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"Nichts. Was im Leben wichtig ist"
Dramatische Eskalation von Gewalt
in der Literatur


Eine pädagogische Analyse von
Jugendgewalt anhand des literarischen Werks von Janne Teller


Zulassungsarbeit - Staatsexamensarbeit

Inhaltsverzeichnis

1.           Einleitung. 5

2.           Der Gewaltbegriff10

2.1.       Formen von Gewalt12

3.           Aggressionstheorien. 18

3.1.       Psychologische Theorien. 18

3.1.1.   Trieb- und Instinkttheorien. 18

3.2.       Emotionstheorien. 23

3.3.       Lerntheorien. 27

3.4.       Soziologische Theorien. 37

4.           Besondere Phase „Jugend“. 49

4.1.       Zur historischen Entstehung der Lebensphase  Jugend. 49

4.2.       Begriffserklärung ,Jugend’51

5.           Das literarische Werk „Nichts. Was im Leben wichtig ist“ von Janne Teller  54

5.1.       Warum ein literarisches Werk gewählt wurde. 54

5.2.       Inhaltsangabe. 56

5.3.       Personencharakteristika. 59

5.4.       Textanalyse. 63

5.4.1.   Aufbau. 63

5.4.2.   Erzählperspektive. 65

5.4.3.   Stilmittel66

6.           Pädagogische Analyse. 68

7.           Wie kommt es zur Eskalation?. 85

8.           Resümee. 89

9.           Literaturverzeichnis. 93


1.             Einleitung

Jugendgewalt ist kein neues Phänomen in unserer Gesellschaft. Dennoch ist in den letzten Jahren deutlich geworden, dass die Gewaltintensität bei Jugendlichen immer mehr anwächst. In der Öffentlichkeit und in den Medien wird diese Thematik inzwischen auch auf breiter Basis erörtert. So wurde das Phänomen der Jugendgewalt in dem „Tatort“-Film „Gegen den Kopf“ (ausgestrahlt am 08.09.2013) zentral thematisiert und im Anschluss daran von Günther Jauch in seiner TV-Talkrunde diskutiert.

In diesem „Tatort“ wird der Tod eines Passanten behandelt, der aufgrund seiner Zivilcourage von zwei Jugendlichen auf brutale Weise totgeprügelt wird. Der Film „Gegen den Kopf“ stellt dabei keine mediale Erfindung dar, sondern basiert auf ganz realen Morden wie den an dem Münchener Manager Dominik Brunner im Jahr 2009 und erinnert zugleich an die tödlichen Tritte gegen den Fachschüler Jonny K. auf dem Berliner Alexanderplatz vor knapp einem Jahr. Das sind nur einige Beispiele, welche von der immer extremer werdenden Praxis von Gewalt zeugen, die von Jugendlichen heute vielfach ausgeübt wird. Diese Thematik bildet das zentrale Thema der vorliegenden Zulassungsarbeit.

Dabei soll in dieser Untersuchung weniger nach den Faktoren gesucht werden, die das gewalttätige Verhalten von Jugendlichen in unserer Gesellschaft fördern und auslösen, sondern vielmehr wird dieses Verhalten in erster Linie mithilfe verschiedener Aggressionstheorien analysiert. Hierfür wurde das literarische Werk „Nichts. Was im Leben wichtig ist“ von Janne Teller ausgewählt, in dem eine Spirale von Gewalt unter Jugendlichen thematisiert wird.

Der Inhalt dieses Buches wird in der vorliegenden Arbeit nicht als reine Fiktion, sondern vielmehr als ein Faktum betrachtet, um Gewalthandlungen mithilfe der elaborierten Aggressionstheorien erklären und anschließend ermitteln zu können, was die Pädagogik aus derartigen Analysen lernen kann.

Hierfür werden zunächst die ausgewählten Aggressionstheorien und das literarische Werk „Nichts. Was im Leben wichtig ist“ von Janne Teller vorgestellt. In einer pädagogischen Analyse wird anschließend versucht, das deviante und extreme Verhalten der Jugendlichen aus dem Buch mithilfe der Aggressionstheorien zu analysieren.

Zur näheren Eingrenzung des Themashabe ich die gegenwärtig am weitesten verbreiteten Theorien zum Thema Gewalt ausgewählt, die unser Denken und unser Urteil in Bezug auf Handlungen und Interpretationen von Gewalthandlungen beeinflussen. Die vorliegende Untersuchung wird dabei ein besonderes Augenmerk auf die in auffallender Weise zunehmende Gewaltintensität legen.

