Wir haben uns mit dem Schreiben und der
Buchherstellung in mittelalterlichen Klöstern beschäftigt und auch die
allerersten Anfänge des Schreiben von Texten in der Volkssprache etwas gehört.
Sie haben also die Startschwierigkeiten einer deutschsprachigen Schriftlichkeit
kennengelernt, denn in einer Zeit in der Latein als gesamteuropäische
Bildungssprache eindeutig über die Volkssprachen war (es gab ja mehr als nur
das Deutsche, es gab genauso in den romanische Länder mittelalterliche
Varianten der Sprache, England, in den slawischen Ländern; eine dieser
Volkssprachen ist Deutsch), das Latein hat eindeutig dominiert und die Mönche
hatten zuerst große Skrupel, ob es überhaupt gestattet sei, die Volkssprache
(die althochdeutschen Dialekte) zur Wiedergabe von Bildungsinhalten zu
verwenden und diese Bildungsinhalte waren zu dieser Zeit auch Grund der erst
stattgefundenen Christianisierung. Der erste, der sich dezidiert dafür
aussprach und dafür aussprach in deutscher Sprache zu schreiben und er hat
seine Meinung dafür ausführlich dargelegt, war Gottfried von Weißenburg, ein
Mönch, mit seinem Evangelienbuch. Das ist ein Meilenstein der deutschsprachigen
Literaturgeschichte. Bevor Gottfried ein ganzes Buch in deutscher Sprache
dichten konnte, sollten die lateinischen Texte, die in den Bibliotheken
überwogen, praktisch mit 100 %, mit Hilfe der deutschen Sprache einmal
verständlich gemacht werden. Man wollte sich auf diese Weise die lateinische
Texte und Inhalte der Texte in der eigenen Sprache aneignen. Das waren
Übersetzungstätigkeiten. Dieses Anliegen wird mehr oder weniger in der Glossierungsarbeit
sichtbar zumeist in lateinischen Handschriften, wo zwischen die lateinischen
Zeilen, bzw. an den Rändern oder oberhalb deutsche Einsprengsel geschrieben
worden sind. Je nach Position, wo die deutschen Einsprengsel im lateinischen
Text zu finden sind, sprechen wir von Interlinear, Marginal oder
Kontextglossen. (Beispiel). Manchmal übersteigt es die Fähigkeit der deutschen
Sprache lateinische Texte zu erklären und dann gibt es zB Bilddarstellungen
(Krebs, Skorpion auf der Folie). An den Rändern des lateinischen Textes gibt es
rote Zeichen. Das sind geometrische Zeichen, keine Buchstaben (Kreuze, Sterne
usw.) Das kann man als Vorstufe unserer Fussnoten bezeichnen.
nächste Folie: Interlinearversion. Das ist ein Beispiel für eine durchgehende
Interlinearübersetzung (keine nur punktuelle Übersetzung). Es ist keine Glossierung
im eigentlichen Sinne, sondern es ist schon eine Übersetzung, die zwischen den
Zeilen geschrieben worden ist (mehr oder weniger vollständig). Es ist keine
Interlinearglosse mehr, sondern man kann schon von einer Interlinearübersetzung
sprechen. Das ist die Benediktinerregel, worum es bei dem lat. Text geht (eine
Handschrift aus St. Gallen zu Beginn des 9. Jhd.) Man kann eine klassische Wort
für Wort Übersetzung beobachten, die streng mit der lat. Vorlage korreliert.
Der lateinische Text ist groß und Schwarz (Dominiert) und kleiner, rot ist die
deutsche Wort für Wort Übersetzung, behält die Syntax (die Grammatik) des
lateinisches Text bei. Abbas = Vorsteher = Vater; Er soll sich dementsprechend
der Bürde, die ihm zugesprochen wird, verhalten. Der althochdeutsche Text ist
zwischen den Zeilen. Abba (Abt) ist nicht übersetzt, denn das kennt man schon
als Fremdwort bzw. Lehnwort. Sie Handschrift kam aus dem südoberdeutschen Raum
(der Raum, der die 2. Lautverschiebung am konsequentesten umgesetzt hat). Das erkennt
man an den roten Wörtern: kehuckan und keqhuetan. Solche Merkmale sind für die
historische Sprachwissenschaft unerlässlich, um Handschriften und Texte
regional zuzuordnen. Achten Sie auf Merkmale, wenn Sie statt einem G ein K
sehen (Knödel). St. Gallen (Stiftsbibliothek) gehört dem südoberdeutschen Raum
an.
