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Seminararbeit
Geschichte / Historik

Universität Wien

1, 2015

Maria S. ©
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ID# 67189







UNIVERSITÄT WIEN

  1. Institut für Geschichte



Die Sarazenen aus dem Blickwinkel von Montecassino


Frühmittelalterliche Chroniken und ihre Darstellung der Sarazenen


vorgelegt im Rahmen des Proseminars

Das mittelalterliche Europa und seine Gegner – Slawen, Ungarn, Sarazenen und Wikinger

im Sommersemester 2015

Nummer der LV: 070140

Lehrveranstaltungsleiter: Mag. Dr. Privatdoz. MAS, Mag. Dr. MRes, MMag. Dr.


von

  1. Anna-Lena

Studienkennzahl: 033 603

Wien, 07.09.2015


Inhaltsverzeichnis


Vorwort 2


1) Die politische Situation in Süditalien 4


2) Ystoriola und Chronica Sancti Benedicti Casinensis 7

2.1. Herkunft und Struktur der Chroniken 7

2.2. Der Sonderfall der Historia Langobardorum Beneventanorum 8


3) Darstellung der Sarazenen 10

3.1. Christliche Wahrnehmung der Sarazenen im Frühmittelalter 10

3.2. Sarazenen in der Ystoriola und der Chronica Sancti Benedicti Casinensis 11

3.3. Einzelcharaktere 12

3.4. Herkunft der Sarazenen 15


4. Aktuelle Forschungsfragen 16


5. Conclusio 18


Literaturverzeichnis 20


Onlinequellen 22


Vorwort

Gegenwärtig ist Toleranz in aller Munde. Dieses kleine Wort mit einer sehr großen Bedeutung fehlt an vielen Ecken und Enden. Doch nicht nur heute ist Toleranz gefragt. Auch im Frühmittelalter, als neben dem Christentum und dem Judentum eine dritte Buchreligion, der Islam, entstand, mussten die Menschen lernen, sich damit zu arrangieren. Wie dies ungefähr vonstattenging, möchte ich anhand zweier Chroniken aus dem Kloster Montecassino in Süditalien untersuchen.

Ich möchte erörtern, wie Muslime, zeitgenössisch Sarazenen genannt, in diesen Quellen aus dem 9. Jahrhundert dargestellt wurden.

Süditalien war im Frühmittelalter ein politischer und kultureller Fleckerlteppich. Neben christlichen Herrschern wie den Langobarden, Karolingern und den Byzantinern mischten ab Beginn des 9. Jahrhunderts auch die Sarazenen mit, die den Süden Italiens mit Plünderungszügen heimsuchten.

Die Schriften aus Montecassino, einerseits die Historia Langobardorum Beneventarum von Erchempert, sowie die Chronica Sancti Benedicti Casinensis, halten viele Begegnungen der Menschen in dieser Region fest. Zu Beginn meiner Fragestellungen möchte ich die beiden Quellen an sich kurz erläutern. Des Weiteren möchte ich einen kurzen geschichtlichen Abriss der Gegend um Benevent, die in beiden Chroniken vorkommt, geben.

Das Hauptaugenmerk meiner Arbeit wird auf der Darstellung der Sarazenen in den beiden Werken liegen. Wie beschreibt Erchempert die Sarazenen? Sie überfallen Süditalien, plündern und zerstören vieles. Auch das Kloster Montecassino war im Jahr 883 davon betroffen. Welche Interaktionen finden zwischen den Sarazenen und den Langobarden statt? Erchempert erwähnt auch die militärische Überlegenheit der Muslime.

Wie verläuft die ganze Szenerie in der Chronica Sancti Benedicti Casinensis? Welche Unterschiede gibt es zur HistoriaLangobardorum Beneventarum? Eine weitere Fragestellung wird die Hervorhebung von einzelnen Personen aus den Chroniken beinhalten. Von Persönlichkeiten wie Sawdan, der dritte Emir von Bari oder der muslimische Heerführer Massar gibt es einige Anekdoten, die die Charaktere näher beleuchten.

