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Fachbereichsarbeit

Formen der Gewalt im Ersten Weltkrieg

7.118 / ~28 sternsternsternsternstern Christoph M. . 2016
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Fachbereichsarbeit
Geschichte / Historik

Carl von Ossietzky Gymnasium Berlin

1, Herr Hagemann, 2014

Christoph M. ©
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sternsternsternsternstern
ID# 56957







Formen der Gewalt im Ersten Weltkrieg


Inhaltsverzeichnis


Nummer

Titel

Seite

1

Einleitung

2

2

Hauptteil


2.1

Verlauf des Krieges und Formen

3

2.2

Untersuchung der Dimensionen der Gewalt anhand von sechs Feldpostbriefen

7

2.3

Vergleich der Eindrücke deutscher und französischer Soldaten

11

3

Schlussteil

15

4

Literaturverzeichnis

16

5

Anhang

17

1 Einleitung


“Ein millionenstimmiger Schrei, ein Aufruhr- und Klagelied, gesungen von Millionen metallischen Feuerzungen.“ (Johannes R. Becher, S. 10)

Mit diesem Zitat beschreibt der Schriftsteller Johannes R. Becher das Grauen des Ersten Weltkrieges, der am 28. Juli 1914 erwachen und eine neue Ära der Kriegsführung einläuten sollte. Erst hundert Jahre ist es her, doch der Erste Weltkrieg spielt in der Weltgeschichte noch immer eine zentrale Rolle. Dieser Krieg war der erste moderne Krieg, der gravierende Opferzahlen forderte und der Auswirkungen freisetzte, die noch heute zu spüren sind.

Heute basiert beispielsweise die politische und religiöse Landkarte des nahen Ostens auf dem Sykes-Picot-Abkommen zwischen Frankreich und Großbritannien, das 1916 verabschiedet wurde. Dieser erste moderne Krieg wurde auf dem Rücken der Soldaten und Zivilbevölkerung ausgetragen, 17 Millionen Menschenleben wurden durch eine Vielzahl von neuen Waffen, Vorgehensweisen und Taktiken ausgelöscht, wie beispielsweise der Einsatz von Giftgas und Flammenwerfern.

Doch nicht nur diese neuen Vernichtungsmethoden zermürbten die Soldaten an der Front, erstmals in der Kriegsgeschichte kam es zum Grabenkrieg, der die Soldaten zerrieb. In den Gräben erlitten sie furchtbare körperliche Schädigungen, wer körperlich unversehrt blieb, wurde psychisch getroffen. Doch worin bestanden diese Schädigungen? Wer wurde alles geschädigt? Was bedeutete der Einsatz von neuen Vernichtungsmethoden für die Soldaten? Und was haben wir heutzutage daraus gelernt? Zur Beantwortung all dieser Fragen werde ich als erstes den Verlauf und die Phasen des Ersten Weltkrieges darstellen, denn nur durch die geographische und zeitliche Einordnung kann man die Übel des Krieges richtig verstehen.

Zugleich werde ich erklären, worum es sich bei körperlicher und psychischer Gewalt handelt und worum sie beide eine so wichtige Rolle im Ersten Weltkrieg spielten. Im zweiten Teil des Hauptteils werde ich deutsche und französische Feldpostbriefe analysieren, um mehr Erkenntnisse über das Leben von Frontsoldaten und Soldaten in Lagerhaft zu gewinnen und um das Leiden besser zu verstehen.

Im dritten Teil werde ich dann diese Gewalt auf der deutschen Seite mit der der französischen Seite in Verbindung bringen, ich werde es vergleichen und beide Perspektiven zu verstehen versuchen. Im Ergebnisteil schließlich werde ich das vorherige zusammenfassen und resümieren. Außerdem werde ich die Fragestellung, wie sich die körperliche und psychische Gewalt im Ersten Weltkrieg äußert und wie sie von den Soldaten aufgenommen und verarbeitet wird, beantworten.


2. Hauptteil


2.1 Verlauf des Krieges und Formen der Gewalt


Am Anfang des 20. Jahrhunderts gab sich das Deutsche Kaiserreich unter der Führung von Wilhelm dem II. sehr aggressiv in der Außenpolitik, da Deutschland zu wenig Macht besaß und, laut Wilhelm dem II., mehr Macht bekommen sollte. Auf dieses sehr aggressive Auftreten reagierten Frankreich und Großbritannien 1904 mit der Entente Cordiale, einem Bündnis, ein Jahr später verbündete sich Großbritannien mit Russland.