Wenn Einzelwortglossen an Texten, an denen
sie erarbeitet wurden, herausgelöst und gesammelt werden, dann spricht man von
Glossaren. Es handelt sich dann bereits um Wörterbücher. Zwei Beispiele auf der
Folie. Glossare können nach verschiedenen Kriterien geordnet sein. Wir kennen
Wörterbücher, die grundsätzlich alphabetisch geordnet sind ohne inhaltliche
Rücksichten, aber man sieht, dass es auch noch andere Möglichkeiten gibt. Links
sieht man die Abrogans Handschrift, das ist das älteste Buch in deutscher
Sprache überhaupt, aber ein alphabetisches Wörterbuch, es stammt aus der Zeit
790 und enthält 3700 althochdeutsche Wörter und hat im Anhang das älteste
Aufzeichnung des deutschsprachigen Vaterunser. Man hat die übrig gebliebenen
Seite gerne für Aufzeichnungen verwendet. Man hat mit Material sparen müssen,
Pergament war sehr kostbar. Dieses Buch wird in St. Gallen aufbewahrt, es kommt
aber nicht aus dem alemannischen Raum, sondern ist in Baiern entstanden. Es ist
ein alphabetisch geordnetes lateinisches Synonymenwörterbuch. Eigentlich ist es
ein Wörterbuch latein – latein, aber es ist mit deutschen Bedeutungen ergänzt
worden und es ist wahrscheinlich nicht die ursprüngliche Sammlung, es ist
wahrscheinlich aus einer Vorläufersammlung hervorgegangen. Der Titel Abrogans
ist vom ersten Wort der Handschrift abgeleitet. Mittelalterliche Bücher haben
so gut wie nie einen Titel, es war noch nicht eingebürgert. Es gibt aber eine
Überschrift (so etwas Ähnliches wie eine Regieanweisung bzw. doch schon auf
halbem Wege ein Titel). Hier beginnen die Glossen zum Alten Testament. Es ist
ein Wörterbuch, das den lateinischen Wortschatz des Alten Testamentes auswertet
und mit deutschsprachigen Ausdrücken erklären möchte. Abrogans bedeutet
bescheiden, demütig und wird übersetzt: althochdeutsches dheomodi, ein
lateinisches Synonym zu abrogans: lateinisches humilis, heißt so viel wie
althochdeutsch: samft moati (auch jemand, der sich bescheiden und demütig
verhält). Das mit der alphabetischen Anordnung ist nicht so streng. Es geht
grundsätzlich nach dem Alphabet, aber im Ordnungskriterium ist das Lateinisch,
nicht die deutschen Wörter, die als Erklärung beigefügt sind, sondern das
Lateinische. Abba wird übersetzt mit faterlih, das Gegenstück zu abba ist
pater, was auf althochdeutsch fater bedeutet. Man kann
Adaptierungsschwierigkeiten der lateinischen Schrift bei Umlage auf die
deutsche Schrift erkennen, denn beide Male steht das Wort muad drinnen (das
Gemüt): dheomodi und samft moati. Das ist nicht gleich geschrieben. Man sieht,
die Schreibung war völlig frei und das Prinzip: Schreibe, wie du es hörst, wie
du sprichst, noch gegolten hat. Es war noch nicht so geschult, das
Transferieren.
Das zweite Wörterbuch: Vocabularius Sancti
Galli (nach Sachgebieten), ein Wörterbuch des heiligen Gallus, der Gründer des
gleichnamigen Klosters ist. Diese Handschrift ist wirklich in St. Gallen
entstanden. Sie ist winzig klein. Das Format beträgt 8,5 * 8,5 cm und
wahrscheinlich diente dieses Büchlein als Taschenbuch, ein kleines Büchlein,
das man mit sich tragen kann. Das Wörterbuch ist nicht alphabetisch, sondern
nach Sachgebieten geordnet und zwar zweisprachig in Spalten getrennt. Man sieht
den Schluss des Kapitels der Körperteilglossen und ohne sichtbaren Übergang
beginnt das Kapitel meteorologische Phänomene und Himmelskörper. Die Richtung
des Übersetzens ist immer nur in eine Richtung gegangen (Latein zu Deutsch) Man
ist gar nicht auf die Idee gekommen, etwas Deutschsprachiges auf Latein zu übersetzen.
