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Aufsatz
Deutsch

Universität, Schule

Lehrerbeitrag für Schüler

Note, Lehrer, Jahr

2008

Autor / Copyright
Nico K. ©
Metadaten
Preis 3.50
Format: pdf
Größe: 0.11 Mb
Ohne Kopierschutz
Bewertung
sternsternsternsternstern
ID# 76733







  1. Die Leiden des jungen Werther, von J.W. Goethe


Thema: Gibt es in Werthers Briefen über seine Liebe zu Lotte auch Passagen, in den Eifersucht und körperliche Begierde deutlich werden?


Hatte sich im 1.Buch der „Leiden des jungen Werther“ die Beziehung zwischen Werther und Albert in gegenseitiger Sympathie entwickelt, die allerdings nach Werthers angedeutetem Kopfschuss einen ersten Dämpfer erfuhr, so sehen wir nun im 2. Buch eine immer deutlicher werdende Störung dieses Verhältnisses.

War anfangs Albert nur als bürgerlich-vernünftiges Gegenbild zum genialisch-leidenschaftlichen Werther zu erkennen, so tritt mit Beginn des 2. Buches ihre Beziehung in eine qualitativ neue Phase.


Schon gleich nach der Rückkehr Werthers nach Wahlheim in die Nähe Lottes, am 29. Juli 1772, schreibt Werther demonstrativ und emphatisch: „Sie wäre mit mir glücklicher geworden als mit ihm. O, er ist nicht der Mensch, die Wünsche dieses Herzens alle zu erfüllen. Ein gewisser Mangel an Fühlbarkeit .“, das ist es, was Werther an Albert nun auszusetzen hat.

Zugleich geht er in seiner ganzen subjektiven Eindimensionalität davon aus, dass er allein es ist, der Lotte glücklich machen könnte, den wahren Gleichklang zwischen ihren Gemütern erreicht. Werther ist nicht ohne Stolz und Selbstüberschätzung so kurz nach seiner Rückkehr, so zweifelt er nicht bloß an der passenden Geisteshaltung Alberts, sondern beginnt nun auch dessen Legitimität der körperlichen Nähe zu Lotte neidvoll zu beäugen. “Es geht ein Schauder durch den ganzen Körper, Wilhelm, wenn Albert sie um den schlanken Leib fasst.“ (Brief vom 29. Juli)

War bisher Werthers Begehren auf leise und zaghafte Berührungen begrenzt und lebte vornehmlich von der geistig-empfindsamen Verbundenheit und dem ins Künstlerische sublimierten Verlangen, so werden wir hier erstmals Zeuge seines sexuellen Verlangens. Nur an wenigen Textstellen findet der Sexualtrieb seinen sprachlichen Ausdruck, aber es ist gerade diese „verbotene Frucht“, die Unberührbarkeit des weiblichen Körpers und die damit einhergehende Auflage zur Selbstbeherrschung, der er am Ende erliegt und seinen Entschluss zum Freitod auch Wirklichkeit werden lässt.

Werther befindet sich nicht allein mit seiner empfindsamen Seele in einer Zerreißprobe gegenüber Lotte, wir müssen vielmehr davon ausgehen, dass – so zurückhaltend die Triebhaftigkeit auch dargestellt wird – Werther sich auch in einer permanenten Zerreißprobe seines körperlichen Begehrens, seiner Sexualität befindet.

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Was in den Briefen an Wilhelm weitgehend unausgesprochen bleibt, lugt dennoch an einigen wenigen Stellen deutlich hervor, schwankend zwischen selbst auferlegter Unterdrückung und ungebändigter Sehnsucht.

Zwei Zitate mögen dieses Hin und Her verdeutlichen:

Ich widerstand nicht länger, neigte mich und schwur: nie will ich es wagen, einen Kuß euch aufzudrücken, Lippen! auf denen die Geister des Himmels schweben – Und doch – ich will – Ha! siehst du, das steht wie eine Scheidewand vor meiner Seele - .“ (Brief vom 24.11.1772)

Schon hier wird ansatzweise deutlich, wie problematisch Werthers erzwungene körperliche Zurückhaltung ist, wie viel Beherrschung sie abfordert und wie er einerseits Disziplin schwören und andererseits Begehren ausleben möchte. Im Brief vom 30.10.1772 wird diese Triebhaftigkeit noch viel entschiedener und offener ausgesprochen: „Weiß der große Gott, wie einem das tut, so viele Liebeswürdigkeiten vor einem herumkreuzen zu sehen und nicht zugreifen zu dürfen; und das Zugreifen ist doch der natürlichste Trieb der Menschheit.“

Vorerst macht sich Eifersucht breit, neidet er Albert diesen Vorteil, Lotte berühren und auch körperlich begehren zu dürfen. Eifersüchtig lamentiert er: „Ich begreife manchmal nicht, wie sie ein anderer lieb haben kann, lieb haben darf, da ich sie so ganz allein, so innig, so voll liebe, .“ (3.9.1772)

Dieser Alleinbesitzanspruch steht in vollem Gegensatz zu dem, was Werther legitimerweise auszukosten erlaubt ist; und so werden wir auch Zeuge einer gewissen unwirschen und verärgerten Vorwurfshaltung, mit der er Albert im Stillen kritisiert: „Sattigkeit ists und Gleichgültigkeit! Weiß er sein Glück zu schätzen? Weiß er sie zu achten, wie sie es verdient?“ (6.12.1772, Der Herausgeber an den Leser)

In diesen Passagen spricht nicht nur ein verzweifelter Neider, der nicht zum Zuge kommt, hier sehen wir auch Werther in seiner ganzen Selbstgerechtigkeit und Eitelkeit. Selbst in der Verfolgung der bürgerlichen Arbeit erblickt er einen Mangel an Liebe, Zärtlichkeit und Interesse, wohingegen er sich in seiner zur künstlerischen Genialität gesteigerten Lebensuntüchtigkeit für denjenigen hält, der einer wahren Liebe näher ist als es ein anderer auch nur sein könnte.


„Ich kehrte das Gesicht weg. Sie sollte es nicht tun! Sollte nicht meine Einbildungskraft mit diesen Bildern himmlischer Unschuld und Seligkeit reizen .“ (12.9.1772) Lotte aber ist nicht die verführerische Frau, die selbst auch den Schritt zu einer verbotenen Liebe wagen würde; sie scheint anfangs gar nicht zu ahnen, was diese männliche Leidenschaft auch unter Liebe versteht und was sie begehrt.

Als sie es schließlich doch wahrnimmt, kehrt sie zurück in bürgerliche Schutzmechanismen, sie wehrt die ihr entgegen gebrachte Liebe mit Vorhaltungen ab, will Werthers Leidenschaft zügeln und redet ihm vernünftelnd ins Gewissen, er möge sich nicht „mit Willen zugrunde richten“ (20.12.1772), nicht stärker sie bedrängen, „ . just mich, das Eigentum eines andern? Just das? Ich fürchte, ich fürchte, es ist nur die Unmöglichkeit, mich zu besitzen, die Ihnen diesen Wunsch so reizend macht. .“ (ebd.) Werther reagiert beleidigt, verletzt in seiner Leidenschaft und Hingabe, seiner Ausschließlichkeit, er quittiert ihre Aufforderung mit einem „unwilligen Blick“ und macht schließlich auch ihr selbst den Vorwurf, den er zuvor schon Albert machte: „Das könnte man, sagte er mit einem kalten Lachen, drucken lassen und allen Hofmeistern empfehlen.“ (ebd.) Erstmals sehen wir einen zornigen, nicht nur enttäuschten, sondern beleidigten und auch missverstandenen Werther, erstmals ist die bisher so innige Verbundenheit und Seelenverwandtschaft beider gestört, und Werther erblickt in Lotte das Bild der spießigen, vernünftelnden Bürgersfrau, die ihn zur Raison ruft.


Warum vollzieht er diesen Schritt nicht schon früher? Was hindert ihn noch? Zu fragen wäre also, in welcher Weise die Liebe Werthers sich zur Ausweglosigkeit steigert und was an dem letzten Treffen mit Lotte am 21.12.1772 den Höhepunkt einer nicht weiter zu steigernden fatalen Liebe ausmacht.

Interessanterweise erfolgt der Selbstmord erst zu einem Zeitpunkt, nachdem Werther schließlich doch die Selbstkontrolle über seinen Trieb verloren hat, sich in der Gegenwart Lottes nicht mehr beherrschen kann und selbst Lotte nun deutlich erkennt, dass die Beziehung auf keinen Fall aufrecht zu halten ist.

Nach der gemeinsamen Lektüre aus dem Ossian scheinen beide die Selbstdisziplin für einen Augenblick abzustreifen, und endlich nun kommt es zur lange ersehnten körperlichen Berührung. „Ihre Sinnen verwirrten sich, sie drückte seine Hände, drückte sie wider ihre Brust, neigte sich mit einer wehmütigen Bewegung zu ihm, und ihre glühenden Wangen berührten sich.

Der dann folgende Bindestrich ist gleichsam das syntaktische Zeichen ihres Rückzugs und ihres Erwachens aus dieser Sinnesverwirrung. Sie wendet sich ab, bereut den Verlust der Selbstbeherrschung und weist ihn mit den Worten von sich: „Das ist das letzte Mal! Werther! Sie sehn mich nicht wieder!“ (ebd.)

Für Momente haben beide sich vergessen, haben beide eine Grenze überschritten, aber Lotte findet schnell zurück zu ihrer Selbstkontrolle. Der Bogen ist nun überspannt, eine Steigerung der Innigkeit würde von nun an immer das Betreten verbotenen Terrains bedeuten, einen Bruch mit den Konventionen der Zeit, einen Betrug beinhalten.

Dazu ist Lotte als bürgerliche Frau des 18. Jahrhunderts nicht in der Lage, dazu wird erst 80 Jahre später eine Frau die Kraft und den Mut finden, und sie wird ebenfalls zugrunde gehen und nun selbst im Selbstmord Zuflucht suchen. „Madame Bovary“ von Gustave Flaubert ist im bürgerlichen Roman des 19. Jahrhunderts diese skandalöse Figur der Ehebrecherin, die aus dem Korsett der bürgerlichen Moral und Langeweile ausbricht.

So bleibt es denn bei einem innigen Kuss, den der bürgerliche Sittencodex seiner Zeit als Äußerstes tolerieren konnte.


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