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Interpretation von  Pflichtlektüren zum Abitur: Schülerwerke zu Faust I, Iphigenie auf Tauris, Die Leiden des jungen Werthers (Pflichlektüren, Band 3)
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Deutsch

Gymnasium Tutzing

13 Punkte, 2015

Philipp R. ©
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Erschließung eines Ausschnittes aus der vierten Szene „Nacht“ (V. 354-376) in Johann Wolfgang von Goethes Drama „Faust“

Im Jahre 1808 veröffentlichte Johann Wolfgang von Goethe sein Drama „Faust I“, welches 1829 im Hoftheater in Braunschweig uraufgeführt wurde. Goethes Lebenswerk „Faust“ entstand innerhalb von 35 Jahren und weist deshalb Kennzeichen des Sturm und Drangs, der Weimarer Klassik und der Romantik auf. Heutzutage gilt es als eines der wichtigsten Theaterstücke in der deutschen und europäischen Literaturgeschichte.

Vor Beginn der eigentlichen Handlung und der Gelehrtentragödie findet man drei Expositionen. In der letzen werden die Grundsteine für die Wette zwischen Faust und Mephisto gelegt. Nach einem Zwist zwischen dem Herrn und Mephisto soll der Gelehrte Faust nämlich als Prüfstein der Schöpfung dienen, was bedeutet, dass Mephisto das Bild einer sinnvollen und harmonischen Schöpfung Gottes anzweifelt und dem Herrn beweisen will, dass es möglich ist, selbst einen ehrgeizigen Wissenschaftler von seinem Streben abzubringen, sich seinen Trieben hinzugeben und ihn für ein einfaches lustvolles Leben zu begeistern.

In dem Werk geht es um den wissensdurstigen und verzweifelten Gelehrten namens Dr. Heinrich Faust, der nach jahrelangem Studium verschiedenster Fächer keine Befriedigung seines wissenschaftlichen Strebens erfahren und keine Antworten auf die Sinnfragen des Lebens gefunden hat. Deshalb geht er eine Wette mit Mephisto dem Teufel ein, der ihm den Zugang zu höherem Wissen verschaffen soll, wofür Faust ihm auf ewig dienen soll.

Faust begibt sich daraufhin mit Mephisto auf eine Weltfahrt, bei der er das bürgerliche Mädchen Gretchen kennenlernt und sich an ihr schuldig macht. Es folgt die Erschließung einer Textstelle aus der Szene „Nacht“, hinsichtlich Inhalt, Aufbau, sprachlich stilistischer und dramaturgischer Gestaltung nach Sinnabschnitten mit anschließendem Fazit.

Im ersten Sinnabschnitt weist Faust auf sein intensives Studium aller renommierten Fächer hin. Schon Goethes Regieanweisung „In einem hochgewölbten, engen, gotischen Zimmer“ (vor V. 354) reicht, um dem Leser einen Eindruck von Dr. Fausts Lage und seelischer Verfassung zu verschaffen. Die Szene spielt in Fausts Studierzimmer, welches die Beengtheit von Fausts Wissen widerspiegelt.

Er sitzt „unruhig auf seinem Sessel am Pult(e)“ (vor V. 354) in dem engen, mit Büchern überladenen, mittelalterlich erscheinenden Zimmer und strebt eigentlich nach viel höherem Wissen, als das Studium der verschiedenen Wissenschaften vermitteln kann. Faust führt den sogenannten nächtlichen Monolog und lässt, verdeutlicht durch eine Akkumulation, Revue passieren, dass er eigentlich alle zentralen wissenschaftlichen Fächer wie Philosophie, Juristerei, Medizin und Theologie (V. 354-356) genau studiert hat.

