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Seminararbeit / Hausarbeit

Dürr­ren­matts Dramen­theorie im Werk Thea­ter­pro­bleme

3.663 Wörter / ~14 Seiten sternsternsternsternstern Autor Rut Büscher im Dez. 2011
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Friedrich Dürrenmatts Dramentheorie erläutert am Werk
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Seminararbeit
Deutsch

Universität, Schule

Zinzendorfschule Königsfeld

Note, Lehrer, Jahr

2011

Autor / Copyright
Rut Büscher ©
Metadaten
Format: pdf
Größe: 0.52 Mb
Ohne Kopierschutz
Bewertung
sternsternsternsternstern
ID# 12255







Inhalt: Die Semi­nar­ar­beit bietet eine detail­lierte Analyse von Fried­rich Dürren­matts Dramen­theo­rie, beleuchtet das Verhältnis von Tragödie und Komödie und setzt dies in Bezug zu seinem Stück "Der Besuch der alten Dame". Sie ermög­licht ein tiefes Verständnis für Dürren­matts Ansätze und deren prak­ti­sche Umset­zung, was für Studie­rende der Lite­ra­tur­wis­sen­schaften sowie Thea­ter­in­ter­es­sierte von großem Wert ist.
#Dürrenmatt#Dramentheorie#Komödie

Friedrich Dürrenmatts Dramentheorie
erläutert am Werk „Theaterprobleme“

 

Inhalt

1.     Einleitung. 2

2.     Analyse des Textauszugs aus Dürrenmatts Aufsatz „Theaterprobleme“. 3

3.     Das Verhältnis von Tragödie und Komödie in Dürrenmatts Aufsatz. 8

4.     Umsetzung der Dramentheorie in „Der Besuch der alten Dame“. 9

5.     Erläuterung zu Dürrenmatts: „Uns kommt nur noch die Komödie bei“. 12

6.     Schlussgedanken. 13

7.     Literatur-und Quellenverzeichnis 14

 

1.   Einleitung

Seit der Antike, denn bereits aus dem fünften Jahrhundert v. Chr. sind uns Tragödien von Aischylos, Sophokles und Euripides bekannt und mit Platons Schüler Aristoteles auch dramentheoretisch erfasst, setzt sich die Dramentheorie wegweisend für die europäische Dramengeschichte mit der Frage auseinander, was ein Schauspiel ausmacht und wie es betreffend Inhalt, Aufbau und Darstellungsform idealerweise aussehen soll. Über seitdem mehr als zwei Jahrtausende hinweg hat sich aber im Grunde wenig Grundsätzliches daran geändert: Zumeist setzen sich Dramen, die Welterfolge geworden sind und werden sollen , mit den ethischen und politischen Themen ihrer Epoche auseinander und häufig verfassen deren Autoren auch theatertheoretische Texte begleitend zu ihren Stücken und deren Entstehungsprozess, die einserseits ihre persönlichen Ziele widerspiegeln, meist aber programmatisch zu lesen sind. Dabei stellen sich die Autoren sowie Dramaturgen immer neu die Frage, wie ein Drama inhaltlich und strukturell Antworten auf aktuelle Entwicklungen geben oder diese aufgreifen kann und jeder Schriftsteller hat dafür in seiner Zeit eine für ihn spezifische Methode und meist eine eigene, unverwechselbare Handschrift entwickelt. Wäre nicht durch Aristoteles´ Grundlagenwerk, der “Poetik”, eine Unterscheidung der Dramentypen in Tragödie und Komödie vorgegeben gewesen, wie hätten z.B. in der Epoche der Klassik Lessing, Schiller und Goethe das Schauspiel in seiner Gestalt wohl weitergedacht? Braucht es nicht gerade die Kontrastfolie des “Klassischen” für die Enwicklung einer Gegenbewegung, wie sie uns beispielsweise das “Bürgerliche Trauerspiel” Lessings oder ein Jahrhundert später das sogenannte “Soziale Drama” Hauptmanns vorführt? Die Liste der Beispiele ließe sich sicherlich bis in unsere Gegenwart fortsetzen. Der Schweizer Autor Friedrich Dürrenmatt, geboren 1921 in einem kleinen Ort im Kanton Bern und gestorben 1990 in Neuenburg/Schweiz, hat ähnlich stark wie Bertolt Brecht (1898–1956), dessen Theorien zum „Epischen Theater“ ihn besonders interessierten, die Form des deutschsprachigen Gegenwartsschauspiels beeinflusst. Wie Brecht war es ihm ein Anliegen, beim Zuschauer Distanz zum Geschehen auf der Bühne zu erzeugen und damit den Zuschauer von seiner Rolle eines passiven Konsumenten des Bühnengeschehens wegzuführen und ihn zum eigenständigen Nachdenken anzuregen. Für seine Dramen verwendet er häufig den Untertitel “tragische Komödie” wie auch für sein Schauspiel „“Der Besuch der alten Dame“, das am 29. Januar 1956 in Zürich uraufgeführt und seinen Weltruhm begründete. In seinem programmatischen Aufsatz “Theaterprobleme” , den er 1955, also im Jahr der Entstehung der “Alten Dame”, verfasste, erläutert Dürrenmatt seine persönliche Konzeption des Theaters, angepasst an die kritische Analyse seiner Zeit, und formuliert äußerst darin sehr zugespitzt seine These zur Funktion des Gegenwartstheaters: “Uns kommt nur noch die Komödie bei”. Im der vorliegenden Ausarbeitung soll dieser Text genauer analysiert, das darin dargestellte Verhältnis von Tragödie und Komödie herausgearbeitet und dabei ein Bezug zur tragischen Komödie „Der Besuch der alten Dame“ hergestellt werden.