Die hohe Relevanz und Aktualität dieser Thematik zeigt sich insbesondere darin, dass solche Eskalationen von Gewalt immer häufiger auftreten. Daher ist es geboten, ein derartiges Verhalten beizeiten zu erkennen, um bereits im Vorfeld einschreiten und somit Schlimmeres verhindern zu können. Janne Tellers literarisches Werk wurde für die vorliegende Untersuchung ausgewählt, weil es ein Extrembeispiel ist und besonders eindringlich zeigt, was in vielen Jugendgruppen geschieht, nämlich dass ein Aussteigen aufgrund eines verinnerlichten Gruppenzwanges nicht mehr so einfach möglich ist.

Die zentrale Problematik – die immer häufiger anzutreffende gewalttätige und brutale Handlungsweise von Jugendlichen – wird in dieser Arbeit mithilfe von Gewalttheorien analysiert. Zudem soll ermittelt werden, ob diese Theorien als Erklärung für das gezeigte Verhalten geeignet sind. Darüber hinaus wird der Frage nachgegangen, ob und inwiefern die Pädagogik aus derartigen Analysen lernen kann.

Die vorliegende Untersuchung berücksichtigt den gegenwärtigen Forschungsstand.   Zu dem Buch „Nichts. Was im Leben wichtig ist“ liegen jedoch bisher keine Arbeiten vor, die das gewalttätige Handeln spezifisch in den Blick nehmen. Es gibt eine Arbeit von Norbert Brieden, Juniorprofessor für Religionspädagogik und Fachdidaktik, der das Buch aus theologischen und religionspädagogischen Perspektiven heraus analysiert.

Dabei werden die Suche der Jugendlichen nach dem Sinn des Lebens und der in ihren Handlungen zum Ausdruck kommende Nihilismus thematisiert. Außerdem gibt es eine Interpretation und Unterrichtsidee von Melanie Beiner, der Leiterin der Evangelischen Erwachsenenbildung Niedersachsen am religionspädagogischen Institut Loccum. Auch diese Arbeit beleuchtet ausschließlich religionssensible Aspekte.

Die Begriffe ,Gewalt’ und ,Aggression’ werde ich für meine Argumentation gleichwertig behandeln. Danach folgt eine Auflistung verschiedener Aggressionstheorien, die sich in psychologische und soziologische Erklärungsmodelle gliedern lassen. Die psychologischen Theorien – darunter die psychoanalytische Triebtheorie nach Sigmund Freud, die ethologische Instinkttheorie nach Konrad Lorenz, die Frustrations-Aggressions-Hypothese nach John Dollard, das klassische Konditionieren nach Iwan Pawlow, das operante Konditionieren nach Skinner sowie das Lernen am Modell nach Albert Bandura – konzentrieren sich mehr auf psychologische Störungsbilder und genetisch bzw. biologisch bedingte Faktoren zur Ursachenklärung von Gewalt bei Jugendlichen.

Die soziologischen Theorien – darunter die Anomietheorie nach Felix Durkheim, die Etikettierungstheorie, die Theorie der sozialen Kontrolle sowie die Subkulturtheorie – stützen sich hauptsächlich auf gesellschaftliche Einflussfaktoren als Erklärungsansatz für gewalttätiges Verhalten. Der Begriff der Peergroup wird ebenfalls genauer erläutert, weil er einen wichtigen Aspekt für gewalttätige Handlungen bei Jugendlichen darstellt.

Das ausgewählte literarische Werk von Janne Teller wird näher betrachtet, indem eine Inhaltsangabe und eine Charakterisierung der einzelnen Personen vorgenommen werden. Um die Handlung des Textes besser zu verstehen, schließt sich eine Textanalyse an, in welcher der Aufbau, die Erzählperspektive und die eingesetzten Stilmittel genauer betrachtet werden.

Im Anschluss daran setzt die pädagogische Analyse ein, bei der jede Gewalthandlung der Jugendlichen aus dem Text mithilfe einer oder mehrerer der oben aufgeführten Aggressionstheorien erläutert wird. Darüber hinaus wird noch ein besonderes Augenmerk auf die Gewalteskalation und ihre Entstehungsbedingungen gelegt.



