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Seminararbeit
Kulturwissenschaften

Universität Bremen

1,7, Prof. Dr. Schümann, 2012

Nicole B. ©
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ID# 49222







Die polnische Diaspora in Deutschland

und die Folgen der EU-Osterweiterung

Die polnische Diaspora in Deutschland und die Folgen der EU-Osterweiterung


1. Einleitung


1

2. Die EU-Osterweiterung als prägendes Element der Migration zwischen Polen und Deutschland


2

3. Die Metropole Berlin als wichtiges polnisches Kulturzentrum


3.1. Geschichtliche Fakten

3

3.2. Aktuelle Situation

3

3.3. Die polnische Diaspora und ihre Kultur

4


4. Die Grenzregion Mecklenburg-Vorpommerns als neuer polnischer Ansiedlungsraum


4.1. Geschichtliche Fakten und die demografische Situation

6

4.2. Aktuelle Situation

7

4.3. Ursachen und Gründe der Migrationsbewegung

8

4.4. Die polnische Diaspora und ihre Kultur

10

4.5. Vorteile und Chancen für die Region


13

5. Zusammenfassendes Fazit


14

6. Quellenverzeichnis

16

1. Einleitung


Kaum ein anderes Land in Europa besitzt eine so vielseitige und lange Emigrationsgeschichte wie Polen. Gründe für die stetig hohen Auswandererquoten waren in der Vergangenheit vor allem die politische Situation sowie zahlreiche wirtschaftliche Probleme. Besonders seit der Zeit der sogenannten „Ruhrpolen“1 ist Deutschland zu einem der wichtigsten Zielländer der polnischen Migration geworden.

Seit den fünfziger Jahren kamen ca. 2,5 Millionen Polen in die Bundesrepublik, wobei es sich zu großen Teilen um politische Flüchtlinge der Solidarność-Ära, als auch um deutschstämmige Aussiedler handelte.2 Ein wichtiger Faktor, der näher beleuchtet werden soll und maßgebend für die heutige Migrationssituation ist, ist die Osterweiterung der Europäischen Union im Jahr 2004. Durch diese wurden die Barrieren, vor allem in Bezug auf die Arbeitnehmerfreizügigkeit, innerhalb der EU schrittweise beseitigt.

Am 01. Mai 2011 wurde der deutsche Arbeitsmarkt schließlich vollständig liberalisiert und für seine osteuropäischen Nachbarn geöffnet.

Die Zahl der derzeit in Deutschland lebenden Polen lässt sich nicht exakt beziffern. Während laut Mikrozensus 2010 ca. 1,3 Millionen Menschen mit polnischem Migrationshintergrund in Deutschland wohnen3, geht das polnische Außenministerium (Ministerstwo Spraw Zagranicznych) von ca. 2 Millionen Menschen mit einer ganz oder teilweise polnischen ethnischen, kulturellen oder sprachlichen Identität aus4.

Die Anzahl der in der Bundesrepublik lebenden Menschen mit ausschließlich polnischer Staatsangehörigkeit liegt bei 468.481 (Stand 31. Dezember 2011). Somit nehmen die Polen hinter den Türken und den Italienern Platz 3 der größten ausländischen Gruppen ein.5

Doch was zeichnet die polnische Diaspora, die sogenannte „Polonia“, aus? Existiert eine polnische Kultur in Deutschland? Und welche Konsequenzen hatte und hat die EU-Osterweiterung auf die Migration von Polen nach Deutschland? Mit diesen Fragen möchte ich mich im Folgenden näher beschäftigen und unter Berücksichtigung der regionalen Schwerpunkte Berlin und Mecklenburg- Vorpommern versuchen, die Eigenschaften der polnischen Diaspora in Deutschland zu beleuchten.

Da sich diese Arbeit vor allem mit der aktuellen Situation6 der polnischen Migration nach Deutschland beschäftigt und weniger mit geschichtlichen Aspekten, eignen sich die Ansiedlungsgebiete Berlin und Mecklenburg-Vorpommern gut, um die heutige Polonia zu beschreiben. Historisch bedeutende regionale Schwerpunkte wie das Ruhrgebiet7 und München8 können vernachlässigt werden, da sie für die aktuelle Entwicklung keine übergeordnete Rolle spielen.


