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Seminararbeit
Deutsch

Paris-Lodron-Universität Salzburg

Prof. Görner 2014

Nina S. ©
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ID# 41428







SE Romantik – Eine Einführung

Leitung: Prof. Dr.

Fachbereich Germanistik


„Hofrat Arbogast schickte sich an, eine Geschichte zu erzählen…“

Über das Erzählen in der Erzählung

Eine erzähltheoretische Untersuchung zu Mörikes „Der Schatz“


Theresa

SOSE 2014

Salzburg, 30. Juni 2014


Inhaltsverzeichnis


  1. Einleitung

Die Romantik ist für mich eine Epoche des Aufbruchs ins Neue und der Pluralität. Das Subjekt rückt in den Mittelpunkt der Betrachtung und die rationale, wissenschaftliche Erkenntnis wird um internale Prozesse, um Gefühle und Empfindungen ergänzt. Ausgehend von diesem fühlenden Subjekt entwickelt sich eine Pluralität, die sich auch in der Literatur wiederfindet, es wird mit Gattungen experimentiert, neue Erzähltechniken werden ausprobiert, aber auch die Motive werden vielfältiger.

Im Schatz lässt sich diese Pluralität ebenfalls erkennen, so werden diverse Gattungen wie Märchen, Novelle, Gedicht, Lied, Sage und sogar Sprichwörter miteinander verwoben, Rahmen- und Binnenhandlung werden neu interpretiert und sind nicht streng voneinander getrennt. Besonders interessant ist auch die Erzählperspektive, da sie im Text immer wieder verändert wird.

Aber auch auf der inhaltlichen Ebene werden Grenzen aufgebrochen, die Motive des Traums und des Aufbruchs kommen immer wieder vor, neu ist vor allem das Motiv des Erzählens selbst, die Kunst des literarischen Schaffens wird diskutiert und erörtert.

Diese Arbeit beschäftigt sich mit der Analyse der technischen, erzähltheoretischen Ebene des Werkes, Erzählstruktur, Perspektive und die Zeit werden genauer betrachtet. Zusätzlich wird auch die inhaltliche Ebene untersucht, es soll geklärt werden, wie Mörike im „Schatz“ mit der Fiktionalität spielt, welche Motive vor allem mit dem Erzählen in Verbindung gebracht werden können und wie Konstrukt und Inhalt ineinander verschmelzen.

Der Fokus liegt aber darauf, zu zeigen, wo sich die Pluralität im Werk wiederfindet und wie Mörike dadurch neue Möglichkeiten des Erzählens ausschöpft.

  1. Drei Fassungen ein Werk

Noch zu Lebzeiten des Autors wurden drei Auflagen von „Der Schatz“ veröffentlicht, jedes Mal war Mörike in den Verlagsprozess integriert und nahm Veränderungen vor. Die Erstauflage wurde im „Jahrbuch schwäbischer Dichter und Novellisten“ 1836 über die P. Balz`sche Buchhandlung abgedruckt. Des Weiteren wurden Text von Wilhelm Zimmermann, Julius Krais, Ludwig Bauer, Karl Mayer und Friedrich Theodor Vischer in diesem Jahrbuch veröffentlicht.

Herausgeber war Mörike selbst in Zusammenarbeit mit Wilhelm Zimmermann.1

Schon 1839 brachte Mörike ein weiteres Buch „Iris“ heraus, in welchem „Der Schatz“ mit weiteren Werken von Mörike abgedruckt wurde.2 Brigitte Mayer stellt in ihrer Untersuchung fest, dass „diese Ausgabe - abgesehen von der Schlusspartie – nahezu unverändert übernommen“3 wurde.