Baut das Bild der Sarazenen in den beiden Chroniken auf bestimmte Klischees auf und inwiefern bedient sie sie? Weiters versuche ich festzustellen, welche aktuellen Forschungsdebatten sich rings um die Chroniken stellen. Inwiefern spielen hier die Chroniken eine Rolle?

All diesen Fragen möchte ich versuchen nahezukommen.

Die beiden Chroniken sind beide ediert und jeweils übersetzt. Ich habe dabei auf die italienischen Übersetzungen zurückgegriffen. Bei Erchempert arbeitete ich mit der Übersetzung von Raffaele Matarazzo und bei der Chronica mit derjenigen von Andrea Berto.1

Als großer geschichtlicher Überblick diente mir Barbara Kreutz´ Werk Before the Normans. Weiters half mir das Standardwerk über das Emirat von Bari von Giosué Musca auch die sarazenische Seite näher zu beleuchten. Walter Pohls Habilitationsschrift beleuchtet die beiden Chroniken in ihrem Aufbau sehr genau.

Marco di Branco und Kordula Wolf vom Deutschen Historischen Institut in Rom sind zwei Wissenschaftler, die zurzeit intensiv zum aktuellen Forschungsstand beitragen und beispielsweise die sarazenische Niederlassung am Garigliano erforschen.

1) Die politische Situation in Süditalien

Politisch gesehen gab es zwischen dem 8. und 10. Jahrhundert in Süditalien eine relativ komplizierte Sachlage. Viele kleine lokale Machthaber versuchten ihre Machtbasis zu behaupten und auszubauen. Neben langobardischen Fürstentümern wie Benevent und Salerno übten auch autonome Hafenstädte wie Gaeta, Neapel und Amalfi in Kampanien, die prinzipiell unter byzantinischer Kontrolle standen, eine gewisse Macht aus.

Doch auch überregionale Mächte interessierten sich für diesen geografischen Raum. Byzanz zeigte reges Interesse an Süditalien, denn es hatte in Apulien und Kampanien eine oströmische Provinz errichtet. Auch die Karolinger wollten ein Wörtchen in diesem Gebiet mitreden. Ein enger Verbündeter des fränkischen Kaiserreichs war das Herzogtum Spoleto, das mit dem langobardischen Prinzipat Benevent enge Kontakte hatte.2 Auch der Papst versuchte sein Herrschafts- und Einflussgebiet zu erweitern und mischte sich immer wieder in süditalienische Angelegenheiten ein.

Um politisch zu überleben, mussten die Herrscher im Raum zwischen Rom und Apulien beziehungsweise Kalabrien immer wieder verschiedene Bündnisse mit den stärkeren, überregionalen Machthabern eingehen. Im 9. Jahrhundert kam ein weiterer politischer Gegner aus dem islamischen Raum dazu: die Sarazenen.3 Überfallsartig mischten sie sich in der Region ein und spielten im Mächtekonzert mit.

Inmitten dieses Machtgerangels befand sich das Kloster Montecassino, das politisch und religiös einiges bewirkte. Gegründet wurde das Kloster 529 durch Hl. Benedikt von Nursia und gilt als Mutterkloster des Benediktinerordens.4

Montecassino war eine reiche Abtei mit weitläufigem Besitz und einem großen Klosterschatz. Neben dem weltlichen Einfluss übte die Abtei auch etlichen geistlichen aus. Montecassino hatte das Glück, dass es stets unter politischem Schutz stand und Autorität selbst ausüben konnte. Die Abtei unter der Protektion der karolingischen Kaiser erwartete sich dadurch auch geistliche Unterstützung und Fürsprechen.

Gleichsam verstanden die Karolinger es auch als göttliche Pflicht, da die Kaisergnade eine von Gott gegebene Gnade war und man sich dadurch erkenntlich zeigen konnte. Auch langobardische duces stellten sich als Verteidiger des Klosters zur Verfügung, wenn Gefahr drohte. Rom und die Päpste waren die Garanten für die geistliche Unabhängigkeit der Abtei.5

Doch die politischen Konstellationen und die Lage rund um Montecassino und in ganz Süditalien änderten sich zwischen 800 und 900 massiv. Befasst man sich näher mit der Situation in Süditalien zu dieser Zeit könnte man auch von politischem Chaos und bürgerkriegsartigen Szenen sprechen.

