Effi Briest, Romananalyse, Teil: Weihnachtsessen in
der Oberförsterei
Textanalyse Ausschnitt „Effi Briest“
Der Ehe-und Gesellschaftsroman „Effi Briest“, welcher
der Epoche des Realismus zuzuordnen ist, von Theodor Fontane aus dem Jahr 1885
thematisiert den Ehebruch der Protagonistin „Effi“ und die sich daraus
ergebende völlige Isolation von der Gesellschaft. Insgesamt handelt der Roman
von der Selbst-und Fremdbestimmung und von dem Konflikt zwischen Individuum und
Gesellschaft.
In dem vorliegenden Textausschnitt geht es um das
weihnachtliche Festessen in der Oberförsterei der Rings. Im Verlaufe dieses
Festmahls empört sich die geladene Sidonie von Grasenhapp mehrmals über Cora,
die Tochter des Hauses, und ihr, in Sidonies Augen, unverschämtes
Verhalten.
Des Weiteren werden während des
Abends unzählige Speisen und Getränke aufgetischt und das Essen mit einer Rede
des Herrn Güldenklee
abgeschlossen. Effi,
ihr Mann Innstetten und Major Crampas sind ebenfalls bei jenem Weihnachtsessen
anwesend. Innstetten ist teilweise in das Gespräch mit Sidonie eingebunden,
wohingegen Effi in dem gesamten Textauszug nicht erwähnt
wird. Unmittelbar
dem Essen vorausgegangen ist Effis Hauptrolle in dem Schauspiel „Ein Schritt
vom Wege“, dessen Regie Crampas
führte. Außerdem
ist Effi zum Zeitpunkt des Geschehens schon einige Male mit Major Crampas
ausgeritten und die beiden haben erste Bindungen
geknüpft.
Nach dem Weihnachtsessen folgt die Rückfahrt in der Kutsche nach Kessin,
wobei Crampas aufgrund eines Problems mit der Kutsche, in der sich auch Effi
befindet, mitfährt. Darin findet der erste Kuss der beiden statt, wobei die
Initiative von Crampas ausgeht. Aufgrund der Kontextualisierung kann man vorab
schon einmal festhalten, dass der zu analysierende Ausschnitt im Kontrast zu
Effis Leben vorher und nachher steht, da während des Abendessens sehr auf
gesellschaftliche Werte und Normen geachtet wird, während Effi diese, unter
anderem durch ihren Kuss mit Crampas, vorher und nachher bricht.
Betrachtet man also den vorliegenden Ausschnitt im
Kontrast zu seinem Kontext, so wird deutlich, dass es sich bei dem Roman „Effi
Briest“ sowohl um einen Gesellschafts- als auch um einen Eheroman handelt.
Diese Aussage liegt darin zu begründen, dass der Ausschnitt des 19. Kapitels
die Gesellschaft und ihre Auswirkungen auf einzelne Personen darstellt, wie
beispielsweise Sidonie. Dieses
Wechselspiel zwischen Individuum und Gesellschaft kommt auch während des
weiteren Romans oft zum Tragen (z.B. Stellung
Innstetten). Allerdings
kann man dem Roman in seinem Gesamtzusammenhang auch als Eheroman verstehen, da
die 17-jährige Effi erst durch ihre Heirat mit Innstetten du deren Folgen, wie
die Affäre mit Crampas, Probleme mit der Gesellschaft bekommt und schließlich
von ihr verstoßen wird.
Die genannte Gesellschaft, der sich Effi im Verlauf des Romans nicht anzupassen
weiß, wird in dem vorliegenden Textauszug in unterschiedlichen Facetten
dargestellt.
Zunächst einmal ist die Familie Ring als Ausrichter des
Weihnachtsessen zu nennen, die sich offenbar sehr akribisch auf dieses Ereignis
vorbereitet haben. An verschiedenen Punkten des Weihnachtsessen fällt auf, dass
das Haus sehr prunkvoll geschmückt ist, um den Gästen zu imponieren (vgl.: S.
174, Z.29: „zahllose […] Silberkugeln“; S.175, Z.1, 2: „ Der Damast, die
Weinkühler, das reiche Silbergeschirr“). Auch das den Gästen servierte Essen
lässt darauf schließen, dass die Familie Ring ihren Gästen so viel von ihrer
„an Glanz streifende[n] Wohlhabenheit“ (S. 175, Z.23f) zeigen will wie eben
möglich. Dabei versuchen Sie sich immer wieder selbst zu übertrumpfen, indem
beispielsweise das servierte Krausgebackene noch höher aufgetürmt ist als die
„Kuchenpyramide“ (S.177, Z.17,
18). Die
Wertvorstellungen der Familie Ring scheint jedoch generell eher Herr Ring als
Frau Ring zu vertreten, da nur der Herr des Hauses erwähnt wird, wie er „mit
einer […] strahlenden Feierlichkeit“ (S.177, Z.20) den Wein eingießt. Obwohl
Frau Ring durch ihre Abstammung von einem reichen Danziger Kornhändlerhaus das
Vermögen mit in die Ehe gebracht zu haben scheint, verwaltet es ihr Ehemann.
Wie für die damalige Zeit üblich zeigt er des Weiteren die Wohlhabenheit nach
außen und gegenüber den Gästen, wohingegen Frau Ring sich eher „scheu und
verlegen“ (S.175, Z.9) zurückhält. Herr Ring scheint außerdem sehr viel Wert
auf die Meinung der Gesellschaft von sich zu legen, da er in der abschließenden
Rede Güldenklees als ein Mann bezeichnet wird, „der so Recht ein Ring ist, wie
er sein soll“ (S.178, Z. 16-18). Er versucht also die gesellschaftlichen
Erwartungen an ihn optimal zu erfüllen, weshalb er auch das Essen so prunkvoll
und gigantisch
ausrichtet.
Im Verhalten der Rings kann man somit festhalten, dass Anspruch, nämlich von
der Gesellschaft als großartiger Mann bezeichnet zu werden, und Wirklichkeit
übereinstimmen. Jedoch gelingt ihm diese Ausgestaltung seines Lebens nur durch
das Vermögen seiner Frau. Die anwesende Gesellschaft scheint trotzdem sehr viel
von Herrn Ring zu halten, da er „alles Gute“ (S.178, Z.17) der Kessiner
Gesellschaftskreise in sich vereint.
Als zweite auffällige Person ist Sidonie zu nennen,
die offensichtlich trotz aller Bemühungen der Familie Ring etwas am Fest
auszusetzen
hat. Zu
Beginn des Essens scheint ihr vor allem das Verhalten von Cora Ring zu
kokettierend und dem Anlass nicht angemessen (vgl. S. 176, Z.415). Sidonie
bezeichnet sie als „unausstehliche[s] Balg“ (S. 175, Z.28) und stellt fest, sie
könne mit ihrem Verhalten jederzeit Kellnerin werden (Z. 30,31). Des Weiteren
kritisiert Sidonie den Pastor Lindequist, indem sie ihm vorwirft, Cora nicht
auf eine angemessene Schule geschickt zu haben. Damit wird vor allem deutlich,
dass sie bei sich selbst davon ausgeht, sie könne im Sinne der Gesellschaft
beurteilen, was „richtig“ (S. 176, Z.8) und was falsch
ist. Sidonie
verlangt von jedem Erzieher, dass er die Pflicht für seine Zöglinge übernimmt
und sich gegen den „Geist der Zeit“ (S.176, Z.16) zu wehren weiß. Sie wissen
zwar auch, dass Pflicht etwas Unbequemes sei, allerdings müssen man trotz
„schwach[em] Fleisch“ (S. 176, Z.23) zu widerstehen
wissen. Im
weiteren Verlauf des Gespräches mit Lindequist, das allerdings mehr wie ein
Monolog Sidonies wirkt, beginnt diese, auch Herrn Ring zu kritisieren, da seine
Mutter „Plättfrau“ (S. 176, Z.34) war. Es gebe zwar „schlimmeres“ (S. 177, Z.2)
als das, allerdings müsse immer noch gesellschaftliche Ordnung gelten. Dadurch,
dass Sidonie betont, was ein Förster „hat und was er nicht haben sollte“ (vgl.
S. 177, Z.6-8), macht sie ihre Meinung sehr deutlich. Demnach sind die
bestehenden Gesellschaftsnormen unbedingt einzuhalten und niemanden ist es
erlaubt, daraus
auszubrechen.
In der Figur der Sidonie wird sehr deutlich, inwiefern
sich Anspruch und Wirklichkeit unterscheiden. Sie selbst spricht von Pflicht
und Verantwortung gegenüber der Gesellschaft, indem man sich auch bei Schwachem
unter Kontrolle haben müsse. Im selben Moment allerdings nimmt sie sich
„ziemlich ausgiebig“ (S. 176, Z.25) von dem Roastbeef und verhält sich des
Weiteren extrem unhöflich und intolerant gegen die Ausrichter des Festes, indem
sie über die Tochter und zugleich über den Herrn des Hauses
herzieht. Dieses
Verhaltensmuster zeigt, inwiefern Sidonie die gesellschaftlichen Normen und
Werte vertreten möchte, jedoch selbst diese Werte nicht akzeptieren kann (z.B.
Pflichtbewusstsein, Disziplin). Demnach wird Sidonie hier als Heuchlerin
entlarvt.
Als dritte Personengruppe sind Innstetten und
Lindequist zu nennen, die in dem Ausschnitt nicht sehr aus der Konversation
hervorheben. Trotzdem kann man erkennen, dass beide nicht viel von Sidonies
Hetzerei gegen die Rings halten (vgl.: S. 175, Z.35; S.176, Z.14) und deshalb
auch sehr wenig zur Konversation beisteuern. Innstetten scheint es hier vor
allem wichtig, in der Gesellschaft einen guten Stand zu haben. Diesen wird er
nicht durch Lästereien gegen die Tochter des Hauses aufbauen und hält sich
daher sehr bedeckt.
Im Gesamtbild kann man sagen, dass in dieser
Gesellschaft sehr auf die Wahrung des Scheins gegenüber der Außenwelt geachtet
wird. Zum einen wird dies durch die vielen pompösen Einrichtungsgegenstände der
Familie Ring, zum anderen durch die Verweisungen Sidonies auf die
gesellschaftliche Ordnung deutlich. Alle Teilnehmer der Gesellschaft scheinen
sehr bemüht einen möglichst positiven Eindruck auf die anderen Gäste zu machen,
unter anderem indem am Ende noch einmal das „Preußenlied“ (S. 178, Z. 27f)
angestimmt wird. Gestützt wird dieses Bild durch den feierlichen Anlass zu
Weihnachten und das glamourös ausgestattete Haus der Försterfamilie. Insgesamt
steht dieses Gesellschaftsbild im extremen Gegensatz zu der vorherigen und
nachfolgenden Handlung, da zum einen Effi dort wieder integriert wird. Des
Weiteren bricht sie allerdings in dieser Rolle die beim Weihnachtsessen
vorgestellten Normen und Werte durch den Ausritt und vor allem den Kuss mit
Crampas. Sie nimmt an dieser gesellschaftlichen Szene beim Abendessen hingegen
nicht aktiv teil. Dieser Umstand zeigt erneut, dass Effi nicht in der Lage ist
sich gesellschaftlichen Werten und Normen, auf die gerade beim Essen höchsten
Wert gelegt wird, zu fügen. Stattdessen bricht sie daraus aus und bricht ihre
Pflicht, Innstetten treu zu sein.
Die Hauptintention des zu analysierenden Abschnitts
ist es demnach, den Widerspruch des Verhaltens Effis zu den strengen und
unantastbaren Werten und Normen der Gesellschaft aufzudecken. So wirkt Effis
folgendes Verhalten noch
kontrastierender. Erreicht wird
dieser Kontrast unter anderem durch Fontanes sprachliche und erzählerische
Mittel. Zunächst beschreibt der Erzähler von S. 174- S.175 das Haus der Rings.
Dabei ist der Erzähler nicht eindeutig neutral, da er durch Worte wie „zahllose
Silberkugeln“, „herrschaftlich“ und „Glanz“ eine sehr eindrucksvolle Kulisse
für das Weihnachtsessen schafft. Es wird deutlich, dass sich nach all diesen
Dingen auch Effi in ihrem neuen „Nest“ in Kessin gesehnt hat. Allerdings zog
sie mit Innstetten stattdessen in ein Spukhaus, das für Effi nie ein richtiges
Zuhause darstellte, sondern nur Angst und Kontrolle.
Durch diesen Kontrast wird verdeutlicht, warum
sich Effi auf die Affäre mit Crampas eingelassen haben könnte. Ihr fehlte das,
was sie sich immer erhofft hatte in ihrem Haus und in der Beziehung zu
Innstetten. Außerdem konnte sie nie Teil der Gesellschaft werden, die in Kessin
vorherrscht. Dies wird auch dadurch deutlich, dass Effi von dem Erzähler in
diesem gesellschaftsorientierten Textauszug kein einziges Mal erwähnt
wird. Durch die Einführung der
Figur Sidonie erreicht der Erzähler die Verkörperung eines Individuums, das
völlig überhöhte gesellschaftliche Erwartungen stellt, die sie selbst nicht
erfüllen kann. Das Zitat aus der Bibel (vgl.: S. 176, Z.23), kann zunächst für
Sidonies völlig falsche Selbsteinschätzung stehen, da sie kurz danach ausgiebig
Roastbeef zu sich nimmt. Im weiteren Verlauf und vor allem bezogen auf Effi
kann man das Zitat aber auch als Vorausdeutung auf den Kuss mit Crampas werten.
Effi hält den gesamten Gesellschaftserwartungen nicht mehr stand und verfällt
einer Affäre mit Crampas. Um
weiterhin die überhöhten gesellschaftlichen Erwartungen herauszustellen, nutzt
Fontane ab S. 177, Z.33 den multiperspektivischen Dialog als objektives
Gestaltungsmittel. Er lässt verschiedene Gäste der Feier eine
Rede zum Wohle des Hausherren halten, der sich immer so verhalten habe, wie man
es von im erwarte (S. 178, Z.16, 17) und die Kessiner Kreise perfekt in sich vereine
(S.178, Z.18-21). Dieser Anspruch bildet erneut einen Kontrast zu Effis
späterem Verhalten, da sie sich weder so verhält, wie es die Kessiner
Gesellschaft von ihr verlangt, noch in diese integriert wird. Im Gegensatz dazu
scheint Herr Ring der perfekte Kessiner Bürger zu sein, wobei niemand sich
dafür interessiert, woher seinen Reichtum
hat.
In dieser Gesellschaft zählt nur der Schein nach außen, wobei, im Kontrast
dazu, Effi diesen nicht wahren
kann.
Insgesamt kann man festhalten, dass der vorliegende
Textauszug einen Kontrast zu Effis weiteren Leben und vor allem der folgenden
Kutschfahrt darstellt. Im Ausschnitt wird sehr viel Wert auf gesellschaftliche
Ordnung mit Werten und Normen gelegt, die Effi nicht erfüllen kann. Sie bricht direkt
nach dem gesellschaftlichen Abend aus der Ordnung aus, indem sie Crampas auf
der Rückfahrt in der Kutsche
küsst. Außer
diesem inhaltlichen Aspekt wird jedoch an diesem Textauszug auch Fontanes
Realismusauffassung
deutlich.
Die beschriebene Szene hätte so im realen Leben als ein gesellschaftliches
Abendessen stattfinden können. Für Fontane war es wichtig, dass das literarisch
Verarbeitete ein Bild seiner Zeit darstellt. Allerdings müsse das „Rohmaterial
aus dem Marmorsteinbruch“, also die Handlung die im wahren Leben hätte
geschehen können, erst durch künstlerische Mittel so verklärt werden, dass man
es als literarische Kunst bezeichnen
könne. Einige
Mittel, die Fontane dazu nutzt, finden sich auch in diesem Textteil wieder. Zum
einen wird sicherlich der Humor betont. Die Figur der Sidonie von Grasenhapp
wirkt wie eine Person, die viel erzählt und erwartet, jedoch selbst wenig davon
hält. Dies wird vor allem deutlich, als sie selbst die Bibel zitiert („Das
Fleisch ist schwach“), danach allerdings direkt beherzt zum Roastbeef greift.
Des Weiteren bringt Fontane den multiperspektivischen Dialog zum Einsatz, der
die gesellschaftlichen Normen deutlich macht und wie ehrhaft es ist, diese zu
erfüllen. Dadurch wird das Beschriebene real und objektiv sowie wenig vom
Erzähler beeinflusst.
Die Intention des Ausschnitts, nämlich einen Kontrast zu Effis Verhalten zu
bilden, ist ebenfalls ein Mittel, das Fontane für seine Realismusauffassung
nutzt. Er erzeugt dadurch ein erzählerisches Gleichgewicht und stellt so die
jeweiligen Kontraste noch deutlicher
hervor.
Zusammenfassend
kann man sagen, dass Fontane seine Romane so gestaltet, als hätten sie im
wahren Leben passiert sein können, sie allerdings erst durch Verklärung zu
literarischer Kunst macht