2. Die EU-Osterweiterung als prägendes Element der Migration zwischen Polen und Deutschland


Am 01. Mai 2004 trat die fünfte und bisher größte EU-Erweiterung in Kraft. Damit wurde Polen – neben den weiteren Ländern Litauen, Lettland, Estland, Malta, Zypern, Slowakei, Slowenien, Tschechien und Ungarn – zu einem Mitglied der Europäischen Union. Während Länder wie Großbritannien und Irland ihren Markt sofort für die östlichen Nachbarn öffneten, führte Deutschland die sogenannte „2+3+2-Regelung“ ein und beschnitt so die Arbeitnehmerfreizügigkeit der neuen EU-Staaten.

Am 21. Dezember 2007 erfolgte die Implementierung des Schengener Abkommens und somit die Beseitigung der Grenzkontrollen. Die vollständige Liberalisierung des deutschen Arbeitsmarktes wurde schließlich am 01. Mai 2010 eingeführt. Somit gilt für Personen aus Polen sowie aus den anderen Mitgliedstaaten der EU-Grundsatz der freien Wohnort- und Arbeitsplatzwahl.9 Doch bereits vor 2010 genossen die östlichen Nachbarn Deutschlands eine gewisse Barrierefreiheit, die vor allem die Immigration von Polen vorantrieb.

Eine Legalisierungsform des Aufenthalts bestand darin, ein Unternehmen eintragen zu lassen. So wurden zwischen 2004 und 2007 bis zu 30.000 Firmen eingetragen, deren Eigentümer Polen sind.10

Der EU-Beitritt Polens ist maßgeblich für die heutige deutsch-polnische Migrationssituation verantwortlich. Aufgrund der Grundsätze der Europäischen Union können Polen im EU-Ausland leben, studieren und arbeiten. Inwiefern Berlin und Mecklenburg-Vorpommern von der Osterweiterung beeinflusst wurden und wie die polnische Kultur in diesen Gebieten aussieht, soll in den nächsten Kapiteln dargelegt werden.


3. Die Metropole Berlin als wichtiges polnisches Kulturzentrum


3.1.Geschichtliche Fakten


Berlin ist eine Metropole mit einer langen und vielfältigen polnischen Einwanderungsgeschichte. Diese begann bereits zur Zeit der polnischen Teilungen Ende des 18. Jahrhunderts, bei denen Preußen zu einem binationalen Staat wurde und Berlin dadurch für einen Teil Polens zu einem politischen Zentrum.11 Im „Berliner Börsen-Courier“ aus dem Jahr 1910 heißt es sogar, Berlin sei mit seinen nahezu 100.000 polnischen Einwohnern zur zweitgrößten polnischen Stadt Europas aufgestiegen.12 Ab Mitte der achtziger Jahre immigrierten besonders viele Polen nach Deutschland, davon rund 30.000 nach Berlin.

Infolgedessen wurde Berlin neben Paris und London zum wichtigsten Zentrum des polnischen Exils. Hier entstanden die Exilzeitschriften „Archipelag“, „Pogląd“ und „Słowo“, die in ganz Europa gelesen und nach Polen geschmuggelt wurden. Des Weiteren wurden in Berlin polnische Bücher verlegt, Galerien und Theater gegründet sowie diverse Selbsthilfeorganisationen ins Leben gerufen.

In der Zeit der Wende, die das sozialistische Wirtschaftssystem zum Einsturz gebracht hatte, kamen tausende Polen nach Berlin, um auf dem Potsdamer Platz Handel zu treiben. Mit zunehmender Stabilisierung Polens veränderten sich die Migrationsmotive. So kamen Ende der neunziger Jahre auch vermehrt zahlungskräftige Touristen nach Berlin.13


3.2. Aktuelle Situation


Früher kamen die Polen vor allem aus politischen und ökonomischen Gründen in die deutsche Hauptstadt. Heute ist Berlin eine Bildungs-, Wissenschafts-, Kultur- und Kunstmetropole von Weltrang, eine pulsierende Stadt mit internationalem Flair. Die Stadt gehört zu den Städten mit dem höchsten Anteil an Ausländern und Personen mit Migrationshintergrund. Laut der Berliner Ausländerstatistik leben rund 44.000 Menschen polnischer Staatsangehörigkeit in Berlin.14 Damit sind die Polen nach den Türken die größte Ausländergruppe.

Doch wodurch zeichnet sich diese aus? Wie ist das kulturelle polnische Leben in Berlin? Und warum wirkt die deutsche Hauptstadt so reizvoll auf die Polen?


