die die Eltern über die Jahre in die Betreuung der Sprösslinge fürs Windelwechseln, Wäschewaschen oder Essenzubereiten investieren: Rund

    900 000 Mark, so haben Experten im Wissenschaft­lichen Beirat des Bundesfamilienministeriums ausgerechnet, entspricht der Erziehungsaufwand für ein Ehepaar mit drei Kindern, bis sie 18 Jahre alt sind. Noch einmal 700 000 Mark zahlt der Staat in Form von Kindergeld oder Steuerfreibetrag.




  • Die “Ein-Eltern-Familie“

                  1. Joanna Payar, 23 (Schülerin), Edda (2) aus Stuttgart


    Die kleine Edda feiert demnächst ihren 3. Geburtstag, und im September beginnt für sie mit dem Kindergarten ein neuer Lebens­abschnitt. Dann kann Mutter Joanna ein bisschen mehr Zeit fürs Lernen erübrigen, hat sie sich doch vorgenommen, das Abitur nachzuholen, um so ihre Chancen auf einen späteren Arbeitsplatz zu verbessern. Die allein Erziehende hält den dreijährigen Erziehungsurlaub bisweilen für kontraproduktiv: „Wer so lange raus aus dem Job


    ist, hat es schwer wieder zurückzukommen“, glaubt sie und spricht sich für bessere Betreuungsmöglichkeiten, vor allem auch in den Firmen, aus. Joanna genießt jede Minute mit Edda, doch als allein Erziehende steht sie rund um die Uhr für ihre Tochter in der Verantwortung. Ausgehen und Freunde treffen? Am Wochenende, wenn Edda bei ihrem Vater ist.


              1. Die “Vater-daheim-Familie”

    Annedore Smith, 49 (Journalistin)

    Nigel Smith, 62 (Toningenieur im Ruhestand)

    Stefan (15) aus Oberursel



    On Oberursel, am Rande der Bankenstadt, besucht Stefan nun die 10. Klasse der Internationalen Schule. Nigels Rente geht für das Schulgeld drauf. Das schmerzt, doch Annedore Smith denkt “britisch”: “In England legt man sich krumm für die Schulausbildung”. Bessere Betreuungsmöglichkeiten sollte es auch in Deutschland geben, meinen die Smiths. Doch jede Familie müsse entscheiden, ob auch ihre Kinder davon profitierte.

    Michael Zipf ist Redakteur der Zeitschrift „Deutschland"

    Deutschland, N 4, 2001


    Keine Lust auf Kinder?

    Die Deutschen werden immer älter,

    aber der Nachwuchs fehlt


    Steigende Lebenserwartung, geringe Geburtenraten: Der demographische Wandel gehört zu den tiefstgreifen­den gesellschaftlichen Veränderungen im ausgehenden 20. Jahrhundert. Die Folgen für die Erwerbsgesellschaft und die sozialen Sicherungssysteme sind für Bevölkerungswissenschaftler schon deutlich absehbar.

    Die deutsche Bevölkerung zählt am Ausgang des 2O. Jahrhunderts 82Millionen Menschen und nimmt damit unter den regi­strierten Staaten und Territorien den zwölften Platz in der nach Bevölkerungsgrößen geordneten Rangliste ein. Sie weist aber innerhalb Europas Besonderheiten und Problemla­gen auf, was die Altersstruktur, das Verhältnis von Geburten und Sterbefällen und das Wunderungsgeschehen be­trifft.

    Deutschland hält seit einem Vierteljahrhundert eines der niedrigsten Geburtenniveaus, so dass sich seit 1973 jährliche Geborenendefizite zur realen Abnahme der deutschen Wohnbevölkerung häufen.

    • Die Geborenendefizite verstärken den Anteil der älteren Jahrgänge an der Gesamtbevölkerung und verschiebenim Verhältnis von Jung zu Alt die Gewichte zu den Altenjahrgängen hin.