„An Anlässen, sich über das Wesen der Gewalt, ihrer Rolle in Geschichte und Politik, Gedanken zu machen, hat es in diesem Jahrhundert, das Lenin bereits vor mehr als fünfzig Jahren als ein Jahrhundert der Kriege und Revolutionen diagnostizierte, nicht gefehlt; und es ist eigentlich erstaunlich, dass erst die Ereignisse der letzten Jahre dieses Thema in den Mittelpunkt der öffentlichen Aufmerksamkeit und Diskussionen gerückt haben.“[2]

In den letzten dreißig Jahren ist Gewalt auch in der Wissenschaft zu einem umfassend erforschten Untersuchungsgegenstand geworden, aber noch immer wird sowohl in der Fachsprache als auch im alltäglichen Sprachgebrauch kaum unterschieden zwischen den Schlüsselbegriffen wie Macht, Stärke, Kraft, Autorität und Gewalt[3], „die sich doch alle auf ganz bestimmte, durchaus verschiedene Phänomene beziehen und kaum existieren würden, wenn sie das nicht täten.“[4]

Die Begriffe ,Gewalt’ und ,Aggression’ können nicht in eindeutiger und einheitlicher Weise bestimmt werden, sondern vielmehr besteht in der Forschung eine große Uneinigkeit in der Abgrenzung bzw. Gleichwertigkeit dieser beiden Begriffe. Bründel und Hurrelmann führen hierzu aus: „Aggression, die sich gegen ein Objekt, also entweder ein Lebewesen oder eine Sache richtet, wird im öffentlichen Sprachgebrauch und zunehmend auch in der wissenschaftlichen Forschung als ,Gewalt’ bezeichnet.“[5] Weiter heißt es: „Aggression ist der in der wissenschaftlichen Sprache üblichere Begriff und bezeichnet die Handlung, die auf die Verletzung eines anderen Menschen zielt.“[6] Als Gewalt wurde ursprünglich in der Fachliteratur und der Umgangssprache nur die körperliche Verletzung eines Menschen auf der Basis der Aggression bezeichnet und umfasst heute auch psychische und institutionelle Ausprägungen.[7] Ich werde die Begriffe für meine weitere Argumentation gleichwertig behandeln, weil sie wissenschaftlich und umgangssprachlich für dieselben Vorgänge stehen, wenngleich der Begriff der Gewalt aufgrund seiner größeren Anschaulichkeit den der Aggression mehr und mehr verdrängt.[8] Der Gewaltbegriff wird je nachdem sehr weit gefasst.

2.1.       Formen von Gewalt

Es lassen sich individuelle Formen der Gewalt von strukturellenundinstitutionellen Formen unterscheiden.[10] Bei Bründel und Hurrelmann lesen wir hierzu: „Die individuelle Gewalt geht von einzelnen Akteuren aus und richtet sich gegen einzelne oder mehrere Personen oder Sachen (,Sachbeschädigung’, ,Vandalismus’). Individuelle Gewalt wird oft im privaten Bereich vollzogen, etwa in Familie, Verwandtschaft und Freundeskreis.“[11] Die individuellen Formen von Gewalt lassen sich folgendermaßen differenzieren:

Gewalt gegen Sachenstellt eine physische Form von Gewalt dar. Sachbeschädigung und Vandalismus treten als wahllose Entladung innerer Aggressionen auf, indem Gegenstände willkürlich beschädigt oder zerstört werden.[12] Diese Art von Gewalt wird auch eingesetzt, um dem Feind einen indirekten Schaden zuzufügen.[13]

Sexuelle Gewalt wird von Bründel und Hurrelmann folgendermaßen definiert: „Sexuelle Gewaltlässt sich als eine spezifische Ausprägung der Kombination meist von physischer und psychischer Gewalt verstehen, die auf die Schädigung und Verletzung eines oder mehrerer anderer Menschen durch erzwungene intime Körperkontakte oder andere sexuelle Handlungen zielt, die nur dem Täter oder der Täterin eine Befriedigung eigener sexueller oder Machtbedürfnisse ermöglicht, das Opfer aber erniedrigt und entwürdigt.“[16]

Ebenfalls zum Bereich der sexuellen Gewalt gehört das Verfolgen von Menschen, die nicht zur Gegenliebe oder entsprechenden Reaktionen bereit sind, einschließlich des Brief- und Telefonterrors.[17]

