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Aufsatz

Endlich daheim - Erzählung

12.740 / ~43 sternsternsternsternstern_0.75 Matthias F. . 2012
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Aufsatz
Deutsch

Universität Zürich

Müller, 2012

Matthias F. ©
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sternsternsternsternstern_0.75
ID# 22131







Endlich daheim

Erzählung


Für Philipp


Endlich daheim


Wenn es etwas gibt, das man immer ersehnen und manchmal auch erhalten kann, so ist es die liebevolle Verbindung zu einem Menschen.

                                                                                              Albert Camus


I


In einer kalten Winternacht, kurz nach Einbruch der Dunkelheit, als es zu schneien begann und schon bald dichter, lautloser Flockentanz, ohne scheinbar zu fallen, den weiten Raum über der grossen Stadt erfüllte, lag Georg Steiner im warmen Zimmer bei seinem vierjährigen Sohn Emanuel, der, da er an Grippe erkrankt war, im Bett Bilderbücher anschaute, zu denen ihm sein Vater Geschichten erfand.

Ungeachtet der Sorge um seinen Nächsten spürte der Mann die unbeschwerte Welt seines Kindes, in der er sich geborgen wusste, sodass die Gewissheit, endlich zu dem geworden zu sein, der er immer hatte sein wollen, aufglänzte in seiner Vorstellung und Ruhe sich über ihn senkte. Das Kind, dachte er sich, war dazu geboren, glücklich zu sein und glücklich zu machen und obwohl ihn eben noch Besorgnis quälte, fühlte er nun deutlich die Besänftigung, welche, nachdem er die Fensterläden zugesperrt und verriegelt hatte, beim schwachen Schimmer unter dem grünen Lampenschirm von ihm ausging.

Draussen war alles wie erstorben, sodass der Mann in Gedanken seiner inneren Melodie folgte, welche ohne die Anwesenheit des Kindes zu vernehmen, oft nur unter Schmerzen möglich war.


Jeder wusste, wie sehr der Mann am Kind hing; denn seit es auf der Welt war, hatte sich ihm vieles verändert. Manchmal, wenn Steiner im dunklen Zimmer darauf wartete, bis sein Sohn eingeschlafen war, und über seine Verwandlung nachsann, kam es ihm so vor, als spreche aus den entlegenen Bezirken seiner Seele etwas zu ihm, das Bestand haben müsse.

Vergegenwärtigte er sich dann, während er mit den Händen die nackten Füsse des Kindes umschlossen hielt, die nächsten Tage des Schreibens, an denen er sein Werk fortzusetzen trachtete, erstarkte er an Zuversicht, da er spürte, dass bei jener Arbeit, in der er als Weltabgewandter wie in weichen Träumen rastete, nichts schiefgehen konnte. Häufig durchdrang ihn in solchen Momenten die Überzeugung, jeder gelungene Satz leite ihn bis zur nächsten Absonderung durch die lebhaften Unterrichtsstunden am Gymnasium, an dem er, unweit der stillen Strasse, wo er zusammen mit Frau und Kind in einem Vorstadthaus aus der Jahrhundertwende wohnte, als Lehrbeauftragter Englisch und Deutsch unterrichtete.


Wie wäre das Leben zu ertragen, fragte sich der Mann auch jetzt, wenn es ihm nicht immer wieder gelänge, bei dem, was er tat, die Phantasie mitwirken zu lassen, um so den Alltag über Bilder zu verwandeln, die, wie er wusste, dem Ort der inneren Ruhe entsprangen.


Georg Steiner war also ein Träumer und weil er erfahren hatte, dass der Glückliche nicht phantasiert, brauchte er, damit er nicht von Neuem auf etwas zutrieb, vor dem er sich fürchtete, zur Korrektur der prosaischen Wirklichkeit die tägliche Abschweifung. Wollte er sich indessen Rechenschaft darüber ablegen, was es denn sei, an dem er leide, hätte er nicht genauer sagen können, um was es sich handelte, weshalb er zweimal in der Woche einen medizinischen Analytiker aufsuchte, von dem er gelernt hatte, dass es einzig und allein darauf ankam, das, was ihm ohne die Gegenwart des Kindes zu schaffen machte, in Worte zu fassen, da es sich andernfalls weder begreifen noch deuten liess.

Vielleicht war das, was ihn quälte, etwas Numinoses, gab ihm der Analytiker zu verstehen, ein Verhängnis oder ein Schicksal, welches, wie jener glaubte, in seiner Bedeutung nur zu ergründen war, sofern sich Steiner ohne Einschränkung mit ihm auseinandersetzte.


Da sich für den Mann jedoch nirgends ein fester Punkt abzeichnete, auf den er hätte zusteuern können, hatte er, wenn er im Mansardenzimmer arbeitete, beim Formulieren mitunter das Gefühl, als müsse er alles, was er an Kunstsinn aufzubringen vermochte, in die Erforschung seiner geheimen Gemütsbewegungen einfliessen lassen; schliesslich war Trost erst über die Schönheit möglich und nur wenn im Umkreisen allfälliger Ursachen seines Kummers die Form glückte, wähnte er sich bis zur nächsten Verausgabung in Sicherheit.

Gelang die Form und nahm der Text Gestalt an, spürte Steiner, dass er über einen Innenschwerpunkt verfügte, auf den er sich verlassen konnte. Fast immer verflüchtigten sich in solchen Augenblicken die Gedanken an den eingewachsenen Schmerz, sodass er, aufgehoben in einem künstlichen Zusammenhang, nach verlässlichen Gesetzen zu entscheiden in der Lage war, wie er in praktischer Hinsicht die nächsten Tage angehen musste, damit ihm nichts den Geist verdunkelte oder das Dasein beschwerte.


So fühlte er denn auch heute, als er nach der langen Zeit des Wartens im schalltoten Raum des Winterlichts die Urbilder entziffern und in Sprache übersetzen konnte, etwas Warmes, Weiches, das, während draussen Schnee ans Fenster fiel, sich in seinem Innern ausbreitete, worauf es, trotz der Dringlichkeit, die ihm half, alles zu erzählen, mit einem Mal nichts mehr gab, das ihn störte und mit dem er sich nicht hätte einverstanden erklären können.


Ohne es eigentlich zu wollen, war er beim Schreiben in jenen merkwürdigen Zustand geraten, in dem das, was er zu sagen hatte, immer auch das Ganze meinte. Die Schwelle zur klaren, würdigen Gelöstheit, zu Gleichmut und Gelassenheit war überschritten, und das Nachempfinden des Textes hinterliess noch Stunden später einen Niederschlag von Frieden in seinem Herzen.

War dies der Grund, weswegen es ihm nun so vorkam, als sei er trotz der Einschränkungen, welche ihn zuweilen quälten, schliesslich doch noch zu dem geworden, der er schon lange hatte sein wollen? Im Beisein des Kindes vermochte er jedenfalls an nichts zu denken, um dessentwillen er sich ernsthaft hätte sorgen müssen. Hatte er, was seine privaten Verhältnisse anbelangte, nicht alles, um sich leicht und heiter mit dem Kind auf die Zukunft zu freuen, um Anteil zu nehmen an seiner Entwicklung, zumal diese ihm erlauben würde, das eigene Heranwachsen in anderer Form neu zu erleben? Möglicherweise gelang es ihm sogar, das Kind so zu beeinflussen, dass es dereinst ohne die Beschränkungen seines Beschützers sich zu etwas ganz anderem entfalten konnte, als er selber verkörperte.


Alles, worauf es jetzt ankam, befand sich im Haus, dachte der Mann, im Zimmer bei seinem Kind, das, im Bett sitzend, Bilder zu einer Tiergeschichte kommentierte, dabei hin und wieder den Daumen zum Mund führte und mit den Fingern der freien Hand ein Stück Kaninchenfell streichelte, welches auf der Bettdecke lag.

Der Blick des Mannes ruhte auf dem Gesicht des Kindes, in dem nichts heftig oder hastig war. Er vertiefte sich in das nachdenkliche Profil, sah die kleine, aufgeworfene Nase, die langen Wimpern und die Zungenspitze, welche ein wenig zwischen den Zähnen hervorschaute, legte, um sich zu vergewissern, dass das Fieber am Abklingen war, die Handfläche auf den Kopf seines Sohnes und betastete hernach die glatte, sanft ansteigende Stirn, indem er die bis zu den Augenbrauen ins Gesicht fallenden Haare leicht nach hinten strich.

Alles konnte so einfach sein, sagte sich der Mann, und er suchte mit dem Kopf die weichen, runden Wangen seines Gegenübers. Ein urweltliches Zusammengehörigkeitsgefühl bestimmte die Zeit vor dem Schlafengehen. Die todesschweren Zukunftsgedanken schienen gebannt, sodass Steiner - während er seinem Sohn erzählte, was dem Elefantenkönig Babar und Celeste, seiner Frau, auf der Hochzeitsreise alles zustösst - beim Sprechen mitunter die Vorstellung begleitete, als würde der Mond langsam am Himmel aufgehen und das Haus mit seinem alten, verschneiten Garten bescheinen.

Das Haus und seine Bewohner waren in Sicherheit; nichts konnte ihnen geschehen, solange das Licht des Mondes sie beschirmte.


Wenig später, nachdem Steiner das Buch mit der Bildergeschichte weggelegt hatte und seine Phantasie durch nichts mehr beflügelt wurde, schwieg er eine Weile in sich hinein und überliess sich ganz dem natürlichen Strom seiner Empfindungen. Die Hände des Erwachsenen ruhten flach und locker auf den ausgestreckten Beinen, doch berührte er mit dem Kinn die Brust und warf dem Kind Seitenblicke zu, da er sich vergewissern wollte, ob diesem vor Müdigkeit nicht endlich die Augen zufielen.