Die dritte und letzte Fassung veröffentlichte Mörike in „Vier Erzählungen“ 1856, bei diesem Druck änderte er die Gattungsbezeichnung „Märchen“ in „Novelle“ ab und nahm noch weitere Änderungen vor.4 Mayer stellt die erste Ausgabe der letzten gegenüber und erörtert die Differenzen, kommt aber zu folgendem Schluss:

Fabel und Struktur dieser Erzählung werden ebensowenig durch alle übrigen Änderungen angetastet, so zahlreich sie sind. Ihre Funktion beschränkt sich darauf zu modifizieren, Aspekte zu unterstreichen oder neu hereinzubringen, ohne wie in den anderen Erzählungen die Aussage zu verändern.5

Die Palette der Veränderungen ist zwar vielfältig, so werden sprachliche Äußerungen variiert, Akzente verschoben, Teile gestrafft, andere wieder konkretisiert, verstärkt und abgeschwächt, aber trotzdem verändert sich der inhaltliche Kern nicht. Besonders interessant scheinen die Änderungen, die bezüglich der Personencharakteristika vorgenommen wurden. Mayer schreibt, dass sie alle die Aufgaben haben, „den Personen höheres Ansehen, besonders aber infolge eines fortgeschritteneren Alters mehr Würde [Arbogast], beziehungsweise ihren Aussagen größere Glaubhaftigkeit [Majorin] zu verleihen.“6 So wird Arbogast in der ersten Auflage als „ein Vierziger von imposanter Gestalt, ein munterer, doch sonderbarer Mann“7, während in der Letztfassung folgendermaßen beschrieben wird: „ein munterer, kurzweiliger, obgleich etwas eigener Mann von imposanter Gestalt, schon in den Fünfzigern“8.

Und aus der „hübsche[n] Frau in der Gesellschaft […] Frau Obristin“9 wird eine „ganz besonders aufmerksam zuhörende bejahrte Dame […]Frau Majorin“10. Generell kann man sagen, dass die Akzentuierung stärker dahin geht, das Märchenhafte und Phantastische zu relativieren und zu betonen, dass es sich bei der Geschichte auch um eine wirkliche handeln könnte. Dazu passt auch, dass die Gattungsbezeichnung von „Märchen“ in „Novelle“ geändert wurde.11

Da die Änderungen aber wie bereits gesagt, den Inhalt und die Struktur des Textes kaum beeinflussen und eine genauere Analyse der verschiedenen Fassungen den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde, wird im Folgenden die Letztfassung zur Analyse herangezogen. Die verwendete Ausgabe ist eine historisch- kritische Gesamtausgabe der Werke und Briefe Eduard Mörikes.12

  1. Das Erzählen im „Schatz“

Das Erzählen steht im Mittelpunkt dieser Arbeit, weshalb es sinnvoll erscheint vorerst zu definieren, was eine Erzählung überhaupt ist und wie sich das Erzählen abgrenzen lässt. Martinez kommt nach der Untersuchung diverser Wörterbücher und Lexika zu folgendem Schluss:

So heißt eine Rede offenbar eine <Erzählung>, wenn diese Rede einen ihr zeitlich vorausliegenden Vorgang vergegenwärtigt, der als <Geschehnis> oder <Begebenheit> bestimmt werden kann.13

Vor allem in der Binnenhandlung des „Schatzes“ wird diese Definition auf jeden Fall erfüllt. Es wird von der Begebenheit erzählt, wie der junge Franz Arbogast das Schatzmeisteramt erlangt, in dieses übergeordnete Erzählziel fügen sich diverse Geschehnisse ein, die die Geschichte erweitern und bereichern, ja sogar eigenständige Erzählungen, wie die der verfluchten Irmel, finden Platz in der Erzählung.

Aber auch die Rahmenhandlung wird im Präteritum erzählt, handelt von der Begebenheit, dass sich eine Gesellschaft versammelt und eine Geschichte erzählt bekommt und erlaubt somit den Schluss, dass auch dieses Ereignis bereits vergangen und abgeschlossen ist.