 

2.   Analyse des Textauszugs aus Dürrenmatts Aufsatz „Theaterprobleme“.

In dem Aufsatz mit dem Titel “Theaterprobleme”, entstanden 1955, stellt Friedrich seine Gedanken zur zeitgenössischen Dramentheorie vor und versucht sehr pointiert, seine Vorstellungen, wie ein Drama in unserer Zeit aufgebaut sein soll, darzustellen.

Er erläutert zunächst die Rolle des Helden in einem Theaterstück. Der Held eines Theaterstückes sei das Abbild der Welt. Er solle, so verlangt Dürrenmat, daher so charakterisiert werden, dass er nicht nur die Handlung in Gang setzt und sein Schicksal erduldet, sondern vielmehr die Welt darstellt. Daher meint Friedrich Dürrenmatt, dass man sich „die Frage stellen [muss], wie unsere bedenkliche Welt dargestellt werden...“ solle (Z. 6-7).

Weiterhin fragt Dürrenmatt seine Leser, ob die heutige Welt überhaupt noch mit der Dramatik Schillers ausgeführt werden könne. Jedoch äußert er die Frage sehr kritisch. Dabei wird verdeutlicht, dass der neben Max Frisch bedeutendste Schweizer Autor unserer Zeit die Dramatik eines Friedrich Schiller nicht mehr für zeitgemäß hält und ihr abspricht, ein gültiges Abbild der heutigen Welt entwerfen zu können.

Die kritische Frage stimmt schließlich mit der Vermutung überein, da Dürrenmatt der Ansicht ist, dass Schiller zu seiner Zeit „Gerade noch“ (Z. 16) mit seinen Dramen ein Abbild der Welt, in der er lebte, habe liefern können.

Anschließend bezeichnet er Napoleon als den letzten Helden. Hierbei erkennt man, dass Friedrich Dürrenmatt Kenntnisse über bestimmte geschichtliche Hintergründe von seinen Lesern verlangt.

Seine Behauptung, dass Schillers Drama kein Abbild der heutigen Zeit herstellen könne, begründet er mit der Feststellung, dass Schiller nur Tragödien geschrieben habe, „...die von Weltmetzgern inszeniert und von Hackmaschinen ausgeführt werden.“(Z. 22-23) und keine tragischen Helden vergegenwärtigten.

Nachfolgend behauptet Dürrenmatt, dass nach Hitler und Stalin keine Wallensteine mehr hervorgehen könnten. Dabei stellt er nochmals einen Bezug zu Schiller und dessen gleichnamigem Dramen-Protagonisten „Wallenstein“ her.