Zu seiner Verwunderung war das Kind noch immer hellwach, griff sogar dem Erwachsenen mit der Hand ins Gesicht und wollte, dass dieser ihm eine letzte Geschichte erzählte, eine Geschichte, die, wie es meinte, von ihm selber handeln sollte.


Während Steiner überlegte, wie er das Kind mit seiner Rede in den Schlaf begleiten könnte, hob er den Kopf und schaute zu dem buntscheckigen Wandbehang über dem Bett, den Marianne, seine Frau, als sie schwanger war, aus alten Stoffresten zusammengenäht hatte. In den Flächen, Formen und Farben erkannte der Mann ein Erbe, das ihm inzwischen so bedeutungsvoll war, wie er es früher nie geahnt hätte.

Lange betrachtete er den Wandbehang, auf dem ein Reiter, unterwegs zu einer Königstochter, zu sehen war, welche im Garten vor einem Schloss in sich zusammengesunken träumte. Um die Wirkung seiner Worte besser zu prüfen, neigte sich der Erwachsene über das Kind und befühlte mit den Fingerspitzen die durchsichtige Haut an seinen Schläfen. „Der Reiter“, sagte der Mann, indem er in die grossen, ruhevollen Augen seines Sohnes blickte, „der Reiter ist der Bub, und die Frau, die schläft, ist seine Mutter.

Der Bub steigt vom Pferd, weckt die Mutter und geht mit ihr ins Schloss, wo sie zusammen den Vater suchen, der im Wohnzimmer auf dem Sofa liegt und in einem Buch liest. Der Vater hat auf den Bub gewartet, damit sie miteinander spielen können, doch möchte der Bub lieber, dass der Vater nach draussen kommt, damit er ihm sein Pferd zeigen kann.“


„Nein, das ist gar nicht wahr“, antwortete das Kind und nahm den Daumen aus dem Mund, während es sich weiter mit dem Zeigefinger über den Nasenrücken strich und den Vater darauf hinwies, dass der Reiter ein Königssohn sei und die Frau eine Prinzessin. „Der Reiter ist der Prinz“, sagte der Junge, „und die Frau das schlafende Dornröschen.“


„Auch im Schloss ist alles in einen Zauberschlaf gesunken“, fuhr der Mann fort, „weil vor hundert Jahren die Prinzessin sich an der Spindel der bösen Fee in den Finger gestochen hat. Alles im Schloss ist zur Ruhe gekommen. Der König und die Königin sind eingeschlafen und der ganze Hofstaat mit ihnen. Im Stall ruhen die Pferde, im Hof die Jagdhunde und auf dem Dach die Tauben.

Selbst die Mäuse in der Speisekammer und die Fliegen an der Wand befinden sich im tiefsten Schlaf. Die Uhren stehen still im Schloss, und auf dem Herd in der Küche ist das Feuer erloschen. Der Braten im Ofen hat aufgehört zu brutzeln, und auch der Koch, der den Küchenjungen, weil dieser etwas Dummes angestellt hat, an den Haaren hat ziehen wollen, ist eingeschlummert.

Im Garten hat sich der Wind gelegt, und in den Bäumen bewegt sich kein einziges Blättchen. - Aber morgen, wenn der Prinz kommt, öffnet sich die Dornenhecke, welche das ganze Schloss umzieht. Doch erst wenn der Prinz der schönen Prinzessin einen Kuss gibt, wird sie die Augen aufschlagen und alles im Schloss erwachen. Dann wird die Hochzeit der Königskinder mit grosser Pracht gefeiert, und von da an werden sie vergnügt und glücklich bis in alle Ewigkeit weiterleben."


„Kommt der Prinz jetzt?“ fragte das Kind nach einiger Zeit und legte dem Vater die Hand auf den Bauch.

„Nein, der Prinz kommt morgen“, gab ihm der Vater zur Antwort, wobei er den Jungen an sich zog und für sich selber lächelte.

„Und wohin gehen wir morgen?“

„Hinters Haus in den Garten, damit wir den Schnee wegräumen können. Oder möchtest du lieber mit dem Schlitten in den Wald?“

„Lieber ein Piratenschiff bauen. Ich bin der Kapitän, doch du darfst ans Steuer. Auf dem Schiff habe ich keine Mutter, aber hier habe ich eine. Du bist mein Bruder, und wir fahren auf die Insel den Schatz suchen.“

„Und was machen wir, wenn wir den Schatz gefunden haben?“

„Wir gehen in die Kajüte, trinken Rum und legen uns in die Hängematte. - Sag, warum dauert es so lange, bis es morgen ist?“

„Weil du die Augen noch nicht geschlossen hast, mein lieber Sohn, und dabei bist du doch so müde.“

„Gell, du bleibst bei mir und lässt das Licht brennen“, sagte das Kind zum Schluss und nahm von neuem den Daumen in den Mund. Hernach legte es sich auf die Seite, sodass der Erwachsene, während er ihm das schweissverklebte Kopfhaar hinter die Ohren strich, genau beobachten konnte, wie sich seine Schulter langsam und regelmässig auf und nieder bewegte.


Nachdem der Mann das Kind bis zum Hals zugedeckt hatte, faltete er die Hände auf der Brust. Er verharrte eine Zeit lang in dieser Haltung und schaute zu dem weissen Leintuch, das, vom Fenster zum Kleiderkasten gespannt, einen grossen, mit schwarzem Filzstift aufgetragenen Totenkopf zeigte. Als Kanonenmündung ragte unter dem Bett ein Kartonrohr hervor, und der runde Korkuntersatz auf dem Kindertisch diente als Schiffsteuer.

Der Regenmantelgurt, welcher um ein Tischbein gewickelt war, fungierte als Ankertrosse, das Leintuch war das Segel und der Mastkorb der Stuhl, von dem aus das Kind mit einem Kaleidoskop in der Hand auf Schatzinselsuche ging. Fast alles, was der Mann sah, nahm in der Welt seines Sohnes eine andere Bedeutung an. Was Wirklichkeit war, hatte oder wollte dieser noch gar nicht erfahren, und wieder einmal spürte der Erwachsene, dass es im Grunde falsch war, so wie der König im Märchen zu glauben, des Lebens dunkle Seite, das Unberechenbare, Böse und Bedrohliche, von seinem Nächsten fernhalten zu können.

Andererseits bedauerte er auch, dass es ihm nicht möglich war, abends vor dem Schlafengehen mit dem Kind zu beten. Der Zauberring, mit dem er seinen Nachkommen zu umkreisen versuchte, könnte den Verwünschungen des Dämonischen, dem Unheil und der Schlechtigkeit auf die Dauer ja nicht Einhalt gebieten. Irgendwann müsste das Kind erfahren, dass ein ungetrübter Lebensbezug sich für länger nicht verwirklichen liess, zumal eine letzte Instanz fehlte, die alles hätte auflösen und erklären können.

Dass der Mann, ohne in der Lage zu sein, gültig über sich selbst hinauszudenken, sich auch künftig ganz auf die Unordnung im eigenen Kopf verlassen müsste, empfand er nun gleichsam als Mangel und Versagen. Nichts von dem, was die Schriften verkündeten, würde er auf seinen Liebsten übertragen, denn unwiderlegbare Einsichten, die er als Beschützer seinem Sohn bewahren musste, kannte er nicht.


Das Leben ist eine lange, schwierige Erfahrung, dachte Steiner und wenn die Welt des Kindes bis auf Weiteres einfach und unbelastet blieb, so nur aufgrund vorsätzlicher Täuschung. Welchen Erschütterungen wäre das Kind wohl ausgesetzt, fragte er sich, wenn es erführe, dass seine Beschützer, da sie nicht allmächtig waren, vieles von dem, was es ihnen zutraute, gar nicht beherrschten.

Natürlich müsste man dem Schrecken, genauso wie der ungebärdigen Freude früher oder später Einlass gewähren, sagte sich Steiner, aber wie würde Emanuel dann reagieren, wenn er zum Beispiel vernähme, dass die Tiere, welche ihm so lieb waren, in Wirklichkeit geschlachtet wurden und man täglich deren Fleisch verzehrte? Die Knochen, an denen das Kind so gerne kaute, wuchsen schliesslich nicht auf den Bäumen und wenn es erst einmal begreifen würde, was man ihm zum Essen auf den Teller legte, müsste es auch endlich verstehen, was für verrohte Ungeheuer die Menschen waren.


Wie also, überlegte sich der Erwachsene, sollte das Kind grösser und reifer werden, wenn in der Totenstille der Winternacht alle Formen der Verstörung und des Entsetzens nur darauf warteten, um in sein helles Dasein zu dringen, wo sie, kaum hatte er das Licht ausgelöscht und das Zimmer verlassen, als böse Traumgesichte das Kind aus dem Schlaf aufschreckten, sodass es im Bett der Eltern immer häufiger getröstet werden musste.

Angesichts solcher Einschüchterungen, dachte Steiner, konnte das Weiche, Unverformte in der Welterfahrung seines Sohnes sich vermutlich nicht zu einem tragenden Existenzgefühl verfestigen, doch wollte er den Wunsch, alles so für das Kind einzurichten, damit es sich auch an eine ihm feindlich gesinnte Umgebung hätte anpassen können, gleichwohl nicht preisgeben.

