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Aufsatz
Politik

Universität Hamburg

Prof. Dr. Bedarff, 2012

Silke W. ©
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ID# 22106







Essay „Europa ist in Deutschland angekommen und Deutschland in Europa“

Die Schilderung und Erläuterung des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland aus den nationalen und nationalistischen Erfahrungen des 20. Jahrhunderts heraus und hinein ins 21. Jahrhundert des geeinten Europas

Grundlage:

„Das politische System der Bundesrepublik Deutschland“ (Volltext)
Gert-Joachim Glaeßner

Männer und Frauen müssen für gleiche Arbeit gleich bezahlt werden und Kosmetikfirmen dürfen nicht mit Tierversuchen arbeiten. Das – und noch vieles mehr – bestimmt die Europäische Union. Und deren Rechtssprechung hat Vorrang vor zum Beispiel der des Hanseatischen Oberlandesgerichts in Hamburg oder der des Berliner Verwaltungsgerichts.

Damit ist klar: Europa ist angekommen in Deutschland, Deutschland ist angekommen in Europa. Daher dürften die folgenden Aussagen kaum verwundern.

Ein „vereintes demokratisches Europa zu schaffen“ (Gert-Joachim Glaeßner: „Das politische System der Bundesrepublik Deutschland“, S. 283; in: Herfried Münkler: „Politikwissenschaft. Ein Grundkurs“, Reinbek bei Hamburg: „rowohlts enzyklopädie“ 2006, 2. Auflage), das stehe „ganz oben auf der politischen Agenda“ (a. a.

O.) der heutigen Bundesrepublik Deutschland und das habe bereits in der Geburtsstunde dieser Bundesrepublik Deutschland auf deren Agenda gestanden, zu einer Zeit also, in der diese hehre Idee überhaupt nur „utopisch“ (a. a. O.) gewesen sein könne. Das behauptet Gert-Joachim Glaeßner und beschreibt in seinem Lehrbuchtext „Das politische System der Bundesrepublik Deutschland“ eben das, was dieser Titel verkündet, aber auch, wie, und vor allem, dass ein Weg gefunden und gegangen wurde von der erhabenen Utopie eines geeinten Europas mit einem darin aufgehenden Deutschland bis hin zur mehr oder minder Wirklichkeit gewordenen und werdenden Realisierung dieses Gedankens.

Dabei beleuchtet Glaeßner – vermutlich aus Gründen der Wissenslehre und der Wissensfortführung beziehungsweise der Fortführung des Faches – auf systematische Weise die Grundlagen, Dimensionen, Probleme und Perspektiven dieses politischen Systems, wobei er von Anfang an immer wieder Bezug nimmt auf die historischen Referenzpunkte der heutigen Bundesrepublik Deutschland, die er vor allem in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts sieht, und wobei er diese Referenzpunkte nur allzu häufig mit der Idee des geeinten Europas verknüpft.

Prof. Dr. rer. pol. Gert-Joachim Glaeßner ist an der Humboldt-Universität zu Berlin seit 2009 emeritiert und ist dort in den Einrichtungen „Innenpolitik der Bundesrepublik“ sowie „Graduiertenkolleg 66 ‚Das neue Europa: Nationale und internationale Dimensionen des institutionellen Wandels‘“ beschäftigt.

Seine logisch strukturierte Abhandlung „Das politische System der Bundesrepublik Deutschland“ ist in Herfried Münklers Lehrbuch „Politikwissenschaft. Ein Grundkurs“ (Reinbek bei Hamburg: „rowohlts enzyklopädie“ 2006, 2. Auflage) erschienen.

Systematisch erläutert Gert-Joachim Glaeßner den Aufbau des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland.

Dazu geht er zunächst kurz auf die Analysefelder der politischen Systemanalyse ein, die er mit einem modernen Verständnis von Staat konfrontiert sieht – einem Staat, der als Gesellschaftsgestalter fungiere – und die daher nicht eindeutig zu trennen sei von politischer Soziologie und politischer Kulturforschung.

Wichtig für die politische Systemanalyse sei darüber hinaus die Kenntnis über das Einwirken von Wählern, Interessengruppen und Parteien auf den Staat. Im Folgenden behandelt Glaeßner dann konkret das politische System und die politische Ordnung in der Bundesrepublik Deutschland.