Die geschlechterfeindliche Gewalt bildet eine weitere Gewaltform. Bründel und Hurrelmanndefinieren sie als „die spezifischeForm der Kombination von physischer, psychischer, verbaler und sexueller Gewalt gegen Frauen oder Männer, die in diskriminierender und erniedrigender Absicht vorgenommen wird, um die körperliche und seelische Integrität als Angehöriger eines Geschlechtes und die sexuelle Selbstbestimmung zu schädigen und zu verletzen.“[23]

Die physische und psychische Gewalt bilden die beiden zentralen Erscheinungsformen von Gewalt und treten oft in Kombination miteinander auf.[24]

Eine weitere Form der Gewalt bildet die institutionelle und strukturelle Gewalt. Diese ist „nicht an konkrete Personen gebunden, sondern an Institutionen, Strukturen, gesellschaftliche Machtverhältnisse.“[25] Diese Gewaltform kennt man aus totalitären und autoritären Gesellschafts- und Erziehungssystemen, in „denen Normen und Werte von oben herab verordnet werden, ohne dass der Bürger oder auch der junge Mensch von ihnen überzeugt wird“.[26] Die institutionelle Gewalt übt in Schulen Selektionsfunktion, Leistungskontrolle und Disziplinierungsmacht aus, was für das Thema der Jugendgewalt von Bedeutung ist.[27]

Was im Leben wichtig ist“ von Janne Teller nachzuvollziehen und zu analysieren.

Hinsichtlich der psychologischen Aggressionstheorien stellen Bründel und Hurrelmann grundsätzlich fest: „Die psychologisch akzentuierten Theorien setzen bei der genetischen Disposition jedes einzelnen Menschen an, konzentrieren sich auf in der Persönlichkeit liegende Faktoren, auf die Wechselwirkung zwischen Persönlichkeitsmerkmalen und Umweltfaktoren und auf die Entwicklungsimpulse einer Persönlichkeit im gesamten Lebenslauf.“[30] Die soziologischen Theorien zur Aggression sehen hingegen in den sozialen, wirtschaftlichen und politischen Makrostrukturen Erklärungsansätze für die Anwendung von Gewalt.

Im folgenden Kapitel sollen die Trieb- und Instinkttheorien sowie die Emotions- und Lerntheorien vorgestellt werden, bei denen psychische Dispositionen, Emotionen und Lernprozesse im Vordergrund stehen. Als Beispiele für die soziologischen Theorien werden die Konflikt- und Spannungstheorien, die Etikettierungs- und Definitionstheorien sowie die sozialen Kontrolltheorien in den Blick genommen.



3.             Aggressionstheorien

3.1.       Psychologische Theorien

3.1.1.           Trieb- und Instinkttheorien

Die verschiedenen Trieb- und Instinkttheorien gehen grundsätzlich davon aus, dass jeder Mensch ein angeborenes Potenzial von Aggressivität in sich trägt, das sich in der Regel auch in sichtbarer Aggressionsausübung zeigt.[32] Aggressives Verhalten kann demnach nicht ausgelöscht, sondern nur durch Präventionsansätze kontrolliert werden.[33] Ecarius und Eulenbach schreiben hierzu: „In gewisser Weise gehört aggressives Verhalten sogar zu einer gesunden Lebensweise, sonst kommt es quasi zu einem Aggressionsstau.“[34] Aus der Verhaltensforschung wisse man, dass der angeborene Instinkt zur Aggression ursprünglich zur Lebenserhaltung und zum Beutetrieb benötigt wurde.[35]

Bei dieser Theorie ließ er aber bestimmte Verhaltensphänomene wie z.B. Sadismus und selbstzerstörerische Verhaltensweisen außer Acht.[37] Zwischen 1920 und 1930 änderte Freud seine Theorie, indem er nun von zwei einander entgegengesetzten Trieben ausging, „wobei der Gegensatz diesmal zwischen den Lebenstrieben (Eros), die darauf abzielten, die Lebenskräfte zu fördern und das Leben zu verlängern, und den Todestrieben (Thantos) bestand, die fortwährend nach der Zerstörung des Lebens innerhalb des Organismus strebten.“[38] Diese beiden Triebe wirken nach Freud in einem Wechselspiel miteinander.

„Sadismus und andere Formen interpersonaler Aggression repräsentieren den Todestrieb, der nach außen entladen wurde.“[39] Aggression ist demnach also die Erscheinung destruktiver Energien, die nach außen geleitet werden.


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