Friedrich Dürrenmatt bezieht sich oftmals auf Schillers Dramen, um damit kontrastiv seine eigenen Vorstellungen und Thesen zum Theater besser verdeutlichen zu können. Er vergleicht immer wieder die heutige Zeit und Schillers Epoche miteinander.

Dabei verlangt er besondere geschichtliche und auch dramaturgische Kenntnisse, insbesondere von Schillers Dramen.

Den geschichtlichen Kontext stellt er hierbei durch den Verweis auf Hitler und Stalin heraus. Er meint, dass Hitlers und Stalins Totalitarismus sehr gewaltige Mächte dargestellt hätten, die zwar in vielem unsichtbar wirksam, aber äußerst grausam gewesen seien, und verdeutlicht dies durch ein Beispiel: „...wie bei einem Eisberg ist der größte Teil im Gesichtslosen, Abstrakten versunken.“ (Z.33 f.) Im Gegensatz zu Hitlers und Stalins Macht sei aber die der Wallensteine noch sichtbar. Schiller setze daher eine sichtbare Welt voraus wie die griechische Tragödie.

Das Sichtbare in der Kunst definiert er durch das Überschaubare. Heutige Staatsaktionen seien hingegen sehr unüberschaubar, anonym und bürokratisch. Dürrenmatt führt hierzu Beispiele an, die zeigen sollen, dass dies sich nicht nur in Moskau oder Washington so vollziehe, sondern auch in Bern, der Hauptsadt seines Heimatlandes Schweiz.

Dabei seien die heutigen Staatsaktionen „...nachträgliche Satyrspiele...“(Z. 42), so Dürrenmatt. Hierbei erkennt man wieder, dass der Verfasser des Aufsatzes von seinen Lesern bestimmte dramaturgische Vorkenntnisse verlangt. Tragische Helden seien in der heutigen Welt nicht mehr zu realisieren. Die echten Repräsentanten fehlten und die tragischen Helden seien ohne Namen.

Dürrenmatt schlägt vor, dass die heutige Welt durch Kanzlisten und Polizisten besser dargestellt werden könne als mit einem Bundesrat oder Bundeskanzler.

Anschließend erläutert Friedrich Dürrenmatt, welche Aufgabe der Kunst zukomme, und so auch, welche Aufgabe die heutige Dramatik habe. Diese bestehe darin, eine „.Gestalt, Konkretes zu schaffen.“(Z. 51 f.), was seiner Ansicht nach nur durch die Komödie erzielt werden könne.

Friedrich Dürrenmatt erläutert nun die Bedeutung von Tragödie und Komödie in einem Drama. Die Tragödie fordere eine gestaltete Welt. Dagegen setze die Komödie eine ungestaltete Welt voraus, die sich mit der heutigen Welt und dem Zustand, in dem sie sich befindet, vergleichen lasse.

Die Tragödie überwinde also die Distanz und die Komödie schaffe die Distanz. Die Methode, mit der es der Komödie gelinge, eine Distanz zu schaffen, sei der Einfall. Dies verdeutlicht er am Beipiel des griechischen Komödiendichters Aristophanes, dessen Dramen vom Einfall lebten. Seine Werke waren keine Mythen, sondern nur erfundene Begebenheiten.

Die Komödie verwandle die Gegenwart ins Komische und dabei auch ins Sichtbare. Jedoch heiße dies nicht, dass ein heutiges Drama nur durch das Komische aufgezeigt werden könne, sondern die Tragödie und die Komödie seien beide dramaturgische Verfahrensweisen, die das Gleiche bewerkstelligten.

Diese unterschieden sich nur in der Bedingung, wodurch sie entstehen. Die Bedingung, die die Tragödie voraussetzt, sei „...Schuld, Not, Maß, Übersicht, Verantwortung..“(Z. 74). Weiterhin interpretiert Friedrich Dürrenmatt die Lage nach dem Zweiten Weltkrieg. Er bezeichnet die Nationalsozialisten als Angehörige der„...weißen Rasse...“(Z.76).

Dadurch, dass Dürrenmatt meint, dass sie sich im „...Kehraus der weißen Rasse...“(Z.76) befänden, wird dem Leser deutlicher, wann der vorliegende Text geschrieben wurde. Hierbei handelt es sich um das erste Jahrhzehnt nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs.