In folgendem beziehe ich mich hauptsächlich auf Barbara Kreutz´ geschichtlichen Abriss der Region in Before the Normans.6

Die Langobarden konnten ihre Herrschaftsbereiche um die Jahrhundertwende des 9. Jahrhunderts unter den Herzögen Grimoald III und Grimoald IV ausweiten und festigen. Große Teile der byzantinischen Provinz, die sich über Apulien bis nach Kalabrien erstreckte, wurden von den Langobarden erobert. Benevent und Salerno bildeten die Hauptzentren des langobardischen Reiches.

Daneben versuchten die Handels- und Hafenstädte Neapel sowie Gaeta und Amalfi ihre Unabhängigkeit zu erlangen. De iure stand beispielsweise Neapel unter byzantinischem Einfluss, doch mit aufkommender Schwäche des Byzantinischen Kaiserreiches ergriff Neapel die Gelegenheit und agierte nun eigenmächtig.

Nach der Ermordung Grimoalds IV kam Sico an die Macht, gefolgt von seinem Sohn Sicard. Sie herrschten von 817 bis 839 und es entstanden Spannungen im langobardischen Prinzipat, denn die beiden principes waren sehr expansionistisch orientiert. Für ihre Unternehmungen hatten sie auch Geld gebraucht und daher unter anderem Kirchenschätze geplündert. Erchempert hat für beide keine netten Worte übrig.

835 hatte Neapel große Probleme mit Sicard, da dieser die Stadt belagerte. Um ihre Unabhängigkeit zu wahren, heuerten die Neapolitaner arabische „Söldner“8 zur Unterstützung an. Diese kamen aus Sizilien unter der Führung von Emir Ibrāhīm ibn ´Abd Allāh. Schon vorher hatte Neapel Handelskontakte mit Muslime aus Sizilien und waren somit keine Unbekannten. Die Kämpfe mit Sicards Truppen dauerten ein Jahr lang. 836 wurde schließlich das Pactum Sicardi unterzeichnet, der als Friedensvertrag galt und auch den Handelsverkehr regelte.9

839 wird Sicard ermordet und sein Schatzmeister Radelchis wird princeps. Doch die Bewohner von Salerno waren mit Radelchis als Nachfolger nicht einverstanden. Deshalb befreiten sie Siconolf, der von seinem Bruder Sicard in ein Gefängnis gesperrt wurde, und proklamierten ihn als rechtmäßigen Herrscher. Nun entbrannte ein Bürgerkrieg zwischen Radelchis und Siconolf mitsamt ihren Unterstützern.

Radelchis agierte von Benevent aus, Siconolf von Salerno und beide agierten mit sarazenischen Hilfstruppen. Die Muslime stellten sich in den Dienst des jeweiligen Auftraggebers und kämpften für diesen. Nebenher waren sie oft im Umland mit Plünderungen tätig.

839 nahmen muslimische Truppen aus Sizilien Brindisi ein, auch Tarent am Ionischen Meer wurde erobert. Eine venezianische Flotte zur Verteidigung Tarents konnte 841/42 gegen die Sarazenen nichts ausrichten. Immer öfter kam es zu Überfällen von Sarazenen auf dem italienischen Festland. 846 kam es dann zu einem Ereignis, das die westlichen Herrscher zum Eingreifen zwang.

