Fragenkatalog
Einführung in die neuere deutsche Literaturwissenschaft
SS 2017
Editionsphilologie- Was macht die?
Systematische Archivierung und Edition von Originaldokumenten (analog oder digitial)
Was ist «Textkritik»?
Ermittlung eines authentischen Textes/Musterung der überlieferten Fassungen/Entscheidung für den Abdruck einer Fassung/Erstellung eines Variantenverzeichnisses
Beispiel: die Bibel
die Textkritik fragt nur nach dem Urtext, ohne ihn zu bewerten.
Was ist eine
«historisch‐kritische Ausgabe»?
an Originaldokumenten geprüfter Text samt „textkritischem Apparat“
-Dokumentation der Textgenese und Überlieferungsgeschichte
-erläuternder Kommentar
Beispiel: Weimarer Goethe Ausgabe
Was ist eine «Studienausgabe»?
-gesicherter und kommentierter Text, Information über Textgrundlage und Texteingriffe
Beispiel: Kaum ein bedeutendes Werk der deutschen Literatur ist in seiner Textfassung so problematisch wie Büchners "Woyzeck". Als Büchner im Februar 1837 starb, hinterließ er ein Konvolut von vier Entwurfshandschriften, deren Text diese Studienausgabe auf drei Stufen wiedergibt:
Was ist ein «Faksimile»?
eine exakte Nachbildung eines Druckerzeugnisses oder Bildes.
Marco Polo Buch der Wunder Faksimile und Kommentarband
Was ist ein Zeichen?
„alliquod stat pro aliquo“ (etwas steht für etwas anderes)
Es muss eine sinnlich wahrnehmbare Größe sein
alles was sinnlich wahrnehmbar ist, kann ein Zeichen werden (Mülleimerbeispiel: Er kann zum Zeichen werden) Darunter sind sprachliche Zeichen
Was ist ein „Signifikant“, was ein „Signifikat“?
Signifikat ist das Bezeichnete
Signifikat ist das Bezeichnende
Beispiel: Baum- das Bezeichnete Bild Baum
Baum- das bezeichnende Wort „Baum“
Wie ist ein sprachliches Zeichen aufgebaut, und was ist das Besondere daran?
Sprachliche Zeichen sind binär (zweigeteilt)
Nur beide Seiten zusammen ergeben das Zeichen
Es ist psychisch und nicht physisch. (Es ist in unseren Köpfen) Es geht um das Konzept „Baum“ das wir mit dem Wort „Baum“ verbinden
Es ist arbiträr (=Zusammenhang von Signifikant und Signifikat ist NICHT MOTIVIERT) Es gibt keinen Grund, warum Dinge so heißen, wie sie heißen.
Wir können Zeichen nur nacheinander realisieren. Heißt sie sind LINEAR
Sprachliche Zeichen und Welt haben NICHTS miteinander zu tun (Arbitrarität)
Beispiel: Konzept in unserem Kopf für Worte
Was sind Onomatopöien, und was ist zeichentheoretisch das Besondere daran?
Wörter, die das, was sie bezeichnen akustisch nachahmen: Tschutschutschu (Zug) Verben für Geräusche haben das Phänomen onomatopoetisch zu sein: Klingelnd, raschelnd
Was garantiert die Stabilität sprachlicher Zeichen trotz ihrer Arbitrarität?
Antwort 1: Die Konvention ihres Gebrauchs (=kollektiv) Der Umstand, dass sehr viele Menschen sprechen
Antwort 2: Das Sprachsystem Die Vorstellung, die sich um 1900 etabliert. Sprache ist nicht ein Sack, der aus Wörtern besteht sondern es gibt ein System. (Grammatik, Syntax)
Beispiel: Zeichen werden immer in einem physischen, sozialen und psychischen Kontext aktualisiert (Situation), sodass wir das Zeichen verstehen, weil wir es im Rahmen einer Gesamtsituation interpretieren.
Was ist „langue“, was ist „parole“?
Langue: regelt die parole- Äußerung= sozial
Parole: verändert die langue-Sprachsystem= individuell
Beispiel: parole: hier und jetzt ist individuell, konkret und zeitlich bestimmt
Langue: stellt gewissermaßen das sprachliche Inventar einer Einzelsprache dar
Parol ist die direkte Rede und langue die Sprache an sich
Wie funktionieren ikonische Zeichen?
Alle Zeichen nehmen etwas von dem auf, was sie bezeichnen (Rollstuhlfahrer auf behindertenparkplatz) (Ist motiviert und es gibt einen Grund warum das Zeichen so ist. Hat ein Verhältnis mit dem Gegenstand in der Wirklichkeit)
Wie funktionieren indexikalische Zeichen?
Der Index kann als Zeichen „gelesen“ aber nicht geschrieben werden.
zB Eine Gewitterwolke ist der Index für Regen/.....