In den Märchen freilich, die der Mann dem Kind erzählte, nahm alles ein gutes Ende, weshalb er bisweilen zur Annahme neigte, dass über die Erfahrungen, die seine Geschichten ermöglichten, das Kind Vertrauenskräfte entwickeln konnte, aufgrund derer es zur Einsicht gelangen müsste, dass auch seine Bedürfnisse befriedigt würden und auch seine Wünsche in Erfüllung gingen, denn trotz aller Begrenzung sollte es sich als Heranwachsender sicher und geborgen fühlen und so im Bewusstsein erstarken, dass die Schwierigkeiten, welche es noch zu erdulden hatte, besiegt und überwunden werden konnten.

Mithin, glaubte Steiner, müssten die Märchen, indem das Böse in ihnen benannt und vernichtet wurde, dem Kind Trost einflössen und so die Gewissheit fördern, dass eine farbige, Glück verheißende Zukunft nicht durch Versagung und Entzug von Anfang an infrage gestellt war. Vielleicht, sagte sich Steiner, vermittle ich dem Kind, indem ich es über die Aktivierung seiner Phantasie an einer ganz anderen Welt teilnehmen lasse, mithilfe möglicher Übereinstimmungsmuster jene Zuversicht, die nötig ist, den Widrigkeiten des Daseins zu trotzen.

Beim Erzählen der Märchen, vergegenwärtigte sich der Erwachsene, nimmt ja die Furcht, von der Hexe oder einem andern Unwesen verschlungen zu werden, greifbare Gestalt an, von der das Kind, da am Ende die Hexe im Ofen verbrennt und auch sonst alle Bedrohung überwunden wird, sich jedoch befreien kann, sodass ihm vorübergehend etwas zuteilwird, das Tröstung und Ermutigung erlaubt.

Ausserdem lernt das Kind, dachte Steiner, da die Helden im Märchen furchtlos und unerschrocken alles aufs Spiel setzen, um ihre Nächsten zu retten, dass in der unbedingten Fürsorge für die, die ihm am liebsten sind, auch Heilsgewissheit und Erlösung gründen, eine Form von Erlösung im Übrigen, die der Erwachsene bereits an sich selbst erfahren hatte; und auch jetzt fühlte er wieder, wie sehr sich alles verfeinerte, sofern er nur die schuldlose Gegenwart seines Kindes auf sich einwirken liess.


So besehen, war Erlösung auch ohne letzte Instanz möglich und erfüllte sich für den Mann in der Vorstellung, dass er seinen Nachkommen mehr als alles auf der Welt liebte und ihm zuweilen fast wie einer betörend schönen Frau verfallen war. Jedenfalls kam es selten genug vor, dass sich der Mann den Ansprüchen seines Sohnes entziehen konnte, dass es ihm gelang, sich seinem Werben, Wünschen und Fordern zu widersetzen, weshalb das Kind, wenn der Erwachsene sich etwa am Sonntagmorgen vom Unterricht an der Schule erholen wollte, sich häufig auf den Standpunkt stellte, der Vater sei Beschützer und Spielkamerad in einem.


Weil beim Spielen das Kind den Vater zu erlösen vermochte, machte es diesem auch nichts aus, wenn er sich von Marianne sagen lassen musste, er solle Emanuel, der ihn unentwegt umschmeichelte, doch weniger verziehen und ihm nicht alles durchgehen lassen. Allein wenn das Kind eine Frau gewesen wäre, hätte es Steiner beunruhigt, sich derart in Abhängigkeit zu jemand anderem zu finden; denn schliesslich war sein Daseinsglück untrennbar mit der überschäumenden Lebensfreude seines Sohnes verknüpft, weswegen es ihm lediglich natürlich erschien, dass er sich vorbehaltlos auf das Werben des Kindes einliess, um darin aufzugehen und die schönen Augenblicke zu geniessen.


Sicher wird das Kind sich gesund schlafen, dachte sich Steiner, als ihm auffiel, wie ruhig und gleichmässig es neben ihm atmete. Zwar schnarchte es manchmal leise, hielt auch öfters den Atem an und seufzte hernach wie bei einer grossen Erleichterung, indem es die Luft über den halb geöffneten Mund bis tief in die Lungen zog, doch atmete es nachher wieder ruhig und gelassen, sodass ausser dem besänftigenden Ein- und Ausatmen keine andern Geräusche zu hören waren.

Ab und zu regte es sich unter der blauen, mit Tierfiguren bedruckten Bettdecke, streckte sich im Schlaf und griff mit der kleinen Hand nach dem Kaninchenfell, welches hinter ihm auf dem Kopfkissen lag, lutschte am Daumen und murmelte im Schlaf vor sich hin, sprach vielleicht im Traum und lachte sogar einmal laut auf, sodass sich der Erwachsene gerettet und in Sicherheit glaubte.


Ohne die Liebe ist alles umsonst, ging es Steiner durch den Sinn, und er war erleichtert, dass nichts mehr ihn behelligte. Blickte er auf das Kind, so spürte er, dass alles sich im Gleichgewicht befand und da er nicht länger seinen inneren Schwankungen ausgesetzt war, überlegte er sich, ob er nicht ins Wohnzimmer zu Marianne gehen solle, um ihr bei der Arbeit am Quilt, einer Flickendecke aus Seidenresten, zuzuschauen, die ihm seine Frau zum vierzigsten Geburtstag versprochen hatte.

Der Quilt war für Steiner ein Liebestuch, und als solches erzählte es ihm etwas, das nicht in seiner äusseren Gestalt erschien. Indessen, glaubte Steiner, war es nicht die Frau, die das Muster ersann, sondern das Muster sprach zu ihr als Ausdruck überpersönlicher Mächte. Dem Analytiker, einem Schüler des berühmten Schamanen, war der Quilt ein Spiegel des Selbst in seiner mikroskopischen Natur, ein Kryptogramm der Seele sozusagen, das, wie er Steiner einst erklärt hatte, vor allem in den Schöpfungen, welche das Allerheiligste darzustellen versuchten, anzutreffen sei.

Die Seele, hatte der Analytiker gesagt, habe Anteil am Ewigen, sei aber als Urbild nur indirekt im Werk in geistig spiritueller Repräsentation zu erfahren, was Steiner als Erklärung allenfalls dann gelten lassen wollte, wenn er glücklich war.


II


Nachdem der Mann das Zimmer, in dem das Kind ruhig und fest eingeschlafen war, verlassen hatte, tastete er sich durch den dunklen Korridor zur grossen, hell erleuchteten Wohnstube, wo seine Frau, mit dem Rücken den Wandschrank berührend, am Boden sass und ein rotes Stück Seide auf ein grünes Leinenquadrat nähte.

Die Flickendecke, welche durch die bereits aneinandergereihten Stoffreste entstanden war, lag ausgebreitet neben ihr, wobei das Sternenmuster, an dem Marianne gerade arbeitete, durch die Anordnung der Quiltelemente vergrössert aus der schwarz-braunen Umrandung des Dekorationsobjektes herausstrahlte. In der Zusammenfügung der einzelnen Sternenquadrate schienen sich für Steiner die einzelnen Stoffelemente durch die Farbverschmelzung optisch in Bewegung zu setzen und die Quiltdecke innerhalb des übergeordneten Musters mit Leben zu erfüllen, sodass er in der atmenden Erweiterung der Wohnstube den Eindruck gewann, als ob die farbigen Flicken zu schwingen und zu pulsieren begännen, was ihn unvermittelt daran erinnerte, dass er so wie die jeweiligen Stoffreste einzig im Zusammenhang mit seinen Nächsten und verbunden mit jenen, die er liebte, wirklich zur Geltung gelangen konnte.


Nie mehr will ich allein sein, dachte Steiner und legte sich trotz der milden, begütigenden Atmosphäre, in der die Duldsamkeit und das Verständnis gegenüber den andern eine Selbstverständlichkeit waren, in vollkommener Müdigkeit aufs Sofa, wo er ganz automatisch die Hände unter den gekreuzten Armen verbarg und widerstandslos zu sprechen begann.


„Alles, was ich bin“, sagte er zu Marianne, „bin ich durch dich und das Kind. Ohne euch wäre ich schwach und hinfällig, ja hinfällig und verzweifelt wie nur in den schrecklichsten Träumen, in denen ich, zurückversetzt in die Studienzeit, einsam und verlassen durch die Strassen der Stadt haste, immer auf der Suche nach der unbekannten Geliebten, der ich mich hätte anvertrauen können.

Oftmals erblicke ich dann im Menschenauflauf eines grossen Platzes dein schönes Gesicht, worauf mir noch im Traum bewusst wird, dass die Frau, nach der ich gesucht habe, schon lange neben mir liegt und schläft.“

„In dem andern wiederkehrenden Schreckenstraum“, fuhr Steiner weiter, „finde ich mich in der totenähnlichen Stille eines heissen Sommertages im hohen Gras einer steil abfallenden Böschung und vermag gerade noch das Kind zu umfangen, bevor es den Abhang hinunterkollert. - Überhaupt bin ich immer, wenn ich vom Kind träume, in Sorge, dass ihm etwas zustösst.

Lastwagen rasen auf einer breiten Fernverkehrsstrasse durch einen dunklen Tannenwald, und in der Wohnung im obersten Stockwerk stehen alle Fenster offen. Eben hat das Kind noch vergnügt am Ufer des Sees gespielt und wenn ich zu ihm ins Zimmer trete, stöpselt es gerade den Schraubenzieher in die Steckdose. „


„Aber auch tagsüber ist jedes Kind, das ich weinen höre, mein Kind. Zuweilen glaube ich gar, eine nahende Katastrophe zu fühlen, und ich wünsche mir dann, Emanuel immer bei mir zu haben, damit ich ihn beschützen könnte. - Richtig aufzuatmen vermag ich jeweils erst, wenn ich von der Schule nach Hause komme und ungestört in der Küche mit euch am Tisch sitze.