Die Sarazenen fuhren flussaufwärts über den Tiber nach Rom und raubten die Gebiete vor der Stadtmauer aus. Darunter waren auch die Peterskirche und Sankt Paul vor den Mauern. Als Gegenmaße wurde 849 eine Flotte mit Neapel, Amalfi und Gaeta und dem Papst zusammengestellt und in der Schlacht von Ostia gegen die Sarazenen zum Sieg. Außerdem wurde die Leoninische Mauer unter Papst Leo IV erbaut, die den Vatikan vor weiteren Überfällen schützen sollte.10

Mit dem Angriff auf das Zentrum der Christenheit sah sich auch König Ludwig II von Italien in der Pflicht, die Christenheit zu verteidigen und jegliche Attacken zunichte zu machen. Ludwig II sammelte karolingische Truppen um sich und marschierte 847 nach Süditalien, um die dortige Situation zu verbessern.11

Unmittelbar vorher wurde Bari von sarazenischen Söldnertruppen in der Nacht eingenommen. Diese Söldner standen eigentlich unter Radelchis´ Aufsicht, der diese im Kampf gegen Siconolf eingestellt hatte. Ludwigs Rückeroberungsversuche scheiterten. Der Anführer der Sarazenen, der Berber Khālfun, gründete das Emirat von Bari, das zu diesem Zeitpunkt offiziell noch kein Emirat war.12 Nach dem gescheiterten Feldzug regelte Ludwig den Konflikt zwischen Siconolf und Radelchis, indem er das Prinzipat teilte.

Mit der Divisio 849 gab es nun zwei eigenständige Prinzipate: das Prinzipat von Benevent mit Radelchis als princeps und das Prinzipat von Salerno mit Siconolf.13

Ludwig stirbt 875 und Byzanz eroberte Teile Süditaliens zurück. Papst Johannes VIII bildete vergeblich Allianzen gegen die Sarazenen. Es entstand ein regelrechtes Machtvakuum in Süditalien. In dieser Zeit wurde auch das Kloster Montecassino 883 überfallen und geplündert. Muslimische Gruppen siedelten sich auf Ruf der kampanischen Hafenstädte nahe dieser Städte an, um diese zu verteidigen.

Ein Beispiel dafür wäre die Siedlung am Fluss Garigliano 882/83. Diese bildete sich durch einen Vertrag mit den hypati von Gaeta. Die Siedlung bestand bis 915. Ende des 9. Jahrhunderts waren die langobardischen Herrscher sehr schwach und die Herrscher des Prinzipats von Benevent wechselten ständig. Bis es um 900 von Capua aus regiert wurde, war es unter byzantinischer, spoletischer und auch salernitanischer Kontrolle.


2) Ystoriola und Chronica Sancti Benedicti Casinensis

2.1. Herkunft und Struktur der Chroniken

Die Grundlage meiner Analyse der Darstellung der Sarazenen bilden zwei Chroniken aus der Abtei Montecassino. Einerseits werde ich mich dabei auf die Chronik des Erchempert beziehen, andererseits auf die Chronica Sancti Benedicti Casinensis (in Folgendem CSBC).

Die Chronik des Erchempert, die Historia Langobardorum Beneventanorum, auch Ystoriola genannt, erzählt Ereignisse, die ungefähr zwischen 774 und 889 passiert sind. Der Autor der Ystoriola ist wahrscheinlich Erchempert selbst, ein Mönch aus dem Kloster Montecassino. Weiters erzählt er kurz von seiner Lebensgeschichte, die mit den beschriebenen Ereignissen stark verwoben sind.

Überliefert wurde die Chronik im Codex Vaticanus latinus 5001, der um 1300 in Salerno kompiliert wurde. Auch das Chronicon Salernitanum wurde in diesem Codex entdeckt.14

Erchempert baut seine Chronik folgendermaßen auf: Anfangs fasst er mithilfe einiger schon vorhandener Geschichtswerke die Geschichte von Benevent von 758 bis 854 zusammen. Dann befasst sich Erchempert mit aktuellen Ereignissen rund um Montecassino und Capua, den zwei Lebensmittelpunkten der Mönche. 889 bricht die Chronik ab. Wissenschaftler vermuten, dass die Chronik Ende des 9. Jahrhundert geschrieben worden ist, denn Erchemperts Biografie entwickelt sich zeitgleich mit der Chronik. 887 wird von einer Reise des Mönchs nach Rom berichtet.15

Die Chronica ist jedoch nicht als einheitliche Chronik zu verstehen sondern als Kompilation. Georg Waitz hatte diese 1878 als CSBC in den Monumenta Germaniae historica ediert. Diese beschreibt vor allem Ereignisse, die die Abtei Montecassino betrafen. Der Autor oder die Autoren sind nicht bekannt.17