Dürrenmatt ist der Meinung, dass es keine Schuldigen und keine Verantwortlichen gebe. Alle seien an den Vergehen mitbeteiligt gewesen, daher sei man „...zu kollektiv schuldig, zu kollektiv gebettet in die Sünden unserer Väter und Vorväter.“(Z. 81f.).

Jedoch distanziert er sich und die Menschen, die noch Kinder oder überhaupt noch nicht im nationalsozialistischem Staat geboren waren, von den Sünden, da sie das Pech hätten, Kindeskinder der Täter zu sein. Er schließt diesen Gedanken mit der pointierten Feststellung, uns komme„.nur noch die Komödie bei.“(Z.85), weil allein durch die Komödie eine Distanz aufgebaut werden könne.

Dürrenmatt betrachtet die Groteske als einzig adäquate Form, um die Entwicklung der Atombombe darzustellen.

Dabei meint er, dass diese durch Vergehen und Verbrechen herbeigeführt wurde. Auch die apokalyptischen Bilder von Hieronymus Bosch seien Grotesken. Zum Verständnis dieses Gedankens sind bestimmte Vorkenntnisse im Bereich der Kunst notwendig. Die apokalyptischen Bilder des niederländischen Malers Hieronymus Bosch (geb. um 1450, gestorben 1516) an der Schwelle zwischen dem ausgehenden Mittelater und der Neuzeit,. stellen ein „Gottesgericht“ bzw. einen „Weltuntergang“ bildlich dar.

Das Groteske definiert Dürenmatt hierbei als ein Paradox, eine Ungestalt und als ein Gesicht einer gesichtslosen Welt, daher könne man ohne den Widerspruch nicht mehr zurechtkommen. Die Groteske diene hierbei als ein Mittel der Komödie.

Obwohl die Tragödie heute, wie es noch bei den Schillerschen Dramen der Fall war, kein Abbild zu unserer Welt mehr darstelle, könne man das Tragische immer noch in die Komödie einbauen. Dies sei auch dem englischen Dramatiker William Shakespeare (vermutlich geboren 1564 in Stratfod-upon Avon , gestorben im April oder Mai 1616 ebenda) gelungen.

Das Tragische könne man auch durch einen schrecklichen Moment in die Komödie einbauen. Die Komödie stelle hierbei die Verzweiflung dar als eine mögliche Antwort auf die Welt. Eine weitere mögliche Antwort wäre das Nichtverzweifeln. Dabei führt Dürrenmatt das Beispiel von Gulliver an, der Hauptfigur aus “ Gullivers Reisen” , dem bekanntesten Werk des irischen Schriftstellers, Priesters und Politikers Jonathan Swift aus dem Jahre 1726 , der unter den Riesen lebt...“(Z. 111). Gulliver sei mittels seiner spöttischen Betrachtungsweise distanziert gegenüber seinem Gegner und damit im Grunde unbesiegbar.

Dürrenmatt vergleicht damit die Menschen mit Gullivers Verhaltensweise und findet hierbei eine Hinwendung zur Komödie. Jedoch ist sein Hauptanliegen,den mutigen Menschen zu zeigen, wie seine Dramenfiguren zeigen sollen, z.B. “Der Blinde, Romulus, Übelohe [und] Akki...“(Z. 117 f.) die Protagonisten einger seiner Dramen wie “Romulus der Große”(entstanden 1949) oder “Ein Bettler kommt nach Babylon” aus dem Jahr 1953.

Darüber hinaus definiert Dürrenmatt die Welt und somit die Bühne als ein Ungeheuer und als „...ein Rätsel an Unheil, das hingenommen werden muß, vor dem es jedoch kein Kapitulieren geben darf.“(Z.124-126).

Hiermit deutet Friedrich Dürrenmatt an , dass zum einen durch die Bühne etwas Komisches dargestellt werden sollte, dies jedoch zum anderen nicht zu einem Nachgeben vor der Sicht des Zuschauers führen sollte. Schließlich werde dies durch den Einfall der Komödie ermöglicht. Nur dadurch könne man das anonyme Publikum erst als solches wahrnehmen. Durch die Komödie könne man den Zuschauern auf der Bühne Dinge vorführen, die sie sonst im alltäglichen Leben nicht hören wollten. Daher definiert Dürrenmatt die Komödie als eine Mausefalle, in die das Publikum immer wieder hineingerate.