Zu den Möglichkeiten der Verwendung führt Matrinez folgende zwei an:

1. Erzählt werden kann von realen oder erfundenen Vorgängen.

2. Erzählt werden kann im Rahmen von alltäglicher Rede oder aber im Rahmen von dichterischer Rede.14

Dass es sich bei dem zu untersuchenden Gegenstand um eine „dichterische Rede“ handelt, liegt auf der Hand, da der „Schatz“ das Werk eines Dichters ist und von diesem niedergeschrieben wurde. Ob er nun von realen oder erfundenen Vorgängen berichtet, ist nicht auf den ersten Blick zu erkennen. Auch die Rahmenhandlung erweckt zuerst den Anschein, als würde es sich um eine „alltägliche Rede“, im Sinne eines historisch-treuen Lebensberichts, handeln.

Da aber auch die Rahmenhandlung vom Autor produziert und für die poetische Gestaltung des Textes genutzt wird, wird sie trotzdem eindeutig der „dichterischen Rede“ zugeordnet.

Martinez schreibt weiter, dass die Unterscheidung zwischen „realen und erfundenen Vorgängen“ normalerweise deutlich voneinander abzugrenzen ist, dass dies beim „Schatz“ nicht so eindeutig hervorgeht, wird im Kapitel über Faktualität und Fiktionalität genauer diskutiert.

Des Weiteren wird unterschieden zwischen dem „Was“ und dem „Wie“ des Erzählens, die erzählte Geschichte und die darin erschaffene Welt ist zu unterscheiden von ihrer Darstellungsweise.15 In der folgenden Untersuchung sollen beide Elemente des Erzählens erörtert werden, der Aufbau, die verwobenen Erzählstränge, Erzählerperspektive, Fokalisierung, Untersuchung von Raum und Zeit sind vorerst der Darstellungsweise, also dem „Wie“, zuzuordnen, enthalten ist aber der Inhalt, die fiktionale Geschichte, das „Was“.


(Abbildung 1: von der Verfasserin erstellt)


Völker unterscheidet „fünf einzelne, relativ selbständige und dennoch aufeinander bezogene Teilerzählungen“16, einerseits die Geschichte von Arbogasts Aufstieg zum Schatzmeister, die Rahmenhandlung innerhalb der Binnenhandlung, in der Abbildung weiß hinterlegt, und weitere vier Stränge, die innerhalb der Binnengeschichte erzählt werden, und grün hinterlegt sind.

Dazu kommen m.E. noch die Ergänzungen der Zuhörer aus der Rahmenhandlung, die die Geschichte des Hofrates noch ergänzen bzw. sogar beenden. Rahmen- und Binnenhandlung sind grundsätzlich zwei getrennte Geschichten, doch gibt es immer wieder Schnittstellen, in denen die beiden Handlungsstränge ineinander fließen und sich ergänzen. Besonders deutlich wird dies bei der Charakteristik der Freifrau Sophie durch die Majorin und der Schlusserzählung der Binnenhandlung, welche nicht mehr von Arbogast sondern von Cornelie erzählt wird.

Der Forstmeister wiederum ergänzt die Geschichte Corneliens. Es wird das „Wie“ durch das „Was“ ergänzt, das theoretische Erzählkonstrukt, das aus Rahmen-, Binnenhandlung und Erzählsträngen besteht wird mir einer Geschichte verknüpft, welche die Elemente verknüpft und eine Pluralität erzeugt, die sich in diesem Werk vereint.

      1. Rahmenhandlung

Die Rahmenhandlung spielt „im ersten Gasthofe des Bades zu K* […] im großen Speisesaale, der nur noch sparsam erleuchtet war“(Mör, 33) und führt sowohl den Erzähler der Binnenhandlung als auch dessen Zuhörer ein. Das Publikum ist eine „kleine Gesellschaft von Damen und Herrn“ (Mör, 33), einzelne Personen werden im Laufe der Handlung noch genauer beschrieben. Evers schreibt dazu:

In der kleinen Runde um den Erzähler Franz Arbogast spiegelt sich die Idealvorstellung eines angeregten Austausches, der gestaltend Einfluß auf die im Entstehen begriffene Erzählung nimmt, wieder: Die Erzählung vollendet sich erst im Akt des Erzählens.17

Die Rahmenerzählung schafft somit die Grundlage für gelingendes Erzählen, eine Geschichte, der niemand zuhört, die von ihren Rezipienten nicht interpretiert wird, ist demnach nicht vollendet. Die Zuhörer variieren auch in der Rahmengeschichte zwischen dem Idealtypus und dem Ignoranten, der die Geschichte nicht an sich heran lässt.