Dabei stützt er sich auf drei für ihn wesentliche Aspekte: die demokratische Ordnung des Grundgesetzes, das politische Institutionensystem sowie das Zusammenspiel zwischen Staat und Bürgergesellschaft. Die demokratische Ordnung des Grundgesetzes spielt für Glaeßner augenscheinlich eine große Rolle für das politische System und die politische Ordnung Deutschlands, da er diesem Thema einen Großteil des oben genannten Absatzes einräumt.

Glaeßner beschreibt das Grundgesetz als Urheber und Garanten der parlamentarisch-repräsentativen Staatsform der Bundesrepublik Deutschland und billigt ihm folglich eine Rolle von größter Wichtigkeit zu. Detailliert schildert Glaeßner im Weiteren das von ihm gelieferte Schlagwort der „Gewaltenverschränkung“ (a. a.

O., S. 249) als den vom Grundgesetz gesetzten Zwang zur Kooperation der einzelnen Verfassungsorgane und folgert daraus, dass es in der Bundesrepublik Deutschland eine Gewaltenteilung im klassischen Sinne nicht gebe. Schließlich kommt Glaeßner auf die programmatischen Dimensionen des Grundgesetzes zu sprechen, die er in sechs konstitutiven Leitprinzipien formuliert, nämlich dem republikanischen Prinzip, dem Bundesstaatsprinzip, dem Rechtsstaatsprinzip, dem Demokratieprinzip, dem Sozialstaatsprinzip und dem Prinzip des partiellen Souveränitätsverzichts.

O., S. 257), die das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland an zum Beispiel europäische Institutionen zugestehe. Glaeßner spricht von einer „Verfassungsbestimmung, mit der unmissverständlich deutlich gemacht werden [sollte], dass das demokratische Deutschland seinen Platz in der Gemeinschaft demokratischer Staaten“ (a. a.

O.) suche, und nennt zahlreiche Belege für nationale Grenzen überschreitende Zusammenarbeit in Europa, besonders in der Europäischen Union (EU).

Auch dem Thema des politischen Institutionensystems räumt Glaeßner viel Platz ein. Zuerst kommt er auf die im Grundgesetz verankerte starke Rolle des Parlaments zu sprechen und nennt die klassischen Parlamentsfunktionen wie Gesetzgebung, Haushaltsbewilligung, Kontrolle von Regierung und Verwaltung sowie Wahl (und gegebenenfalls Sturz) des Regierungschefs und anderer Mandatsträger.

Zudem vergisst Glaeßner nicht, auf das Zusammenwirken von Parlament, Regierung und öffentlicher Verwaltung einzugehen; hierbei stellt er einerseits „die Bestellung einer demokratisch legitimierten Regierung und deren Abhängigkeit vom Vertrauen des Parlaments“ (a. a.

O., S. 260) als „eine Grundbedingung demokratischer Herrschaft“ (a. a. O.), andererseits die Idee des „prime ministerial government“ (a. a. O., S. 261), die im Falle der Bundesrepublik Deutschland dem Bundeskanzler eine hervorgehobene Stellung bei der Minister-Auswahl und bei politischen Entscheidungen zugesteht, heraus.

Nicht zuletzt weist Glaeßner in diesem Zusammenhang darauf hin, „dass demokratische Regierung Machtausübung auf Zeit ist“ (a. a. O.). Ferner geht Glaeßner auf die Verantwortlichkeit der Regierung gegenüber dem Parlament und die Kontrolle der Regierung durch das Parlament sowie auf die Regierung und die öffentliche Verwaltung ein, wobei er unter anderem auf die auf Georg Jellinek zurückgehende Begriffsbestimmung von Staat zurückgreift, „die unter Verwaltung alle Staatstätigkeit kennzeichnet, die weder Gesetzgebung noch Rechtssprechung ist“ (a. a.

Schlussendlich geht Glaeßner dann noch auf die „Kanzlerdemokratie“ (a. a. O., S. 268) als spezifische Ausprägung des deutschen Regierungssystems ein: Eine „Schlüsselrolle“ (a. a. O.) komme dem Bundeskanzler aufgrund seines Rechts, unter anderem die Politik-Richtlinien zu bestimmen, zu; allerdings sei der Bundeskanzler der Bundesrepublik längst nicht mehr mit einer solchen Machtfülle ausgestattet wie seinerzeit der ersatzmonarchische Präsident in der Weimarer Republik.

Auch an diesem Punkte gibt es wieder grobe Fluchtlinien zur Idee des geeinten Europas und des denkbaren Aufgehens Deutschlands darin: Der Bundeskanzler sei in seiner Machtfülle zum Beispiel eingeschränkt durch die regierungsunabhängige Deutsche Bundesbank.