Auf der anderen Seite verbündete sich das Deutsche Kaiserreich mit Österreich-Ungarn. Im Juni 1914 kam es dann zu einem fatalen Attentat auf den österreichischen Thronfolger Franz Ferdinand in Sarajevo in Bosnien, später fand man heraus, dass Serben für das Attentat verantwortlich waren. Als Konsequenz dafür erklärte Österreich-Ungarn Serbien auf Drängen des Deutschen Kaiserreiches hin den Krieg.

Serbien war jedoch mit Russland verbündet, welches mit Großbritannien verbündet war, welches wiederum mit Frankreich verbündet war. Nacheinander erklärten sich beide Parteien den Krieg, was zum größten bis dahin dagewesenen Konflikt führte: Dem Ersten Weltkrieg.

Der Krieg lässt sich in vier Phasen unterteilen, die erste bezeichnet den Bewegungskrieg im Herbst 1914 in dem die Mittelmächte, also das Deutsche Reich, Österreich-Ungarn und deren Verbündete, auf Grund einer Unterlegenheit gegenüber den Alliierten schnell in die feindlichen Länder vorstoßen wollten. Die zweite Phase wird als Stellungskrieg betitelt, welcher von wahren Materialschlachten und Erschöpfungsstrategien geprägt ist.

Diese zweite Phase endet mit Eintritt der dritten Phase, dem uneingeschränkten U-Bootkrieg und dem Eintritt der USA in den Krieg, welche 1917 beginnt. Die vierte und letzte Phase, beginnend 1918, zeichnet sich durch Entscheidungskämpfe, Waffenstillstandsverhandlungen und Friedensbemühungen aus.

Mit Kriegsbeginn waren sich die Mittelmächte der wirtschaftlichen und militärischen Überlegenheit der Alliierten bewusst, die Alliierten verfügten über 5,8 Millionen Soldaten, während die Mittelmächte nur über 3,5 Millionen verfügten. Somit wurde die einzige Siegeschance in einem schnell geführten Bewegungskrieg gesehen. Dieser Plan wurde gemäß des Schlieffenplans im Sommer 1914 mit dem Frankreichfeldzug durchgeführt, Belgien wurde an nur 10 Tagen durchschritten.

Die Westfront wurde massiv verstärkt, im Osten wurden weniger Truppen eingesetzt, da der Ostfront nur gesichert werden sollte. Somit gelang ein Vorstoß bis an die Marne. Dort zeigte sich, dass der Schlieffenplan scheiterte, denn eine starke Gegenoffensive der Briten und Franzosen führte zu der Marneschlacht vom 5. bis 12. September. Zwischen der ersten und zweiten deutschen Kompanie entstand eine bedrohliche Lücke, welche die Mittelmächte zum Rückzug zwang.

Nun setzte der „Wettlauf zum Meer“ ein, bei dem beide Seiten versuchten, die andere Seite durch Ausholen zur Kanalküste zu erzwingen. Dieser Wettstreit endete jedoch ohne Ergebnis, mit dem weiteren Scheitern der deutschen Armee und der Yper und vor Ypern im September bis November 1914 kam der Bewegungskrieg zum Stocken, er erstarrte, schließlich befanden sich beide Seiten im zermürbenden und lange anhaltenden Stellungskrieg.

So existierte im Oktober 1915 eine geschlossene Front die aus schweren Befestigungen bestand, welche sich auf der einen Seite von der Nordseeküste bis zu den Alpen zog, im Osten zog sie sich von Riga bis hin zu Rumänien. Die folgenden Jahre waren geprägt von Versuchen, die Front wieder in Bewegung zu bringen, es kam zu Materialschlachten, in denen Massen von Menschen und Material versuchten, die Befestigungen zu durchbrechen.

So kam es im Juni bis zum November 1916 zu einer der größten Materialschlachten, es kam zu der alliierten Offensive an der Somme, die keinen Gewinn brachte, aber insgesamt eine Million Menschenleben kostete. Eine Schlacht von ähnlichem Ausmaße war die Großoffensive Deutschlands auf die französische Festung Verdun vom Februar bis Ende Juni 1916, welche aber auch keinen Gewinn brachte.