Um eine paradoxe Situation zu schaffen, sollten Künstler, unter anderem auch die Dramatiker, einen Gegensatz zu den dargestellten Gestalten aufbauen, indem sie zeigten, was aus ihnen geworden sei. Solch eine Parodie verschaffe Verunsicherung und führe schließlich zum Erfinden. „ Im Lachen manifestiert sich die Freiheit des Menschen, im Weinen seine Notwendigkeit...“(Z 148-149).

Dürrenmatt meint, dass man in unserer Welt die Freiheit beweisen müsse, daher wendet er sich an das Lachen, das durch die Komödie hervorgerufen werden kann. Diesen Gedanken belegt er durch ein Beispiel, wobei er auf die Willkür einstiger Tyrannen zurückgreift.

Er meint, dass diese durch die Werke von Dichtern nicht gerührt, ja sogar bei deren Klageliedern gähnen würden, die Heldengesänge für alberne Märchen halten und bei religiösen Dichtungen einschlafen würden. Sie fürchteten sich nur einzig und allein davor, ins Lächerliche gezogen werden, daher sei die tragische Komödie ein Abbild der Welt.

Zusammenfassend kann man sagen, dass Friedrich Dürrenmatt in dem vorliegenden Text dem Leser verdeutlichen will, dass die tragische Komödie das einzige probate Mittel dazu ist.

Seine Thesen belegt er durch geschichtliche, dramaturgische und auch durch künstlerische Verweise. Daher verlangt Dürrenmatt von seinen Lesern bestimmte Vorkenntnisse. Er bezieht sich immer wieder auf Schillers Dramen, um einen deutlichen Gegensatz zum Schauspiel unserer Tage aufzuzeigen. Dürrenmatt erklärt seine Sichtweise sehr ausführlich und versucht somit den Leser davon zu überzeugen, seine Meinung zu teilen, dass die tragische Komödie als einziges heutzutage geeignetes dramaturgisches Mittel dazu anzuerkennen sei, um die Wirklichkeit darzustellen. Dies gelingt ihm, da er verschiedene Aspekte miteinander vergleicht, wie z.B. die geschichtliche Lage mit der Funktion von Komödie und Tragödie.

 

3.   Das Verhältnis von Tragödie und Komödie in Dürrenmatts Aufsatz

In dem vorliegenden Textauszug stellt Friedrich Dürrenmatt die dramaturgischen Mittel Tragödie und Komödie in einem Verhältnis dar. Die Tragödie repräsentiere ein Individuum sehr deutlich. Daher setze dies eine gestaltete Welt, wie Schuld, Not, Maß, Übersicht und Verantwortung voraus.

Jedoch reiche die Tragödie nicht mehr aus, um unsere Welt zu veranschaulichen. Unsere Welt sei im Gegensatz zu der in den Tragödien der Antike dargestellten Wirklichkeit sehr kompliziert geworden. Der Staat repräsentiere sich nicht mehr etwas Konkretes, sondern eher etwas sehr Unüberschaubares. Daher eigne sich die Tragödie, wie es noch bei Schillers Dramen der Fall gewesen sei, nicht mehr, um ein Abbild der Welt zu schaffen.

Um eine heutige Staatsaktion zu veranschaulichen, benötige man die Komödie. Diese setze im Gegensatz zur Tragödie eine ungestaltete Welt voraus wie die unsrige. Dadurch gelinge es dem Dramaturgen, einen Zustand der Verzweiflung bei den Lesern oder Zuschauern zu evozieren. Sie sei eine angemessene Schlussfolgerung und als eine Antwort auf die Welt anzunehmen. Jedoch führe die Komödie nicht nur zur Verzweiflung, sondern sie diene in manchen Situationen auch zur Verdeutlichung. Dabei verändere die Komödie die Gegenwart, indem sie diese als grotesk darstellt.