Erst das gemeinsame Abendessen gibt dem Tag die Weihe, und der Wein, den ich dazu trinke, stimmt mich feierlich, so als sei ich im Schwingungsfeld meiner Liebsten in der Lage, die Welt in jedem Augenblick neu zu erfinden.“


Zur Antwort hob Marianne nur den Kopf und schaute Steiner lange an. In der Stille der Wohnstube kam es ihm so vor, als ob im Nachklang dessen, was er geäussert hatte, alles verstummen müsste. Nichts dämpfte seine Gedanken, und die Einbildungskraft schien geläutert. Der Traum vom Zusammenhang aller Entsprechungen, dachte er, war noch lange nicht ausgeträumt.

Selbst die naturfremden Geräusche, welche er nun vernahm, vermochten ihn nicht von seiner Mitte abzulenken, und noch an der letzten Grenze des Bewusstseins spürte er, dass er jetzt glücklich war. Gleichzeitig belebte ihn der Anblick der Quiltdecke, aber er wusste  sich in der Harmonie der farbigen Formen auch aufgehoben und geborgen. „Wenn ich beim Schreiben an unsere Geschichte denke und die Zukunft, welche noch daraus erwachsen kann, weiss ich, dass ich endlich alles richtig mache; denn in meiner Verbindung trägt mich etwas, das Vertrauen, Zuversicht und Rückhalt ermöglicht, sodass ich mit einem Mal das, was mich selbst betrifft, so zum Ausdruck bringen kann, wie ich es früher stets gewünscht habe.

„

Marianne strich sich mit dem Handrücken übers Kinn, zog langsam die Beine an sich und umschlang hernach mit den Armen ihre Knie. Nachdem sie den Kopf auf die angewinkelten Beine gelegt hatte und Steiner prüfend in die Augen schaute, fragte sie ihn, warum ihm nur alles oft so kompliziert sei, so verwunschen und verworren? „Warum“, wollte sie wissen, während ihr Blick ruhig auf dem Gesicht des Mannes ruhte, „fällt dir denn manchmal alles so schwer?“


Der Mann schwieg eine Weile und machte eine Geste der Ratlosigkeit, antwortete dann aber, dass er oft wie von einem bösen Geist getrieben werde, wodurch sich ihm alles verdunkle, sodass er in tiefe Hoffnungslosigkeit versinke, in welcher er die Sprache zu verlieren drohe. Obwohl er am Abend vielleicht noch die Gewissheit verspürt habe, die sehnlichsten Wünsche seien endlich in Erfüllung gegangen, scheine mitunter am Morgen, so als steuerten Dämonen den Strom des Bösen, bereits wieder alles infrage gestellt.

Um sich über seine inneren Verwüstungen hinauszuschwingen, sagte Steiner, müsse er in den Momenten der Sinnlosigkeit sich ganz auf die Kraft der Phantasie verlassen. Diese helfe ihm, sein Schicksal, gerade weil das Ich etwas Fluktuierendes sei, immer wieder anders zu formulieren und neu zu deuten.


Nicht selten erlebe er sich in der Niedergeschlagenheit als schlecht verfasster Text oder vergleiche seine Übellaunigkeit mit entstellten, formlosen Sätzen, die verloren als grüne Zeichen auf einem schwarzen Bildschirm flimmerten. Allerdings vermöge er selbst in der grössten Verdrossenheit noch erste, Glück verheißende Schreibansätze auszumachen, auf die er sich bereits eingestimmt habe, weshalb er sich auch niemals dazu bereit erklären würde, das, was im ganzen stümperhaft zusammengestoppelt sei, über einen einfachen Befehl zu löschen.

Vielmehr verspüre er die Verpflichtung, solange am Text herumzuflicken, bis das Geschriebene bereinigt sei und er sich abermals akzeptieren könne. - Natürlich sei damit noch nicht bestimmt, erklärte Steiner weiter, wodurch sich ihm so vieles unentwegt verheddere, doch glaube er, dass die verhassten Verwicklungen, das Steckenbleiben in den tagtäglichen Verstrickungen wesentlich mit seinen gedrückten, missmutigen Stimmungen, den kontaminierten Empfindungen also, zu tun habe; denn fühle er sich stark, gesund und ausgeglichen, mithin so, dass er imstande sei, die Fragen, die ihn selbst beträfen, offen und angstfrei anzugehen, könne ihn nichts bedrängen.

„Dies hängt vermutlich damit zusammen“, fuhr Steiner fort, „dass in der geisttötenden Normalität des Alltags das Kind die stärkste anarchistische Bestimmung erfüllt, die ich kenne. Indem das Kind in seiner archaischen Unbekümmertheit Nein sagt zum Bestehenden und so gegen die Regeln der Erwachsenenwelt verstösst, erlaubt es diesen, der Welt, wie sie ist, in plötzlich auftretender Freiheit gegenüberzutreten.

Ein Kind zu haben, bedeutet Abenteuer, Emotionalität und Dynamik, was, wie ich annehme, auch für andere der Grund ist, ungeachtet der endzeitlichen Bedrohungen, denen sich niemand entziehen kann, nach wie vor Kinder in die Welt zu setzen. Insbesondere gilt für mich, dass ich ohne die beglückende Störung durch das Kind noch weitaus häufiger niedergeschlagen und verzweifelt wäre, was indessen nicht meint, dass das Kind nicht unaufhörlich Anlass böte, sich Sorgen zu machen und zu verzweifeln.“


„Im Grunde ist dein jetziges Leben ein einziger Lobgesang auf das Kind und da du es mehr als dich selber liebst und bisweilen schon fast abgöttisch verehrst, hast du natürlich Angst, es zu verlieren. Aber auch mir kommt es oft so vor, als sei ich in jenem Augenblick, in dem das Kind geboren wurde, für immer angekommen und endlich daheim.“


„Ja, das Kind ist ein Heilsstifter“, sagte der Mann, „ein Sinnbild der Ganzheit und ein Weg zur Mitte, denn seit es auf der Welt ist und ich mich von ihm führen lasse, hat mein Dasein eine Richtung.“


Also folgt er dem Kind wie seinem Leitstern, dachte die Frau, während sie eine Weile schwiegen, und suchte, indem sie den Kopf ein wenig zur Seite neigte, mit starrem Gesichtsausdruck die Augen ihres Mannes, doch schien dieser, in sich versunken, ins Leere zu sinnieren. Noch immer am Boden sitzend, wo sie, zuweilen am Flickstern arbeitend, sich zu sammeln versuchte, erwartete sie in der winterlichen Abgeschiedenheit eine Bemerkung seinerseits, damit der gemeinsame Bezug zur Wirklichkeit von Neuem hergestellt wäre.

Selbstredend wusste sie, dass das Glück und die Erfüllung, welche eben einen Moment lang für den Mann aufgeleuchtet hatten, sich auf Dauer und über die Zeit hinaus nicht bewahren liessen. Zwar war ihm das Kind ein Leitstern, sagte sich die Frau, aber in der atemlosen Stille, durch welche sie beide zu sich kamen, gab es noch etwas anderes, das für den Mann erst später zu benennen war.


Marianne spürte, wie sie langsam müde wurde, sodass sie am liebsten die Augen geschlossen hätte und im Sitzen eingeschlafen wäre. Vor lauter Müdigkeit war sie jetzt kaum mehr ansprechbar, doch nahm sie, anstatt, wie es ihr gerade entsprochen hätte, sich weiter gehen zu lassen, die Quiltdecke und verstaute sie möglichst geräuschlos im Wandschrank.

Anschliessend stand sie auf und räumte die Stoffreste in eine durchsichtige Plastiktragtasche, welche sie ins angrenzende Schlafzimmer brachte und dort auf das Tischchen beim Fenster legte.


Während die Frau am Fenster stand, betrachtete sie sich im Widerschein der Zimmerlampe und blickte dabei gleichzeitig auf die gegenüberliegenden Wohnhäuser, in denen hier und da noch Licht brannte. Aufgehoben in sanfter Gegenwart, wunderte sie sich, dass es ihr nicht öfter gelang, ganz in der Stille zu verharren, um wie in eben diesem Augenblick allmählich in sich abzusinken. - Nun, da sie endlich angekommen war, erschaute sie alles in einem warmen, weichen Licht, erwachte in einem Licht, das mild und gedämpft zugleich war, und konnte , nachdem auch der Mann eingeschlafen war, sich ungestört vorstellen, wie dichte, fetzenförmige Schneeflocken zur Erde in den Garten segelten, sodass am Morgen, wie sie dachte, wenn Georg mit dem Kind in der Wohnung spielen würde, draussen am Boden überhaupt keine Gegenstände mehr zu sehen wären und sie vielleicht Zeit und Aufmerksamkeit fände, weiter an ihrer Quiltdecke zu arbeiten, damit das gemeinsame Leben über die gesammelte Orientierung auch im Kopf seinen geordneten Fortgang nehmen könnte, wodurch sich, zukunftssicher, wie sie dann sein müsste, alles in Gedanken so zurechtrücken würde, dass die Zeichen des Schrecklichen sich vorübergehend auflösen und verflüchtigen müssten.


Wenn nur alles so bleiben könnte, wie es jetzt gerade ist, sagte sich die Frau und trat etwas näher zum Fenster, da sie feststellen wollte, ob es draussen wirklich noch immer schneite. Über der Einsamkeit des Gartens lastete die Nacht, und von den Häusern auf der andern Strassenseite schienen die erhellten Fenster vom Schneefall fast zu ersticken.