3.3. Die polnische Diaspora und ihre Kultur


Die Polonia in Berlin zeichnet sich durch ihre hohe Heterogenität aus. In der Metropole sind nahezu alle Berufs- und Gesellschaftsgruppen anzutreffen, welche zu unterschiedlichen Zeiten und aus verschiedenen Gründen immigriert sind.16 Aufgrund der Zerstreuung über die Stadt sowie der Anpassungsbereitschaft bilden die Polen keine sichtbare und in sich geschlossene Gruppe, keine polnische community.17 Die Menschen polnischer Abstammung sind in Berlin gut integriert, jedoch sind polnische Spuren im Vergleich zu beispielsweise türkischen kaum zu erkennen.

Während deutsch-türkische Lobbyisten sich mehr und mehr durchsetzen, stehen polnische Verbände kaum in der Öffentlichkeit18 und haben häufig bloß Symbolcharakter19. Viele Polen – besonders Übersiedler, die einem starken Assimilierungsdruck ausgesetzt waren – passen sich an, werden quasi unsichtbar. Zur Befriedigung kultureller Bedürfnisse pflegen sie regelmäßigen Kontakt zu Verwandten und fahren in die Heimat.

Deswegen gibt es in Berlin relativ wenige dynamische Kreise und das Bedürfnis, eine polnische Kulturgemeinschaft zu gründen, ist eher gering.20

Doch trotz der geringen Bereitschaft, sich gesellschaftlich oder politisch zu engagieren, ist Berlin eine wichtige Kulturmetropole Polens. Heutzutage zieht es vor allem junge Studenten, Intellektuelle und Künstler aus (West-)Polen in die deutsche Hauptstadt. Gründe dafür sind die kulturelle Vielfalt, die im Vergleich zu anderen westeuropäischen Hauptstädten niedrigen Lebenshaltungskosten und die entspannte sowie internationale Atmosphäre.

Aus diesen Gründen ist Berlin auch eine Art Zufluchtsort für Andersdenkende und Abenteurer. Hier leben viele polnische Künstler und Intellektuelle, sowie auch Homosexuelle, die sich im toleranten Berlin wohler fühlen als im katholischen Polen.21

Es gibt einige Adressen der polnischen Kunst in der deutschen Metropole wie zu Beispiel den „Club der polnischen Versager“ („Klub Polskich Nieudaczników“). Dabei handelt es sich um eine Institution des deutsch-polnischen Kulturaustausches, die 2001 aus einem Stammtisch hervorging und bereits bundesweite Bekanntschaft erlangt hat. Der Club organisiert Konzerte, Ausstellungen, Lesungen und Filmvorführungen mit Bezug zu Polen.

Besonders aufgrund der jungen polnischen Studenten ist das Angebot polnischer Kunst in Berlin vielfältig und bedeutsam. Neben den bereits genannten, zumeist „jungen“ Institutionen hat auch die zweisprachige Zeitschrift „DIALOG“ ihren Redaktionssitz in der Hauptstadt. Dabei handelt es sich um ein renommiertes deutsch-polnisches Magazin, dessen Leiter seit 1998 der Publizist und Politikexperte Basil Kerski ist.24 Des Weiteren existiert seit den fünfziger Jahren die „Deutsch-polnische Gesellschaft Berlin“, die sich in Form von Initiativen wie Polnisch-Angeboten und Austauschprojekten für die Verständigung zwischen Deutschen und Polen einsetzt.25

Während diese kulturellen Initiativen mit Polen-Bezug in Berlin an Bedeutung gewinnen, sind Felder wie Rechts- und Sozialberatung eher dünn besiedelt. Typische Anlaufstellen der Öffentlichkeit sind diplomatische Einrichtungen sowie die Polnische Katholische Mission. Seit 2004 lassen sich jedoch neue Trends entdecken, wie beispielsweise Internetseiten mit beratender Funktion wie das Informationsportal „pogranicze24.info“.