Die Chronica besteht aus drei Teilen. Der erste Teil beinhaltet einen kurzen Abriss der Geschichte vom Einfall der Langobarden in Italien bis zum Feldzug Ludwigs des II. gegen die Sarazenen 866-867. Im zweiten Teil werden Anekdoten von der Ermordung Sicards 839 bis hinein in die 860er Jahre erzählt sowie der Einfall der Sarazenen und dessen Zustandekommen. Zum Schluss befasst sich die Chronik mit der Geschichte des Klosters Montecassino inklusive Chronologietafel mit zeitgenössischen Äbten und Herrschern.

Das Verfasserdatum der ersten beiden Teile ist unbekannt. Walter Pohl vermutet es rund um den Aufenthalt von Ludwig II. in Italien 867.18 Die Chronologietafel endet mit den Jahren 873-74.

Beide Chroniken, die Ystoriola und die Chronica Sancti Benedicti Casinensis, haben ihr Hintergrundwissen aus der Langobardengeschichte des Paulus Diaconus und schreiben dort teilweise auch ab.19


2.2. Der Sonderfall der Historia Langobardorum Beneventanorum

Erchemperts Chronik ist in zweierlei Hinsicht außergewöhnlich. Einerseits nennt sich der Benediktinermönch ungewöhnlicher Weise selbst als Autor seiner Chronik. Seine Vita ist eng mit den Geschehnissen rund um Montecassino zu dieser Zeit verbunden. Er war Gesandter des Klosters und wurde zweimal gefangen genommen, was er auch in der Chronik beschreibt. Andererseits versucht Erchempert den Lesern seiner Chronik auf besonders eindrückliche Weise klar zu machen, dass die Langobarden selbst an ihrem Unglück und ihrem Niedergang schuld sind.

Der Streit im Inneren des Reiches führte zu einer gewissen Schwächung. Sämtliche Kräfte konzentrierten sich auf die internen Zwistigkeiten, somit blieben die Außengrenzen nahezu ungeschützt. Durch das Anheuern von muslimischen Söldnern auf Seiten Radelchis´ und Siconolfs wurde diesen laut Erchempert die Türen ins Prinzipat geöffnet. Durch mangelnde Weitsichtigkeit der beiden wird der Feind freiwillig ins Land geführt.

Die sarazenischen Söldner nutzten die Schwäche der langobardischen Herrscher aus, plünderten das Land und machten sich selbständig. Erchempert macht den Sarazenen deshalb keinen Vorwurf, sondern gibt diesen an die Langobarden weiter. Ihre politische Brüchigkeit und Unehrlichkeit haben dieses Ergebnis folgen lassen.

Schon in seiner Einleitung macht er dies klar, indem er schreibt:

[…] Ich Erchempert, unterstützt von vielen […] eine kurze Geschichte über die Langobarden zu schreiben, die sich in Benevent niedergelassen haben. […] Ich möchte mit ehrlicher Feder nicht ihre Herrschaft beschreiben, sondern ihren Ruin, nicht ihren Ruhm, sondern ihr Elend, nicht ihren Triumpf, aber ihren Untergang. Nicht wie wir vorangeschritten sind, sondern wie wir zurückgewichen sind.


Jedoch lese ich so etwas wie Mitgefühl mit den Langobarden aus seinem Text heraus, da er sich in die Erzählung und Episoden reinsteigert. Er lässt auch spüren, dass er selbst Langobarde ist. Sein Erzählstil ist sehr dramatisch und eindringlich. Eigenartigerweise lässt er den sarazenischen Überfall auf Montecassino und dessen Zerstörung in seiner Chronik beiseite.

