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Die Weihnachtsfinte

Heute ist mein 80. Geburtstag. Es ist 21:53 und bisher hatte ich noch keine Anrufe von meiner Familie erhalten. Ich redete mir ein, dass sie wichtigeres zu tun hatte, als ihrem alten Herrn zu gratulieren und doch konnte man mir die Enttäuschung aus dem Gesicht ablesen.

Eigentlich sollte ich es ja schon gewohnt sein, denn üblicherweise bekam ich von meinen Enkelkindern nur einen Anruf oder eine Nachricht, wenn sie wieder Geld brauchten. Was ich so treibe, interessierte niemanden. Seit meine Frau vor 5 Jahren an einem Herzinfarkt gestorben ist, starre ich nur mehr Löcher in die Decke.

In 12 Tagen ist Weihnachten und ich schwor mir, dass ich es dieses Jahr nicht allein feiern würde. Da sich meine Familie, die aus meinen zwei Töchtern Emma und Marie, ihren Ehemännern und Kindern bestand, nicht einmal um meinen Geburtstag scherte, musste ich mir etwas Besseres einfallen lassen, um sie an Heiligabend zu mir zu locken.

Lange dachte ich nach und doch kam ich am Ende des Tages immer wieder zurück zu meinem ersten Gedankenblitz. Was würde alle dazu bringen an mich zu denken und sich auf den Weg zu machen, zu mir nach Salzburg zu kommen? Es gab nur eine Möglichkeit, ich musste meinen eigenen Tod vortäuschen.

Nachdem ich sorgfältig die Einladungen zu der Trauerfeier, welche am 25.1.1998 stattfinden sollte geschrieben habe, brachte ich sie zu der Post und schickte sie zu den jeweiligen Wohnorten meiner Familie. In der Einladung stand:

Liebe (Name der Person),

Es tut mir sehr leid, dass ich Ihnen mitteilen muss, dass ihr lieber Vater/Schwiegervater/Opa letzte Woche den Weg in den Himmel angetreten hat.

Als wir ihn tot in seinem Haus fanden, unterkam uns ein Büchlein mit seinen letzten Wünschen und an erster Stelle stand, dass er seine Familie zu Weihnachten bei sich vereinen möchte.

Die Trauerfeier zu seinen Ehren wird am 2.1.1998 um 12 Uhr abgehalten. Wir hoffen unserer Trauer mit ihnen teilen zu dürfen.

Aufrichtiges Beileid,

die Pfarrgemeinde Salzburg

Nun da ich mir sicher war, dass alle kommen würden, machte ich mich an die Arbeit die Nachfrage an Geschenken zu decken. Ich musste mir für jeden einzelnen etwas Originelles und Einzigartiges einfallen lassen, denn dieses Jahr sollte Weihnachten etwas ganz Spezielles werden. Meine Aufgabe war es, niemanden diese Weihnachten vergessen zu lassen.

Nach einer Woche hatte ich für jeden das richtige Geschenk gefunden. Neben einer riesen Karaoke Maschine, einer nagelneuen Spielkonsole, dem schönsten und teuersten Kleid was ich finden konnte, und vielem mehr, vergas ich beinahe auf das Wichtigste. Ein Weihnachtsbaum.

Die Bäume, welche man kaufen konnte, waren mir alle zu klein, deshalb beschloss ich, mir einen eigenen Tannenbaum zu fällen. Da tagsüber die Chance entdeckt zu werden, ziemlich groß war, machte ich mich nach Sonnenuntergang auf die Suche nach dem besten Weihnachtsbaum der Welt.

Nach 3 Stunden wurde ich fündig. Der Baum war knapp 2,5 Meter hoch und hatte einen Durchmesser von ungefähr 1,9 Metern.

Schweißüberströmt kam ich zuhause mit dem Baum im Schlepptau an. Im Anschluss einer langen Dusche dekorierte ich den Baum mit allen Weihnachtsdekorationen, die es auf dieser Welt gibt. Lichterketten, Schneekugeln, Kerzen, Sternen und natürlich reichlich Süßigkeiten für die Kinder. Nun war alles perfekt nur noch meine Familie musste kommen.