Die drohende Niederlage der Mittelmächte zeigte sich schon in diesem Jahr durch russische Vorstöße. Am 21. Dezember 1916 ersuchte Deutschland die Alliierten um Frieden, jedoch wurde das Friedensgesuch abgelehnt. Durch die Britische Seeblockade konnte die deutsche Flotte nichts ausrichten, da immer die Möglichkeit eines Hinterhaltes bestand, somit wurde der schon 1915 geführte, dann aber durch Drohungen der USA abgebrochene uneingeschränkte U-Bootkrieg wieder aufgenommen, welcher die USA am 6. April 1917 zum Kriegseintritt veranlasste.

Daraufhin floh Wilhelm der II. Der finale Zusammenbruch begann dann am 28. Oktober 1918 mit der Verweigerung von Matrosen in Wilhelmshaven, welche sich auf ganz Deutschland ausdehnte. Von da an dauerte es nicht mehr lange bis zum Ende des Krieges, am 9. November 1918 kündigte Prinz Max von Baden eigenmächtig den Thronverzicht von Wilhelm dem II., somit übertrug er das Reichskanzleramt an Friedrich Ebert, den Vorsitzenden der SPD.

Am gleichen Tage um 14 Uhr rief Philip Scheidemann die Republik aus. Zwei Tage später, am 11. November 1918 wurde das einer bedingungslosen Kapitulation gleichkommende Waffenstillstandsabkommen von Matthias Erzberger, dem Zentrumspolitiker, unterzeichnet. Die Pariser Friedensverträge sowie der Versailler Vertrag besiegelten endgültig den Ersten Weltkrieg und zogen einen Schlussstrich.


Dieser Krieg war geprägt von unmenschlicher Gewalt, doch worin bestand diese?

Diese Gewalt kann man unterteilen in körperliche und psychische Gewalt, die Soldaten, ob an der Front oder in Gefangenenlagern, wurden von außen und von innen heraus zerfressen, jedoch bestand ein enger Zusammenhang zwischen beiden Arten der Gewalt. Um diese Dimension der Gewalt und des Sterbens zu erfassen, muss man sich zu Allererst der Zahl der Toten zuwenden.

Insgesamt forderte die Gewalt 17 Millionen Opfer, auf 1000 Soldaten kamen 34 Getötete. Dies scheint eine geringe Quote zu sein, sie erscheint aber plausibel, wenn man die Massen an Soldaten und Material bedenkt, welche eingesetzt wurden. Eben jenes Material förderte die unmenschliche körperliche Gewalt. So wurden fassbare Waffen wie Artillerie, andere Schusswaffen und auch Klingen eingesetzt, aber auch nicht fassbare Waffen wie Giftgas trugen zur Gewalt bei.

Dieses Gas war eher eine Ausnahme, so wurden nur 3% der Soldaten durch Giftgas geschädigt, jedoch griff es auch durch seine Unfassbarkeit und Unsichtbarkeit die Psyche der Soldaten an. Die Artillerie, welche massenhaft eingesetzt wurde trug zu beiden Lagern der Gewalt, also psychischer und körperlicher, bei. Warum sie hauptsächlich für Verletzungen und Tode verantwortlich war, zeigt ihre nicht gezielte, sondern eher massenhaft gestreute Anwendung.

Ein Soldat wurde nicht nur wie bei Gewehren verwundet, wenn ihn die Kugel direkt traf, durch die Explosions- und Splitterwirkung musste er nur in der Nähe stehen, um verwundet zu werden. Es genügte also ein paar Meter neben ihn zu treffen, wenn der Soldat Pech hatte, wurde er von Splittern regelrecht durchsiebt. Diese flächendeckende Zerstörung hatte aber auch psychische Wirkungen auf die Opfer zu Folge.

Eine ähnliche Wirkung erreichte auch das Gas. Es war ebenfalls eine Sache, schlimmer noch, es war unsichtbar, somit provozierte es Panik bei den Angegriffenen. Man sieht also, dass die kriegerische Gewalt nicht nur den Leib eines Soldaten zerstörte, sondern auch seinen Geist und seine persönliche Integrität.

Über die Wirkung des Gases schreibt Johannes R. Becher: „Es war wie eine Gespensterlandschaft, durch die man jetzt schritt. Merkwürdig verfärbte Menschengesichter glotzten einem entgegen. Bis zum Hals in Schlamm getunkt. Die Augen doppelt so groß wie bei Lebenden. Die Stahlhelme weit ins Genick zurückgeschoben oder tief im Gesicht. Schaum um die Münder.“ Daran kann man erkennen, dass die Anwendung von Gas auch Auswirkungen auf die Anwender hat, denn das Durchschreiten einer solchen „Geisterlandschaft“ frisst sich in Jedermanns Psyche.