Müde legte die Frau den Kopf in den Nacken und starrte in den Winterhimmel, aus dem die Flocken, aufschimmernd im Licht des Zimmers, herunterschwebten, um wenig später von der leeren Fläche, welche sich ums Haus herum ausbreitete, aufgeschluckt zu werden.


Einmal, als Marianne so nah am Fenster stand, dass sie mit der Stirn das kalte Glas berührte, hörte sie, wie das Kind im Schlaf jemanden laut verwünschte, doch als sie zu ihm ins Zimmer trat, um nachzusehen, ob sie es trösten müsse, atmete es bereits wieder ruhig und regelmässig. Marianne spürte, als sie sich behutsam über das Kind beugte, wie sehr sie ihrem Sohn ausgeliefert war, und wusste, dass, wenn sie sich weiter auf ihn einliesse, sie vor Rührung sich in allem wiederfände, was das Kind ausmachte.

Nichts könnte Emanuel je ersetzen, dachte sie, und alles würde sie ihm opfern, doch wenn sie sich vergegenwärtigte, wie sehr sie ihn ins Herz geschlossen hatte, wurde er ihr unvermittelt auch fremd, fremd wie nur das Allerliebste, denn Fremdsein und Distanz, sagte sie sich, waren nötig, damit das Kind als das Weichste, das sie kannte, auch in Zukunft Aufgabe und Verpflichtung für sie bleiben konnte.


III


Weil Emanuel seit Langem die Angewohnheit hatte, nachts sein Zimmer zu verlassen, erwachte er auch am andern Morgen im Bett seiner Eltern. Feierlich legte er den Finger auf seinen Mund, während draussen die Glocken den Sonntag einläuteten, und blinzelte verstohlen zur Mutter, die, ein Kissen im Rücken, aufrecht im Bett sass und das Kinn in die Hand stützte.

Manchmal fasste der Mann auch das Kind ins Auge, das versonnen die Lippen spitzte, und war dann erleichtert, heute nicht zur Schule zu müssen.


„Wenn man die Gespenster im Traum berührt“, sagte das Kind nach einer Weile, „merkt man gar nicht, dass sie leben.“ Als der Klang der Glocken verhallt war, zog es im Übermut dem Vater die Decke weg, da, wie es erklärte, der Tag schon lange angebrochen sei und er endlich mit ihm spielen müsse. Weil der Mann, ohne sich zu rühren, liegen blieb, nahm das Kind seinen hellbraunen Pelzhasen, den es mit den Fingern fest umklammert hielt, und klopfte damit dem Vater auf den Hinterkopf, wobei es beteuerte, dass es allein der Hase sei, der sich langweile und mit ihm ein Piratenschiff bauen wolle.


Der Mann drehte sich auf die Seite und vergrub sein Gesicht im warmen Körper der Frau. Wenn er die Augen schloss, nahm er konzentrische Wellenkreise wahr, die sich über dem Spiegel eines stehenden Gewässers fortpflanzten. Vor seinem inneren Auge tauchte ein Gewehrlauf auf, und wie im Traum der letzten Nacht schoss jemand in den Kopf eines wehrlosen Menschen.

Und der Erwachsene glaubte, nochmals jenes dumpfe Geräusch zu vernehmen, als würde ein morsches Stück Holz zerbrochen.


Nachher hörte er das lockende Geflüster seines Kindes, welches jetzt beim Bett stand und den Mann mit offenem Gesichtsausdruck fixierte. Unterdessen hatte sich das Kind den schwarzen Filzhut mit der weissen Schwanenfeder aufgesetzt und rückte mit der Hand eine Plastikaugenklappe über dem Gesicht zurecht.

Emanuel war nun ein Pirat, ein Raubritter oder Freibeuter, der, bewaffnet mit einem Haselnussstock, die Eltern an den Füssen kitzelte; denn er wünschte, dass die Mutter das Frühstück zubereite und der Vater sich in einen Matrosen verwandle, der mit ihm aufs Schiff komme.


Während Emanuel seinen Handrücken auf die Lippen legte, kam es dem Erwachsenen so vor, als hätte das Kind, wie es so dastand, im verzweifelten Hinsehen bereits einen kümmerlichen Ausdruck angenommen, aber Emanuel blieb wie immer, wenn er ihn anschaute, sein Augentrost, sodass sein ganzes Wesen lauschte, während draussen Wolken über die verstummte Schneelandschaft hinwegzogen.


Als Steiner für sich und Marianne Kaffee zubereitete und das Kind mit der Mutter am Boden sass, wo sie zusammen einen Rettungshelikopter aus Legobausteinen konstruierten, dachte er in der morgendlichen Selbstfindung abermals an die sich auflösenden Traumbilder. Spürte er eben noch, bedingt durch die Sonntagsmüdigkeit, einen dumpfen, pulsierenden Schmerz in der Schläfengegend, welcher ihm in Erinnerung rief, dass er, ungeachtet der guten Vorsätze, gestern Abend zu viel Rotwein getrunken hatte, so wurde nun, da er den Küchentisch deckte, mit einem Mal alles ganz ruhig im Kopf.  - So als sei er gerade von einer längeren Reise nach Hause zurückgekehrt und träte ins Zimmer des Kindes, ging ihm das Herz auf, und Steiner wusste dann, dass, solange Emanuel glücklich war, es auch ihm gut gehen würde; ein Glück, das, wie er sich sagte, nur den wenigsten zukam, obwohl es im Grunde alle haben könnten.

Andererseits wurde sein eigenes Glück durch die Plage und Bedrängnis der anderen auch angefochten und bestritten, zumal an den zahllosen Verwüstungen, den unbegrenzten Verheerungen selbst die mächtigsten Politiker nichts zu ändern vermochten, sodass das blinde, grausame Schicksal der andern in jedem Moment auch ihn als Ungerechtigkeit der Vorsehung heimsuchen könnte, wodurch das stille, unerschrockene Vor-sich-hin-Sinnieren für immer an Anspruch und Gültigkeit verlöre.

Während Steiner gedankenversunken das runde Brot aufschnitt, dabei hin und wieder innehielt und aus dem Fenster zu den schweigend verschneiten Bäumen blickte, wunderte er sich noch im Nachhinein, in der letzten Nacht von einem unbekannten Soldaten geträumt zu haben, der im schattendunklen Wald mit vorgehaltenem Gewehr jemanden niederschoss, während sich zur gleichen Zeit ein wolkenloser Himmel wie eine riesige Blase über die völlige Geborgenheit einer entlegenen Welt wölbte.

Im Traum wurde die ferne Not zur Bedrohung in der Nähe, und wieder beschäftigte ihn der Gedanke, dass ausgerechnet er zu jenen gehören sollte, denen es vergönnt war, ein Kind im Frieden grosszuziehen, schienen doch Krieg und Zerstörung nachgerade das Normale zu sein, und er dachte, dass viele allein in Gewalt und Vernichtung sich ihres Daseins vergewissern konnten, mithin allein für den Krieg zu gebrauchen waren, hatten sie doch kein Gewissen, wohingegen jene, die, wie er sich sagte, für Ausgleich und Versöhnung eintraten, kaum von jemandem unterstützt wurden.

Und obwohl er wusste, dass es kein Refugium der Idylle geben konnte, wollte er von der Vorstellung nicht abweichen, dass alles auch ganz einfach hätte sein können, langsam, absichtslos und einfach wie an diesem Wintermorgen, da er für sich und seine Liebsten das blau-weisse Frühstücksgeschirr auf den rohen Holztisch in der Küche stellte und sich dabei ausmalte, wie er mit diesen den Sonntag verbringen werde, eine Aussicht im Übrigen, die als schönes Versprechen seinen Körper wärmte, und er dachte, dann auch die Unversehrtheit möglicher Kinderwelten an sich selber zu spüren.


Vermutlich, sagte sich Steiner, würde es wohl gar nie möglich sein, das, was Emanuel ihm bedeutete, in Worte zu fassen; denn das Kind hatte sich als etwas Absolutes ereignet und blieb daher auch ein Geheimnis. Er wusste er, dass es vor allem darauf ankam, sich seiner würdig zu erweisen, zumal ihm erst Emanuel erlaubte, endlich das zu werden, wozu er sich berufen fühlte.

Die grosszügigsten Gottesmächte schienen ihr Füllhorn über ihm entleert zu haben und während Steiner dem Eisschrank Milch, Butter und Käse entnahm, spürte er in der Tiefe seines Bewusstseins die Gewissheit, dass er jetzt die beste Zeit einer gewünschten Existenz verbrachte. - Trotz der inneren Stille, die ihn ausfüllte, wurde so das Leben zum Fest, und abermals konnte er sich nicht damit einverstanden erklären, dass irgendwann der Tod auch ihn fände.

Steiner blickte von fern auf den gedeckten Tisch, trat hernach etwas näher, um dies und jenes zurechtzurücken, und rief zum Schluss die Frau und das Kind zu sich in die Küche. Emanuel rannte zu ihm und setzte sich sogleich auf seinen Tripp-trapp-Stuhl, welcher jedoch in seiner Wirklichkeit ein Königsthron war.

Kaum hatte er Platz genommen, griff er zu der neben seinem Teller stehenden Milchflasche, während Marianne, nachdem sie einige Schlucke Kaffee getrunken hatte, zwei überreife Papayahälften mit einer Zitrone überträufelte. Unmerklich zog beim Essen Ruhe in den Morgen, und Steiner erfreute sich in wachsender Ungestörtheit seines Daseins. Nachdem Emanuel sein Frühstücksei verspeist hatte, spielte er mit Pfeffer- und Salzstreuer, indem er das Kinderbesteck mit den roten Plastikgriffen an die beiden Holzzylinder legte und so tat, als würde er ein Ritterturnier ausfechten.