Die zuhörende Gesellschaft ist von höherem Stand und erinnert im ersten Moment an eine typische Biedermeier-Erzählsituation, allerdings findet die Erzählung im Gasthof und nicht im trauten Heim statt.

Gleichzeitig gewinnt die Erzählung durch deren Abwesenheit, und somit fehlende Kontrolle bzw. Einschränkung an „Unbefangenheit und historischer Treue“ (Mör, 33). Es wird also von Anfang an die Vermischung aus rätsel- und sagenhaften mit der wirklichen Lebensgeschichte von Arbogast thematisiert. So schreibt auch Völker:

Noch bevor mit der Erzählung des Arbogasts das Erzählspiel beginnt, siedelt Mörike in der Perspektive des auktorialen Rahmenerzählers das zu Erzählende in einem »Zwielicht von Märchen und Geschichte« an, auf einer Ebene, auf der sich Reales und Märchenhaft-Geisterhaftes durchdringen.18

Der schnelle, ungewöhnliche Aufstieg zum königlichen Schatzmeisteramt stellt das reale Moment dar, während die Geschichte, wie es dazu kam, als unglaublich angekündigt wird und somit die phantastischen Elemente einbringt.

„Und die Kritik, wer Lust zu zweifeln hat, steht nachher Jedem frei“ (Mör, 34), dieser Satz zeigt, dass die Zuhörer, genauer die Damen, bereit sind sich auf die Geschichte einzulassen und so kann Franz Arbogast mit seiner eigentlichen Erzählung beginnen.

Während der Erzählung, die nun von Franz Arbogast geschildert wird, der auktoriale Erzähler tritt hier nicht auf, kommt es aber immer wieder zu Schnittstellen, in denen wieder auf das zuhörende Publikum eingegangen wird und dieses sogar zur Gestaltung beiträgt. So ergänzt die Majorin zum Beispiel die Charakteristik der Freifrau Sophie von Rochen und Arbogast kommentiert: „ein solches Zeugniß, sagte er, wird für meinen Credit als Erzähler entscheiden.“ (Mör, 87)

Die Geschichte wird also durch die Majorin bereichert. Auch der auktoriale Erzähler kommt hier wieder zum Einsatz, dadurch wird klar zwischen Rahmen- und Binnenhandlung und zwischen den Erzählorten getrennt, tritt der auktoriale Erzähler auf, befinden wir uns in der Rahmenhandlung im Gasthofe zu K*, während der Ich-Erzähler in der Binnenhandlung und in den darin beschriebenen Orten, wie etwa dem grauen Schlösschen, auftritt.

Die Ergänzung durch den Forstmeister führt der Geschichte wieder einen stärkeren Wirklichkeitsanspruch zu, ebenso der Auftritt Josephens, die Vermischung zwischen Realem und Phantastischen wird wieder verstärkt. In der Rahmenhandlung wird das Erzählen selbst zum Thema gemacht, die Techniken und Eigenschaften, die eine gute Erzählung ausmachen, werden innerhalt der zuhörenden Gesellschaft erörtert.

      1. Figuren der Rahmenhandlung: Der ideale Zuhörer?

Wie bereits erörtert, werden in der Rahmenhandlung einige Personen beschrieben, auf der einen Seite der Erzähler Arbogast, auf der andern die Zuhörer. Aber auch unter diesen, gibt es verschiedene Typen, die teilweise genauer charakterisiert werden. Zu allererst die Damen, die ganz gespannt auf die Geschichte warten und rufen „Nur zu! nur anfangen!“ (Mör, 33).