    • Das „Bismarcksche Sozialsystem“ unterstellte eine ausreichende Zahl von Menschen im erwerbsfähigen Alter und im beitragspflichtigen Arbeitsverhältnis, die eine geringere Zahl von Menschen in abhängigen Lebensphasen der Jugend und besonders des Alters unterhalten. Sobald Geborenendefizite die Reihen der Aktiven lich­ten, Arbeitslosigkeit das Beitragsaufkommen der Sozialversicherungssysteme mindert und die Altenjahrgänge anteilsmäβig wachsen, geht dieser Generationenvertrag
      in eine schwierige Phase.

    • Deutschland registriert eine stete Zuwan­derung von Menschen aus dem Ausland auf recht unterschiedlicher administrativer Grundlage. Die Netto-Zuwanderung, das ist der Saldo von Zu-und Abwanderung, kann um die 400 000 jährlich schwanken. Sie verdankt sich keiner Anwerbung von „Gastarbeitern“ mehr, wie noch in den 60er und frühen 70er Jahren, sondern ge­setzlichen Bestimmungen, die den An­kömmlingen entweder Aufenthalt oder ein aufenthaltsbegründendes Verfahren garan­tieren.

    Ursprünglich hatte die deutsche Bevölkerungsentwicklung den für westlich-europäische Länder typischen Verlauf genommen. Die groβen gesellschaftlichen Umwälzungen des 19. Jahrhunderts und die Zeit bis zur Weltwirtschaftskrise Ende der 20-er Jahre brachten eine Verdoppelung der Menschenzahl im Deutschen Reich mit 64 Millionen Einwohnern 1930 (gegenüber 32 Millionen um 1811 bezogen auf denselben Gebietsstand).

    Doch scheint ein Rückblick auf die wechselvolle Bevölkerungsgeschichte Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg nützlich, die noch vor der Teilung des Landes mit der Aufnahme von zwölf Millionen deutschen Flüchtlingen aus östlichen Siedlungsgebieten begann.

    Die Teilung Deutschlands belieβ 1950 in den Westzonen (Bundesrepublik Deutschland) 50 Millionen und der damaligen Sowjetzone (Deutsche Demokratische Repu­blik) 18 Millionen Menschen. Mit dem Mauerbau 1961 wollte die DDR die Massenflucht ihrer Bewohner in die aufblühende Bundesrepublik stoppen. Bis zur Wieder­vereinigung wuchs Westdeutschland auf 61 Millionen Mensehen an, die DDR zählte etwas über 17 Millionen Menschen.

    Die Folgen für die Bevölkerungsentwick­lung waren verblüffend. Zuerst beteiligten sich die Deutsehen am „Baby-Boom“; von Ende der 50er bis Mitte der 60er Jahre gab es eine Heirats- und Nachwuchswelle in allen westlichen Industrienationen, die in den USA besonders stark ausgeprägt war und von dort auch den Namen bezog für die vielen geschlossenen Jungehen mit drei bis vier Kindern.

    In Deutschland war der Baby-Boom zwar nicht ganz so stark ausge­prägt wie in den USA, trotzdem ging die Geburtenziffer (18 auf Tausend der Bevöl­kerung) steil nach oben. Damit hatte West­deutschland zumindest zwischen I960 und 1965 an die 20er Jahre angeknüpft, die zu­letzt solche Geburtenzahlen aufwiesen: et­was mehr als zwei Kinder pro Frau, was demographisch ausreicht, die Elterngeneration zu ersetzen und eine Bevölkerungszahl zu stabilisieren.

    Dieser „Baby-Boom" ist sicher auf den Op­timismus und die Wirtschaftserfolge der Nachkriegsjahre zurückzuführen, die auch in den unteren sozialen Schichten in einem Umfang wie nie zuvor angekommen waren und den Lebensstil deutlich anhoben. Die Geburtenzahlen erreichten 1964 mit über einer Million die Spitze. Es gehört zu den rätselhaften Bewegungen. Was hier die „Fertilität“ nun in den Folgejahren vollführte.


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