Jedoch fehlen für solche Initiativen meist die finanziellen Mittel. Positive Erfahrungen gibt es im Bereich der frühkindlichen Erziehung im Rahmen von polnischen Eltern-Kind-Gruppen sowie im Bereich von polnischen Sportvereinen. Doch auch diese müssen meist von privaten Unterstützern getragen werden, da eine nachhaltige Finanzierungsquelle fehlt.26

Das politische Engagement der Polen in Berlin ist zu großen Teilen unterentwickelt. Abgesehen von Einzelpersonen wie der Berliner Rechtsanwalt und Deutschpole Stefan Hambura, der die Bestrebung hat, eine Polen-Partei in Deutschland zu gründen27, engagieren sich die Polen kaum in der deutschen Politik. Laut Jacek Tyblewski, Redakteur und Moderator von „funkhaus europa“, seien die Polen in Deutschland „völlig desorientiert, wenn es um die deutsche politische Landschaft geht“28.

Während jedoch deutsch-türkische Lobbyisten und Politiker immer mehr an Bedeutung gewinnen, scheinen die Polen sich als politische Individuen noch nicht entdeckt zu haben.31

Die EU-Erweiterung 2004 hatte und hat große Auswirkungen auf die polnische Diaspora in Berlin. Die Gründe dafür sind vielfältig. Erstens ist Berlin zu einer der bedeutendsten Metropolen Europas aufgestiegen. Zweitens ist besonders für Menschen aus Westpolen die Nähe zur Heimat ein wichtiger Faktor. Und drittens bestehen seit dem EU-Beitritt Polens keine Barrieren mehr zwischen den Ländern.

Aus all diesen und weiteren Gründen hat sich die Zahl der polnischen Migranten in Berlin seit 2004 stetig erhöht. Polen verschiedener Schichten und Altersgruppen kommen in die Hauptstadt. Einige um dort langfristig zu wohnen und zu arbeiten, andere als Pendler oder Saisonarbeiter. Aber vor allem handelt es sich bei der polnischen Migration nach 2004 um eine Bildungsmigration, denn durch den EU-Beitritt ist Berlin, insbesondere für junge Menschen aus Westpolen, ein natürlicher Hochschulstandort geworden.

Zudem kommt es in Deutschland zu einer Binnenwanderung von jungen Bundesbürgern mit polnischem Hintergrund, die aus der westdeutschen Provinz nach Berlin ziehen.32


4. Die Grenzregion Mecklenburg-Vorpommerns als neuer polnischer Ansiedlungsraum


4.1. Geschichtliche Fakten und die demografische Situation


In der Vergangenheit waren typische Ansiedlungsgebiete der polnischen Migranten Großstädte wie Berlin und Hamburg oder im Allgemeinen die alten Bundesländer. Die Hälfte der heute in Deutschland lebenden Polen konzentriert sich auf Nordrhein-Westfalen, Bayern und Hessen, während auch in Berlin mit 44.000 polnischen Staatsbürgern eine bedeutende Minderheit lebt. Im Gegensatz dazu waren die neuen Bundesländer in der Vergangenheit kein attraktives Ziel für polnische Migranten.

Früher wie heute zeichnen sich diese Länder durch ein niedrigeres Pro-Kopf-Einkommen und eine vergleichsweise hohe Arbeitslosenquote aus.33

In dieser Hausarbeit soll als Beispiel die an Polen grenzende Region Mecklenburg-Vorpommerns dienen, da dieses Bundesland und insbesondere die Grenzregion schon seit vielen Jahren von negativen demografischen Trends betroffen ist. So hat sich die Bevölkerung im Grenzraum seit 1991 um etwa ein Viertel verringert.34 Der Wegzug der Bevölkerung hat unterschiedliche Folgen.

Des Weiteren mangelt es im Grenzgebiet an größeren Arbeitgebern.36 Die Mehrheit derer, die wegzogen, waren junge und gut ausgebildete Menschen. Sie hinterließen leere Häuser und Wohnungen, ältere, pflegebedürftige Menschen sowie Kindergärten und Schulen, in denen die Anzahl der Kinder systematisch abnimmt.37 Dieses Phänomen beschränkt sich jedoch nicht auf die Grenzregion Mecklenburg-Vorpommerns.

Alle ostdeutschen Bundesländer haben nach 1989 deutlich an Bevölkerung verloren. Jedoch sind ländliche Gebiete, besonders in Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg besonders von der Binnenmigration betroffen. Deutlich wird zudem, dass alle an Polen grenzenden Landkreise eine stark negative Bevölkerungsentwicklung haben.38 Auf Grund dessen liegt es nahe, sich mit der Grenzregion Mecklenburg-Vorpommerns zu beschäftigen.