2.2 Untersuchung der Dimensionen der Gewalt anhand von 6 Feldpostbriefen


In diesem Teil möchte ich anhand von sechs Feldpostbriefen, drei deutsche und drei französische, die Reaktionen der Soldaten auf diese Gewalt, die Verarbeitung und Beschreibung herausarbeiten, damit ich mir ein besseres Bild über die Dimensionen der Gewalt und des Tötens machen kann. Unter diesen Soldaten sind 17 Jährige und 30 Jährige, somit ist eine genügend große Alterspanne vorhanden.

An diesen Teil anschließend werde ich die deutsche und die französische Seite vergleichen, um eine Bilanz über das Ausmaß, Erleben und die Folgen der Gewalt an der Westfront zu ziehen.

Der erste Brief stammt vom 23. Juli 1916 vom 17 Jahre alten Karl Brunner. Er beschreibt den Alltag im Schützengraben, insbesondere schreibt er über die Schäden, die die Artillerie anrichtet. Dabei bestätigt er meine Aussage, dass die Artillerie in extremen Masse eingesetzt wurde: „[…], fingen die Engländer an, uns mit 15er Granaten förmlich zuzudecken.“. Er beschreibt dabei sehr genau, wie andere Soldaten verschüttet wurden, und dass der Versuch des Ausgrabens sinnlos ist.

Allgemein kann man sagen, dass Brunner das Geschehen eher nüchtern schildert, nur ein paar Mal betont er das Grauen.

Der Gefreite Karl Fritz, der aus Verdun im August 1916 nach Hause schreibt, schildert eher das Grauen und die Toten. Er beschreibt im ersten Satz, dass er „[…], dem Tod ins Auge sehend, ihn jeden Augenblick erwartend.“ in den Granatlöchern liegt, er schreibt auffallend viel über die Toten. Anscheinend hat er schon alle Hoffnung fahren lassen. Er schreibt außerdem zwei Mal über den „[…] entsetzliche[n] Leichengestank“ und stellt das Schlachtfeld als ein Feld voller Toter da, was auch richtig ist, bei Verdun starben in weniger als einem Jahr 320.000 Soldaten.

Diese Eindrücke, die Beschreibung der anderen Soldaten, dass sie „bleich und verzehrt“ aussehen, spiegeln wieder, wie Soldaten während der Schlacht um Verdun wie Kanonenfutter „verheizt“ wurden. Durch dieses Elend, den ständigen Leichengestank, die abertausenden von Toten sind die Soldaten in sich selbst gekehrt, hoffnungslos, „gebetet hat jeder für sich“. Durch die ständige Todesgefahr und die schrecklichen Erfahrungen mussten sich die Soldaten einen Panzer schmieden, in den sie sich zurückziehen konnten, um ihr Psyche zu schützen.

Der 30 Jahre alte Erich Sidow beschreibt am 17. August 1918 seiner Frau seine ersten Kriegserlebnisse. Hierbei wird meine Annahme des massenhaften Einsatzes von Artillerie wieder bestätigt. Sidow, der offenbar grade erst an die Front kam, kann die erlebten Schrecken nicht glauben, beziehungsweise verarbeiten. Er wiederholt mehrmals, dass er jetzt sterben würde, was seine Todesangst ausdrückt.

Auch erzählt er, dass die Soldaten bei Artilleriebeschuss und der daraufhin folgenden Verschüttung oftmals nur das nackte Leben retten können. Diese Geschehnisse beschreibt er sehr detailreich, wie einen Tagebucheintrag. „Die Leichtverwundeten schleppten sich selbst fort, die Heilen trugen die zum Krüppel geschossenen rückwärts.“ Dies zeugt vom Rückzug der Soldaten, es ist das Jahr 1918, welches von Entscheidungskämpfen und somit Rückzügen geprägt ist.

Im weiteren Verlauf des Briefes beschreibt Sidow das Leben an der Front: „Schmutzig am ganzen Körper, das Gesicht mit Schrammen bedeckt, der Bart wer weiß wie lange gewachsen, die Kleider zerrissen. Mein Eßnapf ist eine alte Konservenbüchse, meinen Trinkbecher habe ich auf dem Müllhaufen, meinen Löffel auf der Landstraße gefunden […]“. Damit bestätigt er die unglaublich schlechten Bedingungen des Kampfes an der Front, die ebenso zu zahlreichen Toten führten.

Doch er erkennt selber, dass das wahre, furchtbare Leiden des Kampfsoldaten nicht in Worte gefasst werden kann, denn niemand kann sich ein Bild davon machen, der den Ersten Weltkrieg nicht selber miterlebt hat.