Diese Aufzählung fasst die Studiengänge nicht etwa grob zusammen, sondern beinhaltet jeden einzelnen Studiengang und hebt diese hervor. Diese Wirkung wird durch ein Polysyndeton unterstützt. Die gehäufte Setzung der Konjunktion „Juristerei und Medizin; / Und leider auch Theologie!“ (V.354-355) bringt die ausgiebige Wissensanhäufung zum Ausdruck und hemmt gleichzeitig den Redefluss, was nochmals das Augenmerk auf die große Anzahl der Studiengänge lenkt.

Auch hat Faust sich wirklich intensiv und „mit heißem Bemühn“ (V. 357) mit dem Studium dieser Fächer beschäftigt, wie durch eine Inversion deutlich gemacht wird. Dieser Ausdruck Fausts Ehrgeiz am Studium und seinem dringenden Wusch der Klärung der Sinnfragen der Menschheit veranschaulichen markant wie umfangreich Faust sich Wissen angehäuft hat. Anhand dieser Betonung seines mühevollen Strebens wird der ehrgeizige Charakter Fausts sichtbar und es wird Spannung erzeugt, da sich dem Leser die Frage aufdrängt wozu er so ausgiebig studiert hat.

Verdeutlicht durch eine Exclamatio ruft Faust, der ist sehr niedergeschlagen ist, aus: „Habe nun, ach! Philosophie; / […] / studiert“ (V. 354-356). Das Wehklagen drückt seine Gefühlslage und damit sein Bedauern aus, was seine seelische Unzufriedenheit zum Ausdruck bringt. Anschließend beklagt Faust, dass er trotz dieses gründlichen und ausgiebigen Studiums, dennoch keine sinnbringende Erkenntnis gewonnen hat.

Dieser vergleichende Ausspruch soll dem Leser erneut die tief sitzende Enttäuschung Fausts über den für ihn fehlenden Erkenntnisgewinn seines intensiven Studiums vor Augen führen. Dieser Abschnitt weist auch einige typische epochale Merkmale. So stand das ästhetische Ideal der Erziehung, und der inneren Harmonie in der Weimarer Klassik im Mittelpunkt, was an dieser Stelle durch Fausts Streben nach Höherem ausgedrückt wird und beweist die Sinnhaftigkeit der Schöpfung.

Faust ist zudem ein Gefühlsmensch, was klagendende Aussprüche seines Monologs wie „ach“ (V. 354) oder ich „armer Tor“ (V. 358) unterstreichen. Sich seinen Gefühlen hinzugeben ist ein wiederum ein typische Merkmal der Epoche des Sturm und Drangs. Außerdem nimmt Faust ebenso typisch für diese Epoche die Rolle eines Universalgenies an.

Im Anschluss wird darauf hingewiesen, verdeutlich anhand einer Alliteration, dass Faust seine Lehrertätigkeit als sinnlose Schikane und Rumgehetze sieht, da er schon „an die zehen Jahr, (…) (herum)ziehe“ (V.361) und seine Schüler unterrichte. Diese Wortfolge mit dem gleich beginnenden Buchstaben soll unterstreichen über welch langen Zeitraum Faust, in seinen Augen sinnlos, für seine Schüler hin – und hergehetzt ist.

Mithilfe einer Tautologie, wird verdeutlicht wie sinnlos eigentlich seine „quer und krumm(e)“ (V. 362) Quälerei war. Da hier zwei Worte benutzt werden, die fast das gleiche bedeuten, um die Sinnlosigkeit zu beschreiben, sind diese sehr einprägsam und ihre Wirkung wird verstärkt. Doch nicht nur für ihn ist es sehr anstrengend, auch seine Schüler werden seit Jahren „(h)erauf, herab und quer und krumm; / (…) an der Nase herum(gezogen)“ (V. 362-63) und durch sämtliche Themenbereiche geführt und müssen diese genauestens studieren, wie er metaphorisch verdeutlicht.

Das an dieser Stelle häufig verwendete Personalpronomen unterstreicht, dass Faust hier jedermann anspricht und feststellt, dass wirklich jede Person egal wie intelligent man ist oder wie viel man wissenschaftlich studiert hat, dennoch am Ende bei gewissen Fragen scheitert und diese nicht beantworten kann. Als ihm das bewusst wird meint Faust metaphorisch, dass ihm dies „schier das Herz verbrenne“ (V. 365).