4.2. Aktuelle Situation


Im Gegensatz zu Städten wie Berlin, Hamburg und München oder Regionen wie das Ruhr-Rhein-Gebiet gelten die neuen Bundesländer, die an Polen grenzen, als neue Migrationsziele für polnische Bürger. Besonders in Mecklenburg-Vorpommern ist die Einwanderung der Polen ein neuartiges Phänomen. Das nordöstliche Bundesland hat einen sehr geringen Anteil an ausländischer Bevölkerung von 1,9% und liegt damit weit hinter dem Bundesdurchschnitt von 8,5% (Stand 2010).

Erheblichen Einfluss auf diese neue Migration hatten mehrere Faktoren: Erstens, der EU-Beitritt Polens 2004; Zweitens, die Beseitigung der Grenzkontrollen im Jahre 2007; Und drittens die vollständige Liberalisierung des deutschen Arbeitsmarktes 2011.41 Letzteres Ereignis beeinflusste das Ausmaß und den Charakter der Migrationsbewegung jedoch nicht wesentlich, da viele Polen bereits zuvor nach Deutschland immigrierten und dort beispielsweise Unternehmen gründeten.

Jedoch wird seit 2011 weiterhin ein wachsender Zuzug von Polen in den grenznahen Raum beobachtet.42 Der 01. Mai 2011 kann trotzdem nicht als ein Umbruch bezeichnet werden.

Insbesondere Menschen aus Westpolen, zum Beispiel aus der an Deutschland grenzenden Woiwodschaft Westpommern (województwo zachodniopomorskie), haben Mecklenburg-Vorpommern als einen neuen Wohn- und Arbeitsplatzort entdeckt. Die Gründe für diese Migration sollen im nächsten Kapitel behandelt werden.


4.3. Ursachen und Gründe der Migrationsbewegung


Die Gründe für die Migration von Westpolen nach Mecklenburg-Vorpommern sind vielfältig. Der wohl stärkste Pull-Faktor für Migranten aus Polen ist die hohe Attraktivität der Wohnangebote in der ostdeutschen Grenzregion. Im Hinblick auf das Preis-Leistungsverhältnis gibt es ein großes Angebot an Mietwohnungen und Immobilien, das aus der Landflucht vieler Deutscher resultiert.

Ein weiterer Grund für die Ansiedlung von Polen in der grenznahen Region ist die Nähe zu Stettin beziehungsweise überhaupt zu Polen. Die räumliche Nähe und verkehrsmäßig günstige Lage ermöglichen polnischen Migranten ein Leben zwischen beiden Ländern, eine sogenannte Teilmigration, zu führen.45 Viele wohnen in Deutschland, arbeiten jedoch in Polen. Des Weiteren kann trotz der Migration der Kontakt zu Verwandten und sozialen Netzwerken aufrecht erhalten werden.

Auch der gute Ruf des deutschen Bildungssystems und die Möglichkeit einer zweisprachigen Erziehung ist ein Faktor für die Ansiedlung polnischer Familien.46 In den grenznahen Regionen wird zunehmend Polnisch-Unterricht angeboten. Vor allem die Gemeinde Löcknitz hat Vorbildcharakter. Seit 1991 existiert die „Europaschule Deutsch-Polnisches Gymnasium Löcknitz“, die mit einer Partnerschule in Police zusammenarbeitet und in der deutsche und polnische Schüler gemeinsam auf das Abitur vorbereitet werden.

Ein weiteres Beispiel für die deutsch-polnische Zusammenarbeit ist die Gründung eines deutsch-polnischen Kindergartens mit Kinderkrippe in Löcknitz.47 Aufgrund dieser Institutionen, die sich als Vermittler im deutsch-polnischen Annäherungsprozess verstehen, ziehen polnische Familien weiterhin gerne in Mecklenburgische Dörfer.

Die meisten davon sind kleinere Firmen im Handels- oder Dienstleistungsbereich, aber es existieren auch größere Unternehmen. Die polnischen Migranten nutzen vor allem die durch die starke Abwanderung entstandenen Nischen des Arbeitsmarktes.48

Auch die leichtere Gewerbegründung ist ein Pull-Faktor der Migration. Im Vergleich zu Polen sind die bürokratischen Hürden bei der Firmengründung in Deutschland um einiges geringer. Außerdem verkauft sich ein Produkt mit dem Label „Made in Germany“ besser als das polnische Äquivalent und kann zu höheren Preisen verkauft werden.49 Vor der Arbeitsmarktliberalisierung 2011 nutzen viele Polen die Firmengründung als Form der Aufenthaltslegalisierung.

