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Seminararbeit
Geschichte / Historik

Hochschule für Technik und Wirtschaft Dresden - HTW

2010, Prof. Schwerhoff

Peter P. ©

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ID# 1962







Essay - Randgruppen Frühe Neuzeit

 

Dieser Essay soll sich mit der Frage auseinandersetzen, in welcher Art und Weise sich Randgruppen der frühneuzeitlichen Gesellschaft charakterisieren lassen. Es ist mir bewusst, dass innerhalb dieses Rahmens keine detaillierte Analyse, sondern nur ein grober Umriss der Problematik entstehen kann. Jedoch habe ich den Anspruch, zum einen durch den Vergleich bestehender Arbeiten einen „Roten Faden“ darzustellen, zum anderen das komplexe Spektrum von möglichen Schwerpunkten in Hinblick auf die Seminararbeit etwas einzugrenzen. Nach einem kurzen definitorischen Exkurs sollen wesentliche Merkmale des Weges in die Peripherie der Gesellschaft beschrieben werden. Neben den Eigenschaften werden sowohl Stigmatisierung, als auch die Art und Weise der Visualisierung eine Rolle spielen. Eine Zusammenfassung der wichtigsten Erklärungsmodelle, sowie den Vergleich der Kategorisierung der einzelnen randständischen Kohorten halte ich für unerlässlich, da sich daran treffende Aussagen zur Forschungslage visualisieren lassen.

Wenn Bernd- Ulrich Hergemöller in seiner Arbeit über Randgruppen diese als heterogene Personenkreise umschreibt, welche durch negative, kollektive Attributionen einem partiellen oder totalen Verlust der Ehre unterworfen werden, formuliert er die aus meiner Sicht beste Definition. Andere Autoren, wie z.B. Wolfgang von Hippel, gebrauchen in ihren Deutungen umschreibende Termini wie „Minderheiten“, welche die Vielschichtigkeit der ohnehin schon modern geschaffenen Sammelbezeichnung unnötig verkomplizieren und den Eindruck erwecken, dass alle Minoritäten den Eigenschaften frühneuzeitlicher Randgruppen gerecht wurden.

Essentiell für die Durchdringung des Gegenstandes ist eine analytische Beschreibung randständischer Wesensmerkmale. Aus der Literatur geht hervor, dass Außenseiter ihren Status erben konnten, genauso wie durch den Antritt eines für unehrlich erachteten Gewerbes. Innerhalb verwandtschaftlicher Konstellationen schritten diese beiden Punkte oftmals Hand in Hand. Weiterhin werden Heirat und Strafe als Wege gekennzeichnet, wobei letzterer wie die „Infektion“ durch Kontakt mit Unfreien als Zwang gesehen werden kann. Es besteht also eine Ambivalenz zwischen dem ungewollten, vorgezeichneten Pfad in Richtung Infamität bzw. der Möglichkeit durch Selbstrekrutierung in diese Sphäre gesellschaftlichen Daseins zu gleiten. Wie schon aus der Definition und aus verwendeten Vokabeln hervorgeht, sind Infamität und Ehrverlust der negative Pol dieses Ständesystems. Dabei bildeten Recht und Ehre die Grundpfeiler der bestehenden Gesellschaftsordnung. Den stärksten Kontrast erzeugen indes „frei und ehrlich“ versus „unfrei und unehrlich“. Ehre drückt sich dabei in Form sozialer Würdigung und gesellschaftlicher Akzeptanz durch Herkunft, Beruf und Stand aus. Zu beachten ist, dass der dazugehörige Antagonismus, die Unehrlichkeit, sich differenziert in eine durch strafrechtliche Exekutive (infamia juris) bzw. durch Entzug der Reverenz und der allgemeinen Wertschätzung (infamia facti) entstandenen Unehrlichkeit. Während Rechtsverlust mit Ehrverlust einhergeht, hat eine Ehrminderung nicht automatisch einen Rechtsverlust zur Folge. Diese kleine Disposition gibt nur einen kleinen Einblick in die Multidimensionalität der Betrachtung, geschweige denn in die Komplexität raum- zeitlicher Differenzierungen auf Mikro- und Makroebene.