24.12.1997 8:14

Heute ist der Tag! Heute ist es soweit, ich werde mit meiner gesamten Familie Weihnachten feiern. Heute wird der schönste Tag meines Lebens, alle werden vor Freude an die Decke gehen, wenn sie sehen, dass ich doch nicht tot bin.

Es ist noch keine Spur von meiner Familie zu sehen, aber von Oberösterreich beziehungsweise von Wien ist es ja ein weiter Weg bis zu mir nach Hause. Da mein Bauch schon verrücktspielte, deckte ich den Tisch. Ich fand eine alte Tischdecke, welche meine Frau selbst genäht hatte.

Das passt doch perfekt, dachte ich mir, so können wir statt mir um meine Geliebte trauern.

24.12.1997 13:06

Es hat zu schneien begonnen. Bereits jetzt wird der Boden von einer dünnen Schneedecke bedeckt. Wahrscheinlich sind sie deswegen noch nicht da. Wenn Schnee liegt, fährt man automatisch langsamer, da man viel schneller von der Fahrbahn abkommt.

24.12.1997 14:32

Es läutete! Ich rannte zur Tür und schrie euphorisch: „Frohe Weihnachten!“. Doch statt meiner Familie stand nur mein alter Nachbar vor der Tür und sagte: „Sie sind aber gut drauf, Ihnen auch frohe Weihnachten“. Er gab mir noch eine gekaufte Karte und humpelte davon. Ich war sichtlich enttäuscht, doch bis zur Bescherung war ja noch reichlich Zeit.

Immer noch nichts. Ich wurde schon langsam ungeduldig. Das Essen war schon fast fertig, aber meine Familie war noch immer nicht angekommen. Es musste wirklich sehr viel Verkehr sein.

24.12.1997 16:36

Ich hörte zuerst Stimmen und dann das Schlüsselloch quietschen. Ich vernahm lautes weinen und dann wie Emma mit weinerlicher Stimme sagte: „Ich kann es immer noch nicht fassen, dass Vater tot ist. Nicht mal an seinen Geburtstag haben wir gedacht und besucht haben wir ihn schon gar nicht“.

Ich sprang von meinem Couchsessel und schritt dramatisch Richtung Tür. Als erstes begegnete ich Tim, dem kleinsten meiner Enkelkinder. Er sah mich mit großen Augen an und sagte zu seinen Eltern, er würde einen Engel sehen. Als Emma ihn darauf schimpfte er solle sich nicht lustig machen und sie in Ruhe ihre Jacke ausziehen lassen, trat ich in den Eingangsbereich und öffnete meine Arme.

Nachdem sich die Sterne in meinen Kopf wieder halbwegs beruhigt haben, erklärte ich Emma wieso ich meinen eigenen Tod vortäuscht habe. Während die Kinder draußen mit ihrem Vater im Schnee spielten, geriet ich aufgrund der ständig wechselnden Stimmung meiner Tochter fast in ein Schleudertrauma.

Erlöst wurde ich erst durch das erneute Klingeln der Glocke. Da ich ein erneutes Theater vermieden wollte, schickte ich Emma voran. Sie schilderte Marie die Lage und dadurch konnte ich einer zweiten Backpfeife aus dem Weg gehen. Stattdessen wurde ich von allen Seiten herzlich umarmt.

Obwohl noch immer eine sehr angespannte Stimmung in der Luft hing, besannen wir uns wieder und riefen uns die Wichtigkeit der Familie vor Augen. Heute war Weihnachten und zu Weihnachten sollte man glücklich sein. Die Streitigkeiten konnten wir ja auf morgen verschieben.

Auf das Festessen folgte das Zusammensitzen unter dem Weihnachtsbaum. Mit großen Augen und offenem Mund öffneten die Kinder ihre Geschenke. Meinen zwei Töchtern hatte ich etwas ganz Besonderes geschenkt, ein altes Familienerbstück meiner verstorbenen Frau. Mit Tränen in den Augen nahmen sie ihre Gaben an und entschuldigten sich, dass sie mir außer einer bereits zerrissen Grabrede nichts zu schenken hatten.

Doch ich lachte nur und nahm sie glücklich in meine Arme.

Mein einziger Wunsch ist in Erfüllung gegangen. Ich habe unvergessliche Weihnachten mit meiner Familie verbracht und sie schworen mir, mich in Zukunft häufiger zu besuchen.


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