Die erste französische Quelle stammt vom 25 Jahre alten Etienne Tanty, der am 28.Januar 1915 nach Hause schreibt. Sein Brief und seine Eindrücke sind gezeichnet von Hoffnungslosigkeit, Sinnlosigkeit und Angst. Schon in diesen frühen Kriegsjahren erkennt Etienne Tanty, dass der Krieg ein sinnloser ist, die Kampfhandlungen beschreibt er als „ungeheuere Dummheit“. Er erkennt, dass es den deutschen Soldaten nicht andersgeht: „Sie sind wie wir und das Unglück ist für alle gleich…“. Tanty beschreibt außerdem die psychologische Wirkung des Krieges auf die Soldaten, „Wir verkommen zu Tieren, […], ich werde gleichgültig, […]“. Er läuft ziellos umher, der Krieg hat ihm jedes Ziel und jede Hoffnung genommen, benommen taumelt er durch die Gegend wie jemand, dem all sein Glauben, seine Orientierung und seine Menschlichkeit genommen wurden.

In der zweiten französischen Quelle schildert der Soldat Maurice Drans die Sinnlosigkeit des Ersten Weltkrieges. Sein Brief ist kurz, dafür umso schonungsloser. Er beginnt gleich damit, dass er die „Kreuzeszeichen aus dem Jenseits gesehen.“ hat, den Tod gesehen hat. Er beschreibt einen „unbedeckten Friedhof[s], ohne Kreuze, von Menschen verlassen, ohne Gräber, ein aufgewühltes Massengrab, worin die Würmer bei dem unaufhörlichen Regen der Granaten wimmelten.“. Daraus geht hervor, wie entsetzt er vom Anblick der tausenden Toten ist, er beschreibt die Leichname als zerstückelt, wahrscheinlich von Granaten.

Er erkennt schonungslos die Tatsache, dass Freund und Feind im Moment des Todes gleich sind. „Es umarmen sich diese vergewaltigten, nackten, verworrenen Leiber.“. Die Menschen werden zusammen in Stücke geschossen und gesprengt, Franzosen und Deutsche verwesen miteinander. Maurice Drans beschreibt das Bild eines Krieges, der für keine Seit glorreich ist, jede Seite versinkt in „dieser von Wahnsinn heimgesuchten Ebene […]“. Gleichsam erkennt er die Sinnlosigkeit des Krieges und des Aufsammelns der Leichen, da man sonst genauso sterben würde.

Der Soldat Maurice Maréchal schreibt am 27. September 1914 nach Hause, er zeigt sich bitter und enttäuscht vom Krieg. Er beschreibt den Krieg als „langwierig und monoton und deprimierend […]“, wehmütig erinnert er sich an 1870 zurück, wo man sich Kämpfe Mann gegen Mann lieferte. Gegenteilig zum Krieg von 1870 beschreibt er den Ersten Weltkrieg als einen Krieg der aktionslos, energielos und ohne wirklichen gemeinsamen Einsatz verläuft.

Damit deckt sich sein Empfinden mit dem deutscher Soldaten, die sich am Anfang noch auf den Krieg, auf die ehrenhaften Schlachten für das Vaterland freuten. Die Aufgaben eines Infanteristen fasst er mit „Sich so gut wie möglich nicht von der Artillerie töten lassen.“ zusammen. Bitter erkennt er, dass jegliches Heldentum vom Schlachtfeld entwichen ist, geblieben ist das endlose Verstecken in den Schützengräben.

Man erkennt, dass Maurice Maréchal seinem Vaterland dienen wollte, er wollte etwas Nützliches verbringen und die Niederlage im deutsch-französischen Krieg rächen, stattdessenn geht es darum, sich zu verstecken und abzuwarten. Diese Erkenntnis, dass sich die Rolle des Soldaten verändert hat und kein Heldentum mehr übrig ist, dass die Technik, also die Artillerie die Oberhand gewonnen hat, trifft ihn tief. „Wir waren tatenlos“



Zunächst kann festgestellt werden, dass der Erste Weltkrieg ein Krieg war, der mit ungeheurer Wucht traf. Er traf alle Seiten und diese Erkenntnis lässt sich aus den Schilderungen der Soldaten treffen. Keiner wurde verschont, keine Seite ausgelassen, jeder wurde gleichsam getroffen. Dies ist kein Wunder, da die Soldaten meist keine 500 Meter auseinander in den Gräben hockten.