Stigmatisierung spielte zur Veräußerlichung der Randständigkeit eine nicht unerhebliche Rolle. Der Begriff umfasst dabei Kennzeichnungs- und Zuschreibungsprozesse, welche das Resultat bestimmter vereinfachter und generalisierter Stereotypisierungen gegenüber einem mit „homogenen“ Attributen behafteten Personenkreis sind. Roeck sieht die Wurzeln in dem Bestreben, durch äußeren Habitus etwas Ordnung in die eigentliche Unordnung zu bringen. Die Legitimation dieser fiktiven strukturellen Existenz wird durch Ordnungen geregelt. Idealisierte Hierarchisierungsmechanismen werden durch die Veräußerlichung des Sozialprestiges visualisiert. In diesem Fall sind das nach Schimpfungen bestimmte Attribute der Kleidung (z.B. Zeichen und Symbole), aber auch Brandmarkungen und diverse Ehrenstrafen. Neben dem Verlust des Wahlrechtes, der Testierhoheit, der Verweigerung des Zugangs zu Bruderschaften sowie Einschränkungen bei der Partnerwahl kann man auch den modernen Terminus randständisch wortwörtlich nehmen, da innerhalb von Gemeinden topographisch Gesehen bestimmte Gruppen in die Peripherie abgedrängt wurden (z.B. Scharfrichter). Hervorgehoben werden muss in diesem Kontext die starke Tendenz zur Einschränkung sozialer Kontakte. Präsenz innerhalb dieser Kategorie verlangt auch die Aussage Roecks zur Ambivalenz zwischen ökonomischer und sozialer Reputation. Der Spannungsbogen zwischen gesellschaftlicher Notwendigkeit der ausgeübten Tätigkeit auf der einen und soziale Ausgrenzung auf der anderen Seite führen mich zum nächsten Komplex, einer Einführung in die Erklärungsmodelle.

