Bertolt Brecht „Die unwürdige Greisin“
Textanalyse
Bertolt Brechts Text gehört dem epischen Genre an, es
ist eine Erzählung welche 1939 geschrieben wurde und die zum Verbalstil gehört.
Der Text kann in zwei Teilen gegliedert werden: Der erste
Teil handelt vom Leben der Frau vor dem Tod ihres Mannes und der zweite Teil handelt
von den beiden letzten Jahren ihres Lebens.
Im Text wird beschrieben wie eine alte Frau, die
früher einmal Tochter, Ehefrau und Mutter war und sich ihr Leben lang für die
Famile aufgeopfert hat, in den Augen ihres kleineren Sohnes zu einer
„unwürdigen Greisin“ wird, weil sie auf die „gutbürgerliche Gesellschaft“
verzichtet und die letzten Jahren ihres Lebens genießt. Ihr Sohn, der
Buchdrucker, war wegen seiner schwachen Gesundheit zu sehr verwöhnt worden und
deshalb erwartet er von seiner Mutter nun die selbe Fürsorge für seine ganze
Familie, mit Frau und Kindern. Und wenn er das nicht bekommt wird er wütend
darüber, dass seine Mutter das Geld für das Kino, Gasthöfe und gar für fremde
Menschen ausgibt anstatt für seine Enkelkinder. Der Sohn beginnt Berichte an seine
Geschwistern zu schreiben in denen er über das Leben seiner Mutter erzählt.
Trotz all seiner Versuche, unterstütz sein Bruder die Mutter und mischt sich in
ihr Leben nicht ein.
Schon der Titel der Erzählung -Die unwürdige
Greisin-
stellt die negativen Emotionen des Buchdruckers gegenüber seiner Mutter dar und
zeigt die abwertende Haltung gegenüber all ihren Tätigkeiten. Diese Haltung
führt uns direkt zum Hauptthema der Erzählung: Der Kritik der Gesellschaft an
Einzelnen, die eine vorbestimmte Rolle nicht spielen wollen.
Sechs Jahrzehnte lang hat sich die alte Frau nach den
Regeln der Gesellschaft für ihre Familie geopfert, hat nie wirklich gelebt, erst
nachdem ihr Mann gestorben ist und ihre Kinder schon eine Familien gegründet
haben, will sie sich nicht mehr anpassen, sondern ihr Leben genießen. Andere
Probleme gibt es natürlich auch: Die Frau lebt isoliert von ihrer Familie und
unterhält sich mit armen und teilweise unter schlechtem Ruf stehenden Menschen
die kein guter Umgang für sie wären. Der Egoismus und die Eifersucht des Sohnes
erzeugen weitere Missverständnisse, sowohl mit der Mutter als auch mit den
Geschwistern. Aber der Autor wollte uns in seiner Erzählung nicht nur die
Beziehungen und die Rolle der Frau innerhalb der Familie zeigen, sondern Klischees
zu brechen um zu zeigen, dass die Frauen sich nicht mehr an die Umgebung und an
den veralteten Normen der Gesellschaft anpassen sollen, sondern, dass sie die
gleichen Rechte und Freiheiten wie die Männer haben.
Was die Erzählweise betrifft ist zu erwähnen, dass der
Erzähler ein Enkelkind ist, das aus seiner kindlichen Sicht alles was es hört
oder sieht zu verstehen und zu erklären versucht. Das Kind gibt dem Buchdrucker
für seine Haltung gegenüber seiner Mutter die alleinige Schuld. Daraus ergibt
sich von selbst eine erzählende Darstellung in der Ich-Form (meine Großmutter,
mein Vater) und die Benutzung von einfachen Ausdrücken ohne viele Verschnörkelungen
oder Verwendung der Umgangssprache überwiegt in den Beschreibungen der Lebensumstände
der Großmutter. Die Wortwahl ist also sehr einfach, das wird durch die Synonyme
und Antonyme klar: klein=mager, kärglich=arm/bescheiden, anbringen=berichten,
verrufen=unwürdig, munter=aufgekratzt; lebhaft≠langsam, eingehen≠abweisen bzw.
sich weigern, gross≠klein, einzelne≠ganze. Weiters gibt es keine Orts- oder
Namensangaben, vor allem um zu betonen, dass solche Situationen zu verallgemeinern
sind und überall passieren konnten.
Das Leben dieser Frau kann in zwei Perioden unterteilt
werden: Das erste Leben, in dem sie ihre eigenen Gefühle und Bedürfnisse
vernachlässigt und das zweite Leben, in welchem sie die Meinung der Umgebung
ignoriert. Am Anfang ist sie selbstlos, körperlich schwach nach der Geburt von
sieben Kindern, ist häuslich, sparsam und an die Meinung andere Leute anpasst.
Und nach dem Tod ihres Mannes ändert sie sich vollständig. Sie wird
lebenslustig, freiheitsliebend, gibt Geld für ihr Vergnügen aus, lebt ohne
Verpflichtungen und trotzdem fühlt sie sich glücklicher. Wie das Enkelkind sagt,
lebt seine Großmutter in der Wirklichkeit nicht so üppig und konnte sich nicht
so viel leisten und benahm äußerst auffällig aus der Sicht anderer Menschen.
Genauso unerwartet wie sie die letzten zwei Jahre gelebt hat, ist sie auch
gestorben: „ganz munter“, nicht im Bett, sondern auf dem Stuhl, wartend auf den
„Krüppel“, der ihr höchstwahrscheinlich näher als ihre Familie geworden war.
Alles was diese alte Frau erlebt hat, ist im letzten
Abschnitt zusammengefasst: „Man sieht ein winziges Gesichtchen mit vielen
Falten und einen schmallippigen, aber breiten Mund. Viel Kleines, aber nichts
Kleinliches. Sie hatte die langen Jahre der Knechtschaft und die kurzen Jahre
der Freiheit ausgekostet und das Brot des Lebens aufgezehrt bis auf den letzten
Brosamen.“ Ihr Schicksal war nicht so lustig, wie sich der kleine Sohn es
vorstellen konnte und wir können dieser Frau ihr Benehmen nicht anlasten, weil
sie sowohl das Bittere als auch das Süße des Lebens probiert hat. Sie war eine
kleine Frau, die aber nie jemandem Vorwürfe gemacht oder jemanden um etwas gebeten
hat. Sie war ein treuer Knecht für ihre Familie und eine echte Freiheitsliebende
für sich selbst.
Natürlich bedeuten Brechts Worte für jeden etwas anderes.
Aber seine Einfachheit und die ungewöhnliche, untypische Situationen für jene
Zeit lassen Platz für viele verschiedene Interpretationen. Deshalb ist der Text
so besonders und auch heute noch einigermaßen aktuell. Ja, wir leben zwar in
einer anderen Gesellschaft, trotzdem denkt man sehr oft daran, was werden „die Anderen“
über mich denken oder wie werden die Leute reagieren. Wir sollen nie vergessen,
dass wir nur einmal leben und deshalb lohnt es sich nicht nur an die Anderen
sondern auch an sich selbst zu denken. Aber man muss dabei aufpassen, dass man
nicht egoistisch wird.