Die Gleichheit der Soldaten erkennt auch der französische Soldat Etienne Tanty: „Sie sind wie wir und das Unglück ist für alle gleich…“. Jeder Soldat hatte mit den gleichen Übeln zu kämpfen, sei es deutscher oder französischer Soldat, denn jede Seite besaß die gleichen Mittel. Es gab keine technologische Überlegenheit einer Seite, später im Krieg zeigte sich nur eine Überlegenheit der Alliierten, da sie viel mehr Material aufbringen konnten.

Auch wenn somit gleiche Voraussetzungen für jeden gegeben waren, erlebten und verarbeiteten die Soldaten den Krieg sehr unterschiedlich, was zum einen von den Persönlichkeiten, zum anderen aber auch von der Phase des Krieges anhingt. So beschreiben manche Soldaten den Krieg schonungslos, detailreich, während man ihre Briefe liest, erschrickt man und ist entsetzt, andere Soldaten schreiben nüchtern und bitter.

Ein Jeder wurde von Artillerie getroffen, von Maschinengewehren zerfetzt, einige, die Pech hatten, wurden auch noch von Giftgas und Flammenwerfern getroffen. Außerdem entfaltet der Krieg auf alle Seiten seine psychologische Wirkung, aus fast allen Briefen geht hervor, dass die Verfasser geschockt, entsetzt und hoffnungslos sind. Doch nicht jeder Soldat war von dieser Fassungslosigkeit gekennzeichnet, die Reaktionen, die der Krieg auf die Soldaten hatte, sind unterschiedlich, was unter anderem auch mit der Phase des Krieges zusammenhängen kann.

Die ersten Monate waren geprägt von Tatendurst und Angriffslustigkeit. Es gab eine regelrechte Kriegsfreude und Ungeduld, an die Front zu kommen. Die Soldaten wollten ihr Land verteidigen und die Gegner besiegen. Doch dieses Bild vom Krieg, das Bild eines heldenhaften Unterfangens änderte sich mit zunehmender Kriegslänge rapide. Tatendrang und Kriegslust schlugen zu Angst, Entsetzen und Horror um.

Einmal in den Gräben gefangen, dachten nicht mehr viele Soldaten an Heldentaten, die sie vollbringen wollten. Zum Schluss war dieser Gedanke gänzlich vergangen, was blieb, waren Tod und Leiden. Somit geht die Spannweite von Ungeduld und Tatendrang bis hin zu kompletter psychischer Überlastung. Ein Soldat, der diese Ungeduld aufweist, ist Maurice Maréchal. In seinem Brief von 1914 zeigt sich deutlich, wie enttäuscht er von der Situation ist.

Von Angst, Entsetzen, psychischer Angegriffenheit und Hoffnungslosigkeit fehlt jede Spur. Vielleicht ist das so, weil er zum Anfang des Krieges seine Impressionen nach Hause schickt (Der Brief wird am 27. September 1914 geschrieben) und somit noch nicht die zermürbenden und mahlenden Kiefer des Krieges zu spüren bekommen hat. Auf jeden Fall zeugt das aber auch von der harten Schale, die manche Soldaten hatten.

Wie sein Brief ausgesehen hätte, wäre er 1917 verfasst worden, kann man nicht sagen. Dies ist die eine Seite der Reaktion auf Gewalt und Tod: Tatendurst und Vergeltungswille. An dem Brief von Maurice Drans hingegen, der drei Jahre später 1917 verfasst wurde, zeigt sich, dass der Krieg ganz anders von Soldaten aufgenommen wurde. Maurice Drans spricht von einer von „von Wahnsinn heimgesuchten Ebene“, laut Etienne Tanty verkommen die Soldaten zu Tieren.

Diese Seite verneint Tatendurst und Ungeduld, die vorherrschenden Eigenschaften der Soldaten sind Hilflosigkeit, Angst und Verzweiflung. Die Mehrheit der Soldaten gehört dieser Seite an. Diese psychische Gewalt zeigte sich als momentan: Sie verschreckte die Soldaten, jagte ihnen Angst ein und nagte an ihrer Integrität. Sie verursachte aber auch langfristige Schädigungen, wie Johannes R. Becher beschreibt: „Doch kam es vor, dass der eine oder der andere sich plötzlich mit einem jähen Ruck umwandte, mit einer blitzschnellen Handbewegung nach dem Gewehrschaft griff, den Kopf sonderbar lächelnd schüttelte und wieder den einen Fuß vor den anderen tat, […]“.


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