Dieser bildhafte Ausdruck verstärkt den Eindruck seine inneren Erkenntniskrise ungemein, da man sich gut in Faust hineinversetzen kann und versteht wie er fast innerlich zerbricht.

Im weiteren Verlauf berichtet Faust genauer von seinen persönlichen Eigenschaften. Er stellt zuerst einmal mithilfe eines Dysphemismus klar, dass er intelligenter als alle anderen „(…) Laffen, / Doktoren, Magister, Schreiber und Pfaffen“ (V. 366-67) sei. Anhand dieser ausführlichen Auflistung aller möglichen Konkurrenten, wird hierdeutlich die überdurchschnittliche Intelligenz des Protagonisten untermalt.

Trotz dieser angst- und skrupelfreien Lebensweise ist ihm aber dennoch alle „Freud(e) (am Leben) entrissen“ (V. 370), wie er metaphorisch klarstellt. Dieser bildhafte Ausdruck stützt erneut den Eindruck eines sich in einer tiefen Erkenntniskrise befindenden Faust. ( Er führt ein ziemlich unzufriedenes und unglückliches Leben und es geht ihm innerlich so schlecht, dass ihm „schier das Herz verbrenne“ (V. 365) und alle „Freud(e) (am Leben) entrissen“ (V. 370) entrissen wurde.

Anschließend schätzt er sich selbst realistisch ein und meint, unterstützt durch eine Anapher, er „(b)ilde (…) (sich) (weder) ein (et)was Recht(e)s zu wissen; / (noch) (b)ilde (…) (sich) ein (er) könnte (et)was lehren. Dieser gleich beginnende Wortanfang macht dem Leser prägnant klar, dass Faust, seiner Meinung nach, sowohl in der eigenen Erkenntnisgewinnung, als auch als wissensvermittelnde Lehrerposition versagt habe.

Zum Schluss fasst er seine eigene Lage passend zusammen und ruft metaphorisch aus: „ Es möchte kein Hund so länger leben!“ Faust vergleicht sich hier also bildlich mit einem vielleicht streunenden Hund, der bekanntermaßen auch besitzlos ist und auf der Straße umherirrt.


Die Analyse des nächtlichen Reflexionsmonologs Fausts lässt abschließend erkennen, dass Faust zu Beginn der Gelehrtentragödie bereits tief in einer innerlichen Krise steckt, was schon durch die Regieanweisung, die die räumliche Enge vermittelt, deutlich wird. Trotz der mehr als ausgiebigen wissenschaftlichen Beschäftigung mit verschiedensten Themenbereichen ist Faust innerlich nicht von der daraus gewonnenen Erkenntnis befriedigt.

Die analysierte Textstelle ist von großer Bedeutung für denweiteren Handlungsverlauf, da der Leser hier zum ersten Mal in die Handlung eintaucht und man anschaulich in die erste der beiden Haupttragödien eingeführt wird. Außerdem ist Fausts innere Krise Hauptfaktor für die spätere Einwilligung des Pakts mit dem Teufel Mephisto, um sich aus seiner eigenen misslichen und unzufriedenen Lage zu retten, ein wichtiger Ausgangpunkt für die weitere Handlung.

Im weiteren Verlauf der Szene wendet sich Faust, den seine eigene Unzufriedenheit sehr belastet, der Magie zu und will sich schließlich Suizid begehen, da ein Leben ohne persönlichen Erkenntnisgewinn, seiner Ansicht nach nicht lebenswert und sinnlos ist. Beim Osterspaziergang stellt Faust fest, dass er innerlich durch zwei verschiedene Triebe zerrissen ist. Nach der Verwandlung eines vermeintlich zugelaufenen Pudels, der sich als Teufel Mephisto entpuppt, schließt Faust aus Verzweiflung eine Wette mit diesem ab.



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