Steiner legte seine Hand auf den Kopf des Kindes und schaute abwesend in die kieselgrauen Augen seiner Frau, die ihm versonnen zulächelte, worauf sich ihm die Finger zu einem schützenden Dach öffneten.


Widerstandslos lehnte sich Marianne auf dem Stuhl zurück, rutschte dabei mit dem Oberkörper unter den Tisch, bis sie mit dem Bauch an die Tischplatte stiess, und verschränkte dann, nachdem sie die Beine von sich gestreckt hatte, die Arme auf der Brust. Gelegentlich fuhr draussen vor dem Haus ein Wagen vorbei, ohne dadurch allerdings die Verschlafenheit des Sonntagmorgens zu stören.

Als die Frau sich nochmals Kaffee einschenkte, rückte der Mann ein wenig ab vom Tisch und schlug erwartungsvoll die Beine übereinander. Da er alles gelten liess, dachte er an nichts Bestimmtes und schloss die Augen. Er achtete auf die Geräusche im Haus und hörte, wie jemand über ihm Wasser in die Badewanne einfliessen liess. Eine Tür wurde zugeschlagen und ein Riegel vorgeschoben, während zur gleichen Zeit jemand die Treppe heruntertrampelte und die Haustür aufsperrte.

Mit einem lauten Knall fiel die Tür ins Schloss, worauf Steiner die Augen öffnete und das neben ihm stehende Kind umarmte. Vorsichtig legte er den Kopf auf seine Schulter und blickte ihm von unten ins Gesicht.

„Sei dem Kind nicht so ergeben“, meinte die Frau und strich sich die Haare aus der Stirn. Emanuel spitzte den Mund, als höre er besonders aufmerksam auf das, was die Eltern miteinander sprachen. Ihre Frage, ob er heute korrigieren müsse, verneinte der Mann, indem er nachlässig mit den Händen die Achseln umgriff und den Kopf von einer Seite auf die andere warf.


Der Mann sagte, dass er den Aufsatz von der letzten Woche während der Zwischenstunden an der Schule korrigieren werde. Zwar sei die Mappe noch nicht gepackt, fuhr er weiter, und er müsse sich die Planung der einzelnen Lektionen vom Montag nochmals durch den Kopf gehen lassen, doch sei im Wesentlichen bereits alles eingefädelt, sodass es wohl reiche, wenn er vor dem Abendessen noch kurz in sein Büro gehe, welches sich, einige Strassen entfernt, im Wohnhaus seiner Mutter befand.

Vielleicht wolle Emanuel mitkommen und sich in der Wohnung der Grossmutter einen Zeichentrickfilm auf Video anschauen. In letzter Zeit habe er sich ja zu verschiedenen Malen im Kellerzimmer aufgehalten und gearbeitet, während das Kind sich oben in der Wohnung vor dem Bildschirm vergnügt habe.


„Gott sei Dank haben wir keinen Fernseher“, gab ihm die Frau zur Antwort, wenngleich sie, wie sie sich selber eingestehen musste, handkehrum auch wieder froh war, Emanuel ab und zu von der Schwiegermutter beaufsichtigt zu wissen. Andererseits, räumte sie ein, mache es sich die Schwiegermutter zuweilen auch etwas einfach, indem sie das Kind, statt es zu beaufsichtigen, einfach vor den Fernseher setze und ihm eine Kassette in den Rekorder schiebe, sich ansonsten hingegen nicht um Emanuel kümmere und die so oft beschworene Förderung allein den Eltern überlasse.

Fördern heisse fordern, habe sie gelernt, sagte die Frau, doch reiche die Grossmutter dem Kind allenfalls auf einem Tablett etwas zu trinken, serviere vielleicht Salzmandeln oder Pommes Chips, damit sie nachher Zeit für anderes habe, das sie dann ungestört und in Ruhe erledigen könne.


„Meine Grossmutter ist keine Oma“, bestimmte das Kind. „Meine Grossmutter heisst

Datuck, denn sie ist so reich wie Onkel Dagobert, und sie muss noch lange nicht sterben. Meine Datuck ist keine Grossmutter, aber sie kauft alle schönen Sachen, die ich mir zum Geburtstag wünsche. - Und meine Datuck gibt mir Geld, damit auch ich reich werde. Ohne meine Datuck könnte ich nicht einmal in die Winterferien!“


„Zum Glück haben wir unsere Datuck“, bestätigte die Frau das Kind. Mit den Fingerspitzen kämmte sie sich Haare hinter die Ohren und blickte über die Kaffeekanne in die Augen ihres Sohnes, der sich unterdessen erneut auf seinen Stuhl gesetzt hatte und zufrieden an einer Brotrinde kaute. Der Mann spürte, wie der Blick der Frau auf dem Kind ruhte, und für einen Moment lang hatte er das Gefühl, eben noch geträumt zu haben; denn alles erschien ihm unwirklich wie nach dem Aufwachen, sodass er sich erneut in der Welt zurechtfinden musste.


Emanuel legte die Hände zwischen die Knie und sagte, dass er der König sei, da er am höchsten sitze. Steiner warf den Kopf zurück und stützte sich mit angewinkelten Armen auf den Tisch, als müsse er sich die Vorbehalte, welche die Frau geäussert hatte, nochmals genau bedenken. Natürlich kam es auch ihm zuweilen so vor, als sei das Kind durch die Filme wie ausgewechselt und verwandelt und fände erst unter fremder Einwirkung aus den verschlungenen Träumen in die Realität zurück.


Auf der andern Seite langweilte das Kind alles, was nützlich war. Vor allem praktische Arbeit war ihm zuwider und erst wenn diese zum Spiel wurde, merkte es auf und war ganz bei der Sache. Musste es zum Beispiel das Zimmer aufräumen, schützte es am Abend Müdigkeit vor oder behauptete selbstbewusst: „Ich will Kalif werden anstelle des Kalifen!“ Selbst im Kindergarten markierte Emanuel, wenn er nähen oder weben sollte, das blöde, ungeschickte Kind und wenn man am Morgen von ihm verlangte, er solle sich ankleiden, wollte er lieber ins Bett zurück, um sich mit seinen Stofftieren Bilderbücher anzusehen.


Beim immer wiederkehrenden Satz des Kindes, ob heute Sonntag sei, fragte sich Steiner, wann Emanuel eigentlich nicht spiele, wobei er mitunter den Eindruck gewann, als führe sein Sohn ein erfülltes, durch und durch poetisches Leben, zumal dieser nur dem nachkommen wollte, was seinem Innersten entsprang und Lust und Freude versprach.


Trotzdem gab es für das Kind natürlich auch die grosse Einschüchterung des Todes und als Steiner einmal von ihm wissen wollte, ob es gerne lebe, antwortete es unvermittelt: „Ja, natürlich! Und wenn du sterben musst, so sagst du einfach: ‘Ich will nicht!’ Oder binde dich an einen Baum, dann musst du sicher nie sterben und kannst immer bei mir bleiben.“


IV


Später am Morgen, während Marianne die Küche aufräumte, befanden sich Steiner und Emanuel im Wohnzimmer und bauten aus den Kissen des Sofas ein Piratenschiff. Das Kind tat so, als würde es auf einer einsamen Insel, auf die es sich als Schiffbrüchiger hatte retten können, mächtige Bäume fällen. „Das sind Palmen“, sagte es, aus denen es als Seeräuberkapitän den Schiffsrumpf zimmern wollte.

„Komm hilf mir die Bäume schlagen“, lärmte es Steiner entgegen und fuchtelte mit seinem Plastiksäbel in der Luft herum. Das Kind zog, als müsse es etwas Schweres hinter sich herschleppen, imaginäre Baumstämme in die Wohnstube, wo es sich daran machte, die am Boden verstreuten Kissen auf dem Sofa übereinanderzulegen.

Weil die Kissen unentwegt herunterfielen, begab der Mann sich zum Polstersessel, welcher beim Tisch neben dem Fenster stand, und rückte den Fauteuil zum Sofa, damit die einzelnen Kissen, welche das Kind unbeirrt aufeinanderschichtete, eine Stütze fanden und Emanuel auch die Bettdecke aus dem Elternschlafzimmer zwischen Sofalehne und Fauteuilrücken platzieren konnte.


Während der Vater sich als Steuermann auf dem Schiff einzurichten begann, gab das Kind vor, noch rasch in sein Zimmer zu schwimmen, von wo es den Regenmantelgurt zurückbrachte, um die Sofakissen mit dem Fauteuil zu vertäuen. Hernach nahm es die übrig gebliebenen Kissen vom Boden und legte sie auf die Bettdecke, worauf es von Neuem in sein Zimmer verschwand und als Steuer den runden Korkuntersatz holte.

Anschliessend setzte es sich aufs Sofa und forderte den Vater, der bereits wieder am Boden sass und am Transistorradio nach seinem Lieblingssender suchte, dazu auf, doch zu ihm ins Schiff zu kommen und das Segel zu hissen.


„Komm schon in mein Boot“, rief es ihm zu und als dieser es darauf aufmerksam machte, dass sein Schiff weder Mast noch Segel habe, rannte es in die Küche und kam kurz darauf mit einem Besenstiel zurück, an dem als Fahne ein Abtrocktuch hing. Das Segel mit dem Totenkopf sei leider nicht mehr zu gebrauchen, meinte es und auch der Mastkorb sei auseinandergebrochen. Überhaupt sei vom alten Schiff kaum mehr etwas zu finden; denn der Sturm habe derart heftig gewütet, dass der Sand aufgeflogen sei wie Schnee am Strand.