3) Darstellung der Sarazenen

3.1. Christliche Wahrnehmung der Sarazenen im Frühmittelalter

Der Islam hatte sich im frühen 7. Jahrhundert mithilfe des Propheten Mohammed auf der arabischen Halbinsel verbreitet und expandierte unheimlich schnell in die Levante, in das Gebiet des heutigen Iran/Iraks, in den Maghreb, sogar bis nach Spanien. Der Maghreb und die Levante waren seit jeher Teil des Mittelmeerraumes21 und es herrschten rege Handelskontakte. Es war also nur mehr eine Frage der Zeit, dass sich die Sarazenen auch Richtung heutiges italienisches Festland bewegten.

Die Bezeichnung dieser gens in frühmittelalterlichen Quellen variiert. Die Sarazenen waren den Christen bekannt. Die religiöse Benennung „Muslime“ wurde nicht benutzt, stattdessen liest man von „Arabern“, „Sarazenen“, „Ismaeliten“ oder „Agarener“. „Araber“ ist als ethnischer Begriff zu verstehen mit der arabischen Insel als Herkunftsort. „Ismaeliten“ leitet sich von Ismael ab, dem Sohn Abrahams mit der Sklavin Hagar.

Im Allgemeinen ist die Sicht der Autoren von frühmittelalterlichen Quellen im lateinischen Westen geprägt durch die Brille des Christentums. Sämtliche theologischen Hintergründe des Islams wurden mit denen des Christentums verglichen. Durch die gemeinsamen geschichtlichen Anfänge mit Adam und Abraham waren viele Christen der Ansicht, dass es sich beim Islam bloß um eine häretische Strömung handle.

Das Argument, das man wenig über den Islam wusste, greift hier nicht, denn zu dieser Zeit waren schon viele Informationen über die neue Religion in den christlichen Westen gelangt. Man beschäftigte sich jedoch nicht sehr eindringlich damit. Benjamin Z. Kedar meint, dass sich die Geistlichen eindringlich mit den Texten der Bibel und der Kirchenväter beschäftigt haben.

Für das Neue, Aktuelle hatten sie wenig Zeit, da sie das Wissen aus der Spätantike repetierten, bearbeiteten und übersetzten, um die Vergangenheit hochzuhalten und sich dadurch Legitimität verschafften.24


3.2. Sarazenen in der Ystoriola und der Chronica Sancti Benedicti Casinensis25

Die Sarazenen hätten einige Male versucht, das Kloster zu plündern und bis auf den Überfall 883 konnten die Mönche dies jedes Mal mit Tributzahlungen einigermaßen verhindern. Eine Episode der CSBC erzählt, dass die Sarazenen über den Fluss Carnello (heute Liri) zum Kloster wollten, doch die Gebete der Mönche beschworen ein Unwetter und ein Anschwellen des Flusses herauf und verhinderten die Überfahrt.

Die Sarazenen waren wütend, quietschten mit den Zähnen, aßen ihre Finger.27 In der Chronica wird Barbarei als weiteres Kennzeichen der Sarazenen angegeben.

Auch die Einnahme Baris wird ausführlich beschrieben. Der Gastald von Bari, Pandone, hatte den Auftrag von Radelchis muslimische Söldner anzuwerben. Diese lagerten dann um Bari und eines Nachts, während die Einwohner Baris schliefen, überrannten sie die Stadt. Der Betrug der Sarazenen wird in der Chronik sehr deutlich und es wird stets betont, dass bei den Sarazenen Täuschung öfters vorkam.

Neben Bari nahmen sie auch Tarent und Matera ein, legten es in Schutt und Asche und zerstörten alles. In Bari waren die Zustände laut CSBC besonders beängstigend. Der erste „König“ der Sarazenen war Khalfūn und herrschte über die bösesten Menschen, die nicht mal Kleidung anhätten.28


Auch Erchempert beschreibt die muslimischen Truppen als nicht zimperlich. Die Einnahme Baris wird wie in der CSBC als Täuschung beschrieben. Die Einwohner hätten darunter ziemlich gelitten, da es einige Todesopfer gab.29 Die Ystoriola lässt keine Gelegenheit aus die Brutalität und Rohheit der Sarazenen zu erwähnen. Die Raubzüge gingen durch ganz Kampanien und Apulien und die Einwohner wurden von dort vertrieben.