Des Weiteren fungieren polnische Migranten als Arbeitnehmer und retten teilweise sogar Institutionen. Aufgrund des Wegzuges gut ausgebildeter Menschen und der immer älter werdenden Gesellschaft werden im wachsenden Maße medizinische Leistungen benötigt. Von besonderer Bedeutung sind in der Grenzregion polnische Ärzte oder allgemein Krankenhauspersonal. Es gibt in den neuen Bundesländern Krankenhäuser, die nur dank polnischen Ärzten und Krankenschwestern funktionieren können.


Wie oben erläutert, sind die Gründe für die Migrationsbewegung von Westpolen nach Ostdeutschland vielfältig und beschränken sich nicht auf einzelne Faktoren. Im Folgenden sollen sie der Übersichtlichkeit halber kurz resümiert werden.


Pull-Faktoren

Push-Faktoren

- im Hinblick auf das Preis-Leistungsverhältnis sehr attraktives Angebot an Wohnungen und Immobilien

- Wohnraumknappheit und schlechtes Preis-Leistungsverhältnis in Stettin

- Nähe zu Polen und gute Verkehrsanbindung

→ Teilmigration möglich

→ weiterhin Kontakt nach Polen


- Bildungssystem mit Möglichkeit der zweisprachigen Erziehung


- leichtere Gewerbegründung, Nutzen von Nischen im Arbeitsmarkt

- bürokratische Hürden bei Unternehmensgründung

- Bedarf an Arbeitskräften in bestimmten Bereichen (z.B. Pflegesektor)

- Arbeitslosigkeit

- höheres Gehalt

- niedrigeres Gehalt

4.4. Die polnische Diaspora und ihre Kultur


Wie in den vorherigen Kapiteln bereits erläutert, handelt es sich im Grenzgebiet Mecklenburg-Vorpommern um eine neue Migrationsbewegung. Verglichen mit der Polonia in Berlin oder in sonstigen bereits vor 2004 beliebten Ansiedlungsgebieten, ist die polnische Diaspora in der Grenzregion als weniger heterogen zu charakterisieren. Nichtsdestotrotz können die Migranten grob in unterschiedliche Gruppen eingeteilt werden.

Den Großteil der polnischen Migranten bilden die jungen Familien. Die Menschen dieser Gruppe wohnen aufgrund der attraktiven Wohnsituation im Grenzgebiet Mecklenburg-Vorpommerns, einige arbeiten allerdings in Stettin oder Umgebung. Des Weiteren bewohnen sie zumeist Häuser in ländlichen Gegenden und schicken ihre Kinder in Kindergärten und Schulen auf deutscher Seite der Oder.

Eine weitere Kategorie bilden die Migranten, die sich erwerbsbedingt in Deutschland aufhalten. Dabei handelt es sich häufig um Unternehmer, die aufgrund der geringen bürokratischen Barrieren eine Firma in Mecklenburg-Vorpommern gegründet haben. Die Mehrheit der polnischen Firmen sind kleine Familienbetriebe, die im Handel und im Dienstleistungsgewerbe tätig sind.

Doch es existieren auch größere Unternehmen, die die Region beleben und neue Arbeitsplätze schaffen.53 Des Weiteren arbeiten auch Spezialisten mit guten Deutschkenntnissen im Grenzgebiet Mecklenburg-Vorpommerns. Diese sind in deutschen Institutionen angestellt und kommen aus der polnischen Intelligenz oder der Mittelschicht. Zu dieser Gruppe zählen beispielsweise polnische Ärzte und Krankenschwestern, die die medizinische Versorgung in grenznahen Orten sicherstellen.

Polnische Ärzte arbeiten entweder in Krankenhäusern oder leiten eigene Praxen. Ferner können auch Saisonarbeiter zu dieser Kategorie gezählt werden. Zwar gibt es in der Region keine landwirtschaftlichen Großbetriebe, die Saisonarbeiter einstellen54, doch viele Polen arbeiten in den Sommermonaten in der Tourismusbranche auf der Ostseeinsel Usedom. Die Saisonarbeiter, ebenso wie Teile der Unternehmer und Spezialisten, leben ansonsten in Polen und kommen nur aufgrund der Arbeit nach Deutschland.


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