„Doch wenn wir einen grossen Schatz finden“, fuhr es weiter, „werde ich ein neues Schiff kaufen, kein Rettungsschiff, sondern einen riesigen Dreimaster, auf dem alle Tiere Platz haben. Wenn wir Hunger haben, essen wir die Tiere aber nicht. Lieber wollen wir Haifische jagen. Die darf man töten; denn sie haben keinen Pelz und sind böse.“

„Schau, hier ist meine Harpune“, erklärte das Kind und zeigte dem Vater seinen Säbel. „Und dies ist meine Taucherbrille; mit der kann ich unter Wasser atmen.“

„Sag, was machen wir, wenn wir von gefährlichen Piraten angegriffen werden?“

„Dann schiessen wir auf sie“, erwiderte das Kind und streifte sich eine Skibrille über den Kopf.

„Wart nur, ich hol noch die Kanonen.“

„Aber die sind doch untergegangen!“

„Das macht nichts. Hier nimm meine Pistole zum Spielen.“

„Also sind wir gar keine Piraten?“

„Natürlich nicht! Wir spielen ja nur. Ich hab es dir doch erklärt.“

„Du, ich weiss schon, was ich essen möchte. Eine feine Haifischflossensuppe.“

„Eine Haifischflossensuppe? Das ist gut. Ich will Haifische jagen“, entgegnete das Kind und stopfte sich Legobausteine unter die Ärmel.

„Schau mal, was für starke Muskeln ich habe“, sagte es zum Vater und glitt, nachdem es sich die Skibrille auf dem Kopf zurechtgerückt hatte, mit dem Säbel vom Sofa und deutete, am Boden auf dem Bauch liegend, einige Schwimmbewegungen an, wobei es den Anschein erweckte, als würde es einen gefrässigen Raubfisch harpunieren.


Als Emanuel erneut aufs Sofa kletterte, fragte ihn der Vater, ob er wisse, wie man Haifische koche?

„Du bist doch der Schiffskoch, der arbeiten muss. Ich bin der Kapitän! - Los, mach jetzt eine schöne Pizza und koch uns eine feine Suppe.“

„Und wer putzt das Deck?“

„Das macht der Tom, unser Matrose“, antwortete das Kind und griff hinter sich ins Büchergestell. Ohne lange zu suchen, streckte es dem Vater ein Buch entgegen, in dem, wie es versicherte, ausgeführt sei, wie man Fische zubereite.


Der Mann nahm das Buch und legte es neben ein Sofakissen auf die Bettdecke. Dann neigte er den Kopf und hielt beide Handflächen aneinander. Er sah auf seine Hände, nahm sie auseinander und umschloss mit den Fingern die Daumen. Er sank ein wenig in sich zusammen, hob den Kopf und blickte neugierig in das wache Gesicht seines Sohnes. Wann immer er diesen jetzt anschaute, begann es weich und leise im Zimmer zu schneien.


Dem Kind fiel eine Haarsträhne in die Stirn, und es wischte sie nachlässig beiseite. Steiner hielt den Atem an und spürte ohne Todesangst das Hin-und-her-Wiegen des Naturrhythmus zwischen sich und dem Kind, so als würden sie wie im Traum der letzten Nacht am Rande eines weiten Kornfeldes stehen und beide an die Ewigkeit glauben.


Georg Steiner versank in einem verschwommenen Rauschen. Er fühlte sich isoliert wie durch eine undurchlässige Hülle und blickte in die weisse Fläche der Wohnzimmerdecke, aus der die Flocken rieselten und den Raum erwärmten. Wie sanft ist mit dem Kind zusammen der Morgen, dachte er und wie fern sind alle geisterhaften Ängste.

Man versickert im Schweigen des andern, weiss aber, dass man auf dem richtigen Weg geht und lässt sich durch nichts beirren. Leicht und locker hat sich der Schnee über die Blumenbeete im Garten gelegt, und vor dem Haus ist es so still wie in der Wohnung. Der Schnee hat allen Lärm und jedes Geräusch eingedeckt, sodass nur noch die Stille, die Lautlosigkeit wahrzunehmen ist.

Die Verwilderung der Welt schwindet vor der traulichen Wärme des hellen Wohnzimmerraumes, und alles schweigt ernst und feierlich. Ein inneres Licht dringt aus den Dingen, doch wenn er ins Freie ginge, würde ihm die trockene Eisluft ins Gesicht schlagen, während er seinen Liebsten auf dem Schlitten durch den staubigen Neuschnee bis zum blinden Waldteich zöge.


Der Mann hielt den Kopf des Kindes an sich, und das Kind betrachtete ihn, als sei er eben erst aufgewacht. Das Kind schaute ihm mit offenem Mund in die starren Augen und wie der Mann ihm mit der Hand übers Haar fahren wollte, sträubte es sich und meinte, dass es das nun nicht wolle. Der Mann entschuldigte sich und versprach, dass er es nie mehr machen würde, worauf ihm das Kind entgegnete, dass es das manchmal auch gern habe, und sein Blick begegnete dem des Erwachsenen und fand einen Ausdruck tiefer Freundlichkeit in ihm.


Hernach stellte er die Tassen neben die Aluminiumteller und schenkte aus einem Teekännchen Wasser ein. Der Erwachsene, welcher sich unterdessen zum Kind auf den Boden gesetzt hatte, nahm einige lange Legobausteine und tat sie auf die bereitgestellten Teller.


„Nein, zuerst kommt doch die Suppe“, schimpfte Emanuel und verwünschte den Vater, da dieser wieder alles falsch machte. „Wenn du nicht besser aufpasst“, drohte er, „musst du heute Nacht in der Asche schlafen und von bösen Ungeheuern träumen!“


Hinwiederum war es oft auch schwierig, im Spiel wirklich bei der Sache zu sein, denn unentwegt gewahrte das Kind Piraten am Horizont, die mit geschwellten Segeln auf ihr Schiff zusteuerten.


„Jetzt gibt’s Ärger! Hier nimm meine Pistole und schiess auf die Kerle“, schrie Emanuel, während er mit dem Säbel aufs Sofa sprang und von dort aus mit unverhohlenem Entzücken eine Breitseite abfeuerte. Der Mann wandte sich dem Kind zu, sah, wie es in die Knie sank und sogleich das Gesicht in den Kissen verbarg.

„So können mich die Bösen nicht sehen“, sagte es und verweilte einige Zeit in dieser Stellung, hob dann vorsichtig den Kopf und blickte angestrengt in die Ferne. Mit weit geöffneten Augen trieb es den Vater an, nochmals eine Salve hinauszujagen. Hernach brach es in ein Triumphgelächter aus und rief dem Vater zu, dass sie die Stärkeren seien. „Denen haben wir’s aber gezeigt“, brüllte es siegestrunken und klatschte vor Begeisterung in die Hände, rannte vom Sofa zum Stuhl unter dem Spiegel im Elternschlafzimmer, wo es die Finger in den Mund steckte und sein Gesicht zu einer Grimasse verzerrte.


Später, wie von Neuem Stille eintrat, lauschte es gespannt, so als höre es etwas, das der Vater nicht vernehmen konnte. Während der Mann einen gebückt gehenden Matrosen mimte und zum Schein eine weitere Pistole aus dem Halfter zog, hopste das Kind vom Stuhl herunter, lief zum Vater und flüsterte ihm etwas ins Ohr, das dieser jedoch nicht verstehen konnte, sodass es ihm verärgert mit dem Säbel in den Rücken stiess.

Das Kind, schien es dem Mann, geriet jetzt plötzlich in eine heisse Panik und erlebte das, was es spielte, als leibhaftige Bedrohung.


„Georg, die Bösen haben sieben schwere Kanonen, und im Mastkorb sitzt John Silver“, sprach es leise vor Erregung und wischte sich mit dem Ärmel über die Stirn. Nachher liess es sich im Schneidersitz auf den Boden nieder und suchte nach einem langen Legobaustein, mit dem es zunächst wild drauflosgestikulierte, um alsdann ruhig und gesammelt auf die Feinde zu zielen.

„Nimm das Fernrohr und schau, wie ich sie zusammenschiesse“, sagte es noch mit gedämpfter Stimme zum Vater, worauf es seine Pistole entsicherte und völlig sachlich abdrückte.


„Juche, juche, wir haben sie getroffen“, randalierte das Kind in laggezogenen Schlachtrufen und liess sich in ungehemmter Freude auf den Rücken fallen, während im Kopf des Erwachsenen abgerissene Gedanken auftauchten; Bilder allmählich verblassender Träume. Fragen stiegen in ihm auf, die sich wie Würmer in seiner Brust krümmten.

Einen Moment lang liess der Mann sich treiben, aber das Kind stand unvermittelt neben ihm und brüllte in sein linkes Ohr, dass er weiterkämpfen müsse.


Den Kopf leicht auf die Seite geneigt, trat das Kind in einem andern Spiel zum Vater und hielt ihm zwei Legobausteine vor den Bauch. „Hands up, John Silver! Sag, wo hast du das Gold versteckt? Wenn du es sagst, schiesse ich nicht! Was hat es denn in diesen grossen Kisten? Du Freund“, wechselte von Neuem das Spiel, „schau einmal, was für Gold und Edelsteine die haben.

Das gehört jetzt alles uns“, meinte es zum Schluss beiläufig und gab vor, das Erbeutete aufs Sofa zu ziehen.


„Nun fahren wir auf die Insel zum Blockhaus“, erklärte es und streckte dem Vater die Hand entgegen, damit er über die Enterbrücke aufs Schiff gelangen konnte.