Die Groteske wird hierbei als etwas Komisches, Absurdes oder Merkwürdiges angedeutet. Da die Komödie das Publikum in Verwirrung aber auch zum Sichtbaren führe, werde sie als Distanz schaffendes Mittel in der Dramaturgie anerkannt. Die Tragödie dagegen wird als Distanz überwindendes Mittel bekräftigt. Die Distanz werde durch den Einfall ermöglicht. Erst durch diesen werde das Publikum als ein solches anerkannt. Nur durch die Komödie könne man den Zuschauer mit etwas Abweisendem konfrontieren. Daher sei die Komödie eine Mausefalle. So sei die Komödie das beste Mittel, um die Staatsaktionen zu verunsichern oder sogar Sttaslenker zu ängstigen, denn sie befürchteten nur eines: wenn man sie als lächerlich darstelle. Eine reine Tragödie sei daher im Drama nicht mehr möglich.

Die Form der Komödie allein zu verwenden sei jedoch auch nicht mehr einsetzbar. Daher solle man in der Dramaturgie das Tragische aus der Komödie heraus erzielen. Dies könne man durch ein schreckliches Moment hervorbringen. Zusammenfassend kann man sagen, dass das Tragische mit der Komödie zu einem Drama führt, das ermöglicht, die Welt widerzuspiegeln.

 

4.   Umsetzung der Dramentheorie in der tragischen Komödie „Der Besuch der alten Dame“

Friedrich Dürrenmatt setzt seine Thesen, dargestellt in dem oben inhaltlich erfassten Textauszug aus seinem Aufsatz “Theaterprobleme, überschriebens mit dem Titel “,Uns kommt nur noch die Tragödie bei´- zu Dürrenmatts Dramentheorie, in seiner tragischen Komödie „Der Besuch der alten Dame“ aus dem Jahr 1956 um.

In einer Tragikomödie wird die Komödie durch das Einbringen tragischer Situationen in das dramaturgische Mittel der sogenannten “tragischen Komödie umgewandelt. Lediglich zu Beginn der Handlung des Stückes über das Wüten der Rachegöttin in harmlos scheinender Gestalt, “Der Besuch der alten Dame”, verwendet der Autor eine komische Begrüßungsszene. Dies deutet zu Beginn des Stückes schienbar auf eine Komödienhandlung hin.

In der Erwartung ihrer milliardenschweren Gönnerin am verwahrlosten Bahnhof ihrer Stadt werden die Güllener von der Ankunft Claire Zachanassians, von der sie sich ein pekuniäres Engagement für einen neuen wirtschaftlichen Aufschwung Güllens erhoffen, überrascht. Die Vorbereitungen für die Begrüßung der harmlos scheinenden “alten Dame” sind in dem Moment noch nicht vollendet, daher versuchen die Güllener durch Improvisieren den missglückten Empfang wiedergutzumachen. Jedoch scheitert dies. Weiterhin wird das Komische der Situation durch Claires vage Andeutungen zu Ills Tod grotesk konterkariert. Dabei fragt Claire, ob der Arzt Totenscheine verfertige oder ob der Turner schon einmal jemanden erwürgt habe. Dies führt zu einer Distanz der Zuschauer oder Leser zum Bühnengeschehen, was auch in dem oben analysierten Textauszug als typisches Mittel der Tragikomödie erläutert wird.

Das Grotesk-Komische setzt Dürrenmatt auch kurz vor dem zweiten Akt nochmals ein. Dabei erläutert die Zachanassian ihre einstigen Absichten und Gründe, warum sie für die Witwe Boll Kartoffeln gestohlen habe. Es stellt sich heraus, dass sie, die früher Clara Wäscher hieß, dies nur getan hat, um mit Ill einmal in einem bequemeren Bett liegen zu können. Hier entgegnet ihr jedoch der Bürgermeister, dass sie die Kartoffeln nicht gestohlen habe, sondern durch ihr Taschengeld die Witwe Boll vor dem Verhungern habe bewahren wollen. Die laute Verkündung ihrer damals wahren Absichten führen schließlich zum Komischen. Das Komische fällt hierbei, wie in dem Textauszug erläutert wird, „wie Geschosse, die, indem sie einen Trichter aufwerfen, die Gegenwart ins Komische, aber dadurch auch ins Sichtbare verwandeln“(Z. 64-66). Ebenso meint Dürrenmatt in seinem Textauszug, dass die heutige Welt sei „...mit einem Kanzlisten, mit einem Polizisten […] besser wiedergeben...“(Z. 45-46) werden könne.