O., S. 270). Die Zuspitzung auf die abschließende Aussage des Textes – also die Zuspitzung auf ein geeintes Europa samt einem darin aufgehenden Deutschland – wird folglich weiter fokussiert.

Unter der Überschrift „Staat und Bürgergesellschaft“ (a. a. O.) verweist Gert-Joachim Glaeßner auf den facettenreichen Einfluss von Bürgern, deren Vereinigungen, Verbänden und Initiativen, und Nichtregierungsorganisationen.

Gesondert geht er auf die Parteien als „Organe der ‚Staatswillensbildung‘“ (a. a. O.), auf Konflikte und organisierte Interessen samt deren indirektem Politik-Einfluss sowie auf politische Partizipation, die er als essentiell für ein demokratisches politisches System ansieht, ein.

Wörtlich schreibt Glaeßner: „Die Frage nach einer Reform wichtiger Elemente des Verfassungsgefüges bleibt auf der Tagesordnung.“ (a. a. O., S. 280)

Zu guter Letzt macht Glaeßner die Perspektiven des politischen Systems zum Thema. Eingangs behauptet er, dass von vielerlei Seiten allzu oft „defizitäre Entwicklungen des politischen Systems in Deutschland“ (a. a.

O., S. 281) beklagt würden und stellt dem dann seine eigene Meinung gegenüber, nach der „die Bundesrepublik nach mehr als vier Jahrzehnten ihrer Existenz (…) eine konsolidierte Demokratie“ (a. a. O.) sei. Gleichwohl fordert auch er, dass der Staat auf die großen politischen, gesellschaftlichen, sozialen und kulturellen Veränderungen unserer Zeit reagieren müsse: „Die Frage nach den genuinen Aufgaben der staatlichen Ordnung und der Struktur und Funktionsweise des politischen Systems stellt sich angesichts der Europäisierung der Politik auf völlig neue Weise.“ (a. a.

Ausgehend von dieser Feststellung entwickelt Glaeßner daraufhin einen Argumentationsstrang in Richtung Europa, in Richtung eines supranationalen Gebildes, in dem wohl einmal auch die Bundesrepublik Deutschland aufgehen werde.

Der (National-)Staat (Deutschland) sei „nicht mehr alleiniger Adressat“ (a. a. O., S. 283) des Bürgers und „immer mehr durch Regelungen und Rechtsakte der Gemeinschaft“ (a. a. O.) bestimmt. Explizit schreibt Glaeßner: „Es ist der europäische Integrationsprozess, der einen sicheren und verlässlichen Rahmen für die Verwirklichung der in nationalen Verfassungsdokumenten und europäischen Rechtsakten normierten Menschen- und Bürgerrechte schafft.“ (a. a.

O., S. 283) stehe: Gert-Joachim Glaeßner sieht Deutschlands Zukunft in Europa, und zwar auf eine Art und Weise, die Deutschland als souveränes Staatsgebilde womöglich gar nicht mehr kennt und die vielmehr einen europäischen Superstaat (nach US-amerikanischem Vorbild?) erwartet, in dem (mindestens) alle – vormals selbstständigen – Mitglieder der (dann wohl überholten) Europäischen Union aufgegangen sein werden.

In den Vorspannen von „Wetten dass“ oder „Aktenzeichen XY ungelöst“ hören wir schon seit Jahrzehnten die Eurovisionshymne, heute bezahlen wir mit dem Euro, und das, was wir damit gekauft haben, ist möglichweiser „Made in EU“.

Europa ist bei uns in Deutschland – und nicht nur dort – also allgegenwärtig. Europa ist seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs immer allgegenwärtiger geworden und hat versucht Deutschland während der vergangenen sechs Jahrzehnte auf seinem langen Weg heraus aus der Nazi-Diktatur und hinein in eine moderne, weltoffene und florierende Demokratie zu begleiten und vor allem auch zu formen und zu prägen.

Allein schon wegen dieses letzteren Grundes halte ich es für durchaus glaubhaft, ja hoffenswert, dass Gert-Joachim Glaeßner mit seiner Hypothese des völlig geeinten Europas Recht hat.

Bei aller bei dieser Idee allerdings sehr wohl berechtigten Skepsis hinsichtlich allein schon der teils kräftigen Nationalstaatssympathien (wie zum Beispiel in Frankreich): Auch ich denke, dass es sehr wünschenswert wäre, dass Europa seinem Motto in aller Form gerecht wird und vielleicht schon bald „In varietate concordia“, in Vielfalt geeint sein möge.


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