Die Glossierungarbeit und die Übersetzung für das Studium und für den
Unterricht erforderte viel Sprachgefühl und Kreativität von den Mönchen, denn
die althochdeutsche Sprache musste für diese Aufgabe erst vorbereitet werden,
musste zuerst angepasst werden und musste zu einem Werkzeug für die Wiedergabe
von christlichen Inhalten ausgebaut und geformt werden. Wir sind hier in
Germanien und Germanien hat das Christentum nicht im Vorhinein schon gehabt,
sondern hat das Christentum erst im Laufe der Jahrhunderte erworben.
Das lateinische Wort Spiritus Sanctus (der
Heilige Geist): Das erste Problem war es, wie die germanischen Stämme das
auffassen sollen, denn unter einem Geist verstanden die Germanen ursprünglich
einen Dämon, also etwas Böses. Für die Germanen war die Christliche Vorstellung
der Trinität auch problematisch, der drei einigen Gottheit von einem
Schöpfergott, der selbst nie geschaffen wurde.
Das Ergebnis der Bemühungen der Geistlichen
in althochdeutscher Zeit die deutsche Sprache zu adaptieren, die
Ausdrucksfähigkeit der deutschen Sprache zu steigern, war dann eine gewaltige
Erweiterung des Wortschatzes. Auf dieser Folie sehen Sie die gängigsten
Verfahren, wie in althochdeutscher Zeit neue Wörter geschaffen wurden.
Strategien: Es gab zahlreiche Wortneubildungen durch Zusammensetzung und
Ableitung. Wortzusammensetzungen entstehen sehr einfach zb zwei Substantive
zusammensetzen; Haustür, selbständige Wörter wurde zu Suffixen degradiert und
dann als Bausteine verwendet, um aus beliebigen Substantiven, Adjektiven neue
Wörter abzuleiten. zB heit, was ursprünglich Person oder Persönlichkeit hieß,
oder die scaf(t) – ein ursprüngliches Substantiv, wurde zu einem Suffix und wir
können damit abstrakter bilden, was ursprünglich die Beschaffenheit oder Gehalt
bedeutet hat. Lih, was ursprünglich “Fleisch, Leib, Körper bedeutet (herzlich:
in der Art der Herzens, freundlich in der Art eines Freundes)
Wortneubildungen
durch (Substantiv-)Zusammensetzung und Ableitung: z.B. chuninc-rîche “Königreich”,
gast-hûs “Herberge”, taga-sterno “Morgenstern”, spilo-man “Spielmann”;
z.T. wurden ursprünglich selbstständige Wörter zu Suffixen und zur Bildung von
Abstrakta eingesetzt, z.B. heit: ursprüngliche Bedeutung: “Person,
Persönlichkeit”, scaf(t) “Beschaffenheit, Gestalt”, haft “gehalten, gebunden”,
sam(a) “ebenso, auf die gleiche Weise”, lih “Fleisch, Leib, Körper”
(freundlich, herzlich)
Es gibt eine
große Zahl von direkten Entlehnungen aus dem Lateinischen in Form von Fremd-
und Lehnwörtern. Der Unterschied von Fremd und Lehnwörtern ist nicht sehr
leicht abzugrenzen. Ein Beispiel ist das Wort Codex, man kann zwei verschiedene
Schreibvarianten verwenden in Einzahl und Mehrzahl. Codex, codicces: Es gibt
noch eine sehr große Anlehnung an das Lateinische und es ist eher ein
Fremdkörper in unserer Sprache. Das würde ich noch als Fremdwort bezeichnen.
Es gibt aber
eine Angleichung an die deutschen Laute, an die deutsche Orthographie und das
könnte man dann eher als Lehnwort bezeichnen. Man nimmt ein Wort aus einer
fremden Sprache und gleich es sich möglichst an wie zB Kodex, Kodizes
Körper”Abrogans
. dheomodi . humilis
: samft moati . abba . faterlih
: pater . fater :