In der Tragikomödie „Der Besuch der alten Dame“ bezieht er z.B. einen Polizisten in die Handlung ein. Am Ende des ersten Aktes verwendet Dürrenmatt hingegen Aspekte des Tragischen. Dabei wird die frühere Geschichte Kläri Wäschers, alias Claire Zachanasian, erläutert, was bei den Zuschauern oder Lesern Mitleid erregt. Es stellt sich heraus, dass Claire damals von Ill schwanger war, Ill jedoch die Vaterschaft geleugnet hat und die Sache schließlich von Kläri vor Gericht gebracht wurde. Den Prozess gewann jedoch Ill, indem er Zeugen bestochen hatte. Die kaum 16-Jährige Kläri hatte letztendlich die Kleinstadt Güllen verlassen müssen und wurde zu einer Prostituierten. Die These, dass „die Tragödie […] Distanz überwindet” .(Z. 57), wird hierbei belegt. Der Zuschauer bzw. der Leser kann sich mit dem Charakter der Zachanassian und ihrem Werdegang besser auseinandersetzen.

Schließlich führt die Tragödie, wie es auch in dem besprochenen Textauszug Dürrenmatts, “Theaterprobleme”, benannt wurde, zu einer konkreten Gestalt. Insgesamt ist das Komische im ersten Akt der “Alten Dame” deutlicher zu sehen.

Im zweiten und dritten Akt wird das Komische mit dem Tragischen vermischt. Es kommt zu paradoxen Situationen, die auch ein Mittel des Dramas darstellen

Als sich schließlich der baldige Tod Ills abzuzeichnen beginnt, kommt es zu einer Abschiedsszene mit seiner Familie. Dabei kann der Zuschauer nicht einschätzen, ob er lachen oder weinen soll. Auch bei der Gemeindeversammlung wird wegen einer Kamerapanne die lebensentscheidende Abstimmung wiederholt. Die Tragik und Komik werden demzufolge immer wieder miteinander vernetzt. Ill wird hierbei als tragischer Held anerkannt, denn er erleidet sehend sein Schicksal und führt die Handlung vorwärts.

Dürrenmatts Hauptanliegen liegt darin, „...den mutigen Menschen zu zeigen.“(Z.115-116). Durch den Charakter Ills stellt er eine Persönlichkeit dar, die letztendlich nicht an der Welt verzweifelt, sondern sie so wahrnimmt, wie sie ist, und die ihre Schuld dabei anerkennt. Daher zeigt Dürrenmatt den Charakter Ills sowohl als einen mutigen Menschen als auch als einen tragischen Helden. Schließlich kann man feststellen, dass Dürrenmatts eigene Dramentheorie in seiner Tragikomödie „Der Besuch der alten Dame“ stringent umgesetzt wurde.


 

5.   Erläuterung der Festststellung Dürrenmatts: „Uns kommt nur noch die Komödie bei“.

In dem bearbeiteten Textauszug aus “Theaterprobleme” (1955) beschreibt Dürrenmatt, wie unsere Welt aufgebaut ist. Hierbei deutet er an , dass wir an den Folgen des Zweiten Weltkriegs keine Schulden haben, weil wir nur Kindeskinder der Täter seien. Es gebe keine individuell fassbaren Verantwortlichen und keine Schuldigen mehr. Wir seien alle „...kollektiv schuldig, zu kollektiv gebettet in die Sünden unserer Väter und Vorväter“(Z.81 f.). Heutige Staatsaktionen seien sehr komplex und unüberschaubar. Das Unüberschaubare wäre in den Tragödien von Schiller nicht möglich gewesen, da die Tragödie eine Sichtbarkeit schaffen kann. Sie Tragödie überwindet Distanz und erregt Mitleid bei den Zuschauern oder Lesern. Der Zuschauer bzw. der Leser kann sich durch die Tragödie mit den Figuren oder Charakteren identifizieren. Jedoch will Dürrenmatt dies verhindern. Er möchte, dass die Zuschauer über das Geschehen nachdenken. Nur die Komödie schaffe eine Distanz beim Publikum. Deshalb greift er zu den Mitteln der Komödie, um den erwünschten Effekt des Bühnengeschehens, das Nachdenklichwerden, Innehalten des Publikums in Selbsterkenntnis und-zweifeln, zu erzwingen.. Die Komödie soll hierbei als eine Mausefalledienen, mittels derer man als Autor die Zuschauer mit etwas konfrontieren könne, vor dem sie normalerweise ausweichen würden. Daher stelle die Komödie die heutige Staatsaktion deutlicher dar und führe zum Nachdenken bei den Zuschauern, wodurch sie aber auch überlistet würden. Dürrenmatts dramaturgische Konsequenz lautet daher: „Uns kommt nur noch die Komödie bei“ (Z. 85 f.).