„Ja, ich bin der Stärkere! Danke Freund, dass du mir geholfen hast. Wir haben gewonnen und kaufen ein neues Schiff, einen Dreimaster. Komm, trink mit mir Rum aus der Flasche. Und jetzt wollen wir die Suppe essen, und dann gibt’s eine amerikanische Pizza. Ich hab so grossen Hunger. Gehen wir in die Küche, und nehmen wir etwas aus dem Eisschrank. Vielleicht hat’s noch scharfe Würstchen! Oder Mandarinen, aber du musst sie schälen.

Gehst du heute nicht joggen und spielst den ganzen Tag mit mir? - Nach dem Essen fahren wir in den Wald, und dort machen wir ein grosses Feuer.“


„Du Georg, ich bin so froh, dass es bald wieder einen neuen Zeichentrickfilm im Kino gibt.“


V


Einige Stunden später zog Steiner das Kind auf einem alten Holzschlitten von der Stadt zum Wald hinauf. Keine Regung war in der Luft zu spüren, und aus dem weichen Kindergesicht, auf dem das Licht des Abends zu ruhen schien, blickten zwei vertrauliche Augen zum Mann, während dieser, rückwärts die Strasse hinaufgehend, sich seinem Liebsten zuwandte und Emanuel wie in einem schönen Traum durch den flockigen Schnee zog.

Das silberne Schlittengeklingel im Ohr rodelten sie durch eine riesige Schwingtür in die Dunkelheit, Marianne entgegen, welche beim Gasthaus im Wagen sass und Radio hörte.


Mit Worten lässt sich nie alles sagen, dachte Steiner und wartete, während er nachher den Schlitten mit dem Fuss vor sich herschob, auf etwas von jeher Ersehntes, das er freilich noch gar nicht genauer kannte, das ihn aber als Zustrom innerer Bilder ausserhalb des Grossstadtlärms hier oben in der Winterstarre erreichen würde.

Steiner blickte zwischen den Bäumen hindurch auf die Lichtschimmer der Häuser, stand im leichten, knöcheltiefen Schnee und vermochte an nichts Konkretes zu denken. Gleichwohl fühlte er, dass das Kind ihn von der Seite her anstarrte und wie aus der Waldestiefe ein langgezogener Vogelschrei zu ihm drang, legte er seinem Sohn die Hand auf die Schulter.


Eben hatte die Welt noch den Atem angehalten, sagte sich der Mann, doch holte ihn nun abermals der Gedanke ein, dass Emanuel für diese Wirklichkeit nicht geschaffen war. Das Kind zuckte bloss mit den Achseln, dünkte es ihn, so als würde es nicht verstehen, .warum der Vater, sprachlos vor sich hindämmernd, auf die flimmernde Stadt hinabschaute.


Beim Waldweiher angekommen, verweilte er schwebend, entrückt und wie nicht von dieser Erde vor der blinden Eisfläche. Steiner faltete die Hände vor dem Bauch und blickte zum Kind, das, umgeben von einer heiligen Aura, auf dem Schlitten sass und mit einem Schneeball spielte. Für die Kürze eines Lidschlags erlebte er im Bannkreis seiner Erhabenheit das Eigentliche in der Liebe.

Ein plötzlicher Schwindel durchströmte seinen Körper, so als würde er zur geweihten Stunde erstmals die Nähe einer Gottheit auch wirklich erahnen. Noch nie hast du so sehr das Gefühl gehabt, dass man über sein Leben nicht bestimmt, sprach er zu sich, als die Scheinwerfer eines Wagens die Finsternis durchdrangen. Das weisse, sich nähernde Strahlenbündel, das sich nur wenig auffächerte, machte alles dunkel um ihn herum, sodass er, vom Lichtstrahl getroffen, bald nur noch die kalte Luft auf seinem Gesicht spürte.

Irgendwann, ging es ihm durch den Sinn, würde auch sein Sohn lernen, dass er nicht über alles verfügen konnte. Irgendwann würde auch er einsehen, dass er nicht in dunkler Nacht den Mond bewegen konnte, indem er in den Himmel starrte und sich vom Vater durch den Schnee ziehen liess. Truth is stranger than fiction, und im Schnee konnte man erfrieren.


Am Waldweiher verbreitete sich eine ereignislose Stille wie unter einer Glasglocke. Der Mann hatte sich in der Zwischenzeit vom Kind abgewandt, spürte aber im Rücken dessen Anwesenheit. In seinem Empfinden war ihm Emanuel so nah, als bewohnten sie zusammen einen einzigen Körper. Durch die Bäume hindurch erschien die Stadt wie mit Lichtpünktchen bestreut, und die Scheinwerfer der einsam dahinfahrenden Wagen vereinigten sich zu einer Schlage, die sich langsam durch die Dunkelheit bewegte.

Nur jetzt nicht aufwachen, sagte ihm eine Stimme, während er den Schlitten zum Parkplatz neben dem Gasthaus zog, wo Marianne, beim Wagen stehend, auf sie gewartet hatte und ihnen nun lächelnd entgegen schritt. In der Vorstellung des Mannes bildeten sich zu beiden Seiten ihrer Augen sternförmige Fältchen in der Haut und während er die Frau umarmte, kam es ihm so vor, als stünde er ausserhalb seines Körpers unter einem Schleier.

Der Mann hob den Kopf und merkte, dass es von Neuem zu schneien begann. Die Flocken knisterten im Dunkeln, und Steiner öffnete sich für den Gedanken, dass er so wie eben noch die Frau immer an der Peripherie stehen wollte.


Im Vorraum trampelten sie die Schneeklumpen von den Schuhen, zogen die Daunenjacken aus, auf denen Schneekristalle wie feine Glassplitter glitzerten, und hängten die Jacken, bevor sie den Speisesaal betraten, neben einem Zigarettenautomaten an die freien Haken des Garderobenständers. Während sie sich im Speisesaal nach einem unbesetzten Tisch umsahen, gewahrten sie überall ältere Menschen, Ehepaare zumeist, die sich so wie sie im Waldgasthof ihres Daseins erfreuten; gingen dann zum Kücheneingang, wo sich noch ein freier Platz befand, und setzten sich im weichen Licht der Hängelampe an einen runden Schiefertisch, auf dem eine Blumenvase stand, in der drei rote Nelken steckten.

Sie legten die Hände auf den Tisch und bestaunten sich gegenseitig mit geweiteten Augen. Durchfroren, wie sie waren, bestellten sie, als die Serviertochter die Speisekarte brachte, ein Käsefondue, damit sie sich über etwas Belebendes auch wirklich für die nächsten Wochentage stärken konnten, über eine sättigende, gut gewürzte Käsesuppe eben, die von der Serviertochter, nachdem sie bereits eine halbe Flasche Weisswein getrunken hatten, nach einigen Minuten des Wartens in einem Topf aus Steingut, einem sogenannten Caquelon, auf das zuvor bereitgestellte Réchaud platziert wurde.

Weiterkauend stimmte Steiner, ohne viel zu sprechen, mit allem überein. Das Dasein bedurfte keiner Rechtfertigung und während er spürte, wie Käse und Brot am Gaumen zergingen, wussten sie sich in ihrer Gemeinschaft durch jeden Bissen gefördert. Sie hätten immer weiteressen können und erforschten mit allen Sinnen Knoblauch, Muskat und Pfeffer, wobei sie die Zeit ohne Anstrengung verstreichen liessen.

Dankbar, ja fast demütig, es so unverdient schön zu haben, priesen sie die ewige Gegenwart und genossen gerührt ihr Freundschaftsmahl, wussten sie doch, dass sie als Familie füreinander bestimmt waren und nicht zufällig, sondern gewissermassen notwendig wie die Heilige Familie auf den Bilddarstellungen der Nelkenmeister hier am runden Schiefertisch eine feste Form bildeten und als zum Schluss die Frau die Réchaudflamme kleiner stellte, war der Mann bereit, an alles zu glauben.

Alles hat ein gutes Ende, sagte er sich, denn alles, was man mit Liebe betrachtet, ist schön.


In der Fremde

Einmal angekommen und untergekommen im Haus ist so viel wie umgekommen. Das Leben versteinert im Steinwarenhaus. Wo es keine Zeit mehr gibt, wo der Stillstand herrscht, kann es nur die geronnene Zeit, die Einfrierung, Verdinglichung, die nature morte, das Stillleben geben.


I


Während den Sommerferien des darauffolgenden Jahres unternahmen der Mann, die Frau und das Kind eine Autoreise durch die Vergangenheit in die Zukunft an den Südrand der Alpen. „Wenn wir uns und die Bestimmung unseres Lebens wirklich erforschen wollen“, sagte der Mann zu seiner Familie, „sind wir aufgefordert, uns immer wieder ins Unbekannte zu wagen.“ Der Zeitpunkt, das äussere Arbeitsfeld zu verlassen, um ganz auf die Sicherheit der inneren Führung zu vertrauen, hätte vielversprechender nicht sein können; denn Steiner war im Frühjahr nach einem betäubend anstrengenden Wahlverfahren vom Regierungsrat zum Hauptlehrer für Englisch und Deutsch ans Gymnasium ernannt worden, an dem er unterrichtete, und konnte deshalb, was seinen berufliche Zukunft anbelangte, erstmals unbeschwert den Sommer geniessen.


Im ausrangierten Wagen seines Schwagers fuhren sie am ersten Ferientag unter einem strahlendblauen Weltraum von Zürich, ihrem Wohnort, auf der Uferstrasse nach Rapperswil, von wo sie - nach der Überquerung des Seedamms - auf der Nationalstrasse über Weesen, Walenstadt und Sargans nach einer Stunde Fahrzeit am Mittag in Chur eintrafen.


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