Grundlegend lässt sich festhalten, dass eine große Fülle von Illustrierungen auf diesem Gebiet existiert. Bei der anthropologischen Interpretation, auch „Tabu- und Mana- Theorie“ genannt, wird die These vertreten, dass die Tabuisierung bestimmter Infamer auf urtümliche Sakral- und Kultkomplexe zurückzuführen sei. Der interdisziplinäre Begriff „Mana“ lässt sich dabei mit den Vokabeln Macht und Magie in Verbindung bringen. Diese Kraft kann positiv als auch negativ behaftet sein und stürzt sich auf Grund seines ambivalenten Charakters in tabuisierte Schemata frühneuzeitlicher Gesellschaft. Allerdings ist diese These ausgesprochen umstritten und auch in meinen Augen stark anzuzweifeln, obwohl man Parallelen, wie z.B. zum Scharfrichter, ziehen kann. Ein weiterer Aspekt ist die wirtschaftsgeschichtliche Interpretation. Zünfte regulierten durch bestimmte Reglementierungen ihre Zugangsvoraussetzungen. Dieser sozio-ökonomische Ausgrenzungsprozess von Unehrlichen milderte den Druck der Konkurrenz. Der dritte hier zu nennende Ansatz sieht das Fundament randständischer Ausgrenzung in der Metamorphose des Gottesstaates. Zur Erklärung dieser These ist folgendes zu sagen: Die bestehende Gesellschaft formierte sich als Heilsgemeinschaft, d.h. die spätmittelalterliche Welt war geprägt durch eine untrennbar verbundene staatlich-religiöse Ordnung. Zur Zeit der Reformation, als die religiöse Durchdringung des Staatlichen ihren Höhepunkt erreichte, potenzierte sich das Vorgehen gegen alles, was einem moralischen, gottgefälligen Staat entgegenstand. Bernd Roeck sieht die Marginalisierten dabei als Opfer des Säkularisierungs-, Rationalisierungs- und Vergesellschaftungsprozesses. Neben der Verdichtung der Staatlichkeit als Grund für Ausgrenzung möchte ich nun auf die Dämonisierung des Anomalen zu sprechen kommen. Gegenüber den Randständischen wurden fantastische Hyperbeln erschaffen, welche durch metaphysische Deutungen wirkliche Widersprüche und umfassende Erklärungen durch Gott rechtfertigten. Der ohnehin schon gegebene Antagonismus zwischen Gut und Böse verstärkte den darauf folgenden Effekt. Für alles Unerklärliche hatte man weltliche Sündenböcke gefunden. Die Bedrohlichkeit dieser Kraft wurde durch die physische Fassbarkeit abgeschwächt. Weiterhin spiegelt sich darin die Aufhebung der eigenen Machtlosigkeit durch die Schaffung richtbarer Personenkreise. In diesem Kontext versteht sich die Wechselseitigkeit des Einflusses der Natur auf die Intensität dieser Problematik. In Zeiten schlechter Lebensbedingungen wie z.B. der kleinen Eiszeit wird man sich eher Sündenböcke gesucht haben als in erntereichen Jahren. Ein letzter Ansatz den ich hier ansprechen möchte bedient sich einem psychologischen Typus. Dieser geht davon aus, dass in Folge der Sozialisation unbefriedigt gebliebene Triebwünsche auf die Randgruppen projiziert wurden und diese damit als minderwertig erklärt und verfolgt wurden. Auch dieser Ansatz zeigt Parallelen zu den vorher genannten Thesen auf, erweist jedoch wiederum einen ganz eigenen Charakter.

In der Fülle von Forschungsbeiträgen zum Thema lässt sich unschwer das große Streitpotential der Problematik erkennen. Ähnliche Disputationspotenzierungen werden bei Betrachtung der zahlreich vorliegenden Kategorisierungsversuche von Randgruppen ersichtlich. Während Hippel die einzelnen Kategorien entlang des Armutsgrades aufzieht, welche ihn zu einer Dreiteilung (Mittel- Unterschicht/ Unterschicht/ mobile Armut) führen, bedient sich Hergemöller zuerst einer übergeordneten Kategorisierung, in dem er Randgruppen im engeren bzw. im weiteren Sinne, sowie latente und temporäre Gruppen differenziert. Dabei subsumiert er die wichtigsten Randgruppen innerhalb einer Vierteilung (unehrliche Berufe/ körperlich und geistig Signifikante/ ethnisch- religiös definierte Gruppen/ Inquisitionsopfer). Eine weitere Divergenz bildet Roecks Kategorisierung. Er unterscheidet zwischen klassischen und imaginären Gruppen. Erstere sind klar konturierte Kohorten wie z.B. die Juden, während letztere sich eher auf transzendente Deutungen stützen, wie etwa die Hexen.

Eine eigene Kategorisierung zum Thema zu erfassen, wäre nur ein weiterer Vorschlag unter vielen. Es ist immer problematisch, einem komplexen System pragmatische Ordnungsmuster  aufdrängen zu wollen. Meiner Ansicht nach sollte man die quantitativen Aspekte etwas ruhen lassen, um die Mentalitäts- und Alltagsgeschichte stärker zu ergründen: von der Makro- in die Mikroebene, mit stärkerer Berücksichtigung räumlicher und zeitlicher Differenzierung. Durch Kumulierung und Vergleich von Arbeiten, welche einen eher kleinen Bezugsrahmen haben, diesen dafür aber umso gründlicher abhandeln, wie z.B. Jutta Nowosadtkos „Scharfrichter und Abdecker“, könnten eventuell offene Fragen beantwortet werden.

 

 


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