Radelchis stellte sarazenische Söldner ein, die sich in Benevent niederließen. Schon bald kontrollierten diese die Stadt und torpedierten die Einwohner.30

Bereits die arabische Invasion Siziliens betrachtet Erchempert als schlechtes Omen. Wie ein Bienenschwarm hätten Agarener aus Babylonien31 und Afrika Sizilien überrannt und alles zerstört.32 Doch neben den Muslimen werden auch andere gentes als grausam deklariert. Erchempert hat an sämtlichen Nicht-Langobarden etwas auszusetzen. Die Griechen sind wie Biester und üben den Glauben nicht richtig aus, die Franken sind geldgierig.

Bei einem der zwei Feldzüge Ludwigs II. bewohnten seine Truppen für längere Zeit Benevent. Die karolingischen Soldaten benahmen sich scheinbar kaum besser als die muslimischen Truppen und peinigten die Stadtbevölkerung.33 Es tritt hier der klare Fall von Other-ness ein. Fremde sind laut Erchempert prinzipiell skeptisch zu behandeln egal welche Religion. Auch unter den Langobarden selbst gibt es einzelne Charaktere, die von Grausamkeit, Verschlagenheit und Gewalt nur so strotzen.

In der Ystoriola werden den Sarazenen teilweise auch bewundernswerte Worte zuteil. Erchempert staunt wie in der CSBC über die Raffiniertheit der Muslime. Er achtet ihre militärischen Fähigkeiten. Nicht umsonst hatten Radelchis und Siconolf muslimische Söldner in ihre Reihen geholt. Die Anzahl der muslimischen Truppen wäre ebenfalls erstaunlich, denn Erchempert schreibt von zahllosen Armeen.

Prinzipiell sind sämtliche Zahlen von Truppenstärken nicht für bare Münze zu nehmen.


3.3. Einzelcharaktere

Einzelne Heerführer von sarazenischen Truppen werden in beiden Chroniken detaillierter beschrieben. Darunter zählen auch die Emire von Bari. Das Emirat von Bari spielt in den Chroniken prinzipiell eine große Rolle. Gegründet von Khalfūn war es eine der langlebigsten muslimischen Siedlungen auf italienischem Festland. Von 847 bis 871 regierten drei Emire: Khalfūn, Mufarraģ ibn Sallām und Sawdân.

Khalfūn war ein Berber und seine Truppen waren schon länger in Italien angesiedelt. Das Emirat war politisch eigenständig und kämpfte um die Anerkennung durch den Kalifen in Bagdad. In arabischen Quellen findet man kaum etwas zum Emirat von Bari. Einzig al-Balādhurī erwähnt das Emirat.34 Ein Emir war Provinzgouverneur und kümmerte sich unter anderem um das Heer, um die Administration, ernannte die Exekutive und die Richter. 35

Die Chronica benennt Mufarragg „Ferraci“ und ist auch deshalb ein Unikum, da außerhalb der arabischen Quellen niemand den zweiten Emir von Bari anführt. Auch ein gewisser Aiu taucht in der Chronologietafel auf, doch diese Person lässt sich nicht zuordnen.37

Die ersten beiden Emire werden in den Chroniken kaum erwähnt. Khalfūn wird bei Erchempert als König der Sarazenen deklariert. In einer großen Schlacht muss sich dieser jedoch geschlagen geben und musste zu Fuß die Heimkehr nach Bari antreten. Khalfūn ist hier der Anführer eines Heeres von Paganen. Die Sarazenen werden in diesem Kontext als ungläubig beschrieben.38 Von Mufarraģ ibn Sallām liest man kaum etwas.

Der dritte Emir von Bari ist die interessanteste Person. Kaum ein anderer wird so ausführlich behandelt wie er. Sawdân wäre der grausamste und furchteinflößendste aller Sarazenen gewesen. In den lateinischen Quellen taucht er unter Seodan, Sagdan, Seudan, Saugdan aber auch Satan auf. Satan ist vielleicht eher eine Anspielung auf den Teufel, quasi ein Wortspiel, das im Chronicon Salernitanum vorkommt.


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