Die Bemühungen um eine deutsche Literatur(sprache) im 17. JH ist fast ausschließlich protestantisch.
18. JH
Johann Christoph Gottschedt: Versuch einer Critischen Dichtkunst 1729
Johann Jacob Badmer und Johann Jacob Breitinger („die Schweizer“) 1740
Warum sind die Barockpoetiken so bahnbrechend für die Geschichte der deutschsprachigen Literatur gewesen?
Orientierung am natürlichen Wortrhythmus- Kriterium betonte/unbetonte Silben statt lang/kurz
Warum ist Martin Opitz‘ Buch von der deutschen Poeterey so wichtig?
Erste deutschsprachige Poetik auf Grundlage der Renaissancepoetiken-Deutsche Sprache als Dichtungssprache etablieren
Ziel: Regeln für eine deutschprachige Dichtung auf internationalem Niveau
Zentral: Metrik in lyrischen, epischen und dramatischen Texten
These1: Der Rhythmus der deutschen Sprache orientiert sich an der Betonung/dem Akzent der Silben, nicht an deren Länge/Kürze wie im Lat./Griechischen
These2: Perkektes Metrum für das Deutsche: alternierend =betont/unbetont im Wechsel
Was bedeutet „imitatio“?
Orientierung der Dichtung an Vorbildern: imitatio (=keine Origaniliät)
Was ist und wie funktioniert Rhetorik?
Rhetorik= Redekunst
1.) Ziel: Überredung des Gegenübers (Zweck: besserer Mensch)
2.) Stringenz der Argumentation
3.) Handwerklich professionelle sprachliche Gestaltung
4.) Angemessenheit der sprachlichen Mittel mit Blick auf Gegenstand und Situation der Rede
Funktionen:
1.) Folgt klar formulierten Regeln der literarischen Produktion
2.) Orientiert sich in Gegenstandswahl und Formenprinzipien an Vorbildern
3.) Versteht sich als lehr- und lernbare Technik
4.) Will Leser überzeugen- Wichtig: Das Paradox
5.) Angemessenheit der sprachlichen Mittel mit Blick auf Gegenstand und Situation der Rede (aptum)
6.) Bis Mitte des 18. JH gängiges Konzept der Literatur
Wie ist das Verhältnis von Rhetorik und Poetik bis zum 18. Jahrhundert?
s Gryphius – Thränen des Vaterlandes, anno 1636
Johann Christoph Gottsched ist Rationalist und wirft Barockpoetik vor, dass sie Schwülstig und Manieriert ist. (Viel zu aufwändig) Er orientiert sich an Aristoteles und der französischen Klassik (Corneille/Racine: tragédie classique) -> Gottsched: Der sterbende Cato (1731)
Johann Jacob Bodmer und Johann Jakob Breitinger („die Schweizer“) (1740) richten sich gegen Gottsched und machen die Fantasie und Individualität
Sie orientieren sich an englischer Dichtung und Poetik (i.b. Milton: Paradise lost (1667)
Sie übersetzen mittelhochdeutsche Dichtung und werden zur Leitlinie der folgenden Dichtergenerationen (Lessing und Sturm und Drang)
Das Ergebnis dieses Literaturstreites ist folgendes
„Dichtung ist nicht mehr eine Technik sondern muss im Geist liegen. Sie sagen dem Prinzip der imitation ab“ Stattdessen geht es um „Originalität“
Man will „Natürlichkeit“ weswegen die Rhetorik unter Verdacht gestellt wurde. (Überreden)
Man soll einen Text schreiben, der natürlich aussieht.
WICHTIG Es werden trotzdem noch zahllose Poetiken geschrieben
WICHTIG: Nichts ist künstlerisch so aufwendig wie „Natürlichkeit“
Was versteht man in der Literaturwissenschaft unter „Tropen“?
der Tropus/die Trope v. griech. trópos- Wendung/Richtung
Formen uneigentlicher Rede
Wörter oder Wendungen, die nicht in ihrer eigentlichen Bedeutung gebraucht werden sondern in einer übertragenen
Das Gesagte unterscheidet sich vom Gemeinten
einem realisierten sprachlichen Zeichen wird ein nicht-realisiertes Signifikat zweiter Ordnung zugewiesen
Ob ein Wort/eine Wendung eine Trope ist, entscheidet allein die konkrete Verwendung (KEINE Tropenlisten!!)
Beispiele:
Durch dieses Eisen wirst du fallen, du Schuft! (Eisen für Schwert)
In der 90. Minute landet das Leder dann im Tor! (Leder für Ball)
Und dann kehrte sie zurück in den Schoß der Familie. (Schoß für Schutz/Geborgenheit)
Was sind und wie funktionieren „Grenzverschiebungstropen“/ pragmatisch motivierte Tropen?
Die wichtigste: Metonymie
Das Gesagte steht mit dem Gemeinten in einem praktischen, räumlichen, ursächlichen oder zeitlichen Zusammenhang
zB: Erzeuger<-> Produkt; Eigenschaft <-> Sache; Individuum<-> Gattung; Bestandteil <-> Ganzes
Beispiel: Alexander eroberte Persien. Alexander ist natürlich nicht in der Lage gewesen, Persien allein einzunehmen: Dieses Verdienst kommt seinem Heer zu. Der Prinzipal Alexander ersetzt an dieser Stelle den Agenten Alexanders Heer. Die Metonymie hat somit eine reduktionistische(isolierte Betrachtung von Einzelelementen ohne ihre Verflechtung in einem Ganzen oder von einem Ganzen als einfacher Summe aus Einzelteilen unter Überbetonung der Einzelteile, von denen aus generalisiert wird) Wirkung.
Sie führt komplexe Wirkungen auf verein.....
Schwarze Milch der Frühe/Im Quell deiner Augen= kühne Metapher, keine Ähnlichkeit erkennbar
Die Metapher ist ein Stilmittel, bei dem eine Beschreibung aus einer Begriffswelt in eine andere Begriffswelt übertragen wird. Ein sprachliches Zeichen, das in einem anderen als seinem angestammten semantischen Umfeld gebraucht wird.
zB.: „bei den Recherchen stieß sie auf eine Mauer des Schweigens“ oder „wenn die Glut der Liebe dich entzündet“
Worin besteht die Leistung von Metaphern für die Sprache? Was ist daran problematisch?
- Metaphern sind unverzichtbar zur Bezeichnung von etwas, für das wir in der Alltagssprache oder Wissenschaft (noch) keinen Begriff haben.
- Metaphern strukturieren unsere Vorstellung vom metaphorisch Bezeichneten (zB.: DNA-Code, Flüchtlingswelle)
- Metaphern haben die Tendenz, auf der Ebene des Gesagten syntagmatisch/pragmatisch zu expandieren und das Gemeinte zu beeinflussen
- Metaphern werfen Zweifel an dem Konzept einer „eigentlichen“ Bedeutung auf.
Warum kann es keine Liste von Metaphern geben?
Was eine Metapher ist, entscheiden allein der Sprachgebrauch und der Kontext.
Welche Arten von Allegorien gibt es und woran erkennt man sie?
Figuralallegorie: Personifikation von Abstrakta (Gerechtigkeit, Tod, Melancholie) oder von Ländern, Städten, Flüssen, Erdteilen durch eine Figur mit Attributen
zB: der Tod (gemeint) – der Sensenmann (gesagt)
Allegorie als fortgesetzte Metapher (metaphora continua):
Fortsetzung einer metaphorischen Verschiebung über einen gesamten Text bzw. eine Textpassage
Was ist Allegorese?
Interpretiert man Texte als Allegorie, dann spricht man von „Allegorese“.
Was versteht man in der Literaturwissenschaft unter Fiktion?
Erdichtetes/Ausgedachtes. Fiktion muss als solches gemacht sein – Lüge oder Irrtümer sind keine Fiktionen. Die Fiktionalität erschafft in der Literatur eine andere Wirklichkeit bzw. alternative Welten.
Was unterscheidet Fiktion von Lügen und Träumen?
Fiktion vs. Lüge: Die Fiktion stellt von vornherein klar, dass es sich um eine fiktive Erzählung handelt und setzt nicht voraus, dass die „erfundene Geschichte“ für wahr gehalten wird – im Gegensatz zur Lüge.
Fiktion vs. Träume: Die Fiktion ist bewusst „erfunden“ und wird nicht wie Träum.....
Was ist das Kriterium für die Unterscheidung zwischen fiktionalen und faktualen Texten?
Es gibt keine verlässlichen Kriterien (Textsignale oder Merkmale), die einen Text überzeitlich als fiktional oder nicht-fiktional ausweisen könnten.
Ob ein Text fiktional oder nicht-fiktional ist, entscheidet sein historischer Gebrauch bzw. der Modus seiner Rezeption.
Inwiefern sind fiktive Welten „univial“?
Es gibt nur diesen einen Zugangsweg – im Gegensatz zu faktualen Welten (diese sind plurivial) mit mehreren Zugangswegen.
Was zeichnet fiktive „Universe/Universen“ aus?
Der Zugang ist ohne die Grundliteratur möglich (mehrere Zugänge)
Inkl. Komponente des Wunderbaren
Das Universe arbeitet an der Welt und nicht am Text
zB.: Marvell (Spiderman & Co), Tolkien, Star Treck, Harry Potter, ….
Was sind literarische Gattungen?
Textgruppen/Textsorten der Literatur.
Naturformen: Gattungstrias: Lyrik, Epik, Dramatik
(Lyrik: Lied, Sonett, Ballade; Epik: Epos, Roman, Fabel; Dramatik: Tragödie, Komödie, Einakter)
Was sind historische Gattungen der Literatur und woran können wir sie erkennen?
bekannt zu der Zeit der Autoren und Leser.
Erkennt man daran, dass sie den Formprinzipien bzw. –konventionen folgen.
z.B.: Tragödie, Sonett, Fabel, Novelle, Ode …
Welche Funktion haben historische Gattungen?
Literaturwissenschaftliches Instrument zur form- und funktionsbezogenen Bestimmung von Textgruppen/Textsorten, Beispiele: Tragödie, Sonett, Fabel, Novelle, Ode, Briefroman, Gelegenheitslyrik, anakreonitsche Ode
Welches ist die am heißesten umkämpfte historische Gattung der deutschsprach.....
Genieästhetik/ Originalitätsästhetik
Mit welchen Faktoren ist moderne Autorschaft untrennbar verbunden?
Literarische Autorschaft ist untrennbar mit dem Markt, dem Recht, der Öffentlichkeit und dem Medium Schriftverbunden Autorschaft ist ein prominentes Instrument (nicht nur) der Literaturwissenschaft, um Texte zu sortieren und zu organisieren
Welche Formen kollektiver Autorschaft gibt es?
Grenzfälle und Ausfälle von Autorschaft
Kollektive Autorschaft 1: Märchen/ Sagen/ Mythen/ Legenden entscheidend: mündliche Überlieferung (prägt die Form) Volksdichtungs‐Konzept um 1800: „das Volk“/ „die Nation“ als Autor Autorschaft wird programmatisch negiert (Bsp. Grimm) der Fall James Macpherson Ossian(1760)
Kollektive Autorschaft 2: Webliteratur/ kollaborativesSchreiben Konzept: „Schwarmintelligenz“/ Anti‐Elitarismus
Kooperative Autorschaft: Zwei oder mehr namentliche Autoren Bsp. Arno Holz/ Johannes Schlaf: Die Familie Selicke(1890) MajSjöwall/ Per WahlööSjöwall: Kommissar Beck‐Krimis (1965ff.)
Welche Vorstellung steht hinter dem Konzept der „Volksdichtung“ um 1800?
Vorher: „Werk“ als Prozess (wie in „Handwerk“) seitdem: „Werk“ als Produkt neu um 1800: Begriff „Kunstwerk“ Übertragung des Begriffs aus der bildenden Kunst auf die Literatur
Welche Gründe gab/gibt es für an.....
Intertextualität (Postmoderne/ Lit.Wiss.) Kollektive und anonyme Autorschaft (Romantik/ Avantgarden) Betonung des Mediums Schrift (seit 1900/ Lit.Wiss.)
als Distanzmedium (= Ablösung des Texts vom Autor) als Medium des Buchdrucks (= mehrere Produzenten) Betonung des Lesers als (Mit‐)Produzent der Literatur (Avantgarden/ Lit. Wiss.) „Diskurs“ statt Autonomie von Autor und Werk (Lit.Wiss.)
Was ist der Unterschied zwischen einem Autor/einer Autorin und dem lyrischen „Ich“ bzw. der Erzählinstanz?
AutorInnen sind als VerfasserInnen literarischer Texte und UrheberrechtsinhaberInnen extrafiktionale Größen
Literarische Figuren, Erzählinstanzen und das lyrische Ich sind intrafiktionale Größen (= Erfindungen des Autors oder der Autorin)
Das lyrische Ich oder der Erzählereines literarischen Textes können also grundsätzlich nicht mit dem Autoroder der Autorin identisch, sondern bleiben deren Produkt/Erfindung.
Dass gilt auch dann, wenn eine Erzählinstanz in einem fiktionalen Text behauptet, der Autor zu sein (Bsp. E.T.A. Hoffmann: Der Sandmann).
Wann immer wir den Eindruck haben, in einem fiktionalen Text spreche der Autor, ist das entweder ein Effekt des Textes oder ein Kurzschluss.
Welche Institutionen des Literaturbetriebs sind daran beteiligt, Texte zu „Literatur“ zu machen?
Die Institutionen des Literaturbetriebs: Verlage Literaturkritik (in Presse, Rundfunk, Fernsehen, Internet) Literaturhäuser Literaturarchive (eigentlich: Autorenarchive) Sammeln auch nichtliterarische Texte (Briefe/ Notizhefte) oder Dinge (Schreibmaschinen, Spazierstöcke, Uhren etc.)
Literaturpreise Im deutschsprachigen Raum zwischen 500 und 1.000 Spannender Fall: Literaturnobe.....