Dass hier besonders die Damen genannt werden, kann an der Verbindung zu den Tratschweibern liegen, die sich gerne über dieses und jenes unterhalten, und sich weniger Gedanken, um den Wahrheitsgehalt der Geschichten machen, sie wollen unterhalten und nicht belehrt werden. Trotzdem sind auch sie es, die betonen, dass Kritik angebracht werden kann: „wir sind nicht allzu scrupulös, und die Kritik, wer Lust zu zweifeln hat, steht nachher Jedem frei.“ (Mör, 34) Gleichzeitig signalisieren sie aber, sich jetzt auf die Geschichte einzulassen und sie sich erst einmal anzuhören.

Eine weitere Person wird im Anschluss beschrieben, der Schweizer. Er stellt keinen idealen Zuhörer dar, „da er sich nicht auf die Erzählung einlassen kann“19. Erst als ihm bewusst wird, dass doch etwas Wahres in der Geschichte stecken könnte, wird er aufmerksam, er versperrt sich also dem Phantastischem und somit auch dem Poetischen: „Hätt´ ich das eh` g`wüßt, hätt` es mich bi miner Ehr`nit g`schläfert!“ (Mör, 87).

Trotzdem kommt ihm die Eigenschaft „treuherzig“ (Mör, 86) zu, außerdem wird er keinem gesellschaftlichem Rang zugeordnet, daraus lässt sich folgern, dass die schlechten, phantasielosen Zuhörer meist einfach gestrickt und in jedem Milieu zu finden sind. Völker schreibt zu der Figur des Schweizers, dass dieser „als Verkörperung der Unfähigkeit zu verstehen [ist], die Wirklichkeit und die sie abbildende Kunst anders als unter dem Blickwinkel der Tatsachenwirklichkeit zu sehen“20.

Auch der Arzt, der in einer Anmerkung Arbogasts erwähnt, zwar nicht direkt anwesend ist, aber trotzdem durch den Erzähler eingeführt wird, orientiert sich an dieser Tatsachenwirklichkeit. Er ist ein weiteres Beispiel für eine missglückte Rezeption, bzw. wird wieder auf das realistische Element der gesamten Geschichte verwiesen, die ganze Begegnung war nur ein Fiebertraum:

Völker fasst die Charakteristik und Darstellung der beiden Figuren so zusammen:

Beide, der medizinisch-wissenschaftliche Rationalist und der solide Mann der Tatsachen, sind als Repräsentanten eines am Sinn der Erzählung vorbeigehenden ästhetischen Fehlverhaltens aufzufassen.21

Diese Verkörperung des Rationalisten, dem die Gabe fehlt vollkommen zu verstehen, entspringt dem Gedankengut der Romantiker. Die rationale Erkenntnis reicht ihnen nicht aus, sie soll durch internale Prozesse, wie Gefühle und Empfinden, ergänzt und so erweitert werden.

Wie auch dem Schweizer keine Standesbezeichnung zukommt, so ist das auch bei Cornelie nicht der Fall, die das Gegenstück, also den guten, verstehenden Rezipienten darstellt, sie ist diejenige, die ihren Erkenntnishorizont um diese Gefühlsebene erweitern kann. Sie erfasst den Geist der Erzählung, fragt nicht nach Wahrheit, Tatsache oder Phantasma und kann so die Erzählung fortführen und beenden.

„Die fehlende Standesbezeichnung zeigt, daß die gesellschaftliche Zugehörigkeit in diesem Zusammenhang [Frage nach dem idealen Zuhörer/Leser] unwichtig ist“22, schreibt auch Evers.

Dem Oberst, einem Mann mit sehr hohem Rang, kommt es zu, die Geschichte und somit auch die Diskussion über Dichtung und Wahrheit endgültig zu beenden:

»Was Teufels!« rief der Oberst. »Nun denn – Gut Nacht, Herr Ritter! Die Hähne krähen schon, mich verlangt nach dem Bette!« (Mör, 95)

Die Diskussion ist aber nicht abgeschlossen, es gibt keine klare Antwort, was nun erdichtet und was tatsächlich war und diese Frage wird auch nie geklärt werden. Literatur und Historie sind beides wichtige Zeitzeugen, denn der Tatsachenbericht der Geschichte wird durch die Literatur und all ihre poetischen und phantastischen Gestaltungsmöglichkeiten erweitert und bereichert.

M.E. wird im Schatz genau dieses Gleichgewicht, dieses Notwendig-Sein beider Pole, ebenso wie die Erweiterung unserer rationale Erkenntnis durch eine internale, subjektive Ebene, diskutiert und dargestellt. Die Pluralität die sich auch in der Epoche wieder spiegelt, lässt sich auch im „Schatz“ finden.

      1. Binnenhandlung

Die Binnenhandlung setzt sich wiederum durch eine Rahmenhandlung und vier Binnenhandlungen zusammen. Die Rahmenhandlung wird von Franz Arbogast erzählt und handelt von dessen Aufstieg zum Schatzmeister. Sie beginnt mit dem Erhalt des Schatzkästlein, das Franz Arbogast zur Konfirmation bekommt, da er ein Osterknabe ist. Dieses Schatzkästlein, ein Buch voller Sprüche, begleitet ihn auch auf seiner Reise oder Wanderung, um für die Prinzessin Kronjuwelen zu besorgen, auf diesem Weg trifft er dann seine Jugendliebe, erlöst die seit 400 Jahren verfluchte Irmel und dadurch auch die Prinzessin, die eine Nachfahrin Irmels ist, bevor er schließlich wieder zurückkehrt, samt Frau und Geld.

Innerhalb dieser Erzählung wird die Geschichte von Ännchen bzw. Josephe erzählt, die Arbogast tot glaubte. Josephe selbst erzählt, wie sie von der Freifrau Sophie von Rochen gesund gepflegt und in Obhut genommen wurde. Der nächste Erzählstrang wird ebenfalls von Josephe geschildert, es geht um Irmel, die vor 400 Jahren verflucht wurde und seitdem auf Erlösung durch einen Osterknaben wartet.

Nachdem Irmel ihren Gemahl betrogen hatte, zerriss dieser die Kette, die er seiner Geliebten zur Hochzeit geschenkt hatte, und verflucht sie dazu, nicht mehr ruhen zu können, bis die Kette wieder zusammengefügt werden würde.

Franz Arbogast trifft im Traum oder im Wachen, „ob ich [Arbogast] dieß wachend oder schlafend that, - das, meine Werthesten, getraue ich mir selbst kaum zu entscheiden“ (Mör, 63), auf einen Elfen. Der dritte Erzählstrang handelt dann von der Begegnung mit dem Elfenvolk und der Entdeckung der Stelle, wo die Irmelkette, aber auch Arbogasts verlorenes Geld versteckt liegt.

Die Geschichte der Freifrau Sophie von Rochen verbindet die einzelnen Erzählstränge miteinander, sie ist diejenige, die die Erlösung von Irmel von Anfang an geplant hat und alle weiteren Handlungsvorgänge in die Wege leitet. Durch die Ergänzung der Majorin, wird die Existenz dieser guten Frau bestätigt und noch deutlicher, die äußere Rahmen- und die innere Binnenhandlung ergänzen einander und werden ineinander verwoben.

Völker schreibt dazu:

Diese einzelnen Erzählstränge miteinander zu verbinden, stellt, rein technisch gesehen, große Anforderungen an den Erzähler, und so hat man Mörike denn auch hohen Kunstverstand bescheinigt, ohne freilich genau das geistige Zentrum zu treffen, in dem die fünf verschiedenen Erzählstränge zur Einheit finden.23

Auch durch die Ergänzungen von Cornelie und dem Forstmeister wird eine Verbindung zwischen den einzelnen Erzählebenen hergestellt, die die gesamte Erzählung bereichert und schlussendlich zu einem Gesamtkunstwerk zusammenfügt.

Dieses Vorgehen verkörpert den Drang der Romantiker Grenzen zu sprengen, auszuprobieren und mit erzähltechnischen Mitteln zu spielen, auch hier lässt sich wieder die Pluralität des Werkes erkennen.

    1. Das Motiv des Erzählens

Nach dieser erzähltheoretischen Analyse des Werks wird nun auf das Motiv des Erzählens im Werk selber eingegangen. Dieses Leitmotiv wird besonders in der Rahmenhandlung deutlich, das Erzählen selbst wird im Text diskutiert. So deutet bereits der erste Satz an, dass es in dieser Novelle darum geht, dass eine Geschichte erzählt wird: „Der Hofrath Arbogast […] schickte sich an, eine Geschichte zu erzählen.“ (Mör, 33).

Des Weiteren werden „Unbefangenheit und historische Treue“ (Mör, 33) als etwas beschrieben, an dem die Erzählung etwas gewinnen kann und somit als Gütekriterien für eine gelungene Geschichte gelesen werden können.

Die Rahmenhandlung stellt den Dialog zwischen Autor und Leser dar, indem sich die Geschichte vollendet. Das Motiv des idealen Zuhörers wird hier besonders wichtig, da die Erzählung nur gelingt, wenn dieser Dialog erfolgreich verläuft.

Dieses ästhetische Modell des eigenen künstlerischen Schaffens ist notwendig utopisch; es ist immer dann zum Scheitern verurteilt, wenn sich der Rezipient – wie der Schweizer – nicht auf die Erzählung einlassen kann oder will.24

Wie bereits erörtert kann die Erzählung auch gelingen, so interpretiert und verknüpft Cornelie die Elemente richtig miteinander und erkennt die Struktur der Erzählung. Sie stellt den idealen Zuhörer dar, indem sich die Geschichte zu einem Kunstwerk vervollständigt.

    1. Das Motiv der Kette

Die Kette stellt im „Schatz“ ein Motiv für das Erzählen selbst dar, so schreibt auch Evers „Die Entstehung eines Kunstwerks – einer Erzählung – ist im Bild der zusammenzusetzenden Kette auch zentrales Thema von Mörikes Schatz.“25 Wie die Kette besteht auch die Erzählung aus vielen einzelnen Gliedern, die nicht von alleine zusammenfinden, erst durch den Prozess des Erzählens und durch das Zuhören bzw. lesen werden die einzelnen Glieder zusammengefügt und ergeben so ein großes Ganzes.

Dieses Entstehen bzw. Schaffen der einzelnen Glieder wird ebenso im „Schatz“ thematisiert wie das mühsame Zusammenstückeln dieser. Evers schreibt dazu, dass die Irmel-Sage durch ihre zeitliche Tiefe den Erzählprozess, der sich tief im Inneren Mörikes formt, symbolisiert. Dieser Anfangsprozess einer Erzählung bereitet auch einige Schwierigkeiten, so wandelt auch der Erzähler, wie der verfluchte Geist Irmels, umher, um die einzelnen Glieder zu schaffen.

Zusammengesetzt können die Glieder aber dann weder von Irmel noch vom Erzähler allein werden, die Hilfe anderer ist nötig. Des Weiteren bedarf es einer sorgfältigen stilistischen und strukturellen Feinarbeit, die in der Figur der Freifrau von Rochen thematisiert wird.26

Auch Völker merkt an, dass

das Bild der zerrissenen und unter glücklichen Umständen wieder zusammengefügten »Kette« […] nicht nur den Vorgang der Aufhebung und Tilgung eines alten Fluchs [symbolisiert]. Es kann auch als immanent-poetologische Metapher gelingenden Erzählens gedeutet werden.27


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