 


 

6.   Schlussgedanken

In meiner Ausarbeitung habe ich mcih zunächst inhaltlich mit dem vorgelegten Textauszug aus Dürrenmatts Aufsatz “Theaterprobleme” auseinandergesetzt, darin insbesondere das Verhältnis und die dramentechnischen Funktionen von Tragödie und Komödie herausgearbeitet und anschließend deren Wirkungsmöglichkeiten in Dürrenmatts tragischer Komödie „Der Besuch der alten Dame“ herausgestellt.

Dass Dürrenmatts These, „Uns kommt nur noch die Komödie bei“, im Wesentlichen zutrifft, habe ich anhand einiger Belege aus dem Theaterstück “Besuch der alten Dame” deutlich zu machen versucht.

Es bleibt mir nur noch, abschließend mit großer Zustimmung festzustellen, dass Friedrich Dürrenmatt für seine Kritik des Werteverfals in unserer Gegenwartsgesellschafts mit wirklich ernüchternder und erhellender Wirkung die Form der Tragikomödie eingesetzt hat. Dadurch lässt sich vermutlich auch der große Bühnenerfolg dieses und vieler seiner Theaterstücke begründen, indem stets in den scheinbar komischsten Szenen bereits das Tragische durchscheint, um schließlich sowohl eine gewisse Distanz zum Bühnengeschehen zu schaffen als auch sie zu überwinden.

Aristoteles versuchte, die Wirkung tragischen Geschehens auf der Bühne mit dem Begriff der ”Katharsis” (Reinigung und Läuterung des Zuschauers) zu fassen.

Heutzutage scheint es eher so zu sein, dass der entspannungs- und zerstreuungssuchende Theatergänger der Mittel- und Oberschicht gerne mit leichtem Gruseln betrachtet, wozu Menschen fähig sind, wo Geld die Welt regiert und Amoral in Sittllichkeit umgedeutet wird. Die Theatersäle Eurpopas sind gut besetzt, fragt sich nur, von wem.

Lässt sich bürgerliche Moral und Selbtszufriedenheit zumal in Europas Bankenstaat, der Schweiz, wirklich durch den mahnend erhobenen Zeigefinger eines Schriftstellers erschüttern?

 

7.   Literatur-und Quellenverzeichnis

7.1    Primärquellen:

Dürrenmatt, Friedrich: Der Besuch der alten Dame (Textausgabe).
Dürrenmatt, Friedrich: Theaterprobleme. (Auszüge) in:  (Auszug vom 7.12.2011)

 

7.2    Sekundärquellen:

Dürrenmatt, Friedrich: Ein Engel kommt nach Babylon. www.wikipedia.org/wiki/Ein_Engel_kommt_nach_Babylon (Auszug vom 3.12.2011)

Christoph Gerken: Der Begriff der Katharsis in Aristoles´Tragödientheorie. in: (Auszug vom 7.12.2011

Graf, Markus: Friedrich Dürrenmatt, Romulus der Große. in: Romulus_der_Grosse/ (Auszug vom  3.12.2011)

Wunderlich, Dieter: Der Besuch der alten Dame. Rezension. ‘ in: Durrenmatt_besuch.htm
 (Auszug von 6.